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Westfälisches Volksblatt , 22.06.2005 :

"An das Gute erinnert man sich eben besser ... " / Zwangsarbeiterin kehrt nach Bad Lippspringe zurück

Bad Lippspringe (WV). Dünn, schmal und blass, die dunklen Haare mit einem Seitenscheitel zur Seite gekämmt, in einem schmucklosen, derben Rock gekleidet, steht die 14-jährige Alevtina Mödestovha Schepotko mit ihrer Schwester Vera und Mutter vor einer Baracke. Das Bild ist im Jahr 1943 aufgenommen und zeigt die Russin als Zwangsarbeiterin in Bad Lippspringe. Jetzt, nach 60 Jahren, besuchte Alevtina, geb. Tarasova, die Badestadt wieder.

Die Uhr an ihrem Handgelenk geht zwei Stunden vor und zeigt noch die russische Zeit an, während sie selbst in diesen Tagen eher in der Vergangenheit weilte. Sie kann sich noch gut an die Zeit in Bad Lippspringe erinnern, berichtet sie, wenngleich sie erst 13 Jahre alt war, als sie nach langen Fußmärschen und dann Transporten über Polen die Badestadt erreichte. "Sie habe nicht nur gute Erinnerungen", erzählt sie, "doch an das Gute erinnert man sich eben besser".

Das nicht so Gute in diesem Lebensabschnitt waren sicher die Lebensumstände: Zwölf Stunden musste sie in der Fabrik Hallenberg arbeiten, die Zelte und Unterkünfte herstellte. 15 Personen lebten in einem Raum, der nur spärlich mit Briketts beheizt werden konnte. Doch hatte sie auch Glück: Sie war nicht von ihrer Mutter und Schwester getrennt worden, wie viele der anderen zwölf Mädchen, mit denen sie zusammenwohnte. Und als sie - wohl auf Grund der schlechten Ernährung, der Kälte und der harten Arbeit schwer erkrankte, fand sich ein gütiger Mensch, Hermann Hallenberger selbst, der Besitzer der Firma, bestellte den Arzt, besorgte Medikamente und holte die Kranke bis zu ihrer Genesung zu sich ins Haus. Anschließend ließ er in der Fabrik eine zweite Etage einziehen, in der er die zwölf Mädchen mit Mutter Maria Zaharovna, die für sie kochte, wohnen ließ.

Rückkehr nach 60 Jahren

Zwar gibt es die Firma mittlerweile nicht mehr, doch eine auf dem Gelände errichtete Fabrik, mit ähnlichen Ausmaßen und dem dazu gehörigen Wohnhaus bestehen noch. "Viele Erinnerungen kamen hier zurück", berichteten Ines Grau und Martin Müller, Mitglieder der Aktion Sühnezeichen, die dolmetschten und die mittlerweile 77-Jährige zusammen mit Silke Horstmann betreuten. Namen fielen ihr hier wieder ein: Ein alter Arbeiter, der zusammen mit ihrer Mutter gearbeitet hatte und Karl hieß, oder auch ein russischer Kriegsgefangenen, der "Mutmach-Gedichte" schrieb und sie heimlich weiterleitete.

Mit großem Interesse ließen sich Alevtina und ihre zwei Begleiterinnen Nina Netschaiva und Tatjana Schupilova, jetzt durch die Stadt geleiten. Begleitet von engagierten Angehörigen der katholischen und evangelischen Kirche, wie Wolfgang Dzieran, Pastor Detlev Schuchardt. Manchmal mühsam, doch Dank des Fachwissens von Johannes Ricke vom Heimatverein wurde so manches Fragezeichen gelöst. "Alle sind so nett", stellte Alevtina Schepotko immer wieder fest, ob dieser intensiven Betreuung tief gerührt.

1944 schließlich wurde Alevtina Modestovna Schepotko nach Bielefeld verlegt. Hier erlebte sie die Bombardierung der Stadt, aber auch die Befreiung. Über Brandenburg kam sie zurück in ihre Heimat und verbrachte erst eine Zeit bei einem Onkel am Schwarzen Meer, ehe sie in die Heimatstadt Wolgograd (Stalingrad) zurück zog. Alevtina, die wegen des Krieges nach nur sechs Schuljahren ihre Ausbildung unterbrechen musste, setzte ihre Laufbahn fort und wurde Lehrerin.


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