WebWecker Bielefeld ,
20.07.2005 :
(NRW) Abschiebung wider Willen
Der "Flüchtlingsrat NRW", ein Zusammenschluss verschiedener Flüchtlingsräte vor Ort, dem auch der Bielefelder Flüchtlungsrat angehört, macht auf eine brutale Sammelabschiebung von rund 70 Flüchtlingen am 28. Juni aufmerksam
Die Rechtsanwältin der Eheleute B. aus Herne berichtet, dass gegen 3 Uhr morgens Beamte an der Tür geklopft haben. Die Beamten hätten nicht zugelassen, dass Nachbarn zu Hilfe eilen konnten. Frau B. habe geschrieen. Sie soll nach Auskunft der Nachbarn daraufhin eine Beruhigungsspritze erhalten haben. Im Bus sei Frau B. genötigt worden, eine Tablette einzunehmen. Sie war mit Medikamenten ruhig gestellt. Ihr Ehemann, habe sich zur Wehr gesetzt. Er sei in der Wohnung überwältigt und zu Boden gestoßen worden. Er wurde im Gesicht und an der Schulter verletzt. Man habe ihm Hand- und Fußschellen angelegt. Unklar ist, ob auch er mit Medikamenten ruhig gestellt worden ist. Die Rechtsanwältin gibt an, dass Herr B., als sie ihm auf dem Flughafen zugewunken habe, geistesabwesend ohne jede Reaktion aus dem Fenster des Fahrzeugs geschaut habe, mit dem er zum Flughafen gebracht worden war.
Familie B. sei die Abschiebung bereits am 3. März angekündigt worden. Danach vorgelegte ärztliche Atteste seien ebensowenig berücksichtigt worden, wie der Antrag an die Härtefallkommission des Landes NRW, berichtet die Rechtsanwältin. Obwohl die vorgelegten Gutachten ausdrücklich auf eine Verschlechterung des psychischen Zustandes und auf eine Erhöhung des Risikos autoaggressiver Handlungen mit tödlichem Ausgang bei einer Zwangsabschiebung hingewiesen hätten, sei keine amtsärztliche Untersuchung durchgeführt worden. Vielmehr habe der Amtsleiter nach Aktenlage entschieden und Frau B. in Begleitung für "flugreisetauglich" erklärt, da "den Attesten nicht zu entnehmen sei, dass Frau B. nicht in der Lage sein soll, eine mehrstündige Flugreise zu unternehmen". Die Rechtsanwältin sei als Bevollmächtigte darüber nicht informiert worden, dass ihre Mandantin für reisefähig erklärt worden ist.
Nach Auskunft der Rechtsanwältin bestand die Untersuchung der Frau B. durch den Mediziner am Düsseldorfer Flughafen lediglich darin, dass er ihr den Blutdruck gemessen und sie nach möglichen Verwandten in der Türkei gefragt habe. Die Beamten des Bundesgrenzschutzes verweigerten der Rechtsanwältin, die um 4 Uhr morgens auf dem Flughafen war, den Kontakt zu ihren Mandanten.
Ordnungsdezernent kommt mit SEK
Eine weitere Familie wurde aus Lotte im Kreis Steinfurt abgeschoben. Nach Informationen des Flüchtingsrats NRW wurde die Familie T. mit einem Sondereinsatzkommando in Anwesenheit des Ordnungsdezernenten des Kreises, Martin Sommer, morgens gegen 2 Uhr zur Abschiebung abgeholt. Nachdem Frau T. – wie in einer umfangreichen fachlichen Stellungnahme prognostiziert – hysterisch reagiert und gesundheitliche Probleme bekommen habe, wurde sie stationär in die Psychiatrie in Lengerich eingewiesen. Der Vater wurde alleine mit den drei minderjährigen Kindern abgeschoben. Sommer hatte seine Anwesenheit und den Einsatz des Sondereinsatzkommandos gegenüber den "Westfälischen Nachrichten" damit begründet, dass Frau T. im Vorfeld mit Suizid gedroht habe, außerdem habe der Vater damit gedroht, den Kindern etwas anzutun. Sollte dies zutreffen, so bleibt unklar, warum die Kinder gerade mit dem Vater abgeschoben worden sind.
Nach Angaben des Rechtsanwalts der Familie hat sich Frau T. erst spät in psychotherapeutische Behandlung begeben. Dort habe sie detailliert von massiven Übergriffen durch türkische Polizeikräfte berichtet. Aufgrund der neuerlichen Erkenntnisse reichte der Rechtsanwalt einen Folgeantrag ein, der vom Bundesamt als unglaubwürdig abgelehnt wurde, da Frau T. erst so spät über ihre Gewalterfahrung berichtet habe. Ein Verfahren beim Verwaltungsgericht Münster ist noch anhängig, ein Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wurde jedoch von der 3. Kammer des Gerichts abgelehnt.
Im Anschluss daran überreichte der Rechtsanwalt der Ausländerbehörde und dem Gesundheitsamt im Kreis Steinfurt ein ausführliches medizinisches Gutachten von 25 Seiten des Zentrums für Folteropfer "Exilio" mit dem Antrag auf Aussetzung der Abschiebung wegen Reiseunfähigkeit. In dem medizinischen Fachgutachten wurde ausführlich zu der Frage der Glaubwürdigkeit und der Reisefähigkeit der Frau T. Stellung genommen. Das Fachgutachten stuft Frau T. als glaubwürdig und als nicht reisefähig ein. In der Vergangenheit hatte das Gesundheitsamt des Kreises Steinfurt wiederholt Frau T. für reiseunfähig erklärt.
