3 Artikel ,
18.01.2025 :
Pressespiegel überregional
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Übersicht:
Westdeutscher Rundfunk Köln, 18.01.2025:
Wie Neonazis aus NRW rechtsextreme Strukturen in Ostdeutschland ausbauen
die tageszeitung Online, 18.01.2025:
Bundeskongress der Jungen Alternative / "Apolda soll nicht Geburtsort der Patriotischen Jugend sein"
Deutschlandfunk, 18.01.2025:
Kommentar / Die Tarn-Phase der AfD ist vorbei
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Westdeutscher Rundfunk Köln, 18.01.2025:
Wie Neonazis aus NRW rechtsextreme Strukturen in Ostdeutschland ausbauen
Führende Dortmunder Neonazis haben in den vergangenen Jahren NRW verlassen und sind nach Sachsen und Sachsen-Anhalt gezogen. MDR- und WDR-Recherchen zeigen, wie sie dort ihre Ideologie weiterführen und neue rechtsextreme Strukturen entstehen.
Darum geht es in diesem Beitrag:
Dortmund: Besuch von alten Führungskadern
Chemnitz: Ein Rechtsextremist im Ortschaftsrat
Halberstadt: Ein Gefährder stärkt die Szene
Rechtsextreme Jugendkultur entwickelt sich
Autoren und Recherche: Christof Voigt, David Peters, Dina Dada (WDR) und Edgar Lopez (MDR)
Redaktion: Philipp Blanke, Raimund Groß (WDR) und Monique Junker (MDR)
Dortmund: Besuch von alten Führungskadern
"Die rechte Szene in Dortmund ist zerschlagen." Das schreibt die Dortmunder Polizei in einer Pressemitteilung am 18. November 2024. Führungspersonen seien "aus Dortmund abgewandert." Die Mobilisierung zu Demos sei in 2024 "so gering wie nie zuvor" gewesen. Dabei galt Dortmund bundesweit als eine Hochburg der rechtsextremen Szene.
Elf Tage später stehen wir auf dem Wilhelmplatz in Dortmund-Dorstfeld. Es ist ein trister Abend, zwei Grad, nasskalt. Und vor uns stehen etwa 50 Neonazis. Es ist die erste wahrnehmbare rechtsextreme Kundgebung in Dortmund seit Monaten. Die überschaubare Gruppe hat sich im Halbkreis um einen Lautsprecherwagen gestellt. Ein paar halten schwarz-weiß-rote Fahnen vor sich, die haben sie sich vorher am Lautsprecherwagen abgeholt. Wir schauen in viele junge Gesichter, manche hier scheinen zum ersten Mal auf so einer Kundgebung zu sein.
Vor dem Wagen steht Sven Skoda, seit mehr als zwei Jahrzehnten in der rechtsextremen Szene Nordrhein-Westfalens verwurzelt und schon seit Jahren in Dortmund aktiv. Nach dem Abgang führender Neonazi-Kader aus Dortmund ist Skoda in die erste Reihe gerückt. Er teilt sich die Führungsrolle jetzt offensichtlich mit dem mehrfach vorbestraften Sascha Krolzig. Der kommt ursprünglich aus Hamm, ist aber wie Skoda schon seit vielen Jahren in der Dortmunder Neonazi-Szene unterwegs.
Heute Abend sind sie hier, um der Dortmunder Polizei zu zeigen: Wir sind nicht zerschlagen. Es gibt noch eine Nazi-Szene in Dortmund.
"Dieser Staat ist mein Feind"
Sven Skoda steht mit einem Mikrofon vor dem Lautsprecherwagen, einem älteren, silbernen Transporter. Gleich zu Beginn seiner Rede sagt er, dass es richtig sei, dass die Szene im vergangenen Jahr kaum in Erscheinung getreten sei. Aber man habe die Zeit genutzt, um junge Menschen anzusprechen. Skoda ist sich sicher: "Dass es eine Jugend gibt, die genau in diesem Geist aufwachsen wird. Eine Jugend, die erkennt: Dieser Staat ist mein Feind. Dieser Staat kämpft gegen mich. Dieser Staat kämpft gegen sein eigenes Volk."
Und der Rechtsextremist hat noch eine Botschaft, die sich an die Dortmunder Polizei richtet: "Wir sind nicht schwächer geworden. Wir haben das Revier vergrößert. Wir sind mehr geworden. Und wir werden uns mit Sicherheit nicht von irgendwem vorschreiben lassen, was wir zu denken, was wir zu fühlen und was wir zu handeln haben. Das entscheiden wir alleine. Hier, in Halberstadt, in Chemnitz und überall in Deutschland."
