Internationales Autonomes Feministisches Referat für FrauenLesbenTransGender der Universität Bielefeld
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29.08.2005 :
Redebeitrag zu "Queer und Asyl" bei der Konzertaktion/Demonstration gegen die Abschiebepraxis im Rahmen der Bielefelder Kampagne "Z-Abschaffen"
Aus unterschiedlichsten Gründen emmigrieren Menschen aus ihrem Herkunftsland. Auch Lesben, Schwule, Polysexuelle, Transgender und andere Menschen mit queeren Lebensweisen sehen sich gezwungen zu fliehen. Homosexualität steht beispielsweise in 90 Staaten weltweit unter Strafe oder Todesstrafe. D.h. in mindestens 90 Staaten werden Lesben, Schwule, Polysexuelle, Transgender oder Intersexuelle staatlich legitimiert verfolgt, vergewaltigt, gefoltert, inhaftiert und teilweise auch ermordert. Frauen, Lesben, Transgender werden aber auch in vielen Ländern bedroht und verfolgt, in denen Homosexualität nicht ausdrücklich unter Strafe steht.
Lesbisch und schwul zu lieben, sich zwischen den propagierten zwei Geschlechtern zu verorten oder auch eine nicht-monogame Lebensweise zu bevorzugen, stellt die herrschenden Geschlechterrollen mit ihren Zuschreibungen an das eigentlich individuelle Verhalten der Menschen und die Normen und Werte der Mehrheitsgesellschaft in Frage. Lesben beispielsweise lieben in emotionaler Unabhängigkeit von Männern und gefährden so – bereits durch ihre Existenz – das herrschende patriarchale System.
In eben diesem System gibt es nur zwei Geschlechter, die einem Menschen bei der Geburt lebenslang zugewiesen werden (notfalls auch durch körperverletzende chirurgische Eingriffe): Mann und Frau.
In diesem System sollen die so gemachten Frauen die so gemachten Männer lieben, begehren oder zumindest zur Zeugung des nationalen Nachwuchses zusammen finden. Und umgekehrt.
Dieses System dient der Aufrechterhaltung der geschlechtsspezifisch ungleichen Machtverteilung und ermöglicht dadurch auch sexualisierte Gewaltverhältnisse. Diese sexuelle Gewalt wird jedoch oftmals nicht als solche wahrgenommen, da sie scheinbar untrennbar mit den patriarchalen Strukturen verwoben ist und dadurch ihre Scheinlegitimität bezieht. Nicht durch Zufall gilt sexualisierte Gewalt immer noch als Privatangelegenheit, als persönliches hartes Schicksal und wird nicht als Folge der gesellschaftlichen Strukturen gesehen, in denen wir unseren Alltag leben.
Lesben, Schwule, Transgender, Intersexuelle fliehen vor Vergewaltigung, Denunziation, medizinischen Zwangsbehandlungen, Zwangspsychiatrisierung, Zwangsverheiratung, Genitalverstümmelung, Hass, Missachtung, Demütigungen – weil sie sich nicht in die vorgeschriebenen Geschlechterrollen pressen lassen wollen. Oft müssen sie ihre Flucht alleine organisieren, ohne Unterstützung ihrer Herkunftsfamilie und auch ohne Unterstützung von Leuten hier. Denn nicht selten werden sie verstoßen, wenn sie ihre queere Lebensweise offenlegen. Von politischen Organisationen kann auch nur selten mit Hilfe gerechnet werden, da diese die Bedrohung entweder gar nicht ernst nehmen oder im schlimmsten Falle selbst homo- oder transphob reagieren.
In Deutschland angekommen sind nicht-heterosexuell lebende Menschen in Flüchtlingsheimen und im Alltag oftmals sozial isoliert und können nicht offen leben und lieben. Zusätzlich zu dieser homophoben Grundhaltung führen die extremen Abhängigkeitsverhältnisse in der BRD in den Institutionen, Knästen und eben auch in Behörden wie die ZAB zu Übergriffen, die nur selten an die Öffentlichkeit dringen, aber dennoch stattfinden.
Offiziell wird Flucht vor sexualisierter Gewalt zwar im Zuwanderungsbegrenzungsgesetz als Fluchtgrund anerkannt, in der praktischen Anwendung jedoch nicht. Dies bekommen Flüchtlinge sehr schnell zu merken.
Ein Beispiel: Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFL) in Würzburg begründet die Ablehnung eines Asylantrages einer Transsexuellen, die in ihrem Herkunftsland von Polizisten vergewaltigt wurde folgendermaßen:
"Insbesondere kann dem Antragsteller nicht geglaubt werden, dass er von vier Polizisten vergewaltigt worden sei. So ist es absolut unvorstellbar, dass ausgerechnet die vier Polizisten, die er angezeigt hat, homosexuell veranlagt sein könnten. Dies ist in Südamerika geradezu unmöglich."
Lesben und andere Queers, die hier aufgrund ihrer Verfolgung Asyl beantragt haben, müssen beispielsweise in einem zwangspsychiatrischen Gutachten nachweisen, dass ihre Homosexualität keine bloße "Neigung" ist, auf deren Ausleben mensch genauso gut verzichten könnte. In mehrstündigen Gesprächen müssen sie beweisen, dass es sich bei ihrer Lebensweise um eine so genannte "irreversible Prägung" handelt. Diese Zwangsgutachten sind demütigend und entwürdigend und gehören nicht nur deshalb abgeschafft.
Derartige Gutachten basieren nämlich auf der gänzlich falschen Annahme, bei der sexuellen Identität handele es sich um eine Veranlagung oder um eine Prägung, die auch noch ein Leben lang bestehe. Identitäten sind nie biologisch oder genetisch bedingt, nie feststehend. Oder wer mag behaupten er oder sie sei noch der selbe Mensch wie vor 15 Jahren? Identitäten sind veränderbar. Dies gilt auch für die sexuelle und/oder Geschlechtsidentität. Von dieser Veränderbarkeit können alle Menschen Gebrauch machen.
