Internationales Beratungszentrum ,
29.04.2003 :
Hier geblieben - Bleiberecht für Flüchtlinge! / Ein Rundbrief aus aktuellem Anlass
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,
die Würde des Menschen ist antastbar geworden, das Recht auf Asyl eine Farce. Mental hat sich in den Köpfen vieler der mit Flüchtlingen solidarischen Menschen die Vorstellungswelt der Flüchtlingsgegnerinnen und -gegner in mannigfacher Weise festgesetzt. Davon gilt es sich in einem entscheidenden Schritt nach vorne zu befreien. Es ist allerhöchste Zeit, dass sich der Widerstand gegen die seit letztem Jahr im Drei-Viertel-Takt sich verschärfende Gangart der Detmolder Ausländerbehörde und der sie deckenden Politik der Stadt Detmold formiert! Der vorliegende Text ist entgegen unserer ursprünglichen Absicht, kein Entwurf geworden. Doch vielleicht kann aus diesem Gedankenflug der Wunsch entstehen, Bekanntes zusammenzufügen, unter einem gemeinsamen, real definierten Dach Kräfte zu bündeln und ein Gefühl für Wirkung und Zusammenhang zu erzeugen. Eine durchschlagende Idee gegen die kaltschnäuzige Machtpolitik der Stadt Detmold gibt es scheinbar nicht. Wohl aber können und wollen wir aus unserer alltäglichen Beratungspraxis heraus Anstöße anbieten.
Zunächst möchten wir Sie und euch aber gerne zu den folgenden Veranstaltungen des ibz, die wir in Detmold in Kooperation mit dem Bildungswerk Lippe durchführen, einladen:
Freitag, den 09. Mai um 19.30 Uhr
Krug zum grünen Kranze, Bielefelder Str. 42
Rechtsanwalt Rainer Hofemann, Bielefeld:
"Kaum noch Ermessensspielräume"?
Die rechtlichen Möglichkeiten der Ausländerbehörden
Dass der "Ermessensspielraum für eine Ausländerbehörde tendenziell noch weiter zurückgegangen" (so Fachbereichsleiterin Annegret Sandbothe, SPD, in der Sozialausschusssitzung am 11. Februar des Jahres) sei, hören und lesen wir in Detmold seit nunmehr 20 Jahren. Andere Kommunen, zum Beispiel Bielefeld, nutzen die vorhandenen rechtlichen Möglichkeiten des Ausländerrechts zu Gunsten der Flüchtlinge aber nach wie vor.
Herr Hofemann, der unter anderem die kurdische Familie Sit vertritt, wird ausführlich auf die aktuellen Handlungsspielräume der Ausländerbehörden eingehen und steht nach seinem Referat für Fragen und Diskussion zur Verfügung.
In diesem Rundbrief gehen wir intensiv auf die Praxis der Detmolder Ausländerbehörde ein und stellen ihr unsere flüchtlingspolitischen Forderungen entgegen.
Freitag, den 16. Mai 2003 um 19.30 Uhr
Lippisches Landesmuseum, Ameide 4
Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V.:
"Unschuldig im Gefängnis!
oder:
Ist Flucht ein Verbrechen?"
Büren ist die größte Abschiebehaftanstalt in Nordrhein-Westfalen. Die Anstalt liegt 20 km südlich von Paderborn abgelegen im Wald und ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht erreichbar. Büren verfügt über 600 Haftplätze (ausschließlich für Männer) und ist mit einer 6 Meter hohen Betonmauer, die mit modernster Sicherheitstechnik ausgerüstet ist, umgeben. Die Baukosten betrugen über 15 Millionen Euro.
Seit der Gründung des Vereins "Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren e.V." im Jahre 1994 haben über 6.000 Abschiebehäftlinge darum gebeten, von Gruppenmitgliedern besucht zu werden. Die Mitglieder des Vereins nehmen Kontakt zu Angehörigen, Freundinnen und Freunden, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sowie Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter der Inhaftierten auf. Sie bemühen sich, die rechtliche Situation, die Schreiben von Behörden und Gerichten sowie die weiteren Verfahrenswege zu erklären. Sie helfen, zurückgelassene Habe, wie Kleidung oder Dokumente, zu beschaffen, und versuchen, in persönlichen Gesprächen die soziale Isolierung der Inhaftierten zu durchbrechen. In vielen Fällen konnten die vom Verein eingeschalteten Anwältinnen und Anwälte die Wiederaufnahme der Asylverfahren und / oder die Entlassung bewirken.
"Das Ziel des Vereins ist die Abschaffung der Abschiebehaft. Monatelange Inhaftierung zur Sicherstellung einer Verwaltungsmaßnahme ist menschenunwürdig und unverhältnismäßig."
Samstag, den 17. Mai 2003 um 14.00 Uhr
Turnhalle gegenüber der alten Pauline, Bielefelder Str. 3:
Perspektiven der Flüchtlingsarbeit in Lippe
Offenes Austausch- und Diskussionstreffen
In der Turnhalle befindet sich zur Zeit die Ausstellung "Moderne Zeiten ... Arbeitswelt - Lebenswelt", die vor- oder nachher angeschaut werden kann. Wir bedanken uns bei Arbeit und Leben für die Möglichkeit der Nutzung des Gebäudes.
Nicht versäumen möchten wir zuletzt, Sie und Euch herzlich um Teilnahme zu bitten:
Samstag, den 10. Mai 2003 um 12.00 Uhr
Bruchberg
Kundgebung gegen die Abschiebepolitik der Stadt Detmold:
"Hier geblieben - Bleiberecht für Flüchtlinge!"
Menschenrechte sind unteilbar. Die im Grundrechtskatalog des Grundgesetzes festgelegten Menschenrechte gelten für alle Menschen, nicht nur für Deutsche. "Die Würde des Menschen ist unantastbar" - diese Verpflichtung, die im Geist des Humanismus verwurzelt ist, aufzunehmen und als oberster Ziel aller Politik zu begreifen, ist Grundlage aller demokratischen Gesellschaftspolitik. Jede konkrete politische oder verwaltungsbehördliche Maßnahme muss sich daran messen lassen, ob sie diesen humanitären Verpflichtungen genügt.
Die in diesem Rundbrief aufgezeigten Umstände, die die Würde von in Detmold lebenden Flüchtlingen verletzen, müssen so schnell wie möglich abgeschafft werden. So - und nicht anders - begreifen wir unsere Arbeit. Die hier im Folgenden geäußerte Kritik an Verwaltung und Politik der Stadt Detmold trifft im Grundsatz auch für den Kreis Lippe zu. Hier und heute beschränken wir uns jedoch auf das konkrete restriktive Vorgehen der "Wunderschönen".
Weil wir aber der Komplexität von Fluchtursachen Rechnung tragen wollen, soll am Anfang zunächst der Kontext, innerhalb dessen Flüchtlingsbewegungen entstehen, an Hand des Beispieles Irak thematisiert werden. Daraus werden wir unmittelbar ableiten: Wer Europa will, darf es nicht nur auf der Landkarte zeichnen, sondern muss auch die Grenzen für die Menschen offen halten, deren Freiheit nun auch darin besteht, wählen zu können, wo sie leben wollen.
Wir hoffen inständig, dass es uns gelungen ist, dort wo es nötig war, auf Rechtsbestimmungen des Ausländergesetzes (AuslG) näher einzugehen, unsere Erklärungen einigermaßen verständlich geworden sind. Dieser Rundbrief ist sicherlich eine Zumutung an Fakten, Interpretationen und eventuellen kontroversen Positionen - und nicht nur eine "teure Bleiwüste", wie es unser Lemgoer Finanzchef lapidar kommentierte. Trotzdem und gerade deshalb wünschen wir allen Leserinnen und Lesern eine gewaltige Portion antirassistisches Engagement, als Voraussetzung zur Überwindung dieser unzumutbaren Zeiten - das ibz-Team: Gudrun Lagemann, Ferhat Akman, Diether Kuhlmann.
Die USA und Großbritannien führen seit dem 20. März einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Irak. Millionen von Menschen haben weltweit gegen diesen Krieg demonstriert - ohne Erfolg. Es gibt keine Rechtsgrundlage im Völkerrecht, die es einen Staat erlaubt, einen Regierungswechsel in einem anderen Staat oder eine geostrategische Neuordnung in einer ölreichen Region militärisch zu erzwingen. Die Alliierten können sich auf keine ermächtigende Resolution des US-Sicherheitsrates stützen.
Die Auswirkungen des - noch nicht beendeten - Krieges gegen den Irak sind bei Redaktionsschluss dieser Schrift immer noch nicht abzusehen. Ähnlich wie 1991 werden wir die Zahl der Opfer dieses Krieges wohl nie erfahren. Der schnelle Vorstoß US-amerikanischer Truppen auf Bagdad zum Beispiel hatte zahlreiche Regionen im Hinterland vorerst unberührt gelassen. In etlichen Dörfern war es zu brutalen Vergeltungsmaßnahmen der irakischen Milizen und Eliteeinheiten an der Bevölkerung gekommen, nachdem alliierte Einheiten dort aufgetaucht und von den Menschen begrüßt wurden, dann aber unverrichteter Dinge wieder abgezogen waren.
Aber nicht nur Saddam Hussein und sein verbrecherisches Regime sind die Verlierer, sondern auch das Völkerrecht und die Friedenssicherung durch internationale Zusammenarbeit. Dass dieser Krieg dennoch betrieben wird, zeigt erneut schmerzhaft, wie schwach das internationale Recht derzeit ist. Dieser Krieg ist der dritte innerhalb kurzer Zeit, den westliche Staaten mit zweifelhafter Rechtsgrundlage führen. Ihm voran gingen - mit aktiver deutscher Beteiligung - das Bombardement Serbiens und der Krieg in Afghanistan. Ein internationales Regime der friedlichen Konfliktlösung bleibt vorerst eine Utopie.
Die Bundesregierung stellt sich gegen den von Großbritannien und den USA geführten Krieg gegen den Irak. Natürlich begrüßen wir dies. Die militärische Unterstützung für die NATO-Verbündeten wie Überflugrechte, Schutz der Stützpunkte etc. sind dabei aber problematisch:
Die aktive Beteiligung Deutschlands an dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg verstößt nicht nur gegen Art. 26 GG. Die Bundesrepublik hat sich zuletzt - unter anderem gegenüber den USA - in Art. 2 des Zwei-plus-Vier-Vertrages erneut zum Verbot des Angriffskrieges bekannt, indem erklärt wurde, "von deutschem Boden (werde) nur Frieden ausgehen."
Deutschland ist mit seinem Hoheitsgebiet in mehrfacher Weise in den Irak-Krieg verwickelt:
- Die Bundesregierung gewährt Überflugrechte im deutschen Luftraum.
- US-Militärflugzeuge landen auf US-Militärflughäfen im Bundesgebiet - z.B. auf der US-Air-Base Rhein-Main - zwischen und fliegen von hier aus in ihre Einsatzgebiete weiter.
- US-Kriegsmaterial, welches in Deutschland befindlichen US-Stützpunkten eingelagert ist, sowie hier stationierte Truppen werden auf dem See- oder Luftweg in das Kriegsgebiet gebracht.