Wer hat Recht? Die Dortmunder Polizei, wenn sie schreibt, die rechte Szene sei zerschlagen oder der bekennende Rechtsextremist und Feind der Demokratie, der behauptet, die Szene sei stärker geworden und habe sich besser vernetzt. Und wieso nennt der Dortmunder Neonazi ausgerechnet die Städte Chemnitz in Sachsen und Halberstadt in Sachsen-Anhalt?
Am 14. Dezember, nur zwei Wochen später ist die Dortmunder Neonazi-Szene wieder auf der Straße. Sie hat eine Demonstration angemeldet. Etwa 150 Rechtsextreme versammeln sich am Nordausgang des Dortmunder Hauptbahnhofs. Einige Teilnehmer nehmen das mit der Jugend ziemlich genau und bringen ihre Kinder mit auf die Neonazi-Demo. Hier sind aber nicht nur Dortmunder Neonazis unterwegs. Knapp die Hälfte der Teilnehmer sei aus dem Bundesgebiet angereist, teilt die Polizei später mit. Darunter auch alte Bekannte aus Chemnitz und Halberstadt.
Kurzzeitige Rückkehr alter Bekannter
Aus Chemnitz ist Michael Brück angereist, aus Halberstadt Alexander Deptolla. Beide haben lange Zeit Führungspositionen in der rechtsextremen Szene in Dortmund eingenommen. Sie sind dort schon als Teenager eingestiegen und haben in ihrer Zeit in Dortmund ein großes, bundes- und europaweites Netzwerk aufgebaut.
Ende 2020 ist Michael Brück (35) dann nach Chemnitz gegangen und hat sich dort Anfang 2021 der rechtsextremen Partei Freie Sachsen angeschlossen. Alexander Deptolla (41) ist knapp zwei Jahre später nach Halberstadt in Sachsen-Anhalt gegangen, einer Stadt mit 42.680 Einwohnern im Landkreis Harz.
Deptolla ist auf der Demo in Dortmund heute als Ordner unterwegs. Zeigt den Teilnehmern, wie sie sich aufstellen sollen, wie sie die Plakate und schwarz-weiß-roten Flaggen zu halten haben, die auch heute wieder aus dem silbernen Transporter der Dortmunder Nazis verteilt werden.
Er macht das, was er über Jahre hier gemacht hat. Dieses Know-how wird Sachsen-Anhalt in ein paar Tagen die größte rechtsextreme Demonstration des Jahres bescheren, in Magdeburg, aus traurigem Anlass. Dazu später mehr.
Michael Brück lebt jetzt in Chemnitz und arbeitet dort in der Kanzlei des rechtsextremen Rechtsanwaltes und Vorsitzenden der Partei Freie Sachsen Martin Kohlmann. Brück ist für die Demonstration nach Dortmund gereist.
Vor Beginn der Veranstaltung können wir mit ihm sprechen. Er sagt uns, dass er nach Chemnitz gegangen sei, um dort "politisch ein paar andere Konzepte" aufzuschlagen. Westdeutschland sei für seine Idee des völkischen Nationalismus verloren. Brück: "Für meine persönliche Arbeit. Die seh` ich woanders doch deutlich mehr verwirklicht und denke, dass meine Arbeit dort auch mehr Früchte trägt."
Die Freien Sachsen seien für Brück eine Chance gewesen, sagt er: "Die Freien Sachsen sind durch Corona-Proteste groß geworden und das war natürlich ein Möglichkeitsfenster, was sich da geöffnet hat. Natürlich hat man vieles von dem, was man in Dortmund im alltäglichen Polit-Geschäft gelernt hat, auch übernehmen können. Das ist ja immer so. Man kann aus Dingen lernen und sie auch verbessern und auf Dingen aufbauen."
Der sächsische Verfassungsschutz bezeichnet die Freien Sachsen als "eine als Partei organisierte Gruppierung von Neonationalsozialisten." Die Idee eines "Säxit", also eines Austritts Sachsens aus der Bundesrepublik sei verfassungsfeindlich. Zudem richte sie sich gegen die Menschenwürde, weil Geflüchtete pauschal als "Kriminelle" bezeichnet würden.
Was er in Chemnitz vor hat, hat Brück in einem Buch beschrieben, dass er 2024 veröffentlich hat. Es trägt den martialischen Titel "Kampf um Dortmund". Das Parteien-Label solle nur noch als "juristisches Gerüst im Hintergrund dienen", nach außen solle man als Bürgerbewegung auftreten, sich als Kümmerer geben, etwa bei Themen wie "Ausländerkriminalität" oder "Sicherheit". Brück schreibt: "Das Ziel sollte sein, aus einem festen Kreis heraus an immer neuen, anlassbezogen Projekten zu arbeiten, mit denen wir in die Stadtteile hineinwirken könnten."
