Neue Westfälische ,
20.07.2005 :
(Kreis Herford) Lernort für Mitmenschlichkeit / Paul Spiegel würdigt den Zellentrakt, der jetzt Gedenkstätte ist
Von Hartmut Brandtmann
Kreis Herford. Ein Zellentrakt im Keller des Rathauses steht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Seit gestern ist er eine Stätte des Gedenkens, der Dokumentation und der Begegnung.
Deren Bedeutung wird auch deutlich durch die Tatsache, dass Paul Spiegel, der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, an der Einweihung teilgenommen hat. Er würdigte die Gedenkstätte als Lernort für Mitmenschlichkeit.
Er soll vor allem von Schulen genutzt werden. Getragen wird die Außenstelle des Museums und des Stadtarchivs durch das "Kuratorium Erinnern, Forschen und Gedenken", das Ausstellungen, Dokumentationen und Filmvorführungen plant.
Von 1917 bis 1963 war der Trakt Polizeigewahrsam.Während der Nazizeit war dort für manche Menschen Jüdischen Glaubens, Zwangsarbeiter, Zeugen Jehovas und Antifaschisten die erste Station auf dem Weg in andere Haftanstalten, Konzentrationslager oder zum Todesurteil vor Gericht.
Genaue Unterlagen über die Führung des Polizei-Gefängnisses sind nicht überliefert. Zum Kriegsende hatte die Polizeiverwaltung die meisten Akten gezielt vernichtet. So sind die Ängste und Nöte der Gefangenen nur indirekt dokumentiert: Am 4. Februar 1941 wurden vier polnische Zwangsarbeiter in Magdeburg festgenommen, die im Kreis Herford beschäftigt waren. Ein Jahr lang saßen sie in der Herforder Zelle, bevor sie vernommen wurden. Eindringlich ist die kyrillische Schrift einer ukrainischen Zwangsarbeiterin. An der Zellentür steht: "Ich bin in diesem Jahr hier schon zum zweiten Mal eingesperrt."
Dieses Dokument hat auch Paul Spiegel gesehen. "Diese Stätte soll es allen Unbelehrbaren und ewig Gestrigen erschweren, sich der Auseinandersetzung zu entziehen", mahnte er.
Angesichts des bevorstehenden Bundestagswahlkampfes appellierte der Präsident an die Parteien, auf rechte Parolen zu verzichten.Strategien gegen Rechtsextremismus hätten nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn sich alle gesellschaftlichen und politischen Kräfte ihrer Vorbildfunktion bewusste seien. Ein "Handlungsbedarf" bestehe, weil noch immer 20 Prozent der deutschen Bevölkerung antisemitische Vorurteile hätten.
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