Junge Linke Lippstadt ,
17.09.2005 :
Fight back Repression! / Redebeitrag zur Antifa-Demo am 17.09.2005 in Lippstadt
Liebe Anwesende!
Am 8. Mai, dem 60sten Jahrestag der Kapitulation Nazideutschlands, blockierten Tausende von Menschen einen seit Monaten geplanten Naziaufmarsch. So ungewöhnlich wie der Erfolg, dass die Nazis an diesem Tag nicht marschieren konnten, so ungewohnt waren auch die Lobesbekundungen von der Polizeiführung über zahlreiche Bundespolitiker bis hin zu Sabine Christiansen für die "breite Zivilcourage". Und dennoch ist dieser antifaschistische Ausnahmezustand im Kontext des symbolträchtigen Datums einfach zu verstehen. Als Weltmacht in spe mit starken Ambitionen für einen permanenten Sitz im Weltsicherheitsrat und einem ungeminderten ökonomischen Expansionsdrang kann sich der Standort D nichts weniger als eine schlechte Publicity in Bezug auf die NS-Vergangenheit leisten. Und die denkbar schlechteste wäre hier die um die Welt gehenden Bilder tausender durch die Mitte Berlins marschierender Neonazis. So kam es der deutschen Politik am 8. Mai sehr gelegen, als viele tausend Menschen mit der Blockade einer angemeldeten Demonstration eine kollektive Straftat begingen. Auf diese Art gelang es, den 8. Mai zu einem "Tag der Demokratie" zu verbiegen, sich als geläutert zu präsentieren und den in weiten Teilen der Bevölkerung grassierenden Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus als Randphänomene zu kaschieren.
Ganz anders am 22. Januar in Moers. Wie an nahezu jedem anderen Wochenende auch marschieren Neonazis zwecks Verbreitung ihrer menschenverachtenden Demagogie. Wie auch die vielen anderen Aufmärsche diesen Jahres, etwa in Hamm, Duisburg, Essen, Recklinghausen, und Dortmund ist das mediale Interesse gering, selbst den Lokalblättern sind sie meist nur einige kurze Randbemerkungen wert. Trotz der voranschreitenden Normalisierung und faschistischer Ideologien und der Vielzahl von Aufmärschen, versuchten auch in Moers engagierte Antifaschistinnen und Antifaschisten sich dieser Zumutung in den Weg zu stellen. Und wie üblich werden diese in der Ausübung des einzig Richtigem – der konsequenten Bekämpfung des Faschismus in all seinen Erscheinungsformen – durch Polizeieinheiten in Kampfanzügen behindert und drangsaliert. Denn wenn es darum geht, den Nazis ihr Recht auf Agitation zu garantieren, erfüllen die Beamten ihr Handwerk in altbekannter deutscher Gründlichkeit. So auch in Moers, wo GegendemonstrantInnen bereits unmittelbar nach dem Aussteigen aus dem Zug von der Polizei mit Kampfhunden und anderen Drohgebärden empfangen wurden. Die Personen wurden festgehalten und äußerst grob durchsucht. Diese Durchsuchungen muteten bereits wie Festnahmen an, so wurden die Betroffenen hierbei von den Beamten an die Wand gedrückt. Während die Polizisten willkürlich begannen einzelne Personen zu schupsen, kam es zur Festnahme eines 19-jährigen Lippstädter Antifaschisten. Dieser hatte sich verbal über die vorrausgegangene Polizei-Brutalität geäußert. So wurde er unverzüglich von 4 Beamten zu Boden geworfen und festgenommen. Eine aufgeplatzte Lippe erhielt er als Andenken. Auf die gegen ihn gestellte Anzeige – nicht nur wegen Beleidigung, sondern auch "Widerstand gegen die Staatsgewalt" folgt nun der Prozess vor dem Amtsgericht Lippstadt am 21. September 2005. Dem Angeklagten wird vorgeworfen einen Polizeieinsatzleiter als "brutales Arschloch" bezeichnet zu haben. Nur wird dabei verschwiegen, dass dieser in der Ausführung seines Amtes ohne erkennbaren Grund mit äußerster Brutalität gegen teilweise noch sehr junge Antifaschisten vorging. Vielleicht enthält die dem Angeklagten zur Last gelegte Äußerung auch nur mehr Wahrheit, als es dass deutsche Strafgesetzbuch zulassen könnte.