Chemnitz: Ein Rechtsextremist im Ortschaftsrat
Was genau macht Michael Brück jetzt bei den Freien Sachsen? Wie kann er dort umsetzen, was in NRW in die gesellschaftliche und politische Isolation geführt hat? Wir machen uns auf den Weg nach Sachsen.
Im Rahmen der Recherche haben wir auch mit Johannes Kieß gesprochen. Kieß ist stellvertretender Direktor des Else-Frenkel-Brunswik-Institutes für Demokratieforschung an der Universität Leipzig und verfolgt die Entwicklung der Freien Sachsen seit ihrer Gründung im Februar 2021.
"Die Freien Sachsen sind eine Kaderpartei, das heißt, sie bestehen aus einer relativ kleinen Personenzahl, die alle ganz klar geschulte Aktivisten sind. Die seit Jahren, Jahrzehnten teilweise, nichts anderes machen, als eben neonazistische, rechtsextreme Aktivitäten, Aktionen durchzuführen."
"Und Michael Brück ist eines der Paradebeispiele des bundesdeutschen Rechtsextremismus."
Soziologe Johannes Kieß
Und auch den Werdegang von Brück bei den Freien Sachsen hat Kieß verfolgt: "Seine Rolle ist es tatsächlich Aktivist mit Leib und Seele zu sein, also in der Corona-Demo-Zeit, ist der von Demo zu Demo gereist, die ganze Zeit unterwegs, hat dort gefilmt und über Telegram wurde das dann weiterverbreitet."
Freie Sachsen fluten das Bundesland mit Demonstrationen
Im Jahr 2024 hat sich Brück bei den Freien Sachsen vor allem um den Wahlkampf gekümmert, zur Kommunal- und zur Landtagswahl. Und Brück und die Freien Sachsen machen offensichtlich das, was Brück in Dortmund gelernt hat. Sie gehen auf die Straße. Die rechtsextreme Partei flutet das Bundesland geradezu mit Veranstaltungen. Von Januar bis Oktober listet das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz 302 Demonstrationen und Kundgebungen der Freien Sachsen auf. Mal so, wie es Brück in seinem Buch beschrieben hat, also "anlassbezogen":
Mal geht es gegen ein Flüchtlingsheim in Brand-Erbisdorf. Mal gegen die Bundesrepublik und für den "Säxit" bei einer Demonstration in Chemnitz. Und mal gegen fast alles, wie beim Montagsprotest in Freiberg.
"Ganz zentrales Motiv im Kommunalwahlkampf und auch von Akteuren wie Michael Brück ist Widerstand. Widerstand gegen das System, Widerstand gegen die Corona-Maßnahmen, Widerstand gegen Krieg, gegen alles", sagt der Politologe und Soziologe Johannes Kiess.
Der Kommunalwahlkampf sei trotz des hohen Aufwands eher mäßig erfolgreich gewesen. In ganz Sachsen hat die Partei am Ende knapp über zwei Prozent gelegen: "Also es gab um die 90 Mandate, das ist wirklich minimal. Aber sie haben natürlich schon punktuell Zugang zu Informationen über (ihre eigenen, Anm. Red) Stadträte: Wo wird das nächste Geflüchteten-Heim errichtet? Welche Umgehungsstraße ist gerade umstritten, und da kann man natürlich immer wieder versuchen, dann zu mobilisieren."
Für den Rechtsextremisten Brück hat sich der Wahlkampf gelohnt. Er ist in Chemnitz-Röhrsdorf angetreten und hat nach der CDU und der Freien Wählervereinigung Röhrsdorf das drittbeste Ergebnis geholt. Jetzt sitzt der Neonazi mit 13,27 Prozent der Stimmen im Ortschaftsrat.
Wir fahren nach Chemnitz. Es ist Abend, der erste Montag des Jahres. Und wie an jedem Montag rufen die Freien Sachsen zu so genannten "Montagsspaziergängen" auf. In dutzenden Orten, in Dresden, Chemnitz oder Burgstädt. Wir schauen uns den Beginn der Kundgebung in Chemnitz an. In der Nähe des riesigen Karl-Marx-Monuments wird gerade ein Infostand der Freien Sachsen aufgebaut.
Es sind vor dem offiziellen Beginn nur eine Handvoll Menschen am Treffpunkt. Da kommt uns Michael Brück entgegen. Wir begrüßen uns. Brück sagt, dass er hier nur kurz vorbeischauen wolle und dann später raus nach Burgstädt fahren will. Der kleine Ort liegt etwa 15 Kilometer vor Chemnitz und da wollen wir auch hin. Denn in Burgstädt wird heute Martin Kohlmann auftreten, Brücks Arbeitgeber in Chemnitz und Gründungsvorsitzender der Freien Sachsen.
