Neue Westfälische ,
05.01.2004 :
Er kam und blieb in Bielefeld / Erinnerungen an den Soziologen Norbert Elias
Von Manfred Strecker
Bielefeld. Wer war Norbert Elias? Nach seiner wissenschaftlichen Bedeutung einer der hervorragenden Soziologen des 20. Jahrhunderts, ein Klassiker des Fachs. Wie wirkte er als Person? Durch "schlichte Menschlichkeit", durch "jugendliches Feuer", durch Höflichkeit, Liebenswürdigkeit, durch Sensibilität im Umgang mit anderen. Aber er war auch "Ehrfurcht gebietend", wie der gleichwohl nicht unbedeutende Literaturwissenschaftler Wilhelm Voßkamp gesteht.
All die zitierten Stimmen und viele mehr finden sich in einem neuen Büchlein, das "Bielefelder Begegnungen" mit Norbert Elias schildert. Die Vielzahl der Befragten - viele Wissenschaftler, aber auch eine Aufwartefrau und ein Chauffeur darunter - kommt nicht von ungefähr. Elias (1897 - 1990) hatte von 1978 bis 1984 im Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld gelebt, obwohl wissenschaftliche Dauergäste über eine Jahresforschungsgruppe hinaus, so genannte permanent fellows, nicht vorgesehen waren.
Elias beteiligte sich am interdisziplinären Jahresprojekt 1978/79 "Philosophie und Geschichte", geleitet von Reinhart Koselleck. Und er blieb. Elias genoss das Ambiente des weltweit bekannten Forschungszentrums. Aus seiner kleinen Wohnung gings hinaus zum Spaziergang in den Teutoburger Wald, in dem er manche Wurzel - Gewachsenes ehrend - zur Ausschmückung seiner Zimmer fand. Im Zif-Schwimmbad zog er täglich seine Bahnen. Noch nachts saß er in der Bibliothek über seinen Büchern.
Man hätte den trotz hohen Alters munteren und anregenden Kopf, der sich in viele wissenschaftliche Diskussionen einmischte, gerne noch länger am ZiF dabehalten. Doch er ging - wie Hermann Korte, sein engster Betreuer berichtet - nach Amsterdam zurück wegen der Wahlerfolge der Republikaner. Das habe er schon einmal erlebt und brauchte es nicht noch einmal zu haben.
Die Nazis hatten Elias 1933 um die kurz bevorstehende Habilitation gebracht. Im Exil erschien 1939 sein wegen der Umstände kaum beachtetes wissenschaftliches Hauptwerk "Der Prozess der Zivilisation", in dem er die Zivilisierung der aggressiven Impulse des menschlichen Verhaltens zusammen mit der Bildung des staatlichen Gewaltmonopols in der frühen Neuzeit beschrieb.
Erst in den 70er Jahren zollte die Wissenschaft in Deutschland Elias die gebührende Anerkennung, er wurde 1977 zum ersten Träger des von der Stadt Frankfurt verliehenen Theodor-W.-Adorno-Preises. Wissenschaftlich hatte Elias aber - hochbetagt - sein Potenzial noch gar nicht ausgereizt. Er wurde, wie Korte berichtet, durchs ZiF geradezu beflügelt. "Da bricht es aus ihm hervor." Von da an habe Elias noch die Hälfte seiner Werke geschrieben, "viele große Sachen". Darunter sein "Mozart" oder die Studie "Über die Einsamkeit der Sterbenden in unseren Tagen".
Elias sprach kein Soziologenjargon, er hatte etwas zu sagen, das zog die Studenten an. Spielend füllte Elias Hörsäle mit 400 Studierenden. Für diese enorme Wirkung findet auch Soziologenkollege Richard Grathoff keine richtige Erklärung: "höchstens die, dass unsere eigenen Veranstaltungen so langweilig waren".
Bielefelder Begegnungen mit Norbert Elias - ein Büchlein über einen faszinierenden Wissenschaftler, anekdotisch, amüsant, an manchen Stellen anrührend. Ein Büchlein auch über ein Stück Bielefelder Wissenschaftsgeschichte.
Eberhard Firnhaber, Martin Löning (Hrsg.): Norbert Elias - Bielefelder Begegnungen. LIT-Verlag, 129 S., 14,90 Euro.
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