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Neue Westfälische ,
23.06.2005 :
Geheult, wie ein Schlosshund / Rührendes Wiedersehen nach 60 Jahren im Höxteraner St. Ansgar Krankenhaus
Von Sarah Kirchhoff
Godelheim. Nach 60 Jahren ohne jeglichen Kontakt überraschte der heute 78-jährige Pole Michel den 87-jährigen Franz Pieper aus Godelheim, bei dessen Familie er im Krieg als Zwangsarbeiter fast mütterlich behandelt worden war, im St. Ansgar Krankenhaus. So etwas Rührendes habe er noch nicht erlebt, freut sich noch Tage später Franz Pieper.
Franz Pieper, der über seine Erfahrungen aus der Kriegszeit sagt: "Ich habe immer alles in mich hineingefressen und mit niemandem darüber geredet", war sprachlos und brach in Tränen aus, als sein Freund aus Kriegszeiten am Samstag, 11. Juni, plötzlich gänzlich ohne Vorankündigung in der Tür stand. Immer noch sehr bewegt, sagt der Godelheimer: "Ich habe geheult wie ein Schlosshund. So etwas ist wohl noch keinem passiert."
Franz Pieper verrät, er hätte in der Nacht vor dem überraschenden Besuch einen Traum gehabt, als ob der Pole noch leben würde und fünf Stunden später stand dieser wie ein Wunder vor der Tür und die beiden lagen sich in den Armen.
Sie hätten sich tagelang unterhalten können, doch nach vier Stunden machte sich der polnische Gast, der seine Nichte (24) aus Breslau und dessen deutschen Mann, die mittlerweile in der Nähe von Hövelhof wohnen, mitgebracht hatte, wieder auf dem Weg. Er versprach jedoch, noch einmal vorbeizuschauen.
Der Pole, der im Zweiten Weltkrieg von 1940 bis 1945 im Alter von 15 Jahren als Zwangsarbeiter bei Familie Pieper in Godelheim lebte, hatte eine so gute Beziehung zu Franz Piepers Eltern, dass er sogar "Vater" und "Mutter" zu ihnen sagte. Franz Pieper wurde jedoch 1944 nach Schlesien gebracht und anschließend in Frankreich an die Front geschickt. Seitdem hatte er von Michel nicht mehr einen einzigen Brief empfangen. Als Franz Pieper 1948 nach dem Krieg wieder nach Hause zurückkehrte, war sein Freund bereits nicht mehr da.
Michel hat der Familie weiterhin einen großen Teil der Arbeit abgenommen und war im Dorf ziemlich beliebt, sodass er letztendlich auch eine Godelheimerin heiraten sollte. Dazu kam es jedoch nicht mehr, da der Michel in Höxter in die Kaserne eingeliefert wurde und später dann als Hilfspolizist nach Mannheim zu den Amerikanern kam.
Nachdem er dort eine deutsche Frau, Tochter eines Zahlmeisters, kennen gelernt hatte, wanderte er gemeinsam mit seiner Freundin nach Australien aus, wo er heute noch lebt. Heute hat Michel drei Kinder und auch schon Enkelkinder. Seine Frau starb jedoch vor zwei Jahren.
lok-red.hoexter@neue-westfaelische.de
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