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WebWecker Bielefeld , 07.09.2005 :

(Stukenbrock) Mahnung für den Frieden

Am vergangenen Samstag kamen auf dem Sowjetischen Friedhof bei Stukenbrock 200 Mensdhen zusammen, um den Opfern des Gefangenenlagers Stalag 326 zu gedenken und Frieden zu fordern. Im Stalag kamen während des Nationalsozialismus 65.000 Gefangene um.

Von Manfred Horn

Rund 200 Menschen versammelten sich am vergangenen Samstag auf dem Sowjetischen Friedhof bei Stukenbrock. Der wurde von Gefangenen nach der Befreiung angelegt. In 36 Massengräbern und 788 Einzelgräbern liegen dort rund 65.000 im nahe gelegenen Gefangenenlager Stalag 326 (VI/K) zu Tode gequälte Kriegsgefangene, zum großen Teil aus der ehemaligen Sowjetunion.

Wie seit vielen Jahren kamen am ersten Samstag im September Menschen auf dem Friedhof zusammen, um der Toten zu gedenken und den Frieden zu mahnen. Anlass für dieses feste Datum bildet der Antikriegstag, der jeweils am 1. September stattfindet – am 1. September 1939 eröffneten die Nationalsozialisten ihren Vernichtungskrieg.

Zu Beginn der Veranstaltung legten viele Teilnehmer Blumen und Kränze am Obelisquen ab, einem Denkmal, das von den befreiten Gefangenen direkt nach der Befreiung am 2. April errichtet wurde. Die völlig erschöpften Gefangenen wechselten sich in 10-Minuten-Schichten ab, um das steinerne Mahnmal überhaupt errichten zu können. Bereits einen Monat nach Baubeginn wurde es feierlich enthüllt. 1956 ließ die damalige Landesregierung die gläserne rote Fahne demontieren, die die Spitze des Denkmals bildete. Stattdessen setzte man zwei orthodoxe Kreuze nach oben. Bis heute kämpfen der Verein 'Blumen für Stukenbrock' und Überlebende dafür, dass die rote Fahne wieder die Spitze des Denkmals ziert. Erst dann würde es wieder so aussehen, wie es damals gebaut wurde.

Als anlässlich des 60. Jahrestages der Befreiung des Lagers im April der damalige NRW-Bundesminister Wolfram Kuschke den Friedhof besuchte, sagte er zu, dass künftig wieder die rote Fahne an dem Obelisquen angebracht werde. Eine entsprechende Genehmigung des Bauministeriums sollte dies möglich machen – obwohl das Denkmal seit den 1980ern unter Denkmalschutz steht. Im April teilte das Bauministerium, das damals noch Michael Vesper unterstand, mit, die orthodoxe Kirche habe bereits ihr Einverständnis gegeben unter der Bedingung, dass das Kreuz in der Nähe des Denkmals aufgestellt werde. Auf eine Antwort aus dem russischen Verteidigungsministerium warte man noch. Sollte die russische Regierung ebenfalls zustimmen, könne das Kreuz durch die rote Fahne ersetzt werden. Seitdem ist allerdings nichts passiert, noch immer zieren die zwei Kreuze das Denkmal.

Haltung zum Krieg verändert

Die Hauptrede auf der Gedenkveranstaltung am vergangenen Samstag hielt Peter Strutynski vom Fachbereich Friedensforschung der Universität Kassel. Er drückte die Hoffnung aus, das sich die Haltung der deutschen Gesellschaft zu Krieg und Frieden verändert habe. Im kollektiven Gedächtnis habe sich festgesetzt, dass sich Auschwitz nicht wiederholen dürfe. Auch habe die Bevölkerung gesehen, dass reine Verteidigungsarmeen, wie sie die BRD und die DDR bis 1989 unterhielten, nicht geschadet haben. Schließlich habe auch die Friedensbewegung dazu beigetragen, dass die Menschen heute Krieg ablehnten. Für Strutynski ist "Krieg unter keinen Umständen eine Lösung". Eine Ausnahme machte er aber in seiner Rede: Pazifist zu sein, könne aber nicht bedeuten, einer Nation das Recht abzusprechen, Widerstand zu leisten, wenn sie unterdrückt wird, sagte er mit Bezug auf den Nationalsozialismus.