Dass dieses Vorgehen der Polizei gegen antifaschistische Demonstrationen nichts weniger als der Normalität entspricht, wissen alle, die schon einmal gegen Neonazis auf die Strasse gegangen sind, oder sich auf andere Art gegen deren menschenverachtende Propaganda engagiert haben. Dies zu tun bedeutet nicht nur Gefahr zu laufen, von Nazis angegriffen zu werden (was durchaus lebensgefährlich sein kann!), sondern auch mit dem ganzen Repertoire polizeistaatlicher Maßnahmen konfrontiert zu werden. Schon die Teilnahme an einer Sitzblockade wie am 8. Mai in Berlin bedeutet im Regelfall, die körperliche Unversehrtheit zu riskieren. Von Würgegriffen, über Pfefferspray- und Knüppeleinsätzen bis hin zu dem Gebrauch von Wasserwerfern und Hundestaffeln sind der Phantasie der BeamtInnen keine Grenzen gesetzt. Es zeigt sich, dass die Polizei nicht immer so zurückhaltend ist, wie heute hier in Lippstadt, sondern die Situation spätestens dann umschlägt, wenn Naziaufmärsche durch sie beschützt werden. Die Repression von antifaschistischen Aktivitäten beschränkt sich jedoch nicht nur auf Demonstrationen.
Am 27. August stürmte die Polizei sieben Berliner Wohnungen, Büros und Vereinsräume, und feierte dieses als einen gelungenen Schlag gegen die "linksextreme Hauptstadt-Szene". Anlass war ein Text auf der Webseite der Antifaschistischen Linken Berlin aus dem die Polizei Hinweise "über politische Aktivitäten außerhalb der freiheitlich-demokratischen Grundordnung" und den "übersteigerten Hass der Beschuldigten auf die NPD" herauslas. Hier stellt sich die Frage, wie "übersteigerter Hass" auf die NPD, also Nazis, überhaupt aussehen soll. Man kann Nazis schließlich gar nicht genug hassen! Nur sollte man dabei nicht stehen bleiben, sondern diese darüber hinaus mit Mitteln der Vernunft kritisieren und bekämpfen. Die Berliner GenossInnen haben in einem Text dazu aufgerufen, den NPD-Wahlkampf durch Blockaden von Veranstaltungen, dem Einsammeln von Wahlpropaganda und Plakaten sowie den Tausch von abgerissenen NPD-Plakaten gegen Freigetränke auf einer Party, zu behindern. Wir verurteilen die gegen Berliner Antifas gerichtete Polizeiaktion aufs schärfste und erklären uns solidarisch mit den Opfern der Razzien.
Aber nicht nur Menschen, die sich bewusst für antifaschistisches Engagement entscheiden sind dieser Kriminalisierung ausgesetzt.
Am 23.10 2004 wurde in Hannover ein Mensch mit migrantischem Hintergrund von einem Neonazimob attackiert. Diese führten neben Hunden zahlreiche Waffen und waffenähnliche Gegenstände mit sich. Zum Glück wusste sich das Opfer mit einem Taschenmesser zur Wehr zu setzten, und konnte sich, nachdem er brutal zusammengeschlagen wurde hinter seine Wohnungstür retten. Auch wenn das Verfahren gegen diesen wegen angeblich versuchtem Totschlag mittlerweile eingestellt wurde, so hat er doch 3 Monate in Untersuchungshaft verbringen, und 2.000 Euro Geld an die Staatskasse zahlen müssen, für einen lebensnotwendigen Notwehrakt! Aber es entspricht ja der deutschen Tradition aus Opfern Täter und Tätern Opfer zu machen, was sich in den unsäglichen Diskursen um die so genannten "Heimatvertriebenen" und den "Bombenkrieg" nur zu deutlich zeigt.
