Löhner Nachrichten ,
28.07.2005 :
(Bad Oeynhausen) Wiedersehen nach 60 Jahren / Anni Husemeier (73) fand im Ruhrgebiet einen alten Freund aus Kriegstagen
Von Nicole Sielermann
Bad Oeynhausen-Volmerdingsen. Die selbst gemachte Stippgrütze musste Anni Husemeier, geb. Ruschmeier, immer zu den Nachbarn bringen. "Weil die doch so wenig hatten", sagt die 73-Jährige. Noch gut erinnert sich die Volmerdingsenerin an die letzten Tage des Zweiten Weltkrieges 1945. Damals lebte sie in Oberlübbe und die Nachbarn, das waren Flüchtlinge aus dem Ruhrgebiet. Nach 60 Jahren sahen sich Anni Husemeier und Ernst Bison (66) aus Bottrop wieder.
Direkt am Berg in Oberlübbe wohnte die Familie Ruschmeier damals. "Wir hatten einen Kleinbauernbetrieb", erinnert sich Anni Husemeier. Ziegen, Hühner und Schweine sorgten dafür, dass immer genügend Essen im Haus war. "Wir haben uns angefreundet mit den Bisons", erinnert sich die 73-Jährige. Und als Dank für die Stippgrütze stopfte Mutter Bison damals die Kommissocken für Annis Vater in Russland. "Und sie hat mit Ernst immer Pfifferlinge gesucht und für uns gebraten." An der Haustür wurden außerdem Speck und Butter gegen Nähgarn getauscht.
Damals, als junges Mädchen, machte Anni Husemeier mit der Familie Bison ab, sich nach dem Krieg nicht aus den Augen zu verlieren. "Wir wollten uns wiedersehen. Aber das hat nie geklappt." Bis zur vergangenen Woche.
Heirat, Kinder und 30 Jahre Dienst im Taxi in Bad Oeynhausen – da blieb für die Suche kaum Zeit. "Schließlich hat mein Sohn Frank das in die Hand genommen." Erfolgreich. Per Internet machte er Ernst Bison ausfindig. Und Anni Husemeier schwang sich sofort ans Telefon. "Es war nur seine Frau da. Aber die erzählte mir, dass auch Ernst lange Zeit versucht hat, mich zu finden." Selbst in Oberlübbe sei er gewesen. "Aber dort hat er kein Haus wieder erkannt." Dann klingelte das Telefon: "Ist dort Anni Ruschmeier?" fragte eine Stimme am anderen Ende. Sie war es.
Knappe 13 war Anni Husemeier damals. Sechs Jahre alt Erwin Bison. Und beide erinnern sich noch genau an die Amerikaner, die über die B65 Einzug hielten. "Beim damaligen Kolonialwarengeschäft war eine Panzersperre", erinnert sich Ernst Bison.
Brennende Flugzeuge hat er ebenfalls noch im Gedächtnis. Und dass sie ihn daheim im Ruhrgebiet immer mit dem Wäschekorb in den Keller getragen haben. "Das Donnern kam aus Richtung Osnabrück", sagt die 73-Jährige. Und vom Wohnort am Berge konnte die Familie damals die ersten Panzer anrollen sehen.
"Einen Tag vorher stand eine ganze Kompanie geflüchteter deutscher Soldaten bei uns vor der Tür." Anni Husemeier erinnert sich ungern an diesen Moment. "Milchsuppe hat meine Mutter für die gekocht." Keiner habe sie gegessen. "Die mochten die nicht. Weil sie aus Ziegenmilch war. Da kann man mal sehen, wie gut es den Offizieren noch ging", sagt sie Kopf schüttelnd.
Gegen den Widerstand des Großvaters hätten die Soldaten dann Munition und Gewehre auf Diele und Wiese eingelagert. Und am nächsten Tag standen zwei Amerikaner auf dem Hof. "Oh Gott, was hatten wir Kinder für eine Angst." Doch die geschenkte Schokolade beruhigte. "Und Opa bekam einen ganzen Sack Weißbrot." Eine friedliche Stimmung. Bis die Amerikaner die Waffen sahen. "Dann haben sie unsere ganzen Birnbäume kaputt geschlagen."
Auf dem Weg nach Erfurt machte Ernst Bison vergangene Woche in Volmerdingsen Station. "Er ist ein erfolgreicher Tischtennisspieler", hat die 73-Jährige da erfahren. Und sich später Ärger von ihren Brüdern Hartmut und Friedel eingehandelt: "Die wollten ihn auch gerne treffen." Diesmal hatten sie keine Gelegenheit. Aber vielleicht beim nächsten Mal. "Wir wollen den Kontakt halten. Und haben schon oft in den vergangenen Tagen telefoniert."
Viele traurige Erinnerungen verbindet Anni Husemeier mit der Zeit 1945. "Es war schon eine schlimme Zeit", sagt sie. Eine Zeit, die die 73-Jährige nicht vergessen wird. Trotzdem schwelgte sie mit Ernst Bison gerne in alten Erinnerungen: "Es ist einfach schön, wenn man sich nach so vielen Jahren wiedersieht."
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