Als wir eine Stunde später in Burgstädt ankommen, ist Martin Kohlmann noch nicht da. Wir sprechen mit dem Einsatzleiter der Polizei. Mehrere Einsatzwagen der Polizei stehen neben einem Infostand der Freien Sachsen. Der Einsatzleiter erklärt uns, dass der "Montagsspaziergang", zu dem die Freien Sachsen auf einem Telegram-Kanal aufrufen, zwei Straßen weiter beginnt. Dieser "Spaziergang" werde von der Polizei aber nicht als Versammlung gewertet und lediglich von einem Streifenwagen begleitet. Die Menschen würden sich da eher spontan versammeln.
Als wir zu dem kleinen Platz gehen, den uns der Polizist genannt hat, trifft sich da niemand spontan. Nach und nach kommen die Teilnehmer an, werden mit Autos vorgefahren, jeder zweite trägt eine Landesfahne Sachsens, einer eine Russland-Flagge, auf manchen Fahnen flattert eine Friedenstaube.
Brück und Kohlmann sind nicht dabei, als es um Punkt 19 Uhr losgeht. Etwa 60 Menschen sind jetzt zusammengekommen. Einer von ihnen bläst in eine Art Horn, dann gehen sie los. Und kommen keine zehn Minuten später am Infostand der Freien Sachsen an.
Verfassungsfeinde wollen in die Parlamente
Hier stehen jetzt auch Rechtsanwalt Kohlmann und sein Angestellter Michael Brück. Kohlmann hält eine Rede, in der er resümiert, dass es den Widerstand der Freien Sachsen vielleicht irgendwann nicht mehr brauche, dann, wenn die AfD noch mehr Positionen von ihnen übernehmen würde. Wir sprechen ihn nach seiner Rede an.
Kohlmann war in der Vergangenheit immer wieder in rechten Parteien aktiv und bezeichnet sich selbst als Staatsgegner: "Also Libertärer würde man in Amerika sagen, hier ist es der Begriff nicht so bekannt. Aber ja, also ich finde, der Staat macht mehr Probleme als er löst." Und was wäre für ihn eine Alternative? Kohlmann: "Also eine Privatrechtsgesellschaft. Na, wo wir uns selber aushandeln, wie wir mit wem zusammenleben wollen."
Auf unsere Nachfrage, dass das separatistisch sei, antwortet er: "Das haben Sie ganz gut zusammengefasst." Wir wüssten ja, dass die Freien Sachsen auch den "Säxit" fordern. Wir wollen wissen, wieso die Freien Sachsen dann überhaupt als Partei an Wahlen teilnehme, sich am demokratischen System beteilige? Kohlmann lächelt etwas verächtlich: "Erstens machen wir da mit, um Erfahrungen zu sammeln. Eine Rumpf-Verwaltung auf kommunaler Ebene wird natürlich auch in einem freiheitlicheren Gemeinwesen noch existieren. Und da braucht man Erfahrung."
Kohlmann und die Freien Sachsen wollen also das System überwinden, indem sie erstmal mitspielen: "Man ist ja gezwungen mitzuspielen. Also wenn ich in einen Laden gehe, dann zahle ich Mehrwertsteuer, ob ich das möchte oder nicht. Das hindert aber nicht daran, dass man hier erstmal versucht, das Beste rauszuholen."
Hat er Brück dafür auch nach Chemnitz geholt? Das sei eher Zufall gewesen sagt Kohlmann, aber: "Gutes Personal ist immer schwer zu finden. Und da freut man sich natürlich, wenn jemand kommt, der also Ahnung von Juristerei hat. Speziell für die Kanzlei ist es also eine wichtige Sache. Und ja, natürlich organisatorische Erfahrungen, da freut sich jeder Unternehmer."
Michael Brück steht während des Interviews neben uns. Wir fragen ihn, wie er seinen Erfolg bei der Kommunalwahl im Sommer 2024 einschätzt: "Das lag natürlich auch daran, dass zu dem Ortschaftsrat die AfD nicht mit angetreten ist und das Rechtswähler-Potenzial sich doch zu einem großen Teil auf mich dann ausgewirkt hat." Sein Mandat im Ortschaftsrat von Röhrsdorf sei nur ein Teil seiner politischen Arbeit, sagt Brück: "Also ich unterstütze natürlich die Freien Sachsen. Da gibt es regelmäßige Proteste, es müssen Podeste geplant werden. Es muss Öffentlichkeitsarbeit organisiert werden."
