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Westfalen-Blatt , 31.01.2025 :

Bürger stehen plötzlich auf Antifa-Liste

Delbrücker erstatten Anzeige wegen Verleumdung - Staatsschutz Bielefeld übernimmt Ermittlungen

Von Kerstin Eigendorf

Delbrück. Im Internet kursiert eine 870 Seiten lange Liste mit Namen und Adressen angeblicher Antifa-Mitglieder. Auch in einer Delbrücker Facebook-Gruppe war plötzlich ein Auszug daraus aufgetaucht - mit Vornamen, Nachnamen und Adressen Delbrücker Bürger. Betroffene sind schockiert und haben Angst vor Angriffen Rechtsextremer, zwei erstatten Anzeige. Einige mussten sich erstmal erklären lassen, was die Antifa überhaupt ist.

"Als ich erfahren habe, dass ich auf dieser Liste stehe, bin ich aus allen Wolken gefallen", sagt eine der betroffenen Delbrückerinnen. Mit der Antifa habe sie in ihrem ganzen Leben noch nie etwas zu tun gehabt. Nachdem der erste Schreck verdaut war, folgte Wut. "Wieso stellt jemand einfach so eine Liste online, die in meinem Fall jeglicher Grundlage entbehrt?", fragt sie sich.

Die Liste mit den Adressen wurde diese Woche in der Facebook-Gruppe "Freie Meinung für Delbrück" mit den Worten "Schaut mal hier. Auch in Delbrück gibt es Antifa Mitglieder" gepostet.

"Das ist völliger Quatsch, ich fühle mich total an den Pranger gestellt", beschreibt eine weitere Betroffene ihre Gefühlslage. Sie sei Mutter zweier kleiner Kinder, und gerade in der aktuellen politisch aufgeheizten Lage mache ihr so etwas Angst. "Wer weiß, wer zum Beispiel aus dem extrem rechten Spektrum hier plötzlich vor meiner Tür steht?" Sie selbst sei nie Teil der Antifa gewesen, betont sie. Kurz nach der Veröffentlichung ihres Namens in der lokalen Gruppe sei in der Dämmerung ein Auto ganz langsam an ihrem Haus vorbeigefahren. "Da bekommt man automatisch Angst und fragt sich, wer jetzt alles diese Liste kennt", sagt die junge Frau. Sie fühle sich hilflos.

Ähnlich geht es anderen Betroffenen. "Nachts ging bei uns plötzlich unerwartet die Wärmepumpe an", erinnert sich eine Delbrückerin. Sie habe senkrecht im Bett gestanden und gedacht, es sei jemand im Garten.

Zwei Betroffene berichten, dass sie Anzeige wegen Verleumdung bei der Paderborner Polizei erstattet hätten. Die dortige Pressestelle bestätigt, dass mindestens eine Anzeige bereits im System zu finden sei. In solchen Fällen würden die Dokumente an den Staatsschutz weitergegeben. Zudem ist auch die Staatsanwaltschaft Paderborn inzwischen mit dem Fall vertraut. "Der Sachverhalt liegt derzeit der Abteilung für politische Straftaten zur Prüfung vor", teilte Oberstaatsanwalt Thomas Heinz mit.

Von den Delbrücker Adressen mit Namen, die gepostet wurden, sind nach Recherchen dieser Zeitung vor Ort zwei veraltet oder falsch. Zumindest wohnen diese Menschen nicht mehr an der angegebenen Adresse. Drei Adressen stimmen, wobei es sich bei einer Angabe um den Mädchennamen der Betroffenen handelt. Eine weitere Person ist in der Punker-Szene unterwegs, wohnt aber seit Jahren schon nicht mehr in Delbrück. Die Familie lebt aber an der angegebenen Adresse. Diese macht sich jetzt Sorgen um die demente Mutter, die von der Liste besser nichts erfahren soll, weil es sie in "ihrem gesundheitlichen Zustand völlig verängstigen würde". Die komplette Liste beinhaltet Namen und Adressen aus dem gesamten Bundesgebiet. Sie kursiert auf diversen Internet-Plattformen, vor allem auf TikTok. Dort taucht nicht nur Delbrück auf. Zahlreiche persönliche Daten aus Kommunen in Ostwestfalen-Lippe sind zu finden, von Paderborn über Bielefeld und Gütersloh bis Herford und Halle.

