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Bielefelder Tageblatt (BW) , 18.08.2005 :

(Brackwede) "Frust und Freude" / Ursula Lenkewitz las persönlichen Zeitzeugenbericht

Von Stefanie Peters

Brackwede. "Das war prima – alle haben mucksmäuschenstill zugehört." Mit diesen begeisterten Worten lobte die Rentnerin Irmgard Kentsch (74) die Zeitzeugengeschichte aus dem Zweiten Weltkrieg, die Hobby-Autorin Ursula Lenkewitz (74) jetzt im Erzählcafé des Treffpunkts Alter vortrug.

Die Brackweder Hobby-Autorin hat schon zweimal im Erzählcafé mit selbst geschriebenen Geschichten und Gedichten ihre Zuhörerschaft begeistert. Jetzt fanden sich erneut 80 Zuhörer und Zuhörerinnen ein.

Ursula Lenkewitz, die ihre Kindheit "zwischen Käseberg und Galgenknapp" verlebte, wohnt seit vier Jahren in Brackwede und fühlt sich hier "ganz zu Hause".

Sie widmet sich in ihrem schriftstellerischen Schaffen den "beiden großen F im Leben", nämlich den Themen "Frust und Freude". Die Muße zum Schreiben hat sie allerdings erst im Ruhestand gefunden. "Da hat ein neues Leben begonnen", sagte sie lächelnd.

Dazu gehörten "in den ersten wilden Jahren des Ruhestands" Reisen nach Afrika, Amerika, Kanada und Israel, eine Immatrikulation an der Uni Bielefeld als "Studierende ab 50" und zudem ein Job als Redakteurin des Seniorenmagazins "Monokel".

Außerdem nahm Lenkewitz von 1990 bis 1992 an Gütersloher VHS-Schreibkursen statt. Und erlebte eine Überraschung: Ihr Lehrer Dieter Knobelsdorf, ehemals Deutschlehrer am Gymnasium, nannte sie den "Star in meiner Schreibwerkstatt".

Zwar habe sie schon vor der Teilnahme an der Schreibwerkstatt Geschichten für ihre Enkel verfasst, berichtete die Hobby-Autorin.

Doch als sie den Kommentar ihres fünfjährigen Enkels Björn hörte, dem sie ihre Geschichte vorgelesen hatte – "Schön, Oma, aber machst Du jetzt wieder den Fernseher an?" –, da sei ihr klar geworden, dass sie noch eine Menge zu lernen habe. Als berufstätige Frau und allein erziehende Mutter dreier Töchter habe ihr dazu jedoch lange die Zeit gefehlt.

"Mein ganzer Kopf war elektrifiziert"

Insbesondere die Arbeit als Redakteurin für das Feuilleton von "Monokel" genoss die Seniorin. "Aber dann wurde mir das zu viel Arbeit. Ich wollte mich auf meine ganz eigenen Geschichten konzentrieren."

Eine davon ist die jetzt vorgetragene Erzählung "Eine Großfamilie überlebt den Krieg", die in dem Sammelband "Zeitzeugen" erschien. Das Buch wurde 2000 als Ergebnis eines Projekts von "Studieren ab 50" von der Universität Bielefeld verlegt.

Ursula Lenkewitz schildert in ihrem autobiografischen Beitrag den Krieg mit Kinderaugen und die Nachkriegszeit aus der Sicht des jungen Mädchens, das sie damals war.

Eine Szene aus der Kriegszeit: Zwei SA-Männer, die in der Schule auftauchen, tragen "glänzende, bunte Abzeichen" und bereiten der jungen Ursula Kummer: Der Junge, in den sie verliebt ist, wird abgeholt. Er ist ausgewählt worden, die nationalsozialistische Erziehungsanstalt zu besuchen.

Eine andere Szene spielt in der Nachkriegszeit: Mit Holz und Briketts bezahlt die 14-jährige Ursula beim Frisör ihre heiß ersehnte Dauerwellfrisur. Strähne für Strähne wird auf dünne Röhrchen aufgewickelt und elektrisch beheizt.

"Mein ganzer Kopf war elektrifiziert, und ich hatte Angst um mein Leben", schilderte Lenkewitz diesen Frisörbesuch, bei dem sie sich standhaft wehrte, sich die langen Haare kürzer schneiden zu lassen.

Die Quittung dafür kam dann umgehend: "Ich kam nach Hause mit einem Afro-Look ungeheuren Ausmaßes", heißt es in dem Zeitzeugenbericht, während im Erzählcafé geschmunzelt wurde.


lok-red.bielefeld@neue-westfaelische.de

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