Trotzdem macht Brück im Ortschaftsrat von Röhrsdorf auch das, was sein Chef Martin Kohlmann "Erfahrung sammeln" nennt. Auch wenn es laut Brück hier nicht um die ganz großen Themen geht: "Da geht es darum, wenn da der Wasserspiegel mal wieder nach einem Regenfall zu hoch ist, der Gulli-Deckel nicht funktioniert oder so. Da arbeiten natürlich alle zusammen. Es gibt da dieses Partei-Denken überhaupt nicht." Ist das so? Wird Brück im Ortschaftsrat von Röhrsdorf als Rechtsextremist nicht politisch isoliert, wie er das in Dortmund war?
Keine Brandmauer gegen Rechtsextremisten
Am nächsten Tag sind wir mit Thomas Trost (CDU), seit vergangenem Jahr Ortsvorsteher von Röhrsdorf, verabredet. Wir treffen ihn im Rathaus der 2.700-Einwohner-Gemeinde und gehen zusammen in den kleinen Sitzungssaal. Hier sitzt der CDU-Politiker, der 2006 aus Thüringen nach Sachsen gekommen ist, jetzt also gemeinsam mit dem Neonazi Michael Brück. Und wie gehen sie hier mit ihm um?
Trost sagt: "Klar, wir kennen die Hintergründe. Er ist zugelassen worden, er ist gewählt worden, er ist bestätigt worden, er ist ernannt worden als Ortschaftsrat. Und ja, somit können wir ihm ja die Tür nicht zumachen." Klar sei er überrascht gewesen, dass Brück, den im Ort kaum jemand kenne, so viele Stimmen geholt hat, dass es für das drittbeste Ergebnis gereicht hat. Bislang sei Brück aber noch nicht aufgefallen, habe keine Anträge gestellt, sich bei den meisten Abstimmungen enthalten.
Trost beschreibt ein mulmiges Gefühl, wenn Brück ihm am Tisch des Ratssaales gegenübersitze. Aber: "Ich habe mir im Vorfeld auch meine Gedanken gemacht, ob man ihn, ich sage mal ausgrenzen sollte oder wie es so schön in den Medien heißt: eine Brandmauern ziehen et cetera. Das wollte ich von vornherein nicht, dass man ihn komplett ausschließt. Weil, ich sage mal, er hat fast 600 Stimmen von den Röhrsdorfern gekriegt. Und da muss man ihn einfach auch erst einmal ankommen lassen."
"Natürlich", ergänzt Thomas Trost, "wenn es dann mal drauf ankommt und er eine gewisse Meinung vertritt, mit der alle anderen nichts anfangen können, dann werden wir da natürlich dagegen steuern."
Wir verlassen Röhrsdorf. Hängen bleibt vor allem: Hier will man einen bekennenden Rechtsextremisten erst mal ankommen lassen. Wir wollen später vom Soziologen Johannes Kieß wissen, ob das der richtige Umgang ist: "Gerade bei Personen, wie Brück, wo klar ist, woher sie kommen, dass sie eben aus dem Neonazi-Spektrum kommen, dass sie ganz klare, knallharte und auch brutale Ideologie vertreten. Da dann keine Brandmauer zu setzen, ist eigentlich dem auf den Leim gehen, obwohl es so offensichtlich ist, gerade bei einem Akteur wie Brück."
Halberstadt: Ein Gefährder stärkt die Szene
Eine früher führende Figur der Dortmunder Rechtsextremisten ist offenbar im politischen System in Sachsen angekommen. Ein weiterer ehemals in Dortmund tätiger Neonazi verfolgt eine andere Strategie: Alexander Deptolla.
Der ist unter anderem Organisator des rechtsextremen Kampfsport-Events "Kampf der Nibelungen". Neben Brück galt er früher in Dortmund als einer der führenden Köpfe der Szene. Er ist gemeinsam mit vier anderen Neonazis von Nordrhein-Westfalen nach Sachsen-Anhalt gegangen. Wir fahren also von Chemnitz knapp 250 Kilometer nach Halberstadt.
"Wir haben eine verstärkte Bedrohung. Also vor ein paar Monaten wurde uns virtuell, im Online-Bereich in Kommentarspalten, gedroht, die Zora anzuzünden und Zitat: das Gesindel in der Zora anzuzünden. Wir hatten in den letzten Wochen und Monaten hier sehr viele Vorfälle: Hakenkreuz-Schmierereien an den Außenmauern oder es wurde quasi dazu aufgestachelt und angestiftet, uns anzugreifen. Daraufhin kam es dann auch verstärkt zu diesen Neonazi-Schmierereien. Mitten am Tag ausgeübt, wahrscheinlich von sehr jungen Jugendlichen."