Zur Erinnerung: Es ist ein Menschenrecht, sein Leben selbst zu bestimmen und zu gestalten!
Die perverse Logik, dass eine Person beweisen muss, dass sie doch ihr Menschenrecht wirklich wahrnehmen möchte, ist nicht hinnehmbar. Sich dem Patriarchat zu widersetzen ist eine Wahlmöglichkeit, die allen Menschen offen steht.
Asyl für alle, die sich nicht den Normen der heterosexuellen Dominanzkultur unterwerfen!
Nicht Flüchtlinge, sondern Fluchtursachen bekämpfen! Offene Grenzen für alle!
Aus aktuellem Anlass möchten wir auch noch die Aufmerksamkeit auf die jüngsten Ereignisse in London und Hamburg lenken.
Nicht nur unmittelbar bei den Bombenanschläge auf die Londoner U-Bahn kamen viele Menschen ums Leben oder wurden schwer verletzt. Diese Anschläge lösten bei den so genannten Sicherheitskräften und den Bürgern eine ebenso tödliche Kettenreaktion aus. Dazu drei Beispiele, die öffentlich wurden.
1. So wurde einige Tage nach den Londoner Anschlägen der Brasilianer Jean Charles de Menezes auf offener Straße durch acht Kopfschüsse von Polizisten getötet. Wie die Presse kurz und knapp mitteilte, sei er "aus einem von Fahndern beobachteten Haus gekommen und habe beim Betreten einer U-Bahn Verdacht erregt". Was den Verdacht erregte war, dass er nicht weiß war, einen langen Mantel trug und vor der Polizei wegrannte. Er lebte illegalisiert in London und flüchtete auch Angst vor Abschiebung vor der Polizei. Das kostete ihm das Leben, da die Polizisten ihn in ihrem Rassismus und Sicherheitswahn für einen Terrorverdächtigen hielten. Finaler Rettungsschuss, beklagenswerter Kollateralschaden, das sind die offiziellen Verlautbarungen zu dieser Hinrichtung. Es ist jedoch ein Paradebeispiel wie Rassismus, Sicherheitsdenken und Illegalisierungen Menschen in tödliche Gefahr bringen.
2. Eine knappe Woche später wurde ebenfalls in England der Schwarze 18-jährige Anthony Walker von einer Gruppe weißer Männer mit einer Axt erschlagen. Selbst dem Polizeisprecher O'Hara fiel auf, dass die brutale Form dieses rassistisch-motivierten Mordes "gänzlich untypisch für britische Verhältnisse" sei. Täterbefragungen ergaben, dass sie Anthony Walker für einen Moslem hielten und er stellvertretend für den Londoner Anschlag büßen sollte.
3. Anfang letzter Woche machte die Hamburger Polizei unter großer Mitwirkung der Öffentlichkeit eine Hetzjagd auf drei junge Männer. Ein Passant will an einer Bushaltestelle gehört haben, wie diese Männer auf arabisch sagten "Morgen werden wir als Helden vor Allah stehen." Er alarmierte die Polizei, die aufgrund dieser Zeugenaussage in großem Stil und gezielt "arabisch anmutende" Personen kontrollierte. Porträtaufnahmen der Überwachungskameras aus den Bussen wurden in den Medien veröffentlicht, auf dass jede Person in Hamburg diese drei Männer wieder erkennen und bei der Polizei melden sollte. Das sich zwei der Männer freiwillig bei der Polizei meldete und der dritte "gefasst werden konnte", wurde zunächst als glorreicher Verdienst der Überwachung des öffentlichen Raumes und dem Denunziationsverhalten der BürgerInnen gefeiert.
Diese Entwicklung jedoch führt zu einem Klima der Angst vor allem - aber nicht nur - unter nichtweißen Menschen. Wo kommen wir hin, wenn wir uns jetzt schon überlegen müssen, mit wem und worüber wir auf offener Straße unterhalten!? Wenn wir fürchten müssen, dass wir als Terrorverdächtige denunziert werden und eine öffentliche Hetzjagd auf uns veranstaltet wird!? Bei diesen Überlegungen spielt es auch keine Rolle mehr, dass die so genannten "Hamburger Terrorverdächtigen" völlig unschuldig zwei Tage ihrer Freiheit beraubt und stundenlangen Verhören unterzogen worden sind. Darüber hinaus sind dank der medienwirksamen Fahndung ihre Gesichter bekannt. Was für persönliche Folgen das für sie im Alltag, bei der Arbeit oder Wohnungssuche haben wird, kann sich jede/jeder ausrechnen.
All diese drei Fälle sind im Namen der Sicherheit zu beklagen und sind überhaupt erst möglich durch den breiten rassistischen Konsens in der Gesellschaft.
Bürgerinnen und Bürger applaudieren der Politik und Polizei, glauben sie doch, so könne der Schutz der Öffentlichkeit aufrecht erhalten werden. Was zählen schon einzelne Opfer, wenn damit das Wohl der weißen Dominanzgesellschaft gewährleistet bleibt? Was ebenso wie diese menschenverachtenden ökonomische Rechnung unbemerkt zu bleiben scheint: Grundrechte sterben mit Sicherheit! Die Freiheit stirbt mit Sicherheit! Und Sicherheit ist tödlich!
Stoppt den Wir-sind-nicht-mehr-sicher-Wahn!
Stoppt die rassistischen Kettenreaktion in London, Hamburg und anderswo!
flref@uni-bielefeld.de
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