|
WebWecker Bielefeld ,
22.06.2005 :
(Vlotho) Lautstark gegen Collegium Humanum
Am Samstag protestierten in Vlotho etwa 800 Menschen gegen die rechtsextreme Bildungsstätte Collegium Humanum. Das Spektrum der Demonstrations- Teilnehmer war ebenso breit wie das der Unterstützer des Vlothoer Bündnisses gegen das Collegium. Unter anderem sprach sich auch der Bürgermeister der Stadt für die Schließung der Einrichtung aus. Der Versuch der Rechtsradikalen vom Winterberg ihm das per einstweiliger Anordnung untersagen zu lassen, war am Freitag vor dem Verwaltungsgericht Minden gescheitert.
Von Mario A. Sarcletti
Es war ein lauter und sehr bunter Demonstrationszug, der am Samstag vom Vlothoer Bahnhof zum zentralen Sommerfelder Platz zog. Laut war er durch Samba gegen rechts und Trillerpfeifen, bunt durch die sehr unterschiedlichen Menschen, die gegen das Collegium Humanum protestierten. Da war der junge Mann mit einem T-Shirt der jungen Liberalen, daneben der "Mob in Black" mit entsprechender schwarzer Kleidung, Türkinnen und Türken zeigten ihre Nationalflaggen. Auf einem Transparent wurden die pauschal als "unsere Freunde" bezeichnet, das Transparent daneben forderte "Liebe deinen Nächsten".
Für Nazis gelte das aber nicht, erklären die jungen Frauen, die das Transparent tragen, auf Nachfrage. Aber nicht nur die beiden Schülerinnen setzen auf christliche Werte gegen Rechts. Auf der Kundgebung spricht auch ein Vertreter der Kreissynode, die zur selben Zeit tagt. Das "Kirchenparlament" der Region unterstützte einstimmig die Forderung nach der Schließung des Collegiums, zu dessen Seminaren Rechtsextreme aus dem ganzen Bundesgebiet anreisen. Diese Aktivitäten in dem "Zentrum der Holocaustleugnung" betrachtet die Synode "mit großer Sorge", wie es in der Resolution heißt.
Pastor Christoph Beyer baut seinen Redebeitrag rund um das Motto des jüngsten Kirchentages in Hannover auf. "Wenn dich dein Kind morgen fragt, was wirst du antworten" lautete das. "Wenn dein Kind dich morgen fragt, wird es auch fragen, was früher in Vlotho passiert ist", überträgt Pastor Beyer das Kirchentagsmotto auf das Anliegen der Demonstration. So könnten Kinder fragen, wo die jüdischen Bürger geblieben sind. Antworten auf solche Fragen müssten sich an eine Maxime halten, fordert Beyer: "Du sollst bei der Wahrheit bleiben." Eben das machten die Nutzer des Collegiums eben nicht. "Da wird die Wahrheit verdreht und gebogen", sagt Christoph Beyer. "Da geht es um die Abrede des Verbrechens des Holocaust", beschreibt er die Intention des Collegiums.
Beyer gesteht den Zuhörern aber auch zu, dass sie auf manche Fragen keine Antworten haben. "Wir müssen uns informieren, wenn wir was nicht wissen", gibt er ihnen mit auf den Weg. Denn Information sei eines der besten Mittel gegen die Holocaustleugner, die im November 2003 in Vlotho den "Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten" gründeten. "Wer informiert ist, wird auf diese Lügenmärchen nicht mehr hereinfallen", erklärt Beyer. Wegen dieser Lügenmärchen wurde unter anderem die Leiterin des Collegiums, Ursula Haverbeck-Wetzel, genau ein Jahr vor der Demonstration wegen Volksverhetzung verurteilt. Der Hausreferent Horst Mahler wurde wegen desselben Delikts zu neun Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt.
Auf Information und Wissen im Kampf gegen Rechtsextremismus setzen wie Pastor Beyer auch Friederike Twele, Abiturientin am Weser-Gymnasium der Stadt, und Inge Wienecke von der Fachschaft Geschichte der Schule. Die beiden gehen in ihrem Redebeitrag der Frage nach, was die Schule gegen Rechtsextremismus machen kann. "Unsere Schüler müssen in die Lage versetzt werden, überzeugte Demokratinnen und Demokraten zu sein und Nazi-Ideologien erkennen und bekämpfen zu können", fordert die Lehrerin. Deshalb dürfe Schule nie wieder unwissenschaftlich Ideologie lehren, erinnert die Abiturientin auch an Bildung in der Weimarer Republik. "Rationale Aufklärung" allein reicht nach Friederike Tweles Meinung aber nicht aus, Schülerinnen und Schülern müsse auch ein emotionaler Zugang zu dem Thema ermöglicht werden, etwa durch Gespräche mit Überlebenden des Holocaust oder den Besuch von Gedenkstätten.
