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Herforder Kreisanzeiger , 09.08.2005 :

Erinnern, versöhnen und die Zukunft gestalten / Künstler aus Russland und Deutschland stellen mehr als 60 Exponate "60 Jahre nach Kriegsende" in Haus Reineberg aus / Ab 2. September in Herford

Kreis Herford/Iwanowo. "Es war ein Experiment, Künstler aus Deutschland und der Stadt Iwanowo in Russland ins Haus Reineberg einzuladen", sagt Pfarrer Dieter Stork, Vorsitzender des Freundeskreises Iwanowo. In der evangelischen Tagungs- und Bildungsstätte am Wiehen haben sie fast drei Wochen miteinander gemalt und gestaltet zum Thema "60 Jahre nach Kriegsende – sich erinnern, miteinander reden, sich versöhnen und die Zukunft gemeinsam zu gestalten".

Dabei sind die drei Iwanowoer Künstler/innen Svetlana Kutzmichewa, Wladimir Kolobov und Serge Nasonov sowie Nicole Schuck und Anne Katrin Stork aus dem Kreis Herford nicht plakativ ans Thema heran gegangen, eher verhalten, die Zuschauer zum Gewinnen eines eigenen Standpunktes einladend. Mit von der Partie waren auch Deutsche, die sich nicht unbedingt als Künstler bezeichnen möchten, vielleicht als Autodidakten in der Kunst?

Selbst Dr. Zwetkow, Professor für Ausländische Literatur an der Staatlichen Universität in Iwanowo, hier als einer der Dolmetscher der Gruppe tätig, griff zum Pinsel und schuf zwei kleine Werke zum Thema "Krieg, Versöhnung, die Ausdehnung der Versöhnung".

Bei der eindrucksvollen Eröffnung der Ausstellung wurde noch einmal deutlich, welch wichtige kulturelle Funktion Haus Reineberg immer noch inne hat und auch in Zukunft haben sollte.

Über 70 Personen waren gekommen und lauschten den knappen Ausführungen von Gudrun Laqueur und dem gelungen Vortrag von Mussorskis "Bildern einer Ausstellung", die der ukrainische Künstler, der seit 1997 an der Bremer Hochschule für Künste unterrichtet, präsentierte.

Der Freundeskreis Iwanowo e. V. bemüht sich um die Versöhnung und Verständigung mit den Völkern des Ostens am Beispiel Iwanowos und verfolgt dieses Ziel besonders im 60. Erinnerungsjahr nach Kriegsende.

So empfängt die Besucher gleich im Foyer eine Stellwand mit 50 deutschen und 50 russischen Fotomotiven aus Familienfotoalben, die von 1930 bis 1950 aufgenommen wurden.

In Deutschland und in Russland haben die Leute gleiche Werte: Familie, Kinder, Liebe.

"Das kann man in ihren Gesichtern lesen. Dank dieser Werte verstanden sich die Menschen verschiedener Länder früher einander, verstehen sich jetzt und werden sich immer verstehen", schreibt Nasonov zu seiner Bildergalerie, die ergreifende Motive enthält:

Ein Soldat und eine Krankenschwester erscheinen auf einem Bild, sind ein Paar. Muss sie die Verwundeten zusammenflicken, die ihr Mann angeschossen hat?

Wenn man hier Kriegsbilder, Menschen in Uniformen sucht, muss man zweimal hingucken. "Die Zivilbevölkerung, die Mehrheit des Volkes, will keinen Krieg, in Russland und in Deutschland ist das dasselbe. Darum habe ich so wenig Soldatenbilder ausgesucht."

Im Treppenhaus dann ein vier Meter hoher Krieger – oder sind es zwei, die sich erstechen, sich versöhnen? – eine Rollarbeit in Acryl, rot getönt, mit Stoffresten versetzt; eine Arbeit Dieter Storks, die die Zwiespältigkeit des Kriegers und des Krieges andeutet.

Daneben eine Arbeit von Hanna Brundiek Wennemer, mit Wortassoziationen zum Thema "Stahl-Stall-Stall von Bethlehem".

Es ist eine Mahnung an die Christenheit, nicht auf wirtschaftliche Allmacht und militärische Übermacht, sondern eher auf die Ohnmacht des Kreuzes zu setzen; ein Wortbild, das unsere Dialogfähigkeit und vertrauensbildende Maßnahmen und nicht etwa feindliche Übernahmen herausfordert.

Diese Tendenz nimmt die Künstlerin auch in den Werken wahr, die sich mit der Eskalation des Krieges und seiner Weiterentwicklungen, einer unendlichen Schraube der Gewalt befassen: "Wer das Schwert nimmt, wird durch das Schwert umkommen" (Mt 26,52).

Vor der Kapelle von Haus Reineberg eine Sammlung von Acrylbildern, die Blumen von Haus Reineberg.