Zu Beginn der Veranstaltung bedauerte Werner Höner, Vorsitzender des Arbeitskreises 'Blumen für Stukenbrock', das Fehlens eines Vertreters der Landesregierung: Seit 1985 habe die Regierung in jedem Jahr einen Vertreter zur Gedenkveranstaltung entsendet. Ein Brief an den neuen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers indes blieb unbeantwortet. Höner betonte die Notwendigkeit eines Verbots von Rüstungsexporten und lobte die Initiative der 'Bürgermeister für den Frieden', die bis 2020 die Kommunen atomwaffenfrei machen wollen. Dazu gehört auch Bielefeld. Die US-Armee forderte Höner auf, ihre Atomwaffen aus den Depot abzuziehen.

Zwei besondere Gäste waren in Stukenbrock bei der Gedenkveranstaltung zugegen: Nikolaj Maksimowitsch und Celine van der Hoek. Der Ukrainer Maksimowitsch war Zwangsarbeiter in Bethel. Er wurde aus der Ukraine zur Zwangsarbeit nach Bielefeld verschleppt. Einen Tag vor der Veranstaltung in Stukenbrock war er in Bethel, um an der Enthüllung eines Gedenksteins teilzunehmen, den die von Bodelschwinghschen Anstalten nun für die rund 1.000 Zwangsarbeiter, die damals für diese kirchliche Einrichtung arbeiten mussten, zu enthüllen. Celine van der Hoek kommt aus Amsterdam. Die Jüdin überlebte Auschwitz und war vom antifaschistischen Jugendcamp, das den Gedenktag auf dem Friedhof begleitete, eingeladen, um aus ihrem Leben zu berichten.

Pastor Jochen Schwabedissen kritisierte das Urteil des Bundesgerichtshofs von Ende Juli scharf: Der Gerichtshof hatte verkündet, dass die Verwendung des Spruches "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" unbedenklich im Sinne des Rechtsstaates sei, weil er ein Fantasieprodukt sei. Es könne mit Originalparolen von NS-Organisationen nicht verwechselt werden, begründete der 3. Strafsenat sein Urteil. Damit sprach er auch drei Neonazis frei, die ein Infotelefon für einen rechtsextremen Aufmarsch installiert hatten. Am Ende des Textes des Anrufbeantworters hieß es: "Ruhm und Ehre der Waffen-SS". Diese Parole sei erfunden und könne nicht mit den Original-Parolen der Waffen-SS "Meine Ehre heißt Treue" verwechselt werden. Schwabedissen zeigte sich entsetzt über dieses Urteil und rief zum Handeln gegen Neonazismus auf.

Bevor die Anwesenden gemeinsam singend mit einem 'Bella Ciao' den Partisanen des Zweiten Weltkriegs gedachten, erläuterte ein Vertreter der Antifa aus Gütersloh an die aktuellen Dimensionen des Faschismus. So habe es – von den Medien unbeachtet – am 20. August, an dem ursprünglich der in den vergangenen Jahren von tausenden Neonazis aus ganz Europa besuchten 'Heß-Gedenkmarsches' im bayrischen Wundsiedel stattfinden sollte, bundesweit Nazi-Aufmärsche gegeben. Das Bundesverfassungsgericht hatte erstmals den Aufmarsch in Wunsiedel verboten. Daraufhin wichen die Rechtsextremen bundesweit aus. So hatten sich in München, Hamburg und sogar in Dänemark Neonazis versammelt, um dem Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß zu gedenken. Alleine in Peine bei Hannover kamen 500 Neonazis zu einem Gedenkmarsch zusammen. Die Polizei schritt nicht ein.


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