- In der Bundesrepublik gelegene US-Kommandoeinrichtungen, z.B. US-EUCOM in Stuttgart-Vaihingen, sowie Kommunikations- und Infrastruktursysteme werden in die Planung und Durchführung militärischer Operationen gegen den Irak einbezogen.
All das überschreitet rechtliche Grenzen: Nach Art. II des NATO-Truppenstatuts sind die in einem Mitgliedsstaat stationierten Truppen verpflichtet, das Recht des Aufenthaltsstaates zu achten und sich jeder "mit dem Geist dieses Abkommens nicht zu vereinbarenden Tätigkeit zu enthalten". Die maßgebliche Rechtsordnung des Aufenthaltsstaates Bundesrepublik Deutschland bildet dabei das Grundgesetz, insbesondere das darin verankerte Verbot der Vorbereitung eines Angriffskrieges. Art. 26 GG verbietet daher nicht nur den Organen der Bundesrepublik, sondern auch den in Deutschland stationierten NATO-Truppen die Teilnahme an einem völkerrechtswidrigen Krieg. Die Bundesregierung ist daher nach dem Verfassungsrecht verpflichtet, eine Einbeziehung der auf ihrem Hoheitsgebiet stationierten NATO-Truppen in den Irak-Krieg zu verhindern.
Das Verbot der Vorbereitung eines Angriffkrieges bezieht sich auch auf weitere Unterstützungshandlungen, wie die Bereitstellung von Patriot-Abwehrraketen und AWACS-Aufklärungsflugzeugen, sofern sie sich als Beihilfe zu einem Angriffskrieg erweisen. Zur Rechtfertigung, bei letzterem handele es sich um NATO-Verpflichtungen, ist anzumerken, dass das Bundesverfassungsgericht erst jüngst ausgeschlossen hat, dass sich die Bundesrepublik einem System kollektiver Sicherheit einordnen darf, das nicht der Wahrung des Frieden dient oder sogar Angriffskriege vorbereitet (BverfGe 104, 151 ff., 212 f.). Die Bundesregierung ließ unmittelbar vor dem Irak-Krieg verlautbaren, beim Umgang mit US-Streitkräften gelte weiterhin die "politische Bewertung", die "nach vorheriger juristischer Prüfung" entstanden sei. Diese Haltung wurde in Koalitionskreisen zusammengefasst mit der Formel: "Wir haben politisch beschlossen, dass es kein Völkerrechtsproblem gibt." (Frankfurter Rundschau, 19.03.2003) Die Bundesregierung duldet damit widerspruchslos, dass die US-Militärbasen in Deutschland sowie der deutsche Luftraum von US-Militärflugzeugen und ihrem Personal im Rahmen offenkundig völkerrechtswidriger Militäreinsätze genutzt werden. Das hat zur Folge, dass ein "Präzedenzfall" für die Zukunft geschaffen wird; denn
eine sich herausbildende oder gar verfestigende Staatspraxis trägt zur authentischen Auslegung völkerrechtlicher Regelungen entscheidend bei.
Zum anderen steht die deutsche Regierung vor dem Abgrund des Verfassungsbruchs. Wenn sie bewusst das deutsche Hoheitsgebiet in die Führung eines völkerrechtswidrigen Krieges verwickeln und einbeziehen lässt, kommt es zum Konflikt mit Art. 26 GG und Art. 2 des Zwei-plus-Vier-Vertrages. Beide Normen verbieten ausdrücklich, die Führung eines Angriffskrieges "vorzubereiten". Dieses Verbot umfasst nach seinem Wortlaut zwar nur dessen "Vorbereitung". Wenn ein Angriffskrieg jedoch von Verfassung wegen nicht "vorbereitet" werden darf, so darf nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift ein solcher erst recht nicht geführt oder gefördert werden, in welcher Form auch immer. Das grundgesetzliche Verbot ist dabei umstands- und bedingungslos nominiert: Die Vorbereitung, Führung und Unterstützung eines Angriffskrieges ist in jeder Hinsicht "verfassungswidrig" und "unter Strafe zu stellen". Darin unterscheidet es sich von der in Art. 26 GG enthaltenen Verbotsalternative, die "Handlungen" erfasst, "die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören". Zwingende Konsequenz für die deutsche Regierung muss daher die Verweigerung jeglicher Unterstützung oder Mitwirkung am Krieg gegen den Irak sein.
Dies betrifft vor allem:
- die Gewährung von Überflugrechten für US-Militärflugzeuge,
- die Nutzung der US-Basen in Deutschland,
- die AWACS-Flugzeuge in der Türkei,
- die Einbeziehung der in Kuwait stationierten Fuchs-Spürpanzer in den Konflikt,
- die militärische Hilfeleistung für Staaten, die den Angriffskrieg unterstützen,
- das Abstimmungsverhalten in den NATO-Gremien.
Wegen der verbindlichen verfassungsrechtlichen Vorgaben in Art. 25 GG (die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind unmittelbarer Bestandteil des Bundesrechts) und Art. 20 Abs. 3 GG (Bindung der Regierung an Recht und Gesetz) sowie wegen des ausdrücklichen Verbots jeder Vorbereitung eines Angriffskrieges (Art. 26 GG) ist eine andere politische Entscheidung verfassungswidrig. Ein politischer Entscheidungsraum ist nur für Handlungen eröffnet, die mit dem Völker- und Verfassungsrecht in Einklang stehen. Wer anderes behauptet, wie etwa der Bundeskanzler mit dem Hinweis, die Regierung werde "keine Juristerei betreiben", redet einem Abschied vom Rechtsstaat das Wort!
Ein kurzer historischer Blick zurück. Im Vorfeld des Sonderparteitages der SPD zum Asylrecht am 16. und 17. November 1992 schrieb die Flüchtlingshilfe Detmold an die Delegierten aus Ostwestfalen-Lippe am 28. Oktober unter anderem das Folgende:
"Wer in dieser gesellschaftlichen Situation fundamentale Grundwerte aufgibt, setzt eine Entwicklung in Gang, die nicht mehr zu kontrollieren ist. Die Grundrechtsdemontage beim Asylrecht steht nicht allein. Die Legalisierung des Lauschangriffs und die Abschaffung der Rechtsweggarantie für Asylbewerberinnen und Asylbewerber gehören zu einer Reihe drohender Verfassungsänderungen, an deren Ende eine andere Republik steht. So wollen Bundesregierung und SPD-Vorstand das Grundgesetz ändern, um die Beteiligung der Bundeswehr an Kampfeinheiten in aller Welt zu ermöglichen. Deutsche Soldaten haben noch vor weniger als 50 Jahren unvorstellbares Leid verursacht. Abschottungspolitik gegen Flüchtlinge und Einwanderinnen bzw. Einwanderer und geostrategische Kriegsführungsfähigkeit sind zwei Seiten einer Medaille. Niemande und niemand darf sich täuschen: Nach diesen Grundgesetzänderungen wird die Bundesrepublik Deutschland ein anderes Land sein!"
Über elf Jahre später wird SPD-Verteidigungsminister Struck sagen, die Landesverteidigung stehe "nicht mehr an erster Stelle", sondern: "Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt." Aber wir müssen auch selbstkritisch eigene Versäumnisse eingestehen. Als vor genau vier Jahren der gleichermaßen völkerrechtswidrige und durch keinen UNO-Sicherheitsratsbeschluss legitimierte Angriffskrieg gegen Jugoslawien mit aktiver Beteiligung der Bundeswehr geführt wurde, waren die Proteste im Vergleich zu heute nur marginal.
Zurück zum Irak: Im Dezember 1997 hatte das Bundesministerium des Inneren (BMI) und das Auswärtige Amt (AA) eine Kampagne gestartet, wonach im Nord-Irak eine aktuelle politische Verfolgung nicht stattfinde, sondern eine "inländische Fluchtalternative" für irakische Kurdinnen und Kurden existiere. Das AA hatte seine Lageberichte und Auskünfte umgestellt und der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten in allen Fällen Klagen gegen stattgebende Entscheidungen des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFl) erhoben.
Im BAFl ließ die Behördenspitze die Entscheiderinnen und Entscheider wissen, dass sie die Lage ebenso beurteile wie das BMI und das AA. Dies sei bei Entscheidungen über Abschiebehindernisse bzw. solche über das Asylrecht und asylrechtlichen Abschiebungsschutz zu bedenken. Das Ergebnis war, dass die meisten Entscheidungen die Verhältnisse im Irak plötzlich anders sahen, obwohl sich dort zwischen den Vorjahren und 1997 / 1998 nichts grundlegend geändert hatte. Parallel zu dieser Kampagne wurde auf breiter Front Asylwiderrufsverfahren eingeleitet. Wer zum Beispiel einen Antrag auf Familiennachzug stellte, wurde mit einem Widerrufsverfahren überzogen. Da ein Großteil der Gerichte sich dieser nun etablierten Meinung anschloss, war der asylrechtliche Schutz für viele irakische Flüchtlinge entfallen, kaum dass sie ihn erhalten hatten. Ergebnis dieser Praxis war, dass trotz zwischenzeitlich positiver Entscheidung eine Aufenthaltsbeendigung in Frage kam, weil die meisten der Flüchtlinge nur eine Aufenthaltsbefugnis (nach § 51 AuslG) und keine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erhalten hatten. Erst nach einem achtjährigen Aufenthalt lag eine Verfestigung vor und konnte eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Die Herabstufung des asylrechtlichen Schutzes auf den bloßen Abschiebungsschutz hatte daher auch die Folgewirkung, dass ein Flüchtling nach einer (angeblichen, aber in der juristischen Welt durchgesetzten) Veränderung der Verhältnisse schneller und leichter abgeschoben werden konnte.
Wie perfide dies sein konnte, machte wiederum das Beispiel Nord-Irak deutlich: Denn auch die Menschen, die aufgrund der oben kritisierten Kollaboration zwischen AA, BMI, BAFl und Gerichten ihren Status nach § 51 AulG wieder verloren hatten und noch keine Verfestigung nach einem achtjährigen Aufenthalt erlangt hatten und deshalb unanfechtbar ausreisepflichtig gemacht worden waren, wurden nicht abgeschoben. Eine Abschiebung war zum einen tatsächlich seit 1990 nicht möglich und wurde zum anderen (aus guten Gründen angesichts der politischen Situation im Irak und auch im Nord-Irak) nicht gewagt. Da die Flüchtlinge nicht abgeschoben werden konnten, wurde im Ergebnis nichts anderes gemacht, als ihren Rechtsstatus zu verschlechtern und auf diese Weise eine Verfestigung verhindert. Dieses Beispiel verdeutlicht, wie gedankenlos und formaljuristisch nach der Grundgesetzänderung Recht angewandt wird, (nicht nur) wenn es um asylrechtlichen Schutz geht. Wenn Einigkeit darüber besteht, dass Abschiebungen in den Irak ebenso wenig in Betracht kommen wie in den Nord-Irak, macht es keinen Sinn, die Menschen zur Ausreise aufzufordern und ihnen die Abschiebung anzudrohen. Die Degradierung dieser Menschen von anerkannten Flüchtlingen zu "Geduldeten" hat nur den einzigen Hintergrund und Zweck, andere Flüchtlinge aus dem Nord-Irak abzuschrecken. Durch diese Entscheidungspraxis sollen möglichst viele irakische Menschen davon abgehalten werden, einen Fluchtweg nach Deutschland zu suchen, sie sind Bauern im Schachspiel der Flüchtlingsabwehrpolitik - bis heute. Die Ablehnungsquote irakischer Flüchtlinge betrug in den letzten Monaten vor dem Krieg beinahe 80 % - nicht einmal Opfer nachgewiesener schwerster Folterungen erhielten Asyl in Deutschland.
