Mindener Tageblatt ,
08.09.2005 :
Später Besuch in der Geburtsstadt / Altmindener Jude nach 66 Jahren zu Besuch / Als Kind vor den Nazis ins Ausland geflüchtet
Minden (mt). Das Elternhaus an der Ritterstraße 27 hat er fast nicht mehr erkannt: Hans-Adolf Werberg besucht 66 Jahre nach der Flucht seine Geburtsstadt Minden. Als Kind konnten ihn die jüdischen Eltern vor den Nazis retten. Gestern wurden er und seine Kinder von Bürgermeister Michael Buhre empfangen.
Von Stefan Koch
Gerade sieben Jahre alt war Hans-Adolf Werberg, als er im Juni 1939 mit einem Kindertransport nach England ausreiste (MT-Bericht am 27. August). Er wohnte auf der Insel zunächst in einem Privatquartier, später in Flüchtlingsunterkünften. 1947 siedelte er von England in die USA über, weil es dort zwei Verwandte gab. Seine Eltern hatte er nie wieder gesehen. Sie wurden von den Nazis verschleppt und ermordet.
Zum gestrigen Empfang im Mindener Rathaus brachte Werberg drei seiner fünf Kinder sowie zwei weitere Angehörige mit. Er erinnere sich noch gut daran, wie sein Vater einst in der Weser geschwommen sei, bekundete der 73-Jährige. Ein "Patriot" sei dieser gewesen, der im Ersten Weltkrieg für Deutschland gekämpft habe. Doch das habe im Dritten Reich niemanden interessiert.
Hans-Adolf Werberg hat seinen Kindern kaum etwas über seine ersten Lebensjahre in Deutschland erzählt. Sein Sohn Leopold Werberg war es, auf dessen Initiative der Besuch der Familie in Minden zustande kam. Als Mitarbeiter eines schwedischen Autokonzerns ist er oft zu Geschäftsreisen in Europa unterwegs. Im vergangenen Jahr kam er aus privatem Interesse in Minden vorbei, um den Geburtsort seines Vaters zu sehen. Schließlich regte er den Besuch der Familie an.
Von Erwachsenen und Kindern beschimpft
Bereits in älteren Dokumenten hatte Hans-Adolf Werberg berichtet, wie er vor seiner Flucht nach England von Kindern und Erwachsenen in Minden aufgrund seiner jüdischen Herkunft beschimpft und verspottet wurde. Sein Vater wurde misshandelt, später wurde dessen Haus an der Ritterstraße 27 enteignet (heute Mindener Museum).
Anlässlich des Empfangs am Mittwoch gab Werberg sein Einverständnis dazu, dass das Gebäude an der Ritterstraße in die Liste der Immobilien für die Mindener Stolperstein-Aktion aufgenommen wird. Im November wollen der Kölner Künstler Gunter Demnig und Mindener Gruppen weitere Details klären, wie an die im NS-Staat Verfolgten erinnert werden soll.
Martinipfarrer Dr. Heinrich Winter, Geschäftsführer und Vorsitzender der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Minden, wies anlässlich des Empfangs auf die Bedeutung des Besuchs von Werberg hin. Die auch an seiner Familie begangene Missachtung der Humanität, Gleichgültigkeit und heimliche Mittäterschaft falle nicht dem Vergessen anheim. Der Besuch sei auch eine Begegnung mit der Wahrheit.
Weitere Stationen von Hans-Adolf Werberg führten zu einer Cousine, die er 66 Jahre nicht mehr gesehen hatte. Zudem unternimmt die Familie einen Ausflug nach Bielefeld. Aufgesucht wird der jüdische Friedhof Nach den Bülten in Minden. Am Sonntag schon endet der späte Besuch Werbergs mit dem Rückflug in die USA.
mt@mt-online.de
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