Das sagt Robert Fietzke. Er leitet das soziokulturelle Zentrum "Zora" in Halberstadt. Diese Drohungen und Schmierereien sind nicht Deptolla oder anderen ehemaligen Dortmunder Neonazis zuzuordnen. Seitdem die nach Halberstadt gezogen sind, hätten die Neonazi-Aktivitäten hier aber wieder deutlich zugenommen, erzählt Fietzke.
Besonders große Sorgen bereitet dem Sozialpädagogen, dass die Rechtsextremen verstärkt Jugendliche ansprechen: "Man kann schon sagen, dass es ein Professionalisierungsschub gibt und dass hier offenbar auch sehr gut im Jugendbereich rekrutiert wird. Also schon bei 13- bis 14-Jährigen wird hier verstärkt mobilisiert und die Radikalisierung schreitet voran."
In Halberstadt nehmen die Bedrohungen zu
Die rechtsextreme Szene in Halberstadt wachse wieder, sagt Fietzke. Es sei eine neue Bedrohungslage für Menschen zu spüren, die nicht in das Weltbild von Neonazis passe: "Die Bedrohungslage etwa gegen nicht-rechte Jugendliche hat massiv zugenommen. Das wird uns überall berichtet, aus vielen Schulen, gerade auch im Jugendbereich."
Vor kurzem hat Alexander Deptolla in einem Sozialen Netzwerk angeboten, die Zora "bei Gelegenheit mal" persönlich zu besuchen. Deptolla wird als einer der bundesweit 72 rechtsextremistischen Gefährder geführt. Das Bundeskriminalamt bezeichnet Personen als Gefährder, bei denen davon auszugehen ist, dass sie erhebliche politische Straftaten begehen könnten.
Für Fietzke ist das Angebot von Deptolla kein ernst gemeintes Dialog-Angebot, sondern eine ernstzunehmende Bedrohung: "Solche Akteure machen sich natürlich nicht selbst die Hände schmutzig, sondern versuchen, über Kommunikationsmethoden im virtuellen Raum über Telegram-Gruppen ihre Anhänger aufzuwiegeln, damit Sie jemanden finden, der bestimmte Taten ausführt."
Wir wollen vom Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt wissen, wie sie Alexander Deptolla und das Erstarken der rechten Szene in Halberstadt bewerten. Man sei mit den Sicherheitsbehörden in Nordrhein-Westfalen im Austausch und habe die Situation im Harz im Blick. Deptolla habe sich in kürzester Zeit zu einem führenden Kopf der Szene dort entwickelt:
"Die zwischenzeitlich orientierungslose rechtsextremistische Szene im Landkreis Harz reorganisiert sich unter der Führung des bundesweit bekannten Neonazis Alexander Deptolla. Auf Grund seiner von der Szene wahrgenommen Führungs- und Organisationsbemühungen wird sich die strukturelle Stärke der Szene erhöhen", schreibt uns der Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt.
Teile der rechtsextremistischen Szene würden eine "gezielte Ansiedlung in eher ländlichen Räumen Ostdeutschlands" propagieren, weil die Rahmenbedingungen für die eigenen Szene-Aktivitäten als "vergleichsweise günstig betrachtet" würden.
Nicht mal zehn Auto-Minuten entfernt von dem Jugendzentrum Zora sind die Geschäftsräume von Alexander Deptollas Druckerei. Hier wollen wir Alexander Deptolla, der europaweit in militanten Neonazi-Strukturen vernetzt ist, nach seinem Umzug nach Halberstadt und seinen Aktivitäten hier fragen.
Als wir ihn am neuen Sitz seiner Firma, öffnet er zwar die Tür, will aber nicht mit uns reden. Er sagt, das sei privat, er wolle auch nicht, dass dort gefilmt werde.
Welches Mobilisierungspotential Deptolla in kurzer Zeit in Sachsen-Anhalt entwickelt hat, zeigte sich am 21. Dezember 2024 in Magdeburg. Einen Tag nach dem fürchterlichen Anschlag auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt, bei dem sechs Menschen getötet und Hunderte verletzt wurden. Deptolla meldete dort eine Demonstration an, trommelte dafür in Sozialen Netzwerken, mehr als 3.000 Rechtsextremisten folgten seinem Aufruf.
Auch Neonazis aus Dortmund. Sie waren mit dem silbernen Transporter, der auch auf den Demonstrationen in Dortmund war, angereist und organisieren die Demonstration gemeinsam mit Deptolla. Der Transporter der Dortmunder Szene dient als Lautsprecherwagen. Hier kommen die Szenen zusammen. Das Netzwerk der Rechtsextremisten funktioniert. Das war bereits am 14. Dezember in Dortmund zu sehen, als Michael Brück und Alexander Deptolla die Demonstration ihrer alten politischen Heimat besuchten.
