Webwecker Bielefeld ,
10.08.2005 :
(Bielefeld/Wunsiedel) "Sehr breites Bündnis von Neonazis"
Wenn Gerichte es nicht wider Erwarten in allen Instanzen verbieten, werden sich am 20. August in Wunsiedel wieder Tausende Rechtsextreme aus ganz Europa versammeln. Denn in der fränkischen Kleinstadt wurde nach seinem Selbstmord im August 1987 Rudolf Heß, Stellvertreter Adolf Hitlers, beerdigt. Bereits im darauffolgenden Jahr gedachten mehr als einhundert Rechtsextreme des verurteilten Kriegsverbrechers. Seit einigen Jahren wächst die Zahl der Teilnehmer an dem Gedenkmarsch an, in diesem Jahr wollen die Bürger Wunsiedels und Antifaschisten aus der ganzen Republik dem etwas entgegensetzen. In Ostwestfalen beteiligt sich neben anderen Jens Sager an dem Bündnis "NS-Verherrlichung stoppen". Mit ihm sprach Mario A. Sarcletti über den Naziaufmarsch.
WebWecker: Wer ist das denn, der da von den Nazis in Wunsiedel geehrt wird?
Jens Sager: Da wird Adolf Hitlers Stellvertreter geehrt, der schon in den 20er Jahren in der Thule-Gesellschaft mit Gleichgesinnten antisemitisch diskutiert hat. Später war er auch am Hitler-Putsch beteiligt, woraufhin er erst mal nach Österreich geflohen ist. Als er gesehen hat, dass seine Mitkameraden, die wegen des Marschs auf die Feldherrenhalle verhaftet worden sind, unter anderem eben Hitler und Ludendorff, relativ geringe Strafen bekommen haben, hat er sich gestellt und ist auch inhaftiert worden. Als er dann in Landsberg in Haft saß, hat Hitler dort "Mein Kampf" geschrieben und Heß ist maßgeblich daran beteiligt gewesen, indem er Korrektur gelesen und viel mit Hitler über "Mein Kampf" diskutiert hat.
WebWecker: Jetzt bezeichnen ihn Rechte ja auch als den "Friedensflieger". Was ist dazu zu sagen?
Jens Sager: Es war so, dass Heß 1941 nach England geflogen ist und dort von den Engländern abgeschossen und ins Gefängnis gesteckt worden ist. Führende Historiker denken, dass er einen Separatfrieden mit England abschließen wollte. Am Ersten Weltkrieg hatte man gesehen, dass Deutschland am Zwei-Fronten-Krieg gescheitert ist und deshalb wollte Heß diesen Separatfrieden.
WebWecker: Warum hat sich die rechtsextreme Szene diesen Rudolf Heß sozusagen als Idol gewählt?
Jens Sager: Auf der einen Seite war das eine Ikone, die lange in Spandau im Kriegsverbrecher-Gefängnis saß. Sein Spruch nach dem Urteil des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals war: Ich bereue nichts. Er wurde damals für die Nürnberger Rassengesetze verurteilt, die er mit aufgeschrieben, publiziert und durchgeführt hat. Dass er 1941 in England inhaftiert wurde, heißt, dass er, obwohl er die Konzentrationslager Majdanek und Auschwitz mit aufgebaut hat, für die Nazis als Saubermann dasteht. Obwohl er ganz klar in den 20er Jahren antisemitisch und ideologischer Wegbereiter der Shoa war. Aber weil er 1941 inhaftiert wurde, konnte man ihm nicht nachweisen, dass er an der Shoa direkt beteiligt war. Das macht ihn zu einer relativ unverdächtigen Ikone für die Nazis.
WebWecker: Welche Bedeutung hat dieser alljährliche Marsch für die Naziszene?
Jens Sager: Eine sehr große. 1988 war der erste unter dem Neonazi Michael Kühnen, das waren circa 170 Neonazis, der war in der Öffentlichkeit nicht so bedeutend. Aber mit der Öffnung der Grenzen 1990, beziehungsweise der Annexion der DDR durch Westdeutschland, und dem Problem, dass dort der Nationalgeist hochkam, und dadurch, dass es auch in der DDR viele Nazis gab, wuchs dieser Marsch auf 1.100 Neonazis und bekam eine Medienbedeutung für sie.