Drehte sich die Debatte während des Krieges im Kosovo noch um die zeitliche Begrenzung des Aufenthalts von Flüchtlingen in Deutschland, so wird mit Beginn des Irak-Krieges der internationale Schutz zunehmend generell in Frage gestellt. Eine Farce ist der als großzügige Geste verkaufte "Abschiebestopp" für irakische Flüchtlinge, denn, wie oben geschildert, ist der Irak für die Rückkehr von Flüchtlingen seit 1990 faktisch verschlossen. Ausnahmsweise ist deshalb Bayerns Innenminister Beckstein zuzustimmen, der den "Abschiebestopp" zu Recht als "Luftnummer" bezeichnete. Doch dabei soll es nicht bleiben. Wer die aktuelle Durchführungsempfehlung des BMI an die Bundesländer liest, muss erkennen, dass der "Abschiebestopp" bereits bevorstehende Abschiebungen ankündigt: "Für eine Ausdehnung der Aussetzung von Abschiebungen auf die Nachbarstaaten des Irak", heißt es dort, "wird hier gegenwärtig keine Notwendigkeit gesehen." Im Klartext bedeutet dies, dass Flüchtlinge zwar nicht in den Irak, wohl aber in die angrenzenden Staaten Türkei, Syrien, Jordanien und Iran verbracht werden können, die bislang nicht als sichere Drittstaaten für irakische Asylssuchende galten. So trat Bundesinnenminister Schily beim informellen Rat der Justiz- und Innenminister der EU Ende März in Griechenland dafür ein, dass eine "regionale Versorgung" künftig Flüchtlingen einen ausreichenden Schutz gewähren soll. Im Schatten des Irak-Krieg ist dies der Versuch, die letzten Reste internationalen Standards im europäischen Flüchtlingsschutz zu beseitigen. Und der Vorschlag ähnelt dem britischen Konzept von Tony Blair, auf dass wir weiter unten noch eingehen werden.Derartige Tendenzen sind - nicht erst aber zunehmend - seit den Karlsruher Entscheidungen zum Art. 16 a GG in Deutschland zu beobachten.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner faktischen Abschaffung des Asylgrundrechts, mit der Übertragung der Verantwortung für den Flüchtlingsschutz an die Politik unter dem Stichwort "normative Vergewisserung", mit seiner Billigung der sonstigen Einschränkungen und vor allem mit seinem Rückzug aus dem System der gerichtlichen Kontrolle durch die Erklärung, nur ausnahmsweise Rechtsschutz zu gewähren, die Rechtfertigung und den Anstoß zu dieser Entwicklung gegeben. Nicht mehr der Mensch, sondern das staatliche Interesse steht seitdem im Mittelpunkt des Flüchtlingsrechts. Die Gedanken kreisen nicht mehr darum, wie vernünftigerweise am besten dem einzelnen Flüchtling geholfen werden kann, sondern darum, wie diese Last vom Staat abgewälzt werden kann. Die Flüchtlingspolitik besteht seit dem Karlsruher Wort einer "europäischen Lastenteilung" darin, auf den Nachbarstaat zu verweisen, entweder mit dem Argument, jener sei zuständig oder Deutschland dürfe keine Vorleistungen erbringen, damit die Nachbarstaaten nicht aus ihrer Verantwortung entlassen würden. Die eigene Verantwortung des deutschen Staates wird nur noch als kollektive im Vergleich zu anderen Staaten gesehen, aber nicht mehr als individuelle gegenüber dem schutzbedürftigen Menschen.
Unter der zynischen Überschrift "Eine neue Vision für Flüchtlinge" hat der britische Premier Tony Blair, sein Außenminister Straw und Innenminister Blunkett eine Konzeption entwickelt, die das Asylrecht in Europa in seiner Substanz angreift. Die Idee: Flüchtlinge, denen es gelingt, europäischen Boden zu erreichen, sollen hier möglichst in heimatnahe Schutzzonen zurückgeschafft werden, die nichts anderes sind als große Flüchtlingslager. Bestandteil der Vision: Gemeinsam mit anderen EU-Staaten will Großbritannien ein weltweites Netz solcher Flüchtlingsreservate schaffen. In allen Hauptherkunftsregionen von Schutzsuchenden soll es solche "regionalen Schutzzonen" geben. Sie sollen unter der Obhut des Hohen Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) stehen und von den reichen Ländern finanziert werden. Das britische Konzept sieht vor, dass spontan an den Grenzen ankommende Flüchtlinge aus Großbritannien und anderen EU-Staaten so schnell wie möglich in die aufzubauenden Schutzzonen zurückgewiesen oder abgeschoben werden. In den geplanten Flüchtlingsreservaten sollen sie zunächst festgehalten werden. Sollte sich während dieser Zeit die Lage in ihren Herkunftsländern nicht stabilisieren, würde in diesen Lagern über ihren Asylantrag entschieden. Sollten Flüchtlinge anerkannt werden, würden sie in begrenzter Zahl nach einem festzulegenden Quotenschlüssel von den EU-Staaten aufgenommen werden. Den Abgelehnten droht die Abschiebung in ihr Herkunftsland. Die so geschaffenen und ausgestalteten "heimatnahen" Reservate sollen über kurz oder lang als sichere Drittstaaten qualifiziert werden, in die ohne jede Einzelfallprüfung abgeschoben werden kann.
Die Auslagerung der Verantwortung für Flüchtlinge in die Herkunftsregion soll nach den britischen Vorstellungen ergänzt werden durch die Bekämpfung der Fluchtursachen vor Ort: in den Staaten, die Flüchtlinge produzieren. Seit dem Ende des Kalten Krieges habe die NATO ihre Rolle neu definiert und friedenserhaltene Maßnahmen in die Strategie mit einbezogen. Dies könne auch der Ausgangspunkt dafür sein, potentielle Flüchtlinge zum Bleiben oder zur Rückkehr in die Region zu veranlassen. Die humanitäre Intervention wird als weitgehendste Form der Prävention in der Flüchtlingspolitik dargestellt. Den Modellfall hat die NATO bereits geliefert: im Kosovo. Auch dort wurde die Mehrzahl der Flüchtlinge während des Krieges überwiegend in heimatnahen Lagern untergebracht. Auch die jetzt als Rezept propagierte Idee, die Erstaufnahmestaaten durch die Abnahme einer gewissen Zahl von Flüchtlingen zu entlasten, wurde dort erprobt.
Wo immer in Zukunft ein Staat seiner Verpflichtungen aufgrund von Kriegen, Repression oder Zerfall nicht nachkommt, habe die internationale Gemeinschaft die Verpflichtung zu intervenieren. Es gebe eine "Verantwortlichkeit zu schützen". Interventionen dieses Typs sollen die "Verantwortlichkeit zum Wiederaufbau" schon mit umfassen. Ganz in diesem Sinne wurden ja bereits Ausschreibungsunterlagen für den Wiederaufbau des Iraks nach dem angeblichen Präventivkrieg an amerikanischen Firmen verschickt, so wäre zu ergänzen.
Nach dem Abbau des Grundrechts auf Asyl sind auch hierzulande die nächsten Angriffspunkte die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention. Beide kommen nur noch eingeschränkt in Deutschland zur Geltung. 1993 wurde das Asylrecht angeblich geändert, um ein europäisches Asylrecht zu schaffen. Nun hat Großbritannien der Bundesrepublik die Vorreiterrolle bei der Demontage des internationalen Flüchtlingsrechts streitig gemacht. Aber bis heute hat die Bundesregierung keinen Vorschlag für ein einheitliches europäisches Asylrecht, das politisch Verfolgte wirksam schützt, auf europäischer Ebene vorgelegt. Auch für die von Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen geforderte Wiederherstellung des Art. 16 Absatz 2 Satz 2 ist eine verfassungsändernde Mehrheit nicht in Sicht. Trotzdem müssen die verblieben Möglichkeiten genutzt werden, um Flüchtlinge zu schützen: auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene.
Mehr denn je sind Flüchtlinge auf Beistand zur Durchsetzung ihrer Rechte angewiesen. Dies gilt sowohl für das Asylverfahrensrecht, auch für das immer komplizierter werdende materielle Flüchtlingsrecht. Und zunehmend an Bedeutung gerät die Beratung für die Zeit nach dem Anerkennungsverfahren. Das "normale" Ausländerrecht und die Praxis der Ausländerbehörden stehen immer mehr im Mittelpunkt des Geschehens. Und genau hier liegt vor allem das Konfliktpotential bei
Auseinandersetzungen mit dem Ausländeramt der Stadt Detmold, wie sich später noch zeigen wird. Aus diesem Grunde ist es an dieser Stelle unumgänglich, einige Anmerkungen zum Thema Abschiebungshindernisse und Duldungsgründe vorzunehmen:
Die Abschiebung - nicht aber die Androhung der Abschiebung - ist unzulässig, wenn Abschiebungshindernisse oder Duldungsgründe bestehen. Tatsächliche Abschiebehindernisse und damit Duldungsgründe sind vor allem Krankheit und ähnliche in der Person des Flüchtlings (oder allgemein: der Ausländerin bzw. des Ausländers) liegende Umstände, aber auch Passlosigkeit, die Sperre des Flughafens oder die Unmöglichkeit, einen aufnahmebereiten Staat zu finden. Personen ohne ausreichende Dokumente werden von vielen Staaten, mit dem Argument, die Staatsbürgerschaft oder auch nur der vorherige Aufenthalt im angeblichen Herkunftsland sei keineswegs nachgewiesen oder glaubhaft, nicht zurückgenommen. Dass dies für die Ausländerbehörden eine unangenehme Situation ist, liegt auf der Hand: Sie können eine bestehende Ausreiseverpflichtung nicht durchsetzen. Unangenehmer ist jedoch die Situation für die Betroffenen. Denn manche Ausländerbehörden reagieren darauf mit Anträgen auf Abschiebehaft, die nur allzu oft erlassen wird, obwohl das Vorliegen der Voraussetzungen bei dieser Fallkonstellation zumindest fraglich ist. Abgesehen von Fällen, in denen die Höchstdauer der Abschiebehaft daraufhin ausgeschöpft wurde, beklagen manche, dass sie auch anschließend über die Jahre hin nur mit Duldungen leben mussten und eine Legalisierung und Integration damit verwehrt wurde.
Eine Duldung kann erteilt werden, solange der Flüchtling nicht unanfechtbar ausreisepflichtig ist oder wenn dringende humanitäre, persönliche oder erhebliche öffentliche Interessen seine vorübergehende Anwesenheit im Bundesgebiet erfordern. Hierbei handelt es sich um eine Ermessensvorschrift. Steht die Ausreisefrist noch nicht rechtskräftig fest, ist das Ermessen weit. Ist dagegen die Ausreisepflicht unanfechtbar, müssen "dringende humanitäre oder persönliche Gründe" oder "erhebliche öffentliche Interessen", die weitere vorübergehende Anwesenheit "erfordern". Dies betrifft vor allem Gründe, die im Inland entstehen und kann eine Krankheit ebenso sein wie eine erforderliche Heilbehandlung, der Abschluss eines weitgehend geförderten Ausbildungsabschnittes sowie die Durchführung eines im öffentlichen Interesse liegenden Projektes oder Werkes oder sonstige Härtegründe. Das Ermessen wird jedoch für den Fall eingeschränkt, dass bereits rechtskräftig entschieden ist, dass die Abschiebung zulässig ist. In diesem Fall darf die Duldung nur erteilt werden, wenn die Abschiebung unmöglich ist oder durch eine Allgemeinregelung, zum Beispiel ein Abschiebestopp, ausgesetzt werden soll.
Selbstverständlich sollte sein, dass neu entstandene Abschiebungshindernisse stets zu beachten sind. Leider versteckt sich die ausländerrechtliche Praxis der Stadt Detmold in der Regel hinter die "Bestandskraft" und behauptet, sie müsse die frühere Entscheidung vollstrecken. Dies ist nachweislich falsch! Die Stadt Detmold hat wie jede andere Behörde in jedem Stadium zu prüfen, ob Abschiebungshindernisse bestehen und darf aufgrund ihrer Bindung an die Verfassung auch eine rechtskräftige Entscheidung nicht vollziehen, wenn eine Grundrechtsbeeinträchtigung zu befürchten ist.
Das Bundesverwaltungsgericht und das Bundesverfassungsgericht haben entschieden, dass es dem Grundsatz der Menschenwürde als oberstem Prinzip unserer Rechtsordnung widersprechen würde, wenn deutsche Behörden an der menschenrechtswidrigen Behandlung eines Betroffenen durch dessen zwangsweise Überstellung in ein Land mitwirken würden, in dem diesem eine menschenrechtswidrige Behandlung droht. Dieser vorrangige verfassungsrechtiche Grundsatz kollidiert im Einzelfall mit dem Grundsatz der Bestandskraft bzw. Rechtskraft der vorangegangenen Entscheidung. Aber: Das Gebot der Achtung der Menschenwürde hat Vorrang vor Formvorschriften, zu denen auch der Grundsatz der Rechtskraft gehört. Wenn dieses Rechtsgut durch eine Abschiebung akut bedroht ist, ist bis zur Klärung des Sachverhalts und zur Prüfung eines Wiederaufnahmeverfahrens, meist durch das Bundesamt, eine Duldung zu erteilen, um eine unmittelbar drohende Menschenrechtsverletzung durch eine Abschiebung zu verhindern.
Und noch einige Sätze zu den Ermessensspielräumen der Ausländerbehörden: Alle, die im Bereich des Ausländer- und Flüchtlingsrecht beraten oder auch nur im Kontakt mit diesem Rechtsbereich haben, kennen die Verben, die für Ansprüche von Betroffenen alles und nichts bedeuten können: "kann", "darf", "soll", "ist befugt". Es sind Wörter, deren Verwendung in einem Paragraphen signalisieren: Es kann, muss aber einem Antrag nicht stattgegeben werden. Ein Flüchtling kann lediglich beanspruchen, dass die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter der Ausländerbehörde einen Ermessensspielraum, den das Gesetz bei der Entscheidung über eine Rechtsfolge gewährt, ermessensfehlerfrei ausübt. Die Ermessensnormen werden dabei auch als "Kann-Vorschriften" bezeichnet. Dies weist darauf hin, dass sich in der ganz überwiegenden Zahl der Normen als "Signal" für die gesetzliche Forderung "Ermessen auszuüben", das Verb "kann" befindet. Die Möglichkeit, Ermessen auszuüben, bedeutet, dass die behördliche Handlungsweise bei Vorliegen aller Tatbestandsvoraussetzungen nicht zwingend festgelegt ist. Räumt die Norm Ermessen ein, gilt das Opportunitätsprinzip, das heißt, der Sachbearbeiterin oder dem Sachbearbeiter bleibt ein "Spielraum" für mehrere mögliche Entscheidungen, um im Einzelfall zweckmäßig handeln zu können. Es können also unterschiedliche Entscheidungen ergehen, die dennoch alle als "richtig" Geltung beanspruchen können.
Eine im Ermessen stehende Entscheidung ist rechtswidrig, wenn ein Ermessensfehler vorliegt. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die Behörde die gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens überschreitet, das heißt eine im Gesetz nicht zugelassene Rechtsfolge wählt. Grenzen des Ermessens können sich ergeben aus der Formulierung der Norm oder aus anderen Rechtsvorschriften, vor allem aus den Grundrechten (Rechtsstaatsprinzip, allgemeine Handlungsfreiheit etc.) und dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit: Jede unverhältnismäßige Maßnahme stellt eine unzulässige Rechtsfolge dar und überschreitet daher die gesetzlichen Grenzen des Ermessens.
In der Alltagspraxis der Ausländerbehörden ist es nicht selten, dass bei der Sachbearbeitung übersehen wird, dass die anzuwendende Norm Ermessensausübung fordert. Unterbleibt sie, ist die Entscheidung ebenso rechtswidrig, als hätte die Behörde die Grenze des Ermessens überschritten. Ein solcher Nichtgebrauch von Ermessen beruht häufig darauf, dass die Behörde irrtümlicherweise annimmt, die Entscheidung sei "gebunden", das heißt es gäbe keinen Ermessensspielraum.
Ein besonders dramatisches Beispiel (nicht nur) für das Ignorieren von Ermessensspielräumen durch das Ausländeramt der Stadt Detmold ist der Umgang mit der zwölfköpfigen kurdischen Familie Sit vor einem Jahr. Der Sachbearbeiter hatte mehrfach argumentiert, dass die negativen Urteile des Verwaltungsgerichts und des BAFl "bindend für die Stadt" seien und die "fehlenden Passersatzpapiere das einzige noch vorhandene Vollstreckungshindernis" für die Abschiebung sei: " ... ich ordne hiermit für Mittwoch, den 08.05.2002, das Erscheinen Ihrer Mandanten ... bei dem Türkischen Konsulat in Münster, an. Weiterhin ordne ich die sofortige Vollziehung dieser Verfügung an. Für den Fall, dass sich Ihre vg. Mandanten der Anordnung widersetzen, drohe ich die Anwendung unmittelbaren Zwanges an." Und weiter: "Vorsorglich weise ich darauf hin, dass eine unentschuldigte Nichtteilnahme an der Vorführung die Anordnung der Abschiebungshaft gem. § 57 Abs. 2 AuslG begründen kann."
Eine Bescheinigung der Bielefelder Ärztin Dr. Angelika Claußen, bei der sich der Familienvater, Mushin Sit, zu diesem Zeitpunkt seit mehr als anderthalb Jahren in psychiatrischer Behandlung befand, bescheinigt eine konkrete Suizidgefährdung und befindet: "Herr Sit ist aus ärztlicher Sicht nicht in der Lage, am 8. Mai 2002 beim türkischen Generalkonsulat vorzusprechen." Fachbereichsleiterin Annegret Sandbothe behauptete nun gegenüber der Lokalpresse, das Gutachten sei erst am späten Nachmittag des 7. Mai in der Behörde eingegangen - und nun wörtlich: "Nachdem der zuständige und sachverhaltsvertraute Arzt des Gesundheitsamtes aufgrund der Kurzfristigkeit nur noch telefonisch konsultiert werden konnte und keine Bedenken erhob, wurde seitens der Ausländerbehörde weiterhin an der Vorführung festgehalten" (Lippische Landes-Zeitung, 28.05.2002).
Also holen Mitarbeiter der Ausländerbehörde, unterstützt von Vertretern der Zentralen Ausländerbehörde das Ehepaar Sit am Morgen des 8. Mai von ihrer Unterkunft ab. Herr Sit hat nach Angaben der ältesten Tochter "schwere Medikamente gegen die andauernden Kopfschmerzen genommen" und befindet sich in einem "schlimmen Zustand". Die Beamten bleiben trotzdem bei ihrer Entscheidung, das Ehepaar in Münster vorzuführen. Der Bielefelder Rechtsanwalt, Rainer Hofemann, der die Familie Sit juristisch vertritt, kann diese Haltung nicht verstehen: "Hier hat man einen ärztlichen Befund ignoriert. Das ist ein grober Schnitzer, der nicht vorkommen darf, und grenzt an Körperverletzung."
Das Ehepaar wird in Münster vorgeführt. Zu einer Unterschrift, die für die Ausstellung der Papiere notwendig ist, kommt es jedoch nicht, weil Herr Sit nicht mehr in der Lage dazu ist. Trotzdem werden die Passersatzpapiere für die gesamte Familie ausgestellt. Die Beamten transportieren Frau und Herrn Sit anschließend wieder ab und bringen sie zum Bielefelder Bahnhof. Von dort sollen sie alleine, ausgestattet mit einem Bahn-Gutschein der Ausländerbehörde, nach Detmold reisen. Weil es Herrn Sit aber zunehmend schlechter geht, lassen sie sich von einer Bekannten abholen. Diese erinnert sich: "Herr Sit saß fast ohne Bewusstsein auf einem Pflanzenkübel. Sein Zustand war erschreckend, und wir haben uns entschlossen, ihn ins Detmolder Klinikum zu bringen." In der Erklärung der Stadt wird es später dazu wörtlich heißen: "Die Hinzuziehung eines Arztes war zu keiner Zeit von der Ehefrau gewünscht. Auch gaben sich keine entsprechenden Hinweise für die begleitenden Mitarbeiter der ZAB." Gegen 18 Uhr wird Mushin Sit im Detmolder Klinikum eingeliefert. Im Befund steht: "Bei Aufnahme befand sich Herr Sit in einem somnolenten, jedoch erweckbaren Bewusstseinszustand. Anamnesisch kam es wohl gegen 9 Uhr zu einer unbeaufsichtigten und übermäßigen Tabletteneinnahme. Aufgrund der unklaren Mischintoxikation erfolgte die Überwachung auf unserer
Intensivstation, weitere Komplikationen traten nicht auf. ( ... ) Bei Verdacht auf akute Suizidität infolge posttraumatischer Belastungsstörungen erfolgte am 14. Mai die Verlegung in die Westfälische Klinik für Psychiatrie."
Rechtsanwalt Hofemann schreibt an die Stadt Detmold: " ( ... ) ... wurde Herr Sit in einem Zustand nahe der Bewusstlosigkeit in die Klinik am Tag der Botschaftsvorführung eingeliefert. Die Klinik geht davon aus, dass Herr Sit einen Selbstmordversuch unternommen hat. ... Es ist davon auszugehen, dass Herr Sit bereits tot wäre, wenn er nicht im letzten Augenblick noch in die Klinik eingeliefert worden wäre."
Doch das Drama geht weiter: Die Ausländerbehörde teilt mit, dass für den Fall des Verbleibs von Herrn Sit in der Klinik, die Abschiebung der Restfamilie am 6. Juni stattfinden soll. Es endet vorläufig am 4. Juni, als das Oberverwaltungsgericht Münster einem Antrag auf Berufung gegen ein Negativurteil im Asylfolgeverfahren entspricht. Der Vorsitzende Richter informiert darauf hin die Stadt Detmold. Erst jetzt nimmt die Ausländerbehörde die OVG-Entscheidung " ... zum Anlass, den Aufenthalt der Familie Sit bis zum Ausgang dieses Verfahrens weiter zu dulden und die für den 06.06.02 terminierte Rückführung zu stornieren."
Was ist aus diesem schrecklichem Geschehen zu lernen?
1.)
Herr Sit ist wegen des Vorwurfs PKK-Sympathisant zu sein in der Türkei u.a. mehrfach festgenommen worden. Bei seiner letzten Verhaftung wurde er zwei Tage lang auf das Heftigste gefoltert. Diese Angaben wurden ihm nicht geglaubt. Erst jetzt, nach drei Asylfolgeanträgen, setzt sich das OVG Münster ernsthaft damit auseinander. Es überprüft nun auch offensichtliche Fehler und Mängel in den vorhergehenden Verfahren. So zum Beispiel, dass bei der Anhörung beim BAFl kein geeigneter Dolmetscher zugegen war und die Anhörung unzureichend durchgeführt wurde. Die bisherige Versagung der Asylberechtigung wirft ein bezeichnendes Licht auf die Rechtspraxis deutscher Behörden nach der Grundgesetzänderung.
2.)
Erstmals 1999 wurden bei Herrn Sit die Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung attestiert. Nach einem nervenärztliches Attest vom Juni 1999 gab er glaubwürdig an, in Gedanken immer mit den erlebten Misshandlungen sich beschäftigen zu müssen. Der Antrag auf die Kostenübernahme für eine therapeutische Behandlung wurde ihm mit Bescheid der Stadt Detmold vom Dezember 1999 verwehrt. Erst nach Vorlage eines weiteren Attestes wurde im Januar 2000 dem Antrag stattgegeben. Dieses endete wie folgt: "Eine medizinische und psychotherapeutische Behandlung ist dringend erforderlich." In einem Gutachten, dass im September 2000 der Stadt Detmold vorgelegt wurde, heißt es unter anderem: "Herr Sit ist dringend und intensiv psychiatrisch und psychotherapeutisch behandlungsbedürftig. Er ist nicht reisefähig. Eine Abschiebung in sein Heimatland gegen seinen Willen würde aus klinischer Sicht zu einer Retraumatisierung und einer erheblichen Verschlimmerung des gegenwärtig schon schlimmen Krankheitsbildes führen, bei dem eine akute Suizidgefährdung droht." Im Februar 2002 bestätigte die Ärztin erneut die getroffene Diagnose und wies nochmals darauf hin, dass es bei einer Abschiebung zu Kurzschlusshandlungen kommen könne und mit einem Suizid gerechnet werden müsse. Die Behandlungsbedürftigkeit von Herrn Sit war gegenüber dem Ausländeramt lückenlos dokumentiert. Alleine aus diesem Grunde war der Familie eine Aufenthaltsbefugnis zu erteilen. Stattdessen wiederrief sie im Mai 2002 die Duldungen. Die o.g. Ankündigung der Abschiebung der Restfamilie nach dem Suizidversuch vom 08.05.2002 hätte bei Herrn Sit durch die Trennung von seiner Familie eine totale Dekompensierung bedeutet. Das Ausländeramt nahm dies offenbar bewusst in Kauf. Die Stadt Detmold wurde selbst zum Störer der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, indem sie diese Risiken in Kauf nahm und versuchte bewusst durchzusetzen!
Wiederum das OVG Münster lässt erst jetzt mit der gebotenen Sorgfalt und Dauer die Erkrankung und Behandlungsbedürftigkeit von Herrn Sit gutachterlich untersuchen.
3.)
Wie sich aus Punkt 2 ergibt, war die Behauptung der Stadt, sie habe keine weiteren Ermessensspielraum zur Duldung der Familie Sit nicht nur zynisch, sondern auch nachweislich falsch. Aber auch unabhängig von der bescheinigten chronischen Erkrankung von Herrn Sit, hätte das Ausländeramt auch einfach den Ausgang der Klage auf Zulassung der Berufung beim OVG abwarten können (wie oben beschrieben: nicht müssen). Dazu war es nicht bereit. Ohne Not und sehenden Auges wurde so eine menschliche Tragödie verursacht und der Familie Sit weiteres unendliches Leid zugefügt!
4.)
Im Fall der Familie Sit wurde seitens des zuständigen Sachbearbeiters des Ausländeramtes, der Fachbereichsleiterin und des Bürgermeisters die Öffentlichkeit mehrfach in unsachlicher und unrichtiger Weise unterrichtet. Trotz zahlreicher Appelle, Hunderten von Unterschriften, vieler Briefe und Gespräche gab es kein Zurück für den einmal eingeschlagenen Weg. "Einmal muss Schluss sein mit der Diskussion" war das offenkundige Motto von Politik (SPD) und Verwaltung (SPD). Die Türen waren zugeschlagen, es gab keine Brücken zu bauen - keine Gesichter zu wahren. Doch es war noch mehr als dies: Der skandalöse Umgang der Stadt mit dem dramatischen Schicksal dieser konkreten Familie diente auch als bewusste Abschreckung und Einschüchterung anderer Flüchtlinge! Mit dem im Februar diesen Jahres gescheiterten Vorhaben, abzuschiebende Flüchtlinge automatisch in Abschiebehaft zu nehmen, sollte ein "spektakuläres" Einzelschicksal als Vorlage zur generellen Behandlung von Flüchtlingen genommen werden.
5.)
Nur Dank des beherzten Eingreifens einer engagierten Bürgerin ist Herr Sit überhaupt noch am Leben. Nur Dank der Hartnäckigkeit eines Rechtsanwaltes ist die Restfamilie nicht in die Türkei abgeschoben worden. Es sollte uns alle nicht nur traurig, sondern auch sehr nachdenklich machen, dass bis zum Tag der glücklichen und nicht zu erwartenden OVG-Entscheidung (am 4. Juni 2002) kein Kirchenasyl für diese Familie bereit stand. Wir sind darüber auch heute noch fassungslos.
Unsere Verfassung aus ganz anderer Sichtweise zweifelt hingegen massiv die Detmolder CDU an. Zu den Haushaltsberatungen der Stadt Detmold im Dezember 2002 erklärte der CDU-Stadtverbandsvorsitzende Stephan Grigat in einer Pressemitteilung unter anderem:
"Ebenso verweigerte Rot-Grün die wenigstens anteilige Kürzung der Zuwendungen an das sogenannte "Internationale Beratungszentrum" (ibz), eine Einrichtung, deren Arbeit erklärtermaßen gegen die Arbeit der städtischen und staatlichen Behörden und gegen die Durchsetzung des Ausländergesetzes gerichtet ist."
Dazu haben wir einleitend das Folgende zu erklären: Das ibz ist eine Flüchtlingsberatungsstelle. Träger dieser Flüchtlingsberatungsstelle ist das Friedensbüro e.V. in Lemgo. Der Verein Friedensbüro e.V. ist vom Finanzamt Lemgo als gemeinnützig anerkannt. Finanziert wird die Arbeit des ibz zum größten Teil durch das Land Nordrhein-Westfalen. Das Innenministerium und das Ministerium für Arbeit, Soziales, Qualifikation und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen tragen die Personalkosten des ibz. Von der Stadt Detmold erhält das ibz in der Regel jährlich einen Mietkostenzuschuss.
Die oben zitierte Pressemitteilung enthält bezüglich des ibz zwei unrichtige Tatsachenbehauptungen. Unrichtig ist, dass unsere Arbeit gegen die Arbeit der städtischen und staatlichen Behörden und gegen die Durchsetzung des Ausländergesetzes gerichtet ist. Unrichtig ist auch, dass dies auch noch "erklärtermaßen" geschieht. Wir beraten Flüchtlinge über ihre Rechte und setzen uns für die Durchsetzung dieser Rechte ein und nehmen somit im Sozialstaat eine äußerst wichtige Aufgabe wahr. Unsere Arbeit wird daher zu Recht aus Steuermitteln gefördert. Dass es im Rahmen unserer Arbeit bei der Durchsetzung der Rechte von Flüchtlingen dann zu Konflikten mit städtischen und staatlichen Behörden kommt, wenn die Rechte von Flüchtlingen von städtischen oder staatlichen Behörden nicht beachtet werden, ist nicht zu vermeiden. Auch in diesem Rundbrief ist darüber einiges zu lesen. Dass unsere Arbeit von denjenigen Politikerinnen und Politikern kritisiert wird, die sich für den weiteren Abbau von Flüchtlingsrechten einsetzen, ist ebenfalls unvermeidbar. Dass wir im Interesse der Flüchtlinge Stellung beziehen, wenn städtische und staatliche Behörden die nach den in den letzten Jahren erfolgten Änderungen des Asylrechts noch verbliebenen Rechte von Flüchtlingen verletzen, rechtfertigt nicht die von Herrn Grigat aufgestellte Behauptung, dass unsere Arbeit gegen die Arbeit der städtischen und staatlichen Behörden und gegen die Durchsetzung des Ausländergesetzes gerichtet sei.
Dass Herr Grigat unsere Flüchtlingsarbeit nicht für förderungsbedürftig hält und die städtische Unterstützung des ibz als einseitige, massiv überproportionale Bevorzugung von Randgruppen einschätzt (vgl.: www.cdu-detmold.de), steht ihm völlig frei, rechtfertigt jedoch nicht unrichtige Tatsachenbehauptungen.
Auch für die Polemik des Herrn Grigat gelten die strafrechtlichen Grenzen. Herrn Grigat dürfte als Rechtsanwalt die Grenze zwischen einem von dem Recht auf Meinungsäußerung gedeckten Werturteil und einer von diesem Recht nicht gedeckten unrichtigen Tatsachenbehauptung bekannt sein. Erschwerend kommt hinzu, dass Herr Grigat behauptet, dass wir selbst erklärt haben, unsere Arbeit sei gegen die Arbeit der städtischen und staatlichen Behörden und gegen die Durchsetzung des Ausländergesetzes gerichtet. In der Öffentlichkeit entsteht somit zwangsläufig der Eindruck, dass die Richtigkeit der von Herrn Grigat
aufgestellten Behauptung bezüglich unserer Arbeit nicht nur seine persönliche Einschätzung ist, sondern zweifelsfrei feststeht.
Für uns besteht kein Zweifel daran, dass die von Herrn Grigat aufgestellten Behauptungen geeignet sind, das ibz und uns als Mitarbeiterin und Mitarbeiter in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen. Da Herr Grigat mit seiner Pressemitteilung auch das Ziel verfolgt, durch Streichung von öffentlichen Zuschüssen unsere Arbeit zu erschweren, müssen wir davon ausgehen, dass die Herabwürdigung unserer Arbeit unter anderem auch das Ziel der Pressemitteilung war.
Es besteht somit der Tatverdacht, dass sich Herr Grigat einer üblen Nachrede zu unserem Nachteil strafbar gemacht hat.
Deshalb haben wir am 7. März 2003 gegen Herrn Rechtsanwalt Stephan Grigat Strafanzeige wegen des Verdachts der üblen Nachrede und aller weiter in Betracht kommenden Delikte erstattet und Strafantrag gestellt.
Darauf hin legte Stephan Grigat noch nach: In einem Bericht über unsere Strafanzeige in der Lippischen Landes-Zeitung vom 8. März wird Herr Grigat wie folgt zitiert:
"In Detmold entzieht sich die Mehrheit der Flüchtlinge der Abschiebung durch Untertauchen. Die Tätigkeit des ibz fördert das."
Auch hierzu erklären wir: Dass unsere Arbeit das Untertauchen der Flüchtlinge fördert, ist unrichtig. Uns sind die Konsequenzen des Untertauchens für einen Flüchtling sehr wohl bekannt. Der untergetauchte Flüchtling ist nicht krankenversichert, kann kein legales Beschäftigungsverhältnis eingehen, kann offiziell keine Wohnung anmieten, und kann von jeder und jedem erpresst und ausgenutzt werden. Ein Leben in völliger Rechtlosigkeit kann und ist nicht das Ziel von Flüchtlingsarbeit sein. Vielmehr versuchen wir durch Kontakte mit Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten und Behörden eine Situation zu vermeiden, in der der Flüchtling nur noch den Gang in die völlige Rechtlosigkeit als Ausweg sieht.
Bei bereits Untergetauchten versuchen wir, dem Flüchtling zu helfen, ihm das Auftauchen zu ermöglichen und seinen Aufenthalt zu legalisieren. Die Ursache der Konflikte zwischen uns und den Behörden war in der Vergangenheit auch nicht die Förderung des Untertauchens, sondern der Einsatz für ein Bleiberecht der nicht Untergetauchten.
Die Behauptung des Herrn Grigat, wir würden das Untertauchen von Flüchtlingen fördern, ist zweifelsfrei eine Tatsachenbehauptung im Sinne des Strafgesetzbuches (StGB). Da diese Behauptung unrichtig ist, besteht für uns erneut der Verdacht der üblen Nachrede.
Das Untertauchen der Flüchtlinge ist eine Straftat. Nach dem StGB macht sich strafbar, wer sich entgegen den Bestimmungen des AuslG ohne Aufenthaltsgenehmigung im Bundesgebiet aufhält und keine Duldung besitzt. Durch die öffentliche Behauptung des Herrn Grigat, dass unsere Arbeit das Straffälligwerden von Flüchtlingen fördert, unterstellt Herr Grigat uns somit eine Beteiligung an Straftaten. Nach dem StGB macht sich strafbar, wer öffentlich über einen andere oder einen anderen wider besseres Wissen eine Behauptung tatsächlicher Art aufstellt, die geeignet ist, ein behördliches Verfahren oder behördliche Maßnahmen gegen sie oder ihn herbeizuführen. Der Vorwurf des Herrn Grigat, dass unsere Tätigkeit Straftaten von Flüchtlingen fördert, ist sicher geeignet, ein behördliches Verfahren oder andere behördliche Maßnahmen gegen das ibz einzuleiten. Sollte die Behauptung des Herrn Grigat richtig sein, müsste sowohl das Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen als auch das Ministerium für Arbeit, Soziales, Qualifikation und Technologie, die unsere Personalkosten tragen, die Zuschussbewilligung überprüfen, da diese Stellen sicherlich nicht bereit sind hinzunehmen, dass durch Bewilligung von öffentlichen Geldern die Begehung von Straftaten gefördert wird. Es drängt sich leider der Verdacht auf, dass Herr Grigat sein Ziel der Mittelkürzung für unsere Beratungsstelle nun mit dem Mittel des Rufmordes zu erreichen versucht.
Sollte die Behauptung des Herrn Grigat richtig sein, könnte auch die Staatsanwaltschaft Detmold gegen uns wegen Beteiligung an Straftaten ermitteln. Die unzutreffende Behauptung des Herrn Grigat ist somit geeignet, ein behördliches Verfahren und andere behördliche Maßnahmen gegen das ibz einzuleiten. Neben dem Verdacht der üblen Nachrede besteht somit auch der Verdacht der falschen Verdächtigung gemäß StGB. Deshalb haben wir am 11. März 2003 auch diesbezüglich Strafanzeige gegen Herrn Grigat erstattet.
Die CDU Detmold reagierte auf beide Strafanzeigen am 14. März. Wir zitieren auszugsweise aus der Pressemitteilung (wiederum nachzulesen in: www.cdu-detmold.de):
"Die CDU Detmold steht geschlossen hinter dem Vorsitzenden des CDU-Stadtverbandes, Stephan Grigat, der vom ibz mit einer Strafanzeige überzogen worden ist. ( ... ) Nun versucht eine kleine radikale Gruppe, den ihr politisch missliebigen Vorsitzenden einer bürgerlichen Partei an der Ausübung seines Mandates zu hindern und ihm persönlich und beruflich zu schaden. ( ... ) Schon 1995 hatte das ibz mit einer Strafanzeige versucht, die Kritik der CDU-Fraktion durch Androhung von gerichtlichen Schritten zu verhindern. Damals hatte die CDU verallgemeinernde Behauptungen des ibz zu Diskriminierung und Rassismus in Schulen und Behörden zurückgewiesen.
Wenn das ibz bis zum heutigen Tage in Flugblättern behauptet, dass das Ausländeramt angeblich vorhandene Ermessensspielräume nicht anwenden will und ausdrücklich nicht bereit sei, laufende Verfahren abzuwarten, kann dies zusammen mit der wiederholt aufgestellten Forderung zur Abschaffung der Abschiebehaft nur als Erklärung gegen die rechtsstaatliche Arbeit der Stadt Detmold gewertet werden. ( ... ) Die CDU hat sich immer für die Befolgung der Gesetze und die Durchsetzung der Ausreise Ausreisepflichtiger eingesetzt und Zuwendungen an das ibz durchgängig abgelehnt. Diese Haltung wird sich auch nicht durch Strafanzeigen oder sonstige Drohungen ändern."
Diese Erklärung deckt in erschreckendem Maße offenkundige Mängel in der demokratischen Substanz und Reife der Detmolder CDU auf und spricht - auch in ihrer Hilflosigkeit - für sich alleine. Beinahe belanglos ist dabei, dass wir 1995, und auch nicht zu einem anderen Zeitpunkt, keinerlei Strafanzeige gestellt haben. Aus rechtsstaatlicher Sicht nur als katastrophal ist das offenbarte Verständnis des AuslG zu bezeichnen. Leider ist es nicht das erste Mal, dass sowohl Einzelpersonen wie auch die Detmolder Gesamtpartei gegen die Grundlagen demokratischer Gesellschaftspolitik verstoßen haben.
Hierzu drei wesentlich gravierendere Beispiele:
1.)
Im März 1998 zogen Stephan Grigat und seine Kreisgemeinschaft Goldap in einem Rechtsstreit mit dem Stader Wochenblatt juristisch den Kürzeren. Das Buxtehuder Amtsgericht wies damals eine Klage Grigats im Namen der Kreisgemeinschaft auf Unterlassung und Widerruf einer Behauptung in einem Wochenblatt-Kommentar zurück. In diesem hatte der Redaktionsleiter des Wochenblatts geschrieben, dass die Kreisgemeinschaft " ... in Ihrer Zeitung ‚Die Heimatbrücke' unter anderem eine Aktion eines NPD-Mitglieds in 'Nordostpreußen' ein (gemeint ist das russische Gebiet Kaliningrad) unterstützt" hat. Diese Äußerung, so der Richter bei der Urteilsverkündung, sei durch die Meinungs- und Pressefreiheit gedeckt. Mit dem in Kommentar nicht namentlich genannten "NPD-Mitglied" war Hans Dietrich Otto gemeint, der sich im Gebiet Kaliningrad im Dunstfeld zwischen den bekanntesten deutschen Rechtsextremisten Manfred Roeder und Dietmar Munier auf der einen Seite und einer Vertriebenenorganisation wie der Kreisgemeinschaft Goldap auf der anderen Seite bewegt. Nicht einmal Stephan Grigat bestritt vor Gericht die zumindest ehemalige NPD-Mitgliedschaft Ottos.
Nach dem Prozess berichtete das Wochenblatt am 14.03.1998:
"Der KG-Kreisvertreter (Vorsitzender) Stephan Grigat bestreitet immer wieder gerne, dass sein Verband mit Rechtsradikalen oder Rechtsextremen zu tun hat und äußert dies auch gerne vor Gericht - wobei sich dort KG-Chef Grigat immer von Rechtsanwalt Grigat vertreten lässt. Aber die Tatsachen kann auch ein Stephan Grigat nicht wegdiskutieren, auch wenn er gerne von "Unwahrheiten, Halbwahrheiten und Verdrehungen" spricht. Dem Wochenblatt liegen mehr als genug Dokumente vor, die beweisen, dass die Kreisgemeinschaft Goldap im ehemaligen Ostpreußen in einem Umfeld agiert, zu dem bekannte Rechtsextremisten wie Dietmar Munier oder Manfred Roeder gehören. Die Beweise sind erdrückend. Sie stammen - und das übersieht Grigat gerne - nicht nur von antifaschistischen Gruppen, sondern aus dem rechten Lager selbst."
Die Reaktion der Detmolder CDU: Sie gab sich mit der Erklärung von Herrn Grigat zufrieden, dass das Urteil nur im Rahmen der Presse- und Meinungsfreiheit gefällt worden sei, und, dass die Vorwürfe gegen seine Kreisgemeinschaft von einer linksextrem-kommunistischen Splitter-Gruppe stammen. - Im Oktober 1999 wählte ihn die CDU zum Vorsitzenden des Stadtverbandes, nachdem er zuvor schon Chef der Ortsunion Kernstadt war.
2.)
Der Fall Hendrik Schnelle ist in der Öffentlichkeit allgemein bekannt. Am 04.08.1999 schrieb ein besorgter Bürger an den CDU-Ortsvorstand Detmold unter anderem:
" ... Anlass für diesen Brief war eine höchst unangenehme Begegnung mit einem Ihrer Kandidaten für die Kommunalwahl. Es handelt sich hierbei um Herrn Hendrik Schnelle. Er war mir in einem Sportstudio aufgefallen, als er sich damit brüstete, an einer Schlägerei gegen Ausländer beteiligt gewesen zu sein. Außerdem äußerte er die Meinung, dass aggressive Gewalttaten gegen Ausländer, Linke und Asylsuchende gerechtfertigt und verständlich seien. Auf Grund seiner weiteren Äußerungen kam ich zu den Schluss, dass es sich bei Herrn Schnelle um einen Vertreter einer nationalsozialistischen Gruppierung handeln müsse. ( ... ) Ich hoffe, dass Sie mein Entsetzen verstehen können, wenn ich solch einen Menschen auf einem Ihrer Wahlplakate sehen konnte."
Die CDU verstand nicht, Hendrik Schnelle wurde ihr Ratherr. Bis zum Ausschluss aus der Fraktion dauerte es noch über zwei Jahre. Am 14.09.2001 sah das Amtsgericht Detmold in dem mittlerweile zweiten Verfahren das folgende Zitat von Hendrik Schnelle als erwiesen an:
"Wir als weiße Rasse sind höher gestellt und mehr wert als die Schwarzen. Die Schwarzen haben nichts auf die Beine gestellt."
Und der Richter glaubte auch der Aussage einer Schülerin, die folgende eidesstattliche Versicherung abgegeben hatte:
"Etwa Anfang 1998 war ich mit meiner Freundin in der Gaststätte Fuchsbau. Es war kein Tisch frei. Wir setzten uns an einen Tisch, an dem auch Herr Hendrik Schnelle, Herr Marius Töpper etc. saßen. Nach einer Weile kam das Gesprächsthema auf Schwule. Herr Hendrik Schnelle meinte, man müsse alle Schwulen vergasen, wie damals die Juden."
3.)
Über den oben genannten Marius Töpper ist in der Zeitung Junge Welt in der Ausgabe vom 30.07.2001 das Folgende zu lesen:
" ( ... ) Auf Junge Welt-Anfrage erklärte Töpper, dass es sich bei der gestellten Strafanzeige um ‚eine Hetzkampagne der Linken#ein handele. Er selbst wolle vor Gericht als Zeuge aussagen, dass es bei der besagten Veranstaltung in keiner Weise zu volksverhetzenden Aussagen gekommen sei."
Und dies tat er dann auch und zwar so unglaubwürdig, dass ihm der Oberstaatsanwalt in seinem Plädoyer einige deutliche Aussagen ins Stammbuch schrieb. Aber in dem Verfahren vor dem Amtsgericht wurde auch deutlich, dass Marius Töpper im Vorfeld versucht hatte, Belastungszeugen gegen seinen Parteifreund Hendrik Schnelle einzuschüchtern. So sagte die oben bereits erwähnte Schülerin aus, dass sie einige Tage vor dem Verhandlungstermin einen Anruf von Marius Töpper erhalten habe. Dieser wies sie dabei unter anderem darauf hin, dass sie behaupten könne, sie sei zur Aussage gezwungen worden.
Marius Töpper ist nicht irgendwer. Er war und ist Vorsitzender der Jungen Union Detmold, stellvertretender Vorsitzender des Kreisvorstands der Jungen Union Lippe und Sachkundiger Bürger für die CDU-Fraktion im Ausschuss für Schule, Bildung und Sport der Stadt Detmold. In der Berufungsverhandlung vor dem Landgericht Detmold gegen Hendrik Schnelle, der inzwischen aus der CDU-Fraktion ausgeschlossen worden war, aber sein Ratsmandat nicht abgegeben hatte, rechtfertigte er die Position Schnelles als stellvertretender Chef der Detmolder JU: Er, Töpper, sei an den fraglichen Abenden dabei gewesen und sei davon überzeugt, dass sein Parteifreund sich nicht fremdenfeindlich oder abfällig gegenüber Homosexuellen geäußert habe.
Nachdem das Landgericht Detmold Hendrik Schnelle nun wegen Volksverhetzung zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten verurteilt hatte, erklärte Töpper in der Lippischen Landes-Zeitung vom 25.01.2001, dass Schnelles Amt als stellvertretender JU-Vorsitzender derzeit "ruhe": "Diese Lösung haben wir einvernehmlich getroffen." Er sei von der Unschuld Schnelles weiter hin überzeugt.
Schnelle blieb weiterhin Mitglied der JU Detmold auch als das Oberlandesgericht Hamm im Mai das Landgerichtsurteil für rechtskräftig erklärte. Und das trotzt der Tatsache, dass drei Gerichte unabhängig voneinander zu der Erkenntnis gekommen waren, die ihm zu Last gelegten Äußerungen beziehungsweise Äußerung so getätigt zu haben. Erst im August des Jahres tratt Schnelle aus der Jungen Union aus und verlor auch erst damit sein Amt als stellvertretender Vorsitzender des JU-Stadtverbandes Detmold. Hendrik Schnelle kam damit dem Ausschluss aus der Organisation durch das Landesschiedsgericht der Jungen Union zuvor. Diesbezügliche Aufforderungen waren zuvor weder von Marius Töpper noch von anderen Mitgliedern der Detmolder JU erfolgt.
Und dies ist auch kein Zufall. So hat zum Beispiel ein weiterer Entlastungszeuge, der gemeinsam mit Hendrik Schnelle in die Detmolder JU eingetreten war, eine beeindruckende Liste von Tätigkeiten aufzuweisen: Mitgliedschaft im ehemaligen "Klu Klux Klan Herford", wo er laut Staatsschutz einmal Sieg heil-rufend und das Horst Wessel-Lied singend festgenommen wurde, Teilnehmer am rechtsextremen "Lesekreis Staatsbriefe" (vgl. Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen), Verteiler der antisemitischen und rassistischen "Unabhängigen Nachrichten" (Ebenda), Beteiligung an einem gewalttätigen Überfall auf die alte Pauline etc.
Auch die ehemalige Landesgeschäftsführerin der Jungen Union Nordrhein-Westfalen hat im letzten Jahr bestätigt, dass Hendrik Schnelle kein Einzelfall innerhalb der Jungen Union Detmold war. Sie berichtete sogar von eingeschüchterten Ex-Mitgliedern, denen unter Androhung von Schlägen strikt verboten war, mit ihr zu reden. All diese Tatsachen sind seit langem bekannt.
Es ist also allerhöchste Zeit für die Detmolder CDU gegen Gewalt, Rassismus und Antisemitismus in der eigenen Jugendorganisation vorzugehen und somit eine Vorbildfunktion innerhalb der demokratischen Auseinandersetzung auszufüllen!
Zurück - und abschließend - zur Flüchtlingspolitik der Stadt Detmold: Mit der Beschlussvorlage vom 14. Januar 2003 mit dem Titel "Verfahren bei der Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen bei abgelehnten Asylbewerberinnen und Asylbewerbern" schoss die Stadt Detmold nicht nur in ausländerrechtlicher Hinsicht deutlich über das Ziel hinaus: Die Absicht der Ausländerbehörde, abzuschiebende Flüchtlinge automatisch in Haft zu nehmen, sobald der Flugtermin der Abschiebung feststeht, war und ist rechtlich nicht haltbar. Auch wenn in § 57 Abs. II Satz 2 AuslG die Möglichkeit eingeräumt wird, abzuschiebende Flüchtlinge für längstens zwei Wochen in Sicherungshaft zu nehmen, wenn die Ausreisefrist abgelaufen ist und feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann, so hat das Bundesverfassungsgericht in verschiedenen Entscheidungen klargestellt, dass die Verwaltung bei ihrem Vorgehen den verfassungsrechtlich garantierten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten hat. Aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergibt sich für die Ausländerbehörde die Pflicht, in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die Abschiebungshaft erforderlich ist. Angesichts des hier in Frage stehenden Rechtsguts der Freiheit des Menschen, das ein hohes und von der Verfassung verbürgtes Grundrecht ist, dürfte dies eine Selbstverständlichkeit sein. In den letzten Jahren kann jedoch leider im Umgang mit Flüchtlingen von Selbstverständlichkeiten nicht mehr ausgegangen werden.
Die Entscheidung des Ausländeramtes, nach § 57 Abs. II Satz 2 AuslG die längstens zweiwöchige Sicherungshaft zu beantragen, ist eine Ermessensentscheidung (die Ausländerin oder der Ausländer kann für die Dauer von längstens zwei Wochen in Sicherungshaft genommen werden, wenn die Ausreisefrist abgelaufen ist und feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann - so § 57 II 2 AuslG). Bei der Ermessensentscheidung hat die Ausländerbehörde alle für und gegen die Entscheidung sprechenden Umstände im Einzelfall zu berücksichtigen und abzuwägen. Dies gilt in besonderem Maße, wenn durch die Entscheidung der Verwaltung in ein von der Verfassung verbürgtes Grundrecht eingegriffen wird. Um es deutlich zu sagen: Eine derartige Beschlussvorlage stellt nichts anderes dar als die Aufforderung zur Freiheitsberaubung!
Nach Bündnis 90/Die Grünen kritisierten auch wir die Vorlage in einer Pressemeldung. Ein anwaltliches Rechtsgutachten belegt zudem, dass die vorgeschlagene Vorgehensweise eindeutig rechtswidrig ist (siehe auch die obigen Ausführungen).
Die Lippische Landes-Zeitung kommentiert am 11. Februar, dem Tag, an dem die Vorlage dem Sozialausschuss zur Abstimmung vorgelegt werden soll, wie folgt:
"Im vergangenen Jahr hat sich die Stadt Detmold bei der Verwaltung des Asylbewerberfalls "Sit" ein moralisches Armutszeugnis ausgestellt, als sie vielleicht im juristischen Toleranzbereich, aber sicher im Grenzbereich der Menschlichkeit zu handeln versuchte. Jetzt geht sie einen Schritt weiter - vom Einzelfall zum System. Jeder abzuschiebende Asylbewerber soll automatisiert in Abschiebehaft genommen werden. Differenziert betrachtet, werden hierbei Menschen, deren Hilfsbedürftigkeit von offizieller Seite nicht anerkannt worden ist, anschließend a priori in Haft genommen, also kriminalisiert: "Hopp oder Topp" in pervertierter Ausprägung. Dass als Grund "Vermeidung unnötiger Kosten" angeführt wird, ist bezeichnend. ( ... ) Die Beschlussvorlage 30/2003 für die heutige Ausschusssitzung offenbart außerdem einen weiteren erschreckenden Aspekt - die Automatisierung von Vorgängen, die Menschen betreffen. Dabei ist die entmenschlichte und scheinheilige Verwaltungsdiktion der Vorlage nur ein erwähnenswerter Punkt: "Verfahren bei der Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen bei abgelehnten Asylbewerberinnen und Asylbewerbern". Hübsch wird hier die feminine wie maskuline Form für die Betroffenen gewählt. Die von nüchternen Substantiven durchtränkten Sätze legen zwar jegliche ethische Abwägung auf Eis - aber bitte schön, niemand sollte deshalb an der "political correctness" in der wunderschönen Stadt Detmold zweifeln."
Vor und während der Sitzung am beziehungsweise im Rathaus demonstrieren etwa 25 Menschen, unter anderem mit zwei Stellwänden, auf denen stand: "Wir Lipper lassen keinen allein: Wir knasten ein!", beziehungsweise: "Wir in Detmold: Hinsehen - Eingreifen - Einsperren!" Eine Anspielung auf " ... das mit großem Tamtam und unter Beteiligung von Bürgermeister Friedrich Brakemeier aus der Taufe gehobene 'Bündnis für Toleranz und Zivilcourage', (das) in Flüchtlingsfragen lieber schweigt ... " (Lippe aktuell).
Wir verteilten ein IBZ-Flugblatt, dass unter anderem ausführte:
"Statt die Rahmenbedingungen für Abschiebungen weiter zu verschärfen, sollten Sozialausschuss und Rat vielmehr sicherstellen, dass in Detmold nie wieder ein Asylsuchender gegen eindeutigen fachärztlichen Befund zu einer Botschaftsvorführung gezwungen wird. Ein Suizidversuch muss für alle Zeiten als Warnung reichen! ( ... ) Fremdenfeindlichkeit und Rassismus müssen bekämpft werden. Die Politik könnte dafür Zeichen und Rahmenbedingungen setzen. Heute haben die Mitglieder des Sozialausschusses dazu Gelegenheit!"
Auf dem Weg zur Sozialausschusssitzung war im Rathaus die Ausstellung "Die jüdischen Kinder der Villa Emma von Nonantula" zu sehen. Die Ausstellung, die im Rahmen der Veranstaltungen zum Tag des Gedenkens für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar gezeigt wurde, dokumentierte auf Schautafeln und mit Originaldokumenten eine beispiellose Aktion zur Rettung jüdischer Kinder während des Zweiten Weltkrieges in der italienischen Kleinstadt Nonantula. Im Pressetext der Stadt Detmold (www.detmold.de) stand und steht wörtlich:
"Sie alle zeigen, dass es auch in der Zeit der Verfolgung Spielräume gab und dass es von Einzelnen abhing, ob sie genutzt wurden oder nicht."
Neun Tage vor der Sitzung wurde die Ausstellung vom stellvertretenden Bürgermeister Johannes Heumann (CDU) eröffnet. In der Sozialausschusssitzung meldete er sich später mit der Bemerkung zu Wort, dass es der humanere Weg sei, nur den männlichen Familienvorstand zu inhaftieren, um damit die Flüchtlingsfamilie am Untertauchen zu hindern. Das war und ist unerträglich: Das Asylrecht ist nicht denkbar ohne Erinnerung an die schreckliche Vernichtungsgeschichte des Nationalsozialismus, der ganz Europa mit seiner Blutspur überzog. Der Schutz Asylsuchender ist ein Bekenntnis zu der Tatsache, dass in deutschem Namen Millionen von Menschen gequält und umgebracht wurden. Scham und Entsetzen darüber ist Teil einer notwendigen Trauerarbeit. Das Menschenrecht Asyl bedeutet daher Erinnerung und Mahnung für die Zukunft zugleich. Der oben genannte Vorfall bezeugt auf widerlichste Art und Weise die Heuchelei einer Gedenkrede, in der das Rückgrad und der Mut derjenigen herausgestellt wurde, die Flüchtlingen in unserer Geschichte Schutz und Hilfe gewährt haben - Herr Heumann, gehen Sie!
Zu Beginn der Sitzung wurde eine Tischvorlage von Bündnis 90/Die Grünen verteilt, in der die Absetzung der Beschlussvorlage mit dem Hinweis auf ihre Rechtswidrigkeit beantragt wird. Dieser war das anwaltliche Rechtsgutachten beigefügt. Danach gab Fachbereichsleiterin Annegret Sandbothe (SPD) eine Stellungnahme der Verwaltung zur Beschlussvorlage ab, in der sie behauptete, mit der Vorlage sei "eindeutig nicht" eine "kategorische Beantragung von Abschiebehaft" beabsichtigt gewesen. Vielmehr wollte sie die Ausschussmitglieder frühzeitig darüber informieren, dass die Ausländerbehörde wahrscheinlich künftig häufiger die Abschiebehaft beantragen werde. Auf Seite 2 der Beschlussvorlage heißt es jedoch eindeutig:
"Zur Sicherstellung der Rückführung und somit Vermeidung unnötiger Kosten sollte grundsätzlich die Beantragung der Abschiebehaft für längstens zwei Wochen erfolgen, sobald der Flugtermin feststeht. Bei Familien/Ehepaaren sollte nur der männliche Haushaltsvorstand inhaftiert werden, um so ein Untertauchen der Angehörigen zu verhindern."
Die Beschlussvorlage sei, so Sandbothe weiter, "trotz rechtlicher Bedenken der Verwaltung" aufgesetzt worden. Die Bedenken beziehen sich jedoch nicht auf den rechtswidrigen Automatismus der Beantragung der Abschiebehaft, sondern unter anderem auf den folgenden Passus des Rechtsgutachtens, in dem es heißt: "Dass das Ausländeramt die Prüfung der Erforderlichkeit der Abschiebehaft im Einzelfall durch die Beschlüsse des Sozialausschusses und des Rates ersetzen will, ist rechtlich unhaltbar." Mit dieser selbstverständlichen Banalität holte Annegret Sandbothe nun zum großen Gegenschlag aus: Damit sei die "historisch begründete und politisch gewollte Verfahrensweise, dass im Sozialausschuss Beschlüsse hinsichtlich der Aufenthaltsbeendigung" gefasst würden - das
sogenannte "Detmolder Modell" am Ende. Eine Mogelpackung ohne gleichen:
Das "Detmolder Modell" beinhaltete lediglich bei bevorstehenden Abschiebungen die Information eines Mitglieds jeder Partei nach den strengen Regelungen des Datenschutzes - zuletzt entsprechend dem Sozialausschussbeschluss vom 09.12.1997. Eine eventuell, zum Beispiel von Bündnis 90/Die Grünen historisch erhoffte politische Wirkung hinsichtlich von vermehrten Bleiberechtsentscheidungen für Flüchtlingen, hat es nie gegeben, das Gegenteil ist der Fall: Zuweisungsquoten eingerechnet, gab es in Detmold noch nie so viele Ausweisungsverfügungen und Abschiebungen wie unter der Amtsführung von Annegret Sandbothe. Diese eindeutige Verwaltungslinie begann empirisch nachweisbar im Jahre 1994 unter der Vorgängerin Jeske-Paasch, ebenfalls SPD-Mitglied.
Wer schon zuvor in der kommunalen Flüchtlingsarbeit engagiert war, hatte mit der einmaligen Destruktivität des CDU-Dezernenten genug zu tun. Doch trotz dessen eindeutiger Haltung in Bezug auf das Asylrecht, eröffneten sich damals viele Spielräume: Was bei aus Rumänien geflohenen Roma angeblich ausländerrechtlich nicht umzusetzen war, wandte er später ungeniert zu Gunsten schutzsuchender Menschen aus dem Kosovo an. Von ihm gezielt herausgesuchte negative Urteile betreffs Abschiebehindernisse waren bereits durch die nächste Instanz (OVG) aufgehoben. Zuweilen hebelte ihn auch der ehemalige Stadtdirektor aus, wenn kurdische Asylsuchende in die Türkei abgeschoben werden sollten. Auch das Innenministerium intervenierte einige Mal per Dienstanweisung. Es sollte hierbei jedoch nicht vergessen werden, dass sich die SPD bei flüchtlingspolitischen Forderungen in der Regel hinter ihm versteckte.
Der Rest der Sozialausschusssitzung wäre eigentlich schnell erzählt: Die Vorlage wurde nicht mehr als Beschlussvorlage, sondern als "Information" an den Rat weitergeleitet. Der Ausschuss hob diesen Punkt einfach von der Tagesordnung. Doch da waren noch die vielen Lobgesänge auf die Arbeit der Ausländerbehörde, die massiven Angriffe auf die Arbeit des IBZ und die Berichterstattung der Lippischen Landes-Zeitung - und einige handfeste Lügen. So zum Beispiel eine besonders dreiste der ehemaligen Ausschussvorsitzenden, die schlicht behauptete, das Innenministerium hätte die Stadt angewiesen, die Familie Sit, abzüglich des Vaters, der wohl krank sei, abzuschieben. Die Stadt hätte sich aber auf Grund ihrer menschlichen Einstellung dem Anliegen erfolgreich widersetzt. Eine Korrektur dieser Lüge durch die anwesende Fachbereichsleiterin erfolgte nicht. Dagegen schon ungewollt naiv war - wiederum nur als Beispiel genannt - die Ermächtigung aus den Reihen der CDU, dass IBZ dürfe ja lügen, weil es parteiisch zu Gunsten der Flüchtlinge sei.
Um es höflich zu beschreiben, können wir feststellen, dass der Ausschuss an einer Art ‚Kulturdefizit' leidet. Der Umgang mit Minderheiten gilt ihm offenkundig nicht als Gradmesser für den Stand und die Qualität einer kommunalen politischen Kultur. Da derartige Umgangsformen in der Regel jedoch nicht negativ sanktioniert werden, wurde ad acta gelegt, was seine Namensnennung ("Ausschuss für soziale Angelegenheiten") zwingend erfordert: Das Gebot der Toleranz gegenüber Andersdenkenden, die Achtung der Mehrheit vor der Würde und dem Lebensrecht der Minderheit. Allein die Vertreterin der FWG hob sich wohlwollend aus der Gemengelage von Stammtischparolen und scheinheiliger Verwaltungsdiktion hervor. Auch wenn sich der Ausschuss von der Beschäftigung mit dem sensiblen Flüchtlingsthema nun selbst befreit hat, können wir nur dringend raten und dazu aufrufen, die öffentlichen Sitzungen zu besuchen, damit dort Minderheiten nicht weiter ausgegrenzt werden.
In der Ratssitzung am 20. Februar wurde die Vorlage als Beschlussvorschlag ohne jegliche Diskussion zur Kenntnis genommen. Der von uns zitierte Absatz - " ... sollte grundsätzlich die Beantragung der Abschiebehaft für längstens zwei Wochen erfolgen ... " - wurde dabei komplett gestrichen, der Schlusssatz blieb hingegen unbehelligt: "Die Betroffenen haben dann das restriktive Vorgehen der Behörde selbst zu vertreten." Mit dieser Streichung, die auf eine Initiative von Bündnis 90/Die Grünen hin zustande kam, ersparte sich die Stadt eine ansonsten sichere Intervention durch das Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen.
Doch es bleibt bei der städtischen Ankündigung, die Abschiebehaft in Zukunft vermehrt zu beantragen. Dass daraus nicht ein "individueller Pauschal-Automatismus" wird, bleibt die Aufgabe aller hier mit Flüchtlingen solidarischen Menschen!
Und eine letzte Nachbemerkung: Entgegen der Behauptung in der Vorlage der Verwaltung, sind die Fallzahlen der untergetauchten Flüchtlinge in den Jahren seit 1997 eindeutig rückläufig. Warum schürt die Stadt Detmold mit nicht korrekten Angaben leichtfertig Ressentiments gegenüber schutzsuchenden Menschen?
Die oft festzustellende Abwehr vieler Menschen gegen Flüchtlinge ist kein Grund, die Entwürfe einer von uns gewünschten Flüchtlingspolitik nur aus der Verteidigungsposition und mit angezogener Handbremse zu formulieren. Wir müssen Visionen einer humanen Welt entwerfen, um Mentalitäten und Bewusstseinsstrukturen zu verändern. Rassismus ist weder ein Schicksal, in das wir uns zu fügen haben, noch eine Art naturwüchsiger Instinkt. - Machen wir uns gemeinsam solidarisch auf den Weg!
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