Der Flüchtlingsrat konnte nicht klären, ob das Gesundheitsamt Frau T. vor der geplanten Abschiebung noch einmal auf Grundlage des umfangreichen medizinischen Gutachtens untersucht hat. Von einem derartigen Untersuchungstermin ist dem Rechtsanwalt jedenfalls nichts bekannt. Nach dessen Auskunft hat die Ausländerbehörde sich allerdings an das VG Münster gewandt und sich erkundigt, mit welcher Begründung der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt worden ist. Der Rechtsanwalt wurde als Verfahrensbevollmächtigter der Familie T. auch nicht darüber in Kenntnis gesetzt, dass Frau T. nach Auffassung des Kreises Steinfurt nunmehr als reisefähig eingestuft worden ist. Der Rechtsanwalt wurde morgens um 8 Uhr von der Abschiebung der Familie informiert. Als er gegen 8.30 Uhr seinen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt hatte, war es dafür bereits zu spät, der Vater saß mit den Kindern bereits im Flugzeug.
Trotz Folter Abschiebung
In einem dritten Fall geht es um die Abschiebung der Familie S. aus Unna. Nach Informationen des Flüchtlingsrats lebte die Familie S. seit Ende 1995 in Deutschland. Zu der Familie gehören zehn Kinder im Alter zwischen 2 und 21 Jahren. Herr und Frau S. sind beide in der Türkei auf schlimmste Weise gefoltert worden. Unter anderem gibt Herr S. an, von einem Felsen heruntergestoßen worden zu sein. Er habe den Sturz schwer verletzt überlebt, seine Kniescheibe und Wirbel seien dabei zerbrochen. Dem Flüchtlingsrat liegen ärztliche Bescheinigungen vor wie die des Evangelischen Krankenhauses Unna und der Neurochirurgischen Klinik der Städtischen Kliniken Dortmund, aus denen hervorgeht, dass Herr S. wegen seines Knies und des Rückens in ärztlicher Behandlung war. Herr S. wurde ärtzlich als "absolut haft- und reiseunfähig" erklärt.
Weiter hieß es in der dem Flüchtlingsrat vorliegenden ärztlichen Bescheinigung, dass er "dringend weiterer psychiatrischer Behandlung wegen der erhöhten Suizidgefährdung" bedürfe. Die Suizidgefährdung des Herrn S. habe sich in den letzten Wochen massiv verstärkt, weil bekannt wurde, dass der 42 jährige Bruder des Herrn S. in der Türkei am 16. Januar in Cizre erschossen worden ist. Hintergrund war laut einem Zeitungsbericht der Tageszeitung "Politica", Ausgabe vom 11. Februar, offenbar, dass der Bruder des Herrn S. sich geweigert habe, für die türkischen Behörden beziehungsweise für das Militär gegen seine kurdischen Landsleute zu arbeiten.
Nach Angaben des Rechtsanwaltes der Familie hatte die Ausländerbehörde des Kreises Unna mit Schreiben vom 18. Oktober des vergangenen Jahres angekündigt, Abschiebungsmaßnahmen zu ergreifen, falls die Familie nicht bereit sei "freiwillig" auszureisen. Zugleich wurde jedoch mitgeteilt, dass hierfür die Vorführung beim türkischen Generalkonsulat beabsichtigt sei. Aufgrund der geltend gemachten psychischen Erkrankungen wies die Ausländerbehörde auf die Möglichkeit hin, einen Antrag auf Feststellung von Abschiebungshindernissen beim Bundesamt zu machen.
In der Folge gab es Untersuchungen im Gesundheitsamt. Die angekündigte Vorführung beim türkischen Generalkonsulat habe nicht stattgefunden, teilt der Anwalt der Familie mit. Der Rechtsanwalt wertet das Verhalten der Ausländerbehörde, insbesondere die Ankündigung der Vorführung beim türkischen Generalkonsulat, sowie die nicht eingehaltene Zusage einer Benachrichtigung bei Vorlage der Stellungnahme des Gesundheitsamtes, als Täuschung. Eine formelle Abschiebungsandrohung sei ebenfalls nicht erfolgt.
Über die Umstände der Abschiebung ist dem Flüchtlingsrat bekannt, dass Beamte zwischen 2 und 4 Uhr in die Wohnung eingedrungen sind. Da Frau S. die Türe nicht öffnete, auch weil sie Angst vor einer erneuten Nazi-Attake hatte, die sich eine Woche zuvor in dem Haus ereignete, müssen die Beamten sehr lautstark und heftig gegen die Tür gehämmert haben, sechs bis sieben weitere Beamte seien schließlich über den Balkon in die Wohnung eingedrungen. Dem Flüchtlingsrat wurde weiter berichtet, dass Herrn S. sofort Handschellen angelegt wurden. Die Kinder im Alter zwischen 2 und 21 Jahren seien aus den Betten gerissen worden. Ohne Schuhe, ohne Wäsche seien sie abtransportiert worden. Nicht einmal Windeln habe Frau S. für ihr Kleinkind mitnehmen dürfen. Nach Angaben des Flüchtlingsrats ist der älteste Sohn der Familie S. am Istanbuler Flughafen verhaftet worden, da er seinen Militärdienst ableisten muss.
Weitere Informationen auf den Seiten des Flüchtlingsrats NRW:
http://www.fluechtlingsrat-nrw.de
webwecker@aulbi.de
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