Es wird vermutet, dass die Liste das Resultat eines Hacker-Angriffs auf einen Versandhandel ist. Sie soll bereits seit Jahren im Umlauf sein.

Diese Zeitung hat sich mit demjenigen in Verbindung gesetzt, der die Liste in die Facebook-Gruppe gestellt hat. "Ich fand es interessant und habe nebenbei einen Screenshot gemacht", erzählt er. Es sei schließlich eine öffentliche Liste, und er habe keinen Unterschied gesehen zu der eines Fußballvereins, die man online stelle. "Ich habe ja nicht gesagt, dass die böse sind." Geprüft habe er die Angaben nicht.

Mit den Recherche-Ergebnissen konfrontiert räumt der Mann ein, dass das ein Fehler gewesen sei und es ihm leid tue. Er löschte den Post und veröffentlichte eine Entschuldigung. "Falls ich jemanden damit diskreditiert habe, möchte ich mich hiermit entschuldigen." Er habe erst im Nachgang erfahren, dass die Liste nicht echt zu sein scheine.

Zuvor hatte eine betroffene Person bereits Facebook kontaktiert. Auf die Bitte, den Post zu löschen, kam die Antwort: "Es ist für uns nicht ersichtlich, dass der von Ihnen gemeldete Inhalt rechtswidrig ist." Diese Entscheidung könne aber vor Gericht angefochten werden.

Der Staatsschutz Bielefeld hat die Ermittlungen übernommen. "Das Veröffentlichen persönlicher Informationen bzw. personenbezogener Daten durch Dritte ohne Kenntnis oder Einwilligung der betroffenen Personen wird als Doxing bezeichnet", erläutert der Staatsschutz auf Anfrage dieser Zeitung. Dabei würden häufig - zumeist über Social-Media-Kanäle - auch Informationen verbreitet, die bereits öffentlich verfügbar seien. Laut Staatsschutz kann "die Tathandlung nach § 126a StGB - Gefährdendes Verbreiten personenbezogener Daten - strafbar sein".

Wer online Kommentare zu der Liste liest wie "ein fröhliches Jagen und Weidmanns Heil", kann erahnen, was es mit Menschen machen kann, die mit ihrem Namen auf dieser Liste stehen.

Bildunterschrift: Auch in einer Delbrücker Facebook-Gruppe wurde eine Liste mit angeblichen Antifa-Mitgliedern aus Delbrück veröffentlicht. Zwei Betroffene erstatteten Anzeige.

Antifa - was bedeutet das eigentlich?

Antifa ist die Kurzform für "Antifaschistische Aktion". Es gibt viele lose verbundene linke oder teilweise linksextreme Gruppen, die sich so nennen, aber nicht zentral organisiert sind. Sie alle eint der Widerstand gegen alles, was sie als faschistisch ansehen. Das reicht von Neonazismus bis hin zu Vorfällen, die sie als kapitalistisch oder sozial ungerecht empfinden.

Die Methoden der Antifa sind umstritten. Manche bezeichnen sie als legitimen Widerstand gegen Rechtsextreme. Andere kritisieren ihre Aktionen in Teilen als aggressiv und halten sie für gefährlich. Einige Antifa-Gruppen heben sich bewusst ab und bezeichnen sich als militant und autonom. So unterschiedlich die Ausrichtung der Gruppen innerhalb der Antifa sind, so groß ist auch das Spektrum ihrer Aktionen. Völlig gewaltfreies Handeln gehört ebenso dazu wie Sitzblockaden, ziviler Ungehorsam, aber auch Sachbeschädigung oder körperliche Gewalt.

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Am 30. Januar 2025 schrieb Ralf Pohl (Admin der rechten "Facebook"-Seite "Freie Meinung für Delbrück"), er habe, "eine Liste mit angeblichen Antifa Mitgliedern hier gepostet, ohne das wirklich geprüft zu haben".

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