Rechtsextreme Jugendkultur entwickelt sich
Und was bedeutet diese Vernetzung für die Dortmunder Szene? Gelingt es der Szene auch in Dortmund junge Menschen anzusprechen, wie in Halberstadt? Oder der Weg in die Kommunalpolitik wie in Chemnitz? Oder ist die Szene in Dortmund wirklich zerschlagen? Professor Dierk Borstel von der Dortmunder Fachhochschule hat die Szene hier, aber auch in Ostdeutschland, schon seit mehr als zwei Jahrzehnten im Blick.
Die Dortmunder Szene sei nicht zerschlagen, aber massiv geschwächt, sagt der Szene-Kenner: "Es stimmt, dass einige Führungspersonen abgewandert sind, nach Chemnitz und in den Harz. Einige sind auch von der Bildfläche verschwunden. Allerdings die Aussage, dass die Szene zerschlagen sei, die halte ich für sehr optimistisch. Dagegen sprechen halt die sich neu bildenden Jugendkulturen."
Auch in Dortmund sei das verstärkte Bemühen der Szenen um Jugendliche spürbar: "Es gibt Hinweise aus dem Bereich der Jugendarbeit, die wieder vermehrt rechtsextreme Einstellungen bei ihren Jugendlichen beobachten. Deswegen ist es ernst zu nehmen."
Bisher sei es der rechtsextremen Szene in NRW aber nicht gelungen, so etwas wie einen "strategischen Kopf" zu finden, dem es gelungen sei, Jugendliche zu binden. Borstel: "Davon sind sie noch weit entfernt. Aber trotzdem gibt es keinen Grund, sich zurückzulehnen, weil das Potenzial, das ist weiterhin vorhanden."
In Dortmund gibt es noch keine Entwarnung
Eine Einschätzung, die die Dortmunder Polizei teilt. Wir sind mit dem Dortmunder Polizeipräsidenten Gregor Lange verabredet. Es ist das letzte Interview, das wir für diese Reportage führen. Und das Thema ist bei der Dortmunder Polizei "Chefsache". Vor zwölf Jahren hat die Behörde von Lange eine "Taskforce Rechts" mit mehr als 50 Beamten und Beamtinnen gegründet, die Szene mit einem hohen Strafverfolgungsdruck permanent gestresst. Etwa mit umfangreichen Demonstrationsauflagen.
Kann man heute wirklich sagen, die Szene sei zerschlagen? Gregor Lange muss nicht lange nachdenken: "Wenn ich sage, dass die Szene zerschlagen ist, dann heißt das nicht, dass es keine Rechtsextremisten mehr in Dortmund gibt. Sondern das heißt: eine hartnäckige, organisierte Neonazi-Szene, eine Kameradschafts-Szene, die von hier aus bundesweit Furore gemacht hat, diese Szene konnte zerschlagen werden."
Lange ist es wichtig zu betonen, dass das vor allem dank einer "intensiven Zusammenarbeit aus Zivilgesellschaft, Stadt, Dortmund und Polizei" gelungen sei: "Führende Kader der rechten Szene, der Neonazi-Szene haben Dortmund verlassen. Viele sind in Haft gekommen. Wir haben unsere rechtlichen Möglichkeiten da, wo wir können und rechtsstaatlich auch dazu befugt sind, im Versammlungsrecht, aber eben auch bei der Frage der Strafverfolgung sehr klug und gut nutzen können."
Aber Lange weiß auch, dass es keinen Grund zur Entwarnung gibt. Die Entwicklungen in Sachsen oder Sachsen-Anhalt machen auch dem Dortmunder Polizeipräsidenten große Sorgen: "Die Personen sind nicht weg, sie machen weiter. Sie sind nicht von ihren politischen Absichten losgekommen, sondern sie haben sich in anderen Bundesländern ansässig gemacht und tun da leider inzwischen das, was sie in Dortmund in der Vergangenheit getan haben."
Und was sagt er zu den Versuchen Dortmunder Neonazis gerade junge Menschen an die Szene heranzuführen? "Wir wissen, dass es Versuche gibt, auch die "Jungen Nationalisten" hier anzusiedeln, die Jugendorganisation der Partei "Die Heimat". Die versuchen hier einen Standort hochzuziehen. Wir achten sehr genau darauf, wer hier in Dortmund aufläuft."
