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Mindener Tageblatt , 10.08.2005 :

Im Einsatz für die Erinnerungen am Kriege / Horst Jäger aus Minden zum fünften Mal im Einsatz bei der Kriegsgräberfürsorge im Ausland / Vom Militär begeistert

Minden (mob). Horst Jäger ist einer, der Worte wie "Pflicht" und "Ehre" ohne jede Spur Zynismus zu verwenden vermag. Einer, der hohe Ideale hat. Für den "Frieden und Völkerverständigung" keine Worthülse aus Politiker-Feiertagsreden ist. Horst Jäger packt an.

Vor Jahren hat er die Sache entdeckt, durch die er seinem Engagement und seinen Idealen eine Form geben kann: Die Kriegsgräberfürsorge. Das passt genau in sein Leben, das intensiv durch die Bundeswehr geprägt ist. Er versteht es als seine Pflicht, für die jungen Menschen zu sorgen, "die damals nicht entscheiden konnten was in ihrem Leben passiert."

Es ist grimmige Arbeit, die Jäger da in Polen, im Elsass, in Holland und Ungarn getan hat. Es gilt, Gräber auszuheben - 557 waren es beispielsweise in diesem Jahr in Gleiwitz. Die Gebeine verstorbener Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg aus der Region werden an anderen Grabstätten exhumiert und umgebettet. "Manchmal wird auch irgendwo Gelände für einen Neubau vorbereitet, und dann finden sich da Gebeine. Und plötzlich fällt jemandem im Dorf ein: Da waren ja damals auch kriegerische Handlungen."

Schweißtreibende Arbeit

Es ist schweißtreibende Arbeit: Gräber sind in glühender Hitze in steinhartem Boden auszuheben - wie vor fünf Jahren in Ungarn - Grabsteine sind nachzubessern, Gras ist zu mähen, junge Bäume müssen gesetzt werden, Grabstätten sind zu pflegen. Jäger erfüllt Jahr für Jahr das, was er als seine Pflicht empfindet - zwei Wochen Urlaub zweigt er seit fünf Jahren dafür ab. Als "der da aus Minden" begleitet er eine Gruppe Aktiver aus Höxter zu den Arbeitseinsätzen.

Der Mittfünfziger hat auch völlig klare Vorstellungen davon, was die Pflicht anderer in Sachen Kriegsgräberfürsorge ist. In Polen und Ungarn zum Beispiel, da kamen Soldaten aus den jeweiligen Ländern und halfen. In Holland und Frankreich nicht. In Polen und Ungarn interessierten sich sogar Kommandeure für die Aktivitäten der Arbeitstrupps der Kriegsgräberfürsorge, kam hochrangiges Militär zur Gedenkfeier für die umgebetteten Toten. Im Westen nicht.

Soldaten und Kriegsgräber - das ist für Jäger eine unlösbare Verbindung. Er selbst hat stets eine enge Verbindung zum Militär gehabt, ist hochrangiger Reservist, berichtet, er habe als Reservist die Ausbildung zum Fallschirmjäger und Scharfschützen gemacht. 400 Wehrübungstage in 15 Jahren habe er absolviert, sagt er. Und - das sagt er mehrfach: "An mir ist ein Soldat verloren gegangen."

Das allerdings fand er als junger Mann ganz und gar nicht. Nach einer Lehre als Schmied ging er zu Hertie, dann für zwei Jahre zum Bund. Das war 1969. Menschen landen in diesem Jahr auf dem Mond, in Berlin wird die Kommune 1 durchsucht, Apo und Polizei liefern sich Straßenschlachten, Willy Brandt wird Bundeskanzler - und Jäger ist vom Bund genervt. "Damals hatte ein einfacher Soldat wesentlich geringeren Stellenwert als heute. Man wurde als Mensch nicht geachtet", sagt er rückblickend. Also geht Jäger nach zwei Jahren erleichtert wieder zu Hertie, reist in den nächsten 18 Jahren als Akustikmonteur durch ganz Deutschland. "Ich bin ein Einzelkämpfer", sagt er heute, und ein Einzelkämpfer war er damals auch schon. "Nehmen wir den aus Minden", hätte es damals immer geheißen, und dann kam der nächste Auftrag irgendwo in der Bundesrepublik.

Doch Hertie machte dicht, und Jäger fand eine neue Stelle als technischer Angestellter bei der Bundeswehr in Augustdorf. Und fand diese Institution sehr verändert vor. "Als ich 1986/87 wieder bei der Bundeswehr anfing, da gab es mehr kameradschaftliches Miteinander. Das ist für mich heute wie eine große Familie."

"Familie Bundeswehr"

Jäger setzte zunehmend seine Freizeit für die "Familie Bundeswehr" ein. Das aufzugeben, kann er sich nicht vorstellen: "Ich könnte zwar vielleicht mit einem goldenen Handschlag gehen - das will ich aber nicht." Die "Familie Bund" gab auch Halt, als in den 90ern bei Familie Jäger die Scheidung anstand. Damals sagte ein Kollege bei der Bundeswehr hellsichtig: "Da hast Du wohl eine Übung zuviel gemacht." Und wie Jäger das erzählt, da scheint ihm das inzwischen auch so. Gerne hätte er gesehen, wenn seine Kinder zum Militär gegangen wären - doch die beiden älteren (26 und 22 Jahre) studieren Jura, der jüngere, 18, weiß noch nicht, was er macht. Aber wohl auch nicht Berufssoldat.

Für Jäger hat das Militär den allerhöchsten Stellenwert. Neulich, da hat jemand über ihn gesagt: "Der Kamerad Jäger steht den aktiven Soldaten in nichts nach." Das, sagt Jäger ehrlich, war für ihn "eine ganz große Ehre."

Radeln und Studienfahrten

Macht er in seiner Freizeit noch etwas anderes als Wehrübungen und Einsatz in der Kriegsgräberfürsorge? "Klar", sagt er fast wegwerfend. Radeln und Studienfahrten interessieren ihn: "Man muss was sehen von der Welt. Kriege entstehen, weil man zu wenig voneinander weiß", ist seine Überzeugung. Und: "Das Leben ist zu kurz, um von der Welt nur wenig mitzubekommen."

Der Einzelkämpfer Jäger stürzt sich aber auch dann gerne mitten darein, wo die Arbeit ist. Als er mit dem Viermaster "Krusenstern", Schulschiff der russischen Flotte, zu einem 14-tägigen Segeltörn unterwegs war, hat er nicht, wie alle anderen Reisenden, an Deck gesessen und ins Meer geguckt. "Ich habe Kartoffeln geschält, Rost geklopft, Wache geschoben, mit der Bäckersfrau Teig geknetet. Und ich bin mit in die Masten geklettert - 54 Meter hoch." Peinlich sei es ihm gewesen, dass die anderen alle nichts getan hätten.

Etwas getan, das hat er auch nach der Oderflut und nach der Elbeflut. Hat in seiner Uniform für die Kriegsgräberfürsorge in Porta Westfalica eine Summe gesammelt die ihn stolz macht: 7.000 Euro. Er hat einen Platz in der Welt gefunden, wo er gebraucht wird und Gutes wirken kann - ganz im Sinne seiner Ersatzfamilie: "Die Bundeswehr, die ist für mich so etwas wie ein Zuhause."


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