Eine Schülerin hatte diesen Zugang offensichtlich schon: "Wir waren in Bergen Belsen und haben Schreckliches gesehen", steht auf dem Schild, das das Mädchen hochhält. "Außerdem müssen unsere Schulen auch Werte wie Zivilcourage lehren", verlangt Firederike Twele. Inge Wienecke schreibt den Schulen zudem "interkulturelles Lernen" ins Curriculum gegen rechts, etwa durch die Begegnung mit Jugendlichen aus anderen Ländern.
Um Bildung gegen Rechts geht es auch vielen der Bildungseinrichtungen in Vlotho, für die Professor Hilmar Peter vom Jugendhof Vlotho auf der Kundgebung spricht. Gerade weil Vlotho eine Stadt der Bildung sei – nach seinen Angaben gibt es in keiner Stadt der Bundesrepublik so viele Bildungseinrichtungen pro Einwohner –, könne man eine Stätte, in der der Holocaust geleugnet werde, nicht hinnehmen, sagt Peter. So trete etwa der Arbeitskreis Entwicklung seit 1967 gegen Rassismus und Intoleranz ein, das Gesamteuropäische Bildungswerk kümmere sich seit langem speziell um Bildung in den osteuropäischen Ländern, die Opfer des Nationalsozialismus waren. Der Jugendhof Vlotho schließlich sei 1946 gegründet worden, um die Frage zu klären, "wie man mit einer im Nazidenken erzogenen Jugend eine demokratische Zukunft gestalten kann".
Zu Beginn der Kundgebung sprach der Bürgermeister der Stadt, Bernd Stute (SPD), zu den Teilnehmern. Er begrüßte neben den Bürgern Vlothos auch "ausdrücklich alle Demonstranten von außerhalb". Im Vorfeld der Demonstration hatte die CDU, die auch Mitglied des Bündnisses gegen das Collegium Humanum ist, ihre Teilnahme an der Demonstration in Frage gestellt. Sie wolle nicht mit Angehörigen der Antifa demonstrieren, so die Begründung. Stute, der von der großen Zahl an Demonstranten "überwältigt" war, freute sich aber darüber, "wie breit unser Bündnis ist".
Er zeigte sich zudem erfreut darüber, dass alle weiterführenden Schulen der Stadt auch durch die Schulleitungen auf der Demonstration vertreten waren. Denn auch er setzt auf Information und Bildung im Kampf gegen rechts, begrüßt es, dass das Thema Rechtsextremismus im Unterricht behandelt wird. "Wir müssen am Ball bleiben", fordert der Bürgermeister eine Auseinandersetzung über tagesaktuelle Anlässe hinaus. Am Ball bleiben will er auch gegen die Rechtsradikalen vom Winterberg: "Wir werden mit allen demokratischen Mitteln gegen diese Leute vorgehen", verspricht er. Haverbeck, Mahler und Konsorten schreibt er ins Stammbuch: "Ihr habt nirgendwo das Recht euren geistigen Müll zu verbeiten."
Solche Aussagen wollten die Verantwortlichen des Collegium Humanum im Vorfeld verhindern. Per einstweiliger Anordnung wollten sie Bernd Stute und der Landrätin Lieselore Curländer untersagen lassen, sich kritisch über das Collegium zu äußern, da sie damit die Neutralitätspflicht verletzen würden. Außerdem machte der Demonstrationsaufruf und das bekannt militante Spektrum von Ratsfraktionen, Kirche sowie Bildungs-und Kultureinrichtungen den Rechtsextremen offensichtlich Angst: Bei einem öffentlichen Aufruf zur Teilnahme an der geplanten Kundgebung sei mit Gewalttätigkeiten gegen die Mitglieder des Vereins zu rechnen, begründeten sie den Antrag auf einstweilige Anordnung.
Das Verwaltungsgericht Minden sah das anders und lehnte am Freitag den Antrag des Vereins, der – so das Gericht – "der rechtsradikalen Szene zugerechnet wird", ab. Der Bürgermeister und die Landrätin freuten sich über das Urteil: "Wir lassen uns den Mund nicht verbieten", kommentierte Bernd Stute den Ausgang der juristischen Auseinandersetzung.
Eine andere Form der Auseinandersetzung schienen nach dem Urteil Angehörige der rechtsradikalen Szene zu suchen. Am Freitagabend verteilten sie in Vlotho Flugblätter, in denen sie sich als missverstanden, ausgegrenzte Verkünder der Wahrheit gerierten. Am Samstag versammelten sich zum Start der Demonstration am Bahnhof Szeneangehörige an einer nahe gelegenen Tankstelle, bis die Polizei sie wegschickte.
Nach der Demonstration standen noch einige Antifaschistinnen und Antifaschisten zusammen und berieten, ob sie bereits am kommenden Wochenende die nächste Protestaktion gegen das Collegium Humanum durchführen werden. Denn dann findet wieder ein Seminar mit Horst Mahler auf dem Winterberg statt. Eine "Denkschule" will sich mit Hegels Ideen auseinandersetzen. Wie Mahler diese Ideen interpretiert, lässt sich am Text der Einladung erahnen. "Die Schule des Hegelschen Denkens ist in diesem Sinne unmittelbar Kriegstheater im Deutschen Befreiungskrieg gegen den Judengeist", heißt es da.
webwecker@aulbi.de
|