Bielefelder Tageblatt ,
04.08.2005 :
Haft im Speziallager Buchenwald / Bielefelder Heinz Gräber bis 1950 von den Sowjets interniert
Von Thomas Güntter
Bielefeld. Die zynischen Sprüche über dem Lagertor hatten die neuen Machthaber abmontiert. "Arbeit macht frei" stand da nicht mehr. Aber sonst hatten die Sowjets das KZ Buchenwald bei Weimar bis auf wenige Ausnahmen 1 : 1 übernommen. Nach dem Krieg mutierte das ehemalige Konzentrationslager der Nazis zum Internierungslager Nr. 2 der Sowjets. Die nannten diese Art von Haftstätten Speziallager.
Heinz Gräber (77), der heute in Heepen wohnt, war vom 24. Oktober 1945 bis zum 24. Januar 1950 in Speziallagern inhaftiert. Die letzte Station war Buchenwald. Jetzt war er zusammen mit rund 1.000 ehemaligen Mithäftlingen zum 60. Jahrestag des Kriegsendes und zum 55. Jahrestag der Auflösung des Lagers erneut in Buchenwald.
Vor Gericht damals stand er nie. Die Sowjets warfen ihm vor, ein Werwolf zu sein, der in Partisanenkämpfen doch noch den Endsieg für die Nazis sichern sollte. Das mit dem Werwolf stimmte, das mit den Partisanenkämpfen nicht.
"An Führers Geburtstag, am 20. April 1945, wurden wir zu Fähnleinführern befördert und zu Werwölfen verpflichtet", erinnert sich Gräber. Man fasste 30 Halbwüchsige zwischen 15 und 17 Jahren zu einer so genannten "Panzervernichtungseinheit" zusammen, bewaffnet mit Panzerfäusten und Gewehren.
Am 1. Mai 1945, die Deutschen waren auf dem Rückzug, redete ihnen ein deutscher Offizier ins Gewissen: "Haut bloß ab, die Russen kommen, die haltet ihr mit euren paar Panzerfäusten eh nicht mehr auf."
Die meisten Jungs aus der Einheit flohen nach Westen, zu den Engländern. Gräber erst auch. Dann aber machte er mit zwei Kameraden kehrt und ging nach Hause. "Was sollten wir im Westen? Da kannten wir ja niemanden." Er kam aus Perleberg in der Mark Brandenburg.
Ab dem 1. Oktober ging er wieder zur Schule. Am 24. Oktober kam ein russischer Offizier zu ihnen nach Hause. Heinz sollte ein paar Sachen mitnehmen, es könne zwei bis drei Tage dauern. Noch in der Nacht wurde er verhört, und man erklärte ihm, er sei Werwolf und würde verhaftet.
Dann steckten sie ihn ins Gefängnis Perleberg und verlegten ihn ins Speziallager Ketschendorf bei Fürstenwalde. 12.000 Menschen waren dort zusammengepfercht – zum Nichtstun verdammt. Bei mangelhafter Ernährung und fehlender medizinischer Versorgung. Gräber: "In der ersten Zeit haben wir auf dem nackten Betonboden geschlafen." Die Sowjets brachten aktiv niemanden um. Die Häftlinge starben an Entkräftung und Krankheiten. Die Todesrate lag bei 30 bis 35 Prozent.
Im Januar 1947 wurde Ketschendorf aufgelöst, ein Teil der Häftlinge entlassen, ein anderer kam ins Speziallager Mühlberg bei Riesa. Heinz Gräber auch: "Da konnten wir wenigstens in Baracken schlafen." Für ein Jahr wurde er Kartoffelschäler. Jede Nacht schälten einige Häftlinge einen bis anderthalb Zentner Kartoffeln – pro Mann. "Das war hart, aber immer noch besser, als nichts zu tun", findet Gräber. Außerdem war man nahe bei den Nahrungsmitteln.
Im September 1948 wurde auch Mühlberg aufgelöst. Gräber hoffte auf seine Entlassung. Ein Teil der Gefangenen kam jedoch nach Buchenwald bei Weimar.
Das KZ der Nazis existierte von Juli 1937 und wurde im April 1945 von den Amerikanern befreit. Wegen der Neuordnung der Besatzungszonen kam Thüringen zu den Sowjets, die damit auch für Buchenwald verantwortlich wurden. Bis zu seiner Einlieferung nach Buchenwald, so Gräber, habe er über den Völkermord an den Juden, die Vergasungen und medizinischen Experimente, nichts gewusst. Erst in der Buchenwaldzeit lernte er einige Häftlinge kennen, die schon im KZ saßen. Da erfuhr er alles, sagt er.
Die Baracken waren geblieben, die Wirtschaftsräume auch und der Appellplatz. Krematorium und Gaskammern waren demontiert. Trotzdem starben immer noch Menschen. Von den insgesamt 28.500 Internierten überlebten 7.100 Menschen die Strapazen nicht.
Gräbers Eltern und Geschwister hatten keine Ahnung, wo ihr Sohn war. Außenkontakt war nicht möglich. Die Sowjets und die DDR verschwiegen die Existenz der Lager. Bei seiner Entlassung wurde Gräber zu Stillschweigen verpflichtet. Der Entlassungsschein vom 24. Januar 1950 ist unterschrieben von der Polizeibehörde des Landes Thüringen. Die Sowjets tauchen offiziell gar nicht auf.
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