junge Welt ,
22.09.2005 :
Protest gegen Abschiebelager in Niedersachsen / Antirassisten wollen am Sonnabend Gefängnis in Bramsche "inspizieren"
Reimar Paul
Mit einer "öffentlichen gewaltfreien Inspektion und Demonstration" wollen das Komitee für Grundrechte und Demokratie und das No-Lager-Netzwerk am Samstag gegen das Abschiebelager im niedersächsischen Bramsche bei Osnabrück protestieren. Mehr als 500 Menschen werden dort in einer ehemaligen Bundeswehrkaserne festgehalten. Erklärtes Ziel ist es, bestehende Abschiebehindernisse zu beseitigen oder die Flüchtlinge zur "freiwilligen Ausreise" zu drängen.
"Durch den Begriff 'Freiwillige Ausreise' wird die Realität geradezu auf den Kopf gestellt", kritisiert Maria Wöste vom Göttinger Arbeitskreis Asyl. Tatsächlich werde den Bewohnern immer wieder von neuem ein Papier vorgelegt, in dem sie schriftlich ihre Bereitschaft zur Ausreise bekunden sollen. Verweigern sie dies, wird Druck ausgeübt. Betroffene berichten über Kürzungen oder gar die Streichung des ohnehin kargen Taschengeldes; selbst Ein-Euro-Jobs und andere kleinere Arbeitsmöglichkeiten würden ihnen vorenthalten.
Nach offiziellen Angaben funktioniert das Lager-System hervorragend. 358 Menschen seien im vergangenen Jahr aus Bramsche "zurückgeführt" worden, vermeldet stolz die niedersächsische Landesregierung als Betreiber des Lagers. 208 Flüchtlinge wurden in ihre Heimatländer abgeschoben, 55 wurden in aufnahmebereite Drittstaaten ausgeflogen, 95 reisten "freiwillig" aus.
Alle für die Asylsuchenden lebenswichtigen Einrichtungen und Behörden haben ihren Sitz oder wenigstens eine Außenstelle im Lager. Das Bundesamt für die Anerkennung von Flüchtlingen ist ebenso vertreten wie das Sozialamt, mittlerweile gibt es in Bramsche sogar eine kleine Lagerschule. Die Flüchtlinge können das Lager zwar durch eine kontrollierte Pforte verlassen, müssen aber immer wieder zurückkehren, um ihre Asylangelegenheiten zu regeln und minimale soziale Ansprüche geltend zu machen. Unterkunft, Verpflegung, ambulante medizinische Versorgung und 40 Euro Taschengeld gibt es nur im Lager. Die gesetzliche Residenzpflicht beschneidet die Bewegungsfreiheit zusätzlich.
"Die Konzeption des Lagers befördert die soziale Isolation der Flüchtlinge und die Ghettoisierung nach außen", urteilt das Grundrechte-Komitee. Auch die Landesregierung bestätigt, daß eine Integration der Betroffenen gar nicht beabsichtigt ist. Die Flüchtlinge würden in Lager eingewiesen, damit sich ihr "unberechtigter Aufenthalt" nicht verfestige und verlängere, heißt es in Hannover. Die Inspektion des Lagers am Samstag soll die "staatlich gewollte Isolation und Desintegration der Flüchtlinge wenigstens für einen Tag unterbrechen", erklärt das Komitee für Grundrechte und Demokratie. Treffpunkt für Teilnehmer ist um 12 Uhr am Bahnhof Hesepe.
Weitere Infos: www.nolager.de
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