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Antifa Initiative Münster , 17.09.2005 :

(Lippstadt) Krieg den deutschen Zuständen! / Redebeitrag der Antifa Initiative Münster

Liebe Antifaschistinnen, liebe Antifaschisten,

antifaschistischer Widerstand, gegen dessen Kriminalisierung wir heute demonstrieren, stellt eine Notwendigkeit dar. 60 Jahre nach dem Ende des Dritten Reichs kann in Deutschland nämlich nicht die Rede von einer Gesellschaft sein, in der alle Bedingungen ausgerottet sind, die den Faschismus ermöglichten. Vielmehr muss davon die Rede sein, dass trotz der den Deutschen von den Alliierten aufgezwungenen demokratischen Formen beängstigende Kontinuitäten und Ähnlichkeiten zu den Verhältnissen bestehen, die vor 72 jahren den Nationalsozialismus hervorbrachten. Dabei ist es weit mehr als erstarkende rechte Parteien, wöchentliche Aufmärsche von Neonazis, Übergriffe und Morde an Linken, Punks oder MigratInnen, was die deutschen Zustände beschreibt. Ein Blick auf die offizielle Geschichtspolitik oder auf die sogenannte Kapitalismuskritik eines Müntefering kann da in Deutschland aufschlussreicher sein.

In der bundesdeutschen Erinnerungspraxis erfährt man nämlich, dass die Deutschen die ersten Opfer des Nationalsozialismus waren, von Hitler und seiner Clique verführt, dann in einen Krieg gezwungen, den sie ja eigentlich nicht wollten und dann auch noch um den vesprochenen Sieg betrogen wurden. Und überhaupt haben die Deutschen unter dem Krieg so unermesslich gelitten, dass bei all dem Trauern um die bombardierten deutschen Städte die Shoa, wenn überhaupt, nur noch eine Randnotitz darstellt. Die Deutschen verschwinden zunehmend als TäterInnen und reihen sich gleichberechtigt in die lange Reihe der europäischen Völker ein, die ein schwieriges Schicksal durchzustehen hatten. Dieser Relativierung der Taten der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft gilt es eine klare Absage zu erteilen. Auch nach 60, 120 oder 560 Jahren werden deutsche TäterInnen nicht zu Opfern!

Das ist jedoch nicht genug des deutschen Übels. Hört man den SPD-Vorsitzenden in seiner vermeintlichen Kapitalismuskritik von Heuschrecken reden, die wie eine Plage über die deutsche Wirtschaft herfallen, sollten eigentlich die Alarmglocken läuten. Aber warum passiert das in Deutschland nicht, sondern warum erhält Müntefering eher Applaus, weil er endlich mal das gesagt hätte, was viele sich nicht trauen auszusprechen? Heute wie vor 70 jahren stellt in Deutschland Kritik am Kapitalismus in allen politischen Lagern die Gegenüberstellung von ehrlichem schaffenden Kapital – der Opelarbeiterin – und mächtigem, parasitären, raffendem Kapital – amerikanische Hedgefonds usw. – dar. Aber diese so genannte Kapitalismuskritik hat nichts mit einer grundlegenden Kritik der kapitalistischen Verhältnisse zu tun, weist aber vielmehr eine erschreckende Nähe zu antisemitischen Welterklärungsmustern auf. Die vermeintliche Kritik beschreibt den Kapitalismus nicht als ein apersonales Herrschaftsverhältnis, in dem Produktion, als auch das sogenannte Finanzkapital notwendige Bestandteile des kapitalistischen Systems sind. Anstatt dessen werden "die da oben", die amerikanische Ostküste, die Börsenspekulanten für das Übel verantwortlich gemacht, das uns alle umgibt. Fie Projektion von allem schlechten auf bestimmte Personenkreise, denen zusätzlich die Macht zugeschrieben wird, in der ganzen Welt die Fäden zu ziehen hat Tradition. Im Nationalsozialismus wurde das Übel auf die Juden projiziert und zeigte in der Shoa, in der Vernichtung fast des gesamten europäischen Judentums ihre äußerste Konsequenz. Denn will das Volk gesund bleiben, müssen die volksfremden und -schädlichen Elemente vernichtet werden. Hört mensch sich die Statements von SPD-, NPD- oder Linksparteimitgliedern oder dem einfachen Mann am Stammtisch zur Politik der USA oder der Diskussion um Managergehälter an, kann einem Angst und Bange werden. In antiamerikanischer Fundamental-Opposition gegen die USA und Insektenplagen formiert sich eine völkische Gemeinschaft, deren Nationalismus sich nicht nur auf der Ebene der großen Politik zeigt. Im Streben nach einem ständigen Sitz im Sicherheitsrat oder der Konstitution eines starken Europas unter Führung Deutschlands. Der völkische Nationalismus zeigt sich auch in der Popmusik a la Mia oder Fler, in einem starken Wir-Gefühl, im penetranten Wunsch nach einem positiven Bezug aufs Deutschsein, im Betteln um Arbeit und der Bereitschaft zum Verzicht, damit es dem Standort Deutschland wieder besser geht. Es geht ein Ruck durch Deutschland. Ein sehr beängstigender.

Diese deutschen Zustände verdeutlichen die dringende Notwendigkeit von antifaschistischem Widerstand. Ein Widerstand, der sich nicht nur an den Nazis abarbeitet, sondern das System als Ganzes ins Visier nimmt. Und weil er das aus unserer Sicht tun muss, trifft ihn Repression. Es reicht nicht aus die einzelnen Fälle von Repression wie z.B. der in Moers anzuprangern. Denn der Staat tut eben, was er als Staat tun muss. Nämlich gegen AbweichlerInnen vorgehen, die nicht wie die große Mehrheit der Bevölkerung den Staat und die kapitalistischen Verhältnisse tragen und als naturgegeben akzeptieren, gegen die vorgehen, die aus der gesellschaftlichen Norm herausfallen. Der Staat verteidigt sich gegen seine Feinde. Wir wollen hier keinen gütlichen Vorschlag zur Verbesserung des uns verhassten Systems machen. Nicht das ein oder andere Gesetz stellt das Problem dar, sondern eben das falsche Ganze. Der Glaube an die Möglichkeit fundamentaler Verbesserung innerhalb der bestehenden Ordnung ist eine Utopie. Und die Vorstellung man bekäme vom Gewaltmonopolist dieser Ordung einen Freifahrtschein, um sie abschaffen zu dürfen ist ein Aberglaube. Also warum die ganze Aufregung, diese Demo gegen Repression? Weil wir hier vermitteln können, dass es Menschen gibt, die sich gegen die Verhältnisse auflehnen und dies auch notwendig ist. Weil die deutschen Zustände und ihre Ordnung unseren Widerstand erfordern, kann die Quelle seiner Legitimation eben nicht das geltende Recht sein. Sondern gerade die zerstörerischen Zwangsverhältnisse des Kapitalismus, gerade die Diskriminierung, Bedrohung oder gar Ermordung von MigrantInnen, Juden und Jüdinnen oder anderen als "volksfremd" angesehenen Menschen, gerade der beschissene gesellschaftliche Ist-Zustand, das ist die Legitimation und die Verpflichtung zum Widerstand. Deshalb ist unser Protest gegen die Kriminalisierung von antifaschistischem Engagement nicht ein Betteln um Gnade, sondern er beinhaltet für uns - und er muss es unserer Meinung nach auch - die Forderung nach der Abschaffung des falschen Ganzen!

In diesem Sinne:

fight back the system!
Kapitalismus abschaffen!
Deutschland abschalten!


antifa-initiative-m@web.de

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