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Bielefelder Tageblatt (MW) , 30.08.2005 :

Niemand darf Cegiz Peköz abschieben / Das Bielefelder Kirchenasyl und die Angst seiner Schützlinge / Sozialpfarrer Hahn: "Skandal sondergleichen"

Bielefeld (cos). Cegiz Peköz will über die Folter sprechen, aber er kann nicht. Nach seiner Geschichte befragt, verzieht sich die Miene des Kurden zu einem Abbild des Schmerzes. Eine Hand knetet die andere, sein linkes Bein zittert. Er ringt um Worte – und bleibt stumm. Dreieinhalb Jahre lang drohte ihm die Abschiebung in die Türkei, wo er bis 2002 wie ein verhasster Fremder behandelt und verfolgt worden ist. Pfarrer Joachim Poggenklaß beruhigt den 28-Jährigen: "Du bist in Bielefeld", sagt der Gottesmann und legt eine Hand auf die Schulter seines Schützlings aus dem Kirchenasyl. Seit einigen Tagen steht fest: Cegiz Peköz wird nicht abgeschoben.

Anfang 1994 haben sich 21 heimische Kirchengemeinden verpflichtet, Flüchtlinge zu schützen, denen die Abschiebung droht in das Land, aus dem sie geflüchtet sind. "Einmalig in Deutschland", sagt Sozialpfarrer Eberhard Hahn. Nicht nach dem Gießkannen- und Gutmenschenprinzip verteilt das Kirchenasyl seine Hilfe, sondern "wenn der berechtigte Eindruck entsteht, dass eine Abschiebung Leib und Leben der Flüchtlinge bedrohen würde".

Das Asyl betreut vier Menschen, Cegiz Peköz und drei weitere, darunter ein kurdisches Folteropfer in Abschiebehaft in Büren. Der Mann sei, Folge der Folter, psychisch krank und verbringe seine Tage mit fünf anderen in einer Zelle, stets in Angst, er werde nun abgeholt und weggebracht. "Der hat nichts Schlimmes gemacht. So werden kranke Menschen in Deutschland behandelt, ein Skandal sondergleichen", sagt Hahn.

Die Mittel sind knapp. Mit Spendengeld bringen Hahn, Poggenklaß und ihre Mitstreiter die Menschen unter und versorgen sie. Mit den Behörden arbeiten sie zusammen – und sie spüren die amtlichen Vorbehalte und das Misstrauen, das ihren Schützlingen bei jeder Vorladung Angst macht.

Cegiz Peköz hat erlebt, was er nicht erzählen kann, wenn ihn die Erinnerung überwältigt. Die Kirchenleute glauben ihm, Gutachter bestätigten die Folgen der Folter. Seine Unterdrückung begann, als ein Lehrer antifaschistische Parolen und einen Aufruf zur Revolution in seinem Schulheft gefunden und es dem Direktor gezeigt hatte. Zum Militärdienst sei er gezwungen worden – und festgenommen, als er sich an einer kurdischen Kundgebung beteiligte.

Mehrfach wurde er weggesperrt und misshandelt. Den Kopf gegen die Wand geschlagen, Schläge und Tritte hagelten auf seinen Körper, mit Schlagstöcken traktierten die Uniformierten seine Fußsohlen. "Nach einiger Zeit habe ich die Schmerzen nicht mehr gespürt. Ich hatte Angst um mein Leben."

In Bielefeld will er ein neues Leben beginnen. Jetzt, am Ende eines langen Verfahrens, darf er im Imbiss von Bekannten arbeiten. Das Kirchenasyl will ihn unterstützen, bis er den ersten Lohn nach Hause bringt.


lok-red.bielefeld@neue-westfaelische.de

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