"Zerbrechlich und schutzlos im Leben sind Frauen und Blumen", so das Ausstellungsthema hier. Auch die Künstlerin Svetlana Kutsmichewa macht das Thema der Verletzlichkeit immer wieder zum Thema ihrer Arbeiten, wie in der Collage "Seelenleiter", mit der sie eindringlich an die Millionen Kriegstoten seit dem Zweiten Weltkrieg erinnert. "Seelenleiter" hängt in der Kapelle von Haus Reineberg neben einem Triptychon von Wladimir Kolobov, das feinsinnig das Thema der "Deisis" aufnimmt.

"Deisis" heißt eigentlich "Offenbarung", aber im speziellen Sinne der Orthodoxen Ikonografie meint es Christus, den Weltenrichter als Fürsprecher für versagende und zu verurteilende Menschen, dem links und rechts von Maria und Johannes Baptist assistiert wird. Sehr frei geht Kolobov mit dem Deisisthema um, setzt er doch Maria und Johannes in die Augen des richtenden Christus, anders als es die Ikonografie Russlands erlaubt.

Vor der Kapelle auch Anne Katrin Storks bemerkenswerte Installation mit wassergefüllten Glaskästen und Skulpturen in Wachs. "Die Künstlerin wählte ein empfindliches Material für ihre Skulpturen aus. Wachs ist in seiner Stabilität von den Außentemperaturen abhängig. Es entstanden fragile, dennoch gepanzerte Wesen, deren schwebender Zustand im Wasser, hinter Glas geschützt, den Augenblick betont", offenbart der Ausstellungstext, wobei Besucher, die diese Installationen betrachten, auch assoziieren: "Zerstörtes Atom-U-Boot", "Menschenskelette", "Gasmasken" und "Tiefseefische". Gerade die vieldeutige Interpretation zeigt, dass das Thema "Krieg und Frieden" nicht plakativ angefasst werden darf, wie es auch von den Künstlerinnen vermieden wird.

Im Vorflur zur Kapelle hängt eine weitere Arbeit der Künstlerin Stork. Zwei Großfotografien und eine Skulptur demonstrieren wie wir leben könnten, in und mit der Natur und nicht gegen sie.

Im Kaminraum und im darauf folgenden Clubraum dann Bildwerke von Wladimir Kolbov sowie Svetlana Kutsmicheva, die ihren Malereien hier großflächige, bemerkenswerte Grafiken hinzufügt. Diese Bilder mit den Motiven "Die Frauen, die wir lieben" und "Alles, was wir sind", bilden den Höhepunkt der Ausstellung, wobei die Künstlerin nochmals das Blumen-Frauen-Thema andeutet – und so das Ausstellungsthema vertieft.

Wenn man aus den unteren Etagen von Haus Reineberg ans Tageslicht kommt und dabei auf den großen Rasenkomplex zwischen den Gebäuden schaut, fällt dem Besucher ein weiteres Werk auf. Nicole Schuck hat eine Arbeit zur Reineberger Kunstausstellung beigesteuert, genannt "Transformationsliegen" und "Auf der Suche nach dem Heiligen Geist".

Es handelt sich um eine Installation mit Objekten und Zeichnungen. "Die Installation bezieht sich auf die wirtschaftliche und atmosphärische Situation in Haus Reineberg, die sich auf eine weltweite übertragen lässt. Diese Arbeit ist ein Angebot, Erinnerungen, Zeitiges und Zukünftiges zu vereinen im Austausch mit Anderen, allein und mit der Natur."

Das Fazit der Besucher: "Wenn der Friede im Großen und Kleinen, in der Welt und in der Kirche gerettet werden soll, müssen Menschen kommunizieren, ihren Geist transformieren, der eine zum anderen hin, dass der geeinte Geist des Friedens entstehen kann."

Rainer Zimmermann assoziiert zu seinen harmonischen Kreismotiven: "Ich sehe die persönliche Freundschaft zwischen russischen und deutschen Menschen als ein Mittel an, kriegerische Auseinandersetzungen zu verhindern. Freundschaft ist für mich ein Prozess, den ich durch Farbklänge deutlich machen möchte."

Die Ausstellung in Haus Reineberg dauert noch bis zum 28. August. Gruppenführungen sind möglich, müssen aber in Haus Reineberg vorher angemeldet werden unter (05744) 93070.

Ab 2. September ist die Ausstellung dann in Herford als Doppelausstellung im Kreishaus und im Haus der Kirchlichen Dienste (Kreiskirchenamt). Die Vernissage zu dieser weiteren Ausstellung beginnt am 2. September um 18 Uhr im Foyer des Kreishauses, Amtshausstraße 3.


lok-red.herford@neue-westfaelische.de

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