Und die vielen neuen und jungen Gesichter auf den Demos im Dezember. Die habe man auch registriert. Und angefangen, Gespräche mit den Erziehungsberechtigten zu führen. Danach seien diese Jugendlichen nicht mehr bei Veranstaltungen in Dortmund gesehen worden, sagt der Polizeipräsident.
Gänzlich zerschlagen ist die Szene in Dortmund also nicht, sie existiert weiter. Und auch in Chemnitz geht es weiter. Die Stadt feiert die Eröffnung der Kulturhauptstadt Europas 2025. Dagegen hatten die Freien Sachsen rund um Michael Brück Proteste für Samstag den 18. Januar angekündigt. Sie wollten die Eröffnungsfeier damit stören.
Auch in Halberstadt beruhigt sich die rechtsextreme Szene nicht, aber: Hier entsteht derzeit ein Bündnis, eine zivilgesellschaftliche Gegenbewegung, aus Stadt, Parteien und auch dem Jugendzentrum Zora. Sie wollen den Rechtsextremisten nicht die Stadt überlassen.
Unsere Quellen
WDR-Reporter vor Ort in Chemnitz, Halberstadt, Burgstädt und Röhrsdorf
Polizei Dortmund
Gespräche mit Michael Brück
Buch von Michael Brück "Kampf um Dortmund"
Gespräch mit Johannes Kieß
Verfassungsschutz Sachsen
Polizei Chemnitz
Gespräch mit Martin Kohlmann
Gespräch mit Thomas Trost
Gespräch mit Robert Fietzke
Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt
Gespräch mit Dierk Borstel
Bildunterschrift: Eine Neonazi-Demonstration in Dortmund-Dorstfeld im November 2024.
Bildunterschrift: Sven Skoda spricht auf einer Neonazi-Demonstration in Dortmund im November.
Bildunterschrift: Alexander Deptolla (mit weißer Ordnerbinde), Sven Skoda und Michael Brück.
Bildunterschrift: Johannes Kieß beobachtet die Freien Sachsen seit ihrer Gründung.
Bildunterschrift: Auftritte von Michael Brück in Sachsen. Bei diesen Demonstrationen der Freien Sachsen ist Michael Brück 2024 als Redner aufgetreten.
Bildunterschrift: Brücks Partei hat das drittbeste Wahlergebnis in Röhrsdorf erzielt.
Bildunterschrift: Ein so genannter "Montagsspaziergang" in Burgstädt.
Bildunterschrift: Martin Kohlmann ist Vorsitzender der Partei Freie Sachsen.
Bildunterschrift: Michael Brück als Redner bei einer Neonazi-Demonstration in Chemnitz 2019.
Bildunterschrift: Thomas Trost (CDU) ist Ortsvorsteher im Chemnitzer Stadtteil Röhrsdorf.
Bildunterschrift: Das Rathaus in Chemnitz-Röhrsdorf.
Bildunterschrift: Alexander Deptolla ist aus Dortmund nach Halberstadt gezogen (hier bei einer Demonstration in Dortmund im Mai 2021).
Bildunterschrift: In letzter Zeit finden sich in Halberstadt viele rechte Sticker und Schmiereien.
Bildunterschrift: Das Erstarken der rechten Szene in Halberstadt besorgt Robert Fietzke.
Bildunterschrift: Das Jugendzentrum Zora steht im Fokus der Rechtsextremisten in Halberstadt.
Bildunterschrift: In diesem Gebäude befinden sich die Geschäftsräume von Alexander Deptolla.
Bildunterschrift: Alexander Deptolla hatte die Demonstration in Magdeburg angemeldet.
Bildunterschrift: Dierk Borstel forscht seit mehr als zwei Jahrzehnten zu Rechtsextremismus.
Bildunterschrift: Polizeipräsident Lange will bei der rechten Szene wachsam bleiben.
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die tageszeitung Online, 18.01.2025:
Bundeskongress der Jungen Alternative / "Apolda soll nicht Geburtsort der Patriotischen Jugend sein"
18.01.2025 - 16.33 Uhr
In der thüringischen Stadt könnte sich die Zukunft der rechtsextremen Jungen Alternative entscheiden. Ein zivilgesellschaftliches Bündnis will den geplanten Bundeskongress nun verhindern.
Von Nicolai Kary
Berlin (taz). Der Bundeskongress der Jungen Alternative (JA) soll am ersten Februarwochenende in der Stadthalle Apolda stattfinden. Läuft alles wie geplant, wird sich dort wohl zeigen, wie die JA auf die Entscheidung ihrer Mutterpartei reagiert. Die AfD hatte am vergangenen Wochenende auf ihrem Bundesparteitag in Riesa mit einer Zweidrittelmehrheit beschlossen, eine neue Nachwuchsorganisