Gemeindenachrichten Ostwestfalen ,
20.04.2003 :
Netzwerk zum Schutz von Flüchtlingen feierte / Nicht umsonst gekämpft
Von Joachim Poggenklaß
"Eines Tages sagte meine Mutter zu mir: 'Du sollst Dorfschützer werden.' Ich erschrak. Mein Onkel ist auch Dorfschützer gewesen. Er wurde ermordet. Ein Dorfschützer muss der Armee oder der Polizei sagen, ob Rebellen der PKK im Dorf sind, wann sie kommen und gehen, wer mit ihnen spricht, ihnen zu essen oder etwas anderes gibt. Wenn du das tust, wird die PKK dich foltern und töten. Wenn du es nicht tust, werden die Soldaten dich töten. Einige Zeit später wurde unser Dorf von Soldatenangegriffen. Sie sagten: #einEinige von euch helfen der PKK. Wir werden diese Leute finden.#ein
Dann durchsuchten sie die Häuser, schlugen Frauen und Kinder, trieben die Männer zusammen und schlugen auf sie ein. Sie steckten Häuser in Brand. Da bekam ich große Angst. Meine Mutter und ich flohen aus dem Dorf, mein Vater ist schon lange tot. Als wir 10 oder 15 Kilometer gelaufen waren, kamen Soldaten und nahmen uns mit in die Kaserne. Sie trennten uns. Später habe ich gehört, dass sie meine Mutter immer wieder gefragt haben, was ich mit der PKK zu tun habe. Ich wurde das auch gefragt. Als ich sagte, dass ich nichts mit denen zu tun hätte, schlugen sie mich. Sie hatten dicke Knüppel und schlugen mich auf den Kopf. So ging das einige Tage lang. Dann ließen sie mich frei. Ich ging zu einem Nachbardorf. Dort traf ich meine Mutter. Sie war ein oder zwei Tage vor mir freigelassen worden. Ein paar Tage später ging meine Mutter mit einem Freund in unser Heimatdorf. Ich ging bald darauf auch dorthin. Als ich ankam, war meine Mutter tot. Sie hatten unser Haus angesteckt. Meine Mutter war oben und rannte die Treppe hinunter. Sie stürzte. Als ich kam, war sie tot. Ich blieb erst noch im Dorf, aber ich hatte große Angst. Alle sagten zu mir, dass ich weggehen sollte. Ich ging nach Istanbul zu einem Verwandten. Dort versteckte ich mich ein paar Monate. Ich hatte noch Geld. Mein Verwandter besorgte Leute, die mich nach Deutschland bringen konnten. Wir fuhren lange in einem Lastwagen. Ich weiß nicht wie lange. Eines Tages hielt der Wagen. Die Männer sagten uns, dass wir in Deutschland sind. Die Polizei kam und nahm uns mit. Ich stellte einen Asylantrag. Aber ich bekam kein Asyl. Auch das Gericht gab mir kein Asyl. Ich hatte große Angst, dass ich wieder in die Türkei gehen muss. Dort muss ich zur Armee. Die Armee hat schon viele getötet, die ins Ausland gegangen sind. Ich will auch nicht gegen die Kurden kämpfen. Ich bin selbst ein Kurde. Ich hörte, dass das Wanderkirchenasyl mir vielleicht helfen kann. Freunde brachten mich zum Wanderkirchenasyl."
So lautet eine Geschichte von vielen. Das Wanderkirchenasyl kurdischer Flüchtlinge begann im Januar 1998. Flüchtlinge kamen in eine Kölner Beratungsstelle und baten um Hilfe. Sie erklärten: "Wir dürfen nicht länger in Deutschland bleiben. Aber wir können auch nicht in die Türkei fahren. Dort befürchten wir Folter und Tod."
22 Flüchtlingen dauerhaft geholfen
Sie fanden Aufnahme in der Antoniterkirche, bald auch wegen der wachsenden Anzahl in anderen evangelischen und katholischen Gemeinden Kölns. Außer von den Gemeinden wurden sie von der Kampagne "Kein Mensch ist illegal" unterstützt. Flüchtlinge und die unterstützenden Gruppen und Gemeinden wollten erreichen, dass ein Abschiebeschutz für alle Kurden eingerichtet wird. Als diese Forderung vom nordrhein-westfälischen Landtag und vom Innenministerium abgelehnt wurde, begaben sich die Flüchtlinge in kleinen Gruppen auf Reisen in verschiedene Städte, um für ihr Anliegen Unterstützung zu finden. Ende April kam eine erste Gruppe nach Bielefeld. Sie wohnte in Gemeindehäusern. Dort wurden die Menschen von vielen ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern betreut. In öffentlichen Veranstaltungen und in vielen Gesprächen mit Politikerinnen und Politikern erklärten sie ihre Aktion Wanderkirchenasyl und trugen ihre politischen Forderungen vor. Als die Gruppe Ende Mai nach Bochum weiter zog, zeichnete sich bereits ab, dass es keinen allgemeinen Abschiebeschutz für alle Kurden geben würde. Allerdings sollten alle Einzelfälle derer, die sich an der Aktion beteiligten, erneut überprüft werden. Von August bis September 1998 kam erneut eine Gruppe nach Bielefeld. Die letzte Gruppe kam im April 1999. Diese Menschen blieben. Erschöpfung und Krankheit, aber auch Enttäuschung darüber, dass sie ihr politisches Ansinnen nicht durchsetzen konnten und die Überprüfung ihrer Asylgesuche sich so lange hinzog, nahmen ihnen die Kraft, erneut den Ort zu wechseln. Zu dieser Gruppe gehörten 24 Personen, davon drei einzelne Männer, die übrigen Familien.
Nachdem die Einzelfallprüfung durch die Initiative des Bundestagsabgeordneten Dieter Wiefelspütz und die minutiöse Aufarbeitung aller Akten durch Frau Jürin Fritzlar aus Nörvenich noch einmal einen kräftigen Schub bekommen hat, wurde die Aktion Anfang 2003 abgeschlossen. Von den 24 Flüchtlingen in Bielefeld haben 22 ein sicheres Aufenthaltsrecht. Einer wurde durch die deutschen Behörden in die Türkei abgeschoben, für einen ist das Verfahren noch nicht ganz abgeschlossen.
Diese Aktion ist nur möglich gewesen, weil sich in den Gemeinden und aus der Kampage "Kein Mensch ist illegal" viele Menschen für die Flüchtlinge eingesetzt haben - für alle Belange des Lebens wie Ernährung, ärztliche Betreuung, Kindergarten- und Schulbesuch, Sprachunterricht, Behördenangelegenheiten, Begleitung im rechtlichen Verfahren usw. Ohne ihr Durchhaltevermögen, ihre Hoffnungen und ihren Mut in manchmal verzweifelten und sehr traurigen Augenblicken, wären die Flüchtlinge einem ungewissen Schicksal entgegen gegangen. Die Gemeinschaft des Ökumenischen Netwerkes und die gute Zusammenarbeit mit befreundeten Initiativen sowie mit den Bielefelder Behörden und der Polizei haben dazu beigetragen, dass die Flüchtlinge nicht umsonst gekämpft und schwere Strapazen auf sich genommen haben. Dieser Erfolg wurde am 5. April im Gemeindehaus Matthäus gefeiert. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Ökumenischen Netzwerk sowie das Netzwerk als Ganzes werden auch in Zukunft nicht nachlassen, sich für ausgegrenzte Flüchtlinge im Einzelfall und politisch einzusetzen.
jpoggen@kk-ekvw.de
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