Natürlich gibt es noch unzählige weitere Beispiele, die an dieser Stelle erwähnt werden müssten, eine derartige Auflistung würde jedoch den Rahmen eines Redebeitrages sprengen.
Mit dieser Demonstration erklären wir uns also nicht nur solidarisch mit dem Lippstädter Antifaschisten, dem nächste Woche der Prozess gemacht werden soll, sondern auch mit allen anderen, die aufgrund ihres antifaschistischen Engagements von staatlicher Repression oder neonazistischer Gewalt betroffen sind. Deshalb stellen wir uns gegen das laufende politisch motivierte Gerichtsverfahren gegen den Lippstädter Antifaschisten, welches zugleich als Exempel gegen alle antifaschistisch Aktiven zu verstehen ist! Strafverfahren können nach Demonstrationen aus den verschiedensten Gründen eingeleitet werden. Egal wie absurd deren Begründungen und Vorwürfe oft klingen mögen, und unabhängig vom Ausgang der Prozesse, schränken diese die Betroffenen stark ein: Anwaltskosten, Prozesskosten, usw. hinterlassen immer einen bleibenden Eindruck, und sollen vor weiterem Engagement abschrecken. Nicht zu letzt deshalb ist es wichtig, die Betroffenen damit nicht im Regen stehen zu lassen, und praktische Solidarität zu organisieren.
Ferner betonen wir die Notwendigkeit, sich mit aller Vehemenz dem wiedererstarkenden Nazismus entgegenzustellen. Allein seit 1989 sind über 100 Menschen von Neonazis ermordet worden und gerade erst vor ein paar Monaten wurde in Dortmund ein Punker von einem Mitglied der örtlichen rechtsextremen Szene erstochen. Im Gedenken an diese wie auch alle anderen Opfer des (neonazistischen Wahns wird unser Widerstand zur Pflicht!
In diesem Sinne nehmen wir uns die Worte der Holocaustüberlebenden Esther Bejerano und Peter Gingold aus ihrem Appell an die Jugend besonders zu Herzen: "( ... )1945 war es für uns unvorstellbar, dass ihr, die Nachgeborenen, erneut konfrontiert sein würdet mit Nazismus, Rassismus, einem wieder auflebenden Nationalismus und Militarismus. ( ... ) Wir hoffen auf euch. Auf eine Jugend, die das alles nicht stillschweigend hinnehmen wird! Wir bauen auf eine Jugend, die sich zu wehren weiß, die nicht kapituliert, die sich nicht dem Zeitgeist anpasst, die ihm zu trotzen versteht, und deren Gerechtigkeitsempfinden nicht verloren gegangen ist. ( ... )"
Wir nehmen uns diesen Appell an und werden uns auch zukünftig mit allen erforderlichen Mitteln den Rassisten, Antisemiten und Nazis aller Couleur in den Weg stellen. Und wenn geltendes Recht den Nazis ihre menschenverachtende Agitation garantiert und Grundlage für die Kriminalisierung des Widerstandes dagegen ist, spricht das nicht gegen uns, sondern gegen den Zustand dieser Gesellschaft! Jene ist dabei aber nicht nur aus dem Grunde zu kritisieren, weil sie neonazistische Ideologien hervorbringt und Nazis weitgehende Handlungsfreiräume bietet. Sondern es gilt vielmehr, nach der Kohärenz zwischen Neonazismus und kapitalistischen Produktionsverhältnissen sowie dem sich daraus ableitendem Staatsbegriff zu fragen und so auch die bürgerliche Gesellschaft in ihrer Idealform zu kritisieren.
In diesem Sinne:
Let's push things forward!
Den antifaschistischen Widerstand organisieren und in die Provinz tragen!
More than just dagegen - Junge Linke Lippstadt
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