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Die Glocke , 23.07.2005 :

(Freckenhorst) KZ-Überlebende / Das Entsetzliche ist zum steten Begleiter geworden

Kreis Warendorf/Freckenhorst (gl). Es ist stockdunkel im kleinen Fotolabor, als der jungen Frau durch dreimaliges Klingeln angezeigt wird, dass sie ins Ladenlokal kommen möge. Die 19-jährige verliert keine Zeit, lässt ihre Arbeit für einen Augenblick ruhen und hastet ins Obergeschoss: Irritiert muss sie feststellen, dass dort nicht nur die Chefin, sondern auch die Gestapo auf sie wartet. Ein "böser Traum", wie Felicja Marianna Wanke-Lutobarska später sagen wird, nimmt seinen Anfang.

Ort des Geschehens ist das polnische Städtchen Wrzesnia, in der Zeit des Dritten Reichs "Wreschen" genannt. Die Wehrmacht war noch nicht über Polen hergefallen, da hatte Felicja ihre Ausbildung zur Fotolaborantin begonnen. Am 1. September 1939 marschierten Hitlers Truppen in Polen ein, nur wenige Wochen darauf kapitulierte Warschau nach dreitägiger Bombardierung. Felicjas Bruder ist bemüht, mit Gleichgesinnten den Widerstand zu organisieren, und auch die junge Fotolaborantin sympathisiert passiv mit der Gruppe. Als 1943 die Geheime Staatspolizei der Nationalsozialisten im Ladenlokal steht, ist der Polin schnell klar, worum es geht. Mit dem Wagen wird sie noch einmal zu ihrem Elternhaus gefahren, das vollkommen auf den Kopf gestellt und zerschlagen ist - gefunden aber haben die Nazis nichts. Dennoch: Felicjas Bruder wird sofort zum Tode durch Erschießen verurteilt, die junge Frau selbst nach Birkenau/Auschwitz deportiert.

Gefasst und vorwurfsfrei sitzt die 81-Jährige heute ihren Zuhörern gegenüber und berichtet von den grauenhaften Ereignissen an einem Ort, der zum Mahnmal millionenfachen Mordes geworden ist. Felicja Marianna Wanke-Lutobarska ist eine politische Gefangene, wie alle versehen mit einer eintätowierten Nummer. Geplagt von Typhus, Krätze und Lungenentzündung ist der täglich tausendfache Tod stetiger Begleiter. Anfangs noch für die Feldarbeit eingesetzt, wird die junge Frau später helfen, Leichen zu verladen. Nachts sind die Flammen, die aus den ständig brennenden Schornsteinen schlagen, weithin sichtbarer Ausdruck unvorstellbaren Grauens. Über Auschwitz hat sich ein beißender Gestank gelegt, im Gleichschritt und von Angst begleitet fürchtet jeder um sein Leben.

Ende 1944 sucht die Lagerleitung arbeitsfähige Frauen aus, die in deutschen Munitionsfabriken eingesetzt werden sollen. Für Felicja beginnt eine weitere Odyssee. Wird die eine Waffenschmiede von Alliierten zerbombt, zieht der Treck der überlebenden Zwangsarbeiter zur Nächsten. Dann endlich kommt das Kriegsende. Die Frau findet Schutz beim Schwedischen Roten Kreuz. Am 8. Mai 1945 ist sie in Sicherheit, körperlich und seelisch am Ende. Felicja gibt sich nicht ihrem Leiden hin, sondern beginnt ein weiteres Mal zu kämpfen. Keine zwei Jahre später ist sie erstmals zurückgekehrt in das Land, das für sie mit so viel Entsetzlichem verbunden ist. "Wir haben doch als Überlebende eine wichtige Aufgabe", sucht die 81-Jährige heute mit vielen anderen das Gespräch im Dienst der Versöhnung.

Kai von Stockum

23./24.07.2005
glocke-online@die-glocke.de

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