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Westfalen-Blatt ,
28.06.2005 :
(Bad Oeynhausen) "Staatsbesuch" mit Lesung / Friedman bei "Poetischen Quellen"
Von Oliver Kreth
Bad Oeynhausen (WB). Literarischer "Staatsbesuch" bei den "Poetischen Quellen". Zwei Polizisten in Uniform und fünf Personenschützer in Zivil sorgten für die Sicherheit. Denn der Schriftsteller, der zum Abschluss der Veranstaltung gelesen hat, ist eine der meistgefährdeten Personen in Deutschland.
Michel Friedman, Ex-Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ex-Bundesvorstandsmitglied der CDU, Krawattenmann des Jahres 2002, N24-Moderator, nicht nur auf nationalistischen Internetseiten Diffamierter und Bedrohter, wegen Kokain-Gebrauchs zu 17.400 Euro Geldstrafe Verurteilter, las in der "Aqua Magica" aus seinem Buch "Kaddisch vor Morgengrauen" (Aufbau-Verlag; 17,90 Euro).
Zunächst war aus Sicherheitsgründen geplant, den Auftritt des Jungvaters in das Zelt zu verlegen. Doch der Sohn von Schindler-Juden plädierte für die Naturbühne, wo er sich seinen zahlreichen Zuhören zeigen und stellen wollte. Genau wie den unbequemen Fragen des Moderators.
Denn bevor der "TV-Inquisitor" ("Der Spiegel") aus seinem lediglich romanhaften Werk mit stark autobiografischen Zügen, so sehen es nicht nur die jüdischen Rezensenten Ralph Giordano und Henryk M. Broder, vortragen konnte, interessierte sich Jürgen Keimer sehr für die Vorgänge von vor zwei Jahren. Wie war das mit dem Kokain, wie mit den ukrainischen Prostituierten?
Friedman gab den Reuigen ("Ich war in einer Lebenskrise"), verwandelte sich dann aber wieder schnell in den Chef-Ankläger.
Friedman gab den Reuigen ("Ich war in einer Lebenskrise"), verwandelte sich dann aber wieder schnell in den Chef-Ankläger. Zwei Jahre Geißelung seien genug, Doppelmoral an der Tagesordnung, sein Rücktritt von allen öffentlichen Ämtern doch konsequenter als bei Anderen, außerdem würden Freier in Deutschland nicht bestraft ("Das ist eine Errungenschaft des westlichen Welt").
Leisere, nachdenklichere und deshalb auch angenehmere Töne schlug der Rechtsanwalt, Journalist und Moderator dann an, als es um seine Beziehung zu seinen Eltern, um die Rückkehr als Neunjähriger nach Deutschland ging: "Es waren die 60er-Jahre. Ich hatte einen Physik-Lehrer, der uns in jeder Stunde seine Hand mit dem abgeschossenen Fingerglied zeigte und sagte: Den habe ich für Hitler geopfert und ich bin, stolz drauf." Und als er vor einer Antwort mal eine Minute innehielt, seine Stimme danach ein deutlich vernehmbares Timbre hatte, machte es ihn für einen kurzen Moment menschlich.
Angriffe auf seinen ersten "Roman" schmetterte er allerdings noch energischer ab. Er sei nicht autobiografisch ("Ich habe einen Bruder und bin in Deutschland geblieben"). Die Stellen, die er dann aus "Kaddisch vor Morgengrauen" eine knappe halbe Stunde vortrug, deckten sich allerdings frappierend mit seinen Aussagen in der vorhergehenden Fragerunde. Warum Friedman den "Vorwurf" des großen autobiografischen Anteils nicht einräumen will, bleibt deshalb weiterhin sein gut gehütetes Geheimnis. Aber wie kann das Thema Holocaust einen Menschen auch nicht ein Leben lang beschäftigen, wenn 47 von 50 Familienmitgliedern während der Shoa starben?
wb@westfalen-blatt.de
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