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WebWecker Bielefeld , 31.08.2005 :

(Bielefeld) Lebenslaute gegen Abschiebungen

Klassische Musik gegen staatlichen Rassismus gab es am Montag im Rahmen der Kampagne ZAB-schaffen. Die richtet sich gegen die Zentrale Ausländerbehörde (ZAB) in Bielefeld, die für Flüchtlingsinitiativen ein Symbol für die rigide Politik gegenüber Migrantinnen und Migranten ist. Etwa einhundert Demonstranten begleiteten die Aktion vom Rathaus zur ZAB.

Von Mario A. Sarcletti

Eigentlich sollte die Aktion "Aufspielen statt Abschieben" der Gruppe Lebenslaute am Montag um 13.30 Uhr im Foyer des Bielefelder Rathauses stattfinden. Mit Hinweis auf das "Neutralitätsgebot" der Verwaltung untersagte der Immobilienservicebetrieb dies jedoch. Da am Montag aber herrliches Sommerwetter herrschte, war die Stimmung auf dem Rathausplatz trotzdem bestens.

Zur guten Stimmung der etwa einhundert Demonstrantinnen und Demonstranten, viele von ihnen Migranten, trugen auch die Musikstücke bei, die die Gruppe Lebenslaute für die Aktion ausgewählt hatte. "Wir wählen immer Stücke aus, die zum Ort und zum Thema passen", erläuterte eine Sprecherin das Programm der Musiker aus dem ganzen Bundesgebiet. So sang der Chor zur Eröffnung das Stück "Frisch auf – schenkt ein", in dem auch die Zeile "Willkommen Freunde" vorkommt. "Das ist eine andere Art mit Gästen umzugehen, als dies die ZAB tut", erklärte eine der Sängerinnen. Ein weiteres Stück war der Gesang der Furien aus der Oper "Dido und Aeneas". In der wird der trojanische Flüchtling Aeneas von den Furien vom Hof der Königin von Karthago vertrieben. "Die Furien singen von der Freude menschliches Glück zu zerstören", hieß es zu dem Stück von den Lebenslauten.

Aeneas wird damit zum zweiten Mal zum Flüchtling, ein Schicksal das ganz aktuell auch einer Ashkali-Familie aus Bielefeld droht, wie Elisabeth Reinhard vom Bielefelder Flüchtlingsrat berichtete. "Der fünfköpfigen Familie droht am Donnerstag die Abschiebung ins Kosovo", sagte Reinhard. Die Familie mit drei Kindern im Alter zwischen 13 und 19 Jahren lebe seit fünfzehn Jahren in Deutschland. "In solchen Fällen ist Zivilcourage gefragt, auch von den Mitarbeitern der Stadt und der ZAB, um den Skandal öffentlich zu machen", forderte Reinhard.

Vom Rathaus zog die Demonstration weiter zum Jahnplatz. Dort thematisierte ein Redebeitrag des feministischen Referats der Universität die Situation von Homosexuellen, die vor Verfolgung flüchten müssen. "Homosexualität steht in neunzig Ländern weltweit unter Strafe oder Todesstrafe", erinnerte ein Redner. "Offiziell wird Flucht vor sexualisierter Gewalt zwar im Zuwanderungsbegrenzungsgesetz als Fluchtgrund anerkannt, in der praktischen Anwendung jedoch nicht", beschrieb er die Schwierigkeiten Homo- oder Transsexueller in Deutschland Asyl zu erhalten. So sei in Würzburg der Asylantrag einer Transsexuellen abgelehnt worden, die angab, von vier Polizisten vergewaltigt worden zu sein. Es sei absolut unvorstellbar, dass ausgerechnet die vier Polizisten, die er angezeigt hat, homosexuell veranlagt sein könnten, hieß es im Ablehnungsbescheid. "Dies ist in Südamerika geradezu unmöglich", glaubte die Außenstelle Würzburg des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zu wissen.

Zwangsbegutachtung von homosexuellen Flüchtlingen

Zum Asylantrag eines Homosexuellen gehöre zudem eine psychiatrische Zwangsbegutachtung, kritisierte das feministische Referat für Frauen, Lesben und Transgender. Die Antragsteller müssten nachweisen, dass ihre Homosexualität nicht eine bloße "Neigung" sei, sondern es sich um eine "irreversible Prägung" handle. "Derartige Gutachten basieren auf der gänzlich falschen Annahme, bei der sexuellen Identität handle es sich um eine Veranlagung. Identitäten sind jedoch nie biologisch oder genetisch bedingt, nie feststehend", stellte eine Rednerin klar.

Eine Vertreterin der Karawane-NRW für die Rechte von Flüchtlingen und Migranten, in deren Rahmen die Demonstration stattfand, wies anschließend in einer kämpferischen Rede darauf hin, dass Asyl ein Menschenrecht und kein Privileg sei. "Wir sind auf der Flucht, weil ihr unsere Länder zerstört", betonte sie die Verantwortung der Industriestaaten für Flucht und Vertreibung. "Jeder Mensch, der fünf Jahre in einem Land lebt, hat das Recht da zu leben", erklärte sie.

Auf dem Weg zur ZAB am Stadtholz legte der Demonstrationszug anschließend einen Stopp am Arbeitsamt ein. Kathrin Dallwitz vom Bielefelder Flüchtlingsrat erläuterte hier den Zusammenhang von Hartz IV und staatlichem Rassismus. "Hartz IV und das Zuwanderungsgesetz sind zeitgleich eingeführt worden und das ist kein Zufall", vermutete sie. Eine Gemeinsamkeit der beiden Gesetze sei unter anderem, dass sie sich in Ideologie und Menschenbild an der "Vernutzbarkeit von Arbeitskräften" orientierten. Die am 1. Januar eingeführten Ein-Euro-Jobs etwa seien vor über zehn Jahren bereits im Asylbewerberleistungsgesetz festgeschrieben worden.

Die Diskriminierung von Flüchtlingen zeige sich auch darin, dass die Leistungen nach diesem Gesetz noch dreißig bis vierzig Prozent unter dem Arbeitslosengeld II liegen, empörte sich Dallwitz. Die von der CDU verbreitete Mär von der "Zuwanderung in die sozialen Netze" sei angesichts dieser Zahlen absurd. Ebenso absurd sei es, dass Flüchtlinge, die ihre Unabhängigkeit von Sozialleistungen nachweisen müssten, einen Regelsatz von 110 Prozent des ALG II plus die Miete nachweisen müssten. "Ihnen wird also ein Bedarf fiktiv errechnet, den sie nie bekommen würden", sagte Dallwitz. Dies werde auch in Bielefeld praktiziert und erschwere die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen und Familienzusammenführungen.

Gegen 16 Uhr erreichte der Demonstrationszug schließlich die Zentrale Ausländerbehörde, wo Lebenslaute noch einmal aufspielte. Neben Stücken von Bela Bartok, der vor den Nazis in die USA fliehen musste, gab die Gruppe eine neue Fassung des Kinderlieds vom Baggerführer Willibald zum Besten. In der reißt der Baggerführer mit seinem Bagger die ZAB ab. Nach dem Lied löste sich die Demonstration auf.

Die zum Abschied formulierte Ankündigung "Heute ist nicht aller Tage, wir kommen wieder keine Frage" machten einige Demonstranten gleich am nächsten Morgen wahr. Über längere Zeit blockierten die Musiker die Zufahrt und einen Eingang der ZAB und versuchten mit deren Mitarbeitern ins Gespräch zu kommen. Die wollten sich aber großteils nicht zu der Aktion äußern oder beriefen sich darauf "nur ihre Pflicht zu tun". Polizeibeamte beendeten die Blockade nach gut einer Stunde.


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