WebWecker: Was sind das denn für Leute, die dahin kommen?
Jens Sager: Man kann sagen, dass das ein sehr, sehr breites Bündnis von Neonazis ist, das da hinkommt. Natürlich sind die typischen Skinheads, oder Boneheads, wie wir auch sagen, am stärksten vertreten. Aber man sieht mehr und mehr auch, dass Leute aus den verschiedensten Nazirock-Subkulturen da sind. Dass da zum Beispiel Langhaarige aus dem Black-Metal-Bereich rumlaufen, oder immer mehr aus dem Bereich Hatecore, das ist sehr schnell gespielter Punk. Da sieht man Nazis rumlaufen, die gepierct sind oder lange Ohrringe haben. Und dann sieht man die alten Revisionisten wie Ursula Haverbeck vom Collegium Humanum in Vlotho oder Horst Mahler, der dort den Nationalsozialismus hochhebt. Dazu kommen noch italienische, englische, tschechische, kroatische und andere Nazis. Man muss da auch sehen, dass die Waffen-SS eine internationale nationalsozialistische Kampftruppe war.
WebWecker: Wie viele Nazis sind da denn, wie viele waren es im letzten Jahr?
Jens Sager: Letztes Jahr waren es 4.800, das ist für eine Kleinstadt wie Wunsiedel schon enorm. Man muss sich vorstellen: Die Nazidemo läuft im Kreis um die Innenstadt und das Ende des Zuges war schon wieder am Anfang.
WebWecker: Man könnte dazu ja auch sagen: Lass die da marschieren, wir ignorieren das jetzt einfach mal. Warum ist das deiner Meinung nach keine Methode damit umzugehen?
Jens Sager: Das war das bisherige System. Wunsiedel hatte lange Zeit einen SPD-Bürgermeister, der genau das gemacht hat. Der gesagt hat: "Sie kommen, macht eure Fensterläden zu und lasst die marschieren." Aber es hat sich auch herausgestellt, dass es im Anschluss der Aufmärsche wieder verstärkt zu Übergriffen gegen Migranten und Ähnliches gab. Sie sahen da eben auch wieder eine Gemeinschaft des Nationalsozialismus aufkommen. Letztes Jahr waren dann aus dem linken Spektrum ungefähr zwei- bis dreihundert Gegendemonstrantinnen da und eine Anzahl der Bürgerlichen, die sich - wie auch diesmal bemerkenswerterweise mit dem CSU-Bürgermeister - an einer Blockade beteiligt haben. Man sieht die Stimmung schwankt, auch in der bürgerlichen Gesellschaft vor Ort. Man lässt sich nicht mehr allzu viel bieten.
WebWecker: Dient dieses Treffen den Rechtsextremen auch zum Informationsaustausch?
Jens Sager: Ja sicher. Auf alle Fälle im Vorfeld. Es gibt ja Vorbereitungstreffen, wie strukturiert die Demo abläuft, wer die Ordnerdienste hat. So ein Aufmarsch muss inhaltlich und praktisch vorbereitet werden. Und danach gibt es auch Treffen. Es war in den letzten Jahren wie so ein kleiner Wallfahrtsort, wo Bierbuden aufgebaut sind. Man unterhält sich nach dem Aufmarsch Bier trinkend.
Mehr Informationen zum Aufmarsch und dem Antifaschistischen Aktionstag gibt es im Internet unter:
http://www.ns-verherrlichung-stoppen.tk .
Bielefelder Antifaschistinnen und Antifaschisten haben einen Bus organisiert, Tickets für 10 bzw. 15 Euro (Selbsteinschätzung) gibt es im Infoladen im AJZ. Neben dem Antifaschistischen Aktionstag soll es auch eine Sternwallfahrt, ein Konzert und weitere Veranstaltungen geben. Infos hierzu unter:
http://www.tag-der-demokratie.de
und unter:
http://www.jugendini-wunsiedel.de
webwecker@aulbi.de
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