Bündnis für eine kritische Kunst Bielefeld ,
10.07.2005 :
(Bielefeld) Leni Riefenstahl: "Reine Kunstästhetik" und Aufarbeitung der Vergangenheit? / Offener Brief zu der Foto-Ausstellung in der Samuelis Baumgarte Galerie
"Der Vergewaltigung der Massen, die er (der Nationalsozialismus) im Kult eines Führers zu Boden zwingt, entspricht die Vergewaltigung einer Apparatur, die er der Herstellung von Kultwerten dienstbar macht."
(Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, 1936)
In der Samuelis Baumgarte Galerie (Niederwall 10, Bielefeld) wird noch bis zum 30.08. eine Ausstellung der umstrittenen Filmemacherin und Fotografin Leni Riefenstahl mit Fotografien aus den Zyklen "Olympia", "Nuba" und "Unterwasserwelten" zu sehen sein. In der Presseinformation der Galerie wird jedoch auf jede kritische Reflektion der Werke, insbesondere die Bilder aus den Olympiafilmen "Fest der Völker" und "Fest der Schönheit", verzichtet. Diese Filme sind nicht nur von der Reichskasse finanziert und von Adolf Hitler und dem Propagandaminister Goebbels beauftragt worden, sondern entsprechen auch einer "Vergewaltigung einer Apparatur", die Politik ästhetisiert und so faschistische Kultwerte schafft. Dementsprechend wurde der vielbeachtete Film auch als "staatspolitisch wertvoll" ausgezeichnet.
Es ist nicht verwunderlich, dass der Nationalsozialismus sich die Filmkunst dienstbar macht, denn der Film hat gegenüber fast allen anderen künstlerischen Medien die Eigenschaft Massen zu erreichen und durch seine technischen Mittel taktil zu wirken. Riefenstahls Olympiafilme sind technisch gesehen unschlagbar und deswegen im zeitgenössischen Kontext auch so gefährlich. Doch nur eine bahnbrechende neue Filmtechnik füllt einen Film noch nicht mit faschistoiden Kultwerten. Da Hitler Riefenstahl die alleinige künstlerische und auch organisatorische Kompetenz zugesprochen hatte, war sie sowohl für die sichtbaren, wie auch subtilen Inhalte verantwortlich.
Die Presseinformation der Galerie beklagt jedoch lediglich, dass Leni Riefenstahls Karriere nach dem Zweiten Weltkrieg "immer wieder boykottiert" wurde, obwohl sie doch "zweifach entnazifiziert wurde". Nach der Auffassung der Veranstalter trifft Leni Riefenstahl keine Schuld an der Verbreitung und Durchsetzung der nationalsozialistischen Ideologie. An dieser Sichtweise bestehen aber erhebliche Zweifel: denn schon vor der Machtübernahme durch die NSDAP besuchte Leni Riefenstahl 1932 eine Veranstaltung von Adolf Hitler im Sportpalast von Berlin und bat ihn anschließend in einem Brief um ein persönliches kennen Lernen. Welches auch kurz darauf möglich wurde und sie sich danach der Lektüre "Mein Kampf" widmete.
Mit den Aufträgen der NS-Elite, zur Verfilmung von zwei Parteitagen, konnte sie ihrer Begeisterung weiter Ausdruck verleihen. Mit "Triumph des Willens", der den Nürnberger Parteitag dokumentiert, schaffte Leni Riefenstahl ein ideologisches Kunstwerk, dass die deutsche Volksgemeinschaft, in Form des Nationalsozialismus, in absoluter Herrlichkeit erstrahlen lässt. Mit dem Film "Tag der Freiheit" schaffte Riefenstahl ein ähnliches Werk, indem die Aufrüstung des Reiches verherrlicht wird und mit den beiden o.g. Olympiafilmen, für die sie zwar hohe Auszeichnungen bekommen hat, entwirft sie eine faschistoide Ästhetik mit einer auffallenden Überbetonung von heroischer Stärke.
In beiden Filmen steht der Körper, die Körperbeherrschung, die Perfektionierung des Körpers und die Stärke im Vordergrund. Durch unmittelbare Schnittfolgen stellt sie eine Verbindung zwischen griechisch antiken Mythen und Körperidealen zu den Athleten. Z.B. filmt sie eine antike Arena und das nächste Bild (es ist in der Ausstellung zu sehen) zeigt das Olympiastadion von einem Säulenkranz aus Licht umgeben, oder sie filmt die Statue eines Diskuswerfers und unmittelbar folgt das Bild eines muskelbepackten Athleten in der gleichen Haltung mit einer Wurfscheibe in der Hand (ebenfalls in der Ausstellung zu sehen). Riefenstahl schafft also bewusst den Zusammenhang zu einem Mythos und ermöglicht so eine Identifizierung. Der Unterschied in den Mythen ist bloß, dass in der griechischen Antike menschliche Körperideale verwendet wurden um GötterInnen darzustellen und keine "Übermenschen". Auch schafft sie eine Identifizierung mit der Masse, indem sie das jubelnde Publikum filmt und dann Großaufnahmen aus der Masse, die ausschließlich junge, kräftige, begeisterte Menschen zeigen. Es ist offensichtlich, dass im Publikum auch alte und kranke Menschen gewesen sind.
In beiden Filmen läutet zum Schluss eine Glocke, die das Bild des deutschen Reichsadlers trägt. Ob Riefenstahl bewusst Nationalsozialistin war oder nicht (sie war nie Parteimitglied) ist irrelevant. Eindeutig ist, dass ihre Filme eine Ästhetik verwenden, die faschistoide Ideale beinhaltet. Wie auch in dem Propagandafilm des Nürnberger Parteitags geht es um eine bedingungslose Identifizierung mit der Masse, einem Körperkult, der behinderte und alte Menschen ausschließt und um die Schaffung einer ideologischen Ersatzreligion, einen Pseudokult, der seinen Ausdruck in faschistischen Heilgedanken und Zeremonien wie Fackelmärsche, Runenverehrung usw. findet.
Ausliegende Schriften in der Ausstellung kritisieren Riefenstahl nicht nur keineswegs, sondern verharmlosen ihre Werke und sprechen ihr jegliche politische Intention ab. Es wird eine Auffassung der "reinen Kunst" vertreten, die der KünstlerIn alle Verantwortung für ihr Handeln abspricht. Doch gerade die Kunst muss gesehen und öffentlich behandelt werden, damit sie sich überhaupt reproduzieren kann. Deswegen trägt gerade die KünstlerIn eine besondere Verantwortung für ihr Werk, weil es Menschen erreichen soll. Besonders die Filmkunst, die losgelöst von der elitären Salonkunst die Möglichkeit hat die Massen zu erreichen, kann nicht ohne politischen und soziologischen Zusammenhang als "reine Kunst" betrachtet werden. Einer Künstlerin wie Leni Riefenstahl zu unterstellen, sie wäre eine harmlose Mitläuferin gewesen, ist im Hinblick auf ihre aktive Mithilfe zur Propaganda und der daraus zu schließenden affirmativen Haltung zu der Lektüre "Mein Kampf", nicht nur vollkommen unreflektiert, sondern auch eine bodenlose Unverschämtheit und Verachtung gegenüber den Opfern des Holocaust und des Krieges.
Ebenso weichen ihre Nuba-Bilder keinen Deut von einer faschistischen Menschen- und Körperauffassung ab. Der Titel der Fotoreihe "Die Nuba" impliziert eine repräsentative Darstellung einer Gesellschaft. Seltsam ist nur, dass es auch in dieser Gesellschaft weder alte, noch kranke, noch müßige Menschen gibt ...
Damit ist Leni Riefenstahl keineswegs ein "Opfer des Führers", wie vielfach behauptet, sondern es waren ihre in Szene gesetzten Bilder, die zum Führerkult beitrugen und so die nationalsozialistische Ideologie verbreiteten. Sie selber stellte sich Zeit ihres Lebens als Unschuldige dar, die keinerlei Verantwortung für das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte trüge. Vielmehr präsentierte sie sich als naive Idealistin, die sich für Politik gar nicht interessiere und sie mit ihrer Arbeit vom Führer betrogen worden sei. Leni Riefenstahl zeigte keinerlei Selbstkritik oder Fähigkeit zur Reflektion. Reue oder Trauer gegenüber den Opfern der deutschen Barbarei wurden nicht zugelassen. Schuldabwehr stand auf der Tagesordnung und so machte sie es der Mehrheit der übrigen Deutschen nach.
Dies klingt nach den üblichen Mustern von Verdrängung. Nicht das "deutsche Volk" begann eine kollektive Tat (vgl. zum Begriff des "deutschen Täterkollektivs": D. J. Goldhagen: Hitlers willige Vollstrecker, 1998), sondern sie alle wurden geblendet und verführt, waren quasi selbst Opfer. Die Verantwortung für die Verbrechen trägt einzig und allein Adolf Hitler, so das Urteil der meisten Nachkriegsdeutschen, allen voran Leni Riefenstahl.
Die Tatsache, dass ein Galerist, faschistoide Ästhetik und nationalsozialistische Propaganda losgelöst von ihrem politischen und soziologischen Kontext unkritisch ausstellt, läuft eindeutig dem kategorischen Imperativ Adornos, jegliches Denken und Handeln so einzurichten, dass Auschwitz sich nicht wiederhole, nichts ähnliches geschehe, zu wider und sollte als solches kritisiert und öffentlich verurteilt werden.
In diesem Sinne: Leni Riefenstahl denken heißt Auschwitz denken!
kritische.kunst@gmx.net
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