Lippische Landes-Zeitung ,
30.08.2005 :
(Lemgo) "Eine Katastrophe für die Kinder" / Armenische Familie hofft auf Ausreise-Aufschub - Töchter sollen ihren Schulabschluss machen können
Von Barbara Luetgebrune
Lemgo. Morgen am frühen Abend wird ein Flieger von Frankfurt aus gen Armenien starten - mit an Bord: die Familie Towmasjan aus Lemgo. Wenn sich die Ausreise nicht noch in letzter Minute verschieben lässt. Ein starkes Argument dafür gäbe es durchaus, sagen Rainer Stecker und Michael Schmitz-Hübsch.
Als Lehrer an der Realschule Lemgo, welche die jüngere Tochter der Towmasjans besucht, machen sie sich mit dem gesamten Kollegium dafür stark, dass die armenische Familie morgen nicht ausreisen muss. 16 Jahre alt ist die jüngere Tochter, geht in die zehnte Klasse - die Abschlussklasse. Und an diese Tatsache knüpfen die Familie und das Kollegium ihre Hoffnung, dass die Towmasjans trotz ihres abgelehnten Asylantrages vorerst in Lemgo bleiben können. "Wenn ein Kind so einer Familie eine Abschlussklasse besucht, kann die Ausreise bis nach dem Abschluss verschoben werden", sagt Stecker. Ein juristischer Einspruch laufe, die Entscheidung solle heute fallen: Das haben Stecker, Rektorin Elisabeth Webel und Vater Towmasjan gestern beim Ausländeramt des Kreises Lippe erfahren.
Dort ist die rechtliche Situation eindeutig: "Der Asylantrag der Familie ist rechtskräftig abgelehnt, seit 2004 sind die Towmasjans vollziehbar ausreisepflichtig", sagt Sprecher Thomas Wolf-Hegerbekermeier. Auch der Petitionsausschuss habe die Einsprüche abgelehnt. Nicht der Kreis treffe eine solche Entscheidung, sondern die Bundesrepublik - hier: das Bundesamt für Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Bielefeld. Und: "Die Familie hat die freiwillige Ausreise beantragt."
Im Prinzip stimme das, sagt Schmitz-Hübsch - aber: "Freiwillig im eigentlichen Sinne war das natürlich nicht. Die Towmasjans hatten ja letztlich keine Wahl. Man hat ihnen vor Augen geführt, was passiert, wenn sie nicht zustimmen."
"Warum muss die Ausreise jetzt sein?"
Michael Schmitz-Hübsch
Womöglich von der Polizei abgeholt zu werden - das mochten sich die Eltern Towmasjan und ihre beiden Töchter nicht ausmalen. "Das hat auch ganz viel mit persönlichem Ehrgefühl zu tun", berichtet Stecker. Und zeichnet den Weg der Familie nach, die 1999 nach Lemgo kam, nachdem der Vater aus politischen Gründen Asyl beantragt hatte. So bald das möglich war, suchte sich der frühere Militärpilot Arbeit, ernährte seine Familie selbst, mietete eine Wohnung. Erst seit im Januar das neue Zuwanderungsgesetz in Kraft trat, darf er nicht mehr arbeiten. Die 18-jährige Tochter besucht die 12. Stufe des MWG - genau wie ihre 16-jährige Schwester, die Realschülerin, sei sie sehr gut in der Schule, berichtet Stecker. "Die Familie hat, so weit es ihr möglich war, immer versucht, dem Staat nicht zur Last zu fallen. Die Mädchen haben steile Schulkarrieren hinter sich." Insofern sei es ihnen sehr, sehr schwer gefallen, Dritten überhaupt von der bevorstehenden Ausreise zu erzählen, die Lehrer hätten erst vergangene Woche davon erfahren. "Und es gibt keinen Grund dafür, dass das jetzt passieren muss. Warum jetzt?", fragt Schmitz-Hübsch. Nach Ende des Schuljahres hätte die jüngere Tochter ihren Realschulabschluss, die ältere ihr Fachabitur. Und das wäre auch für Vater Towmasjan eine gewisse Beruhigung. "Mein Problem ist nicht gelöst - nicht jetzt und nicht in ein paar Monaten. Es kann gut sein, dass ich in Armenien wieder ins Gefängnis komme. Aber für die Kinder ist das eine Katastrophe. Ich fühle mich schuldig, ich habe sie hierher gebracht. Was sollen sie in Armenien tun?" Mit einem Abschluss, so meint der Vater, stünden ihre Chancen zumindest besser.
Die Familie klammert sich nun an die für heute avisierte Entscheidung über den Einspruch. "Die Hoffnung stirbt zuletzt", sagt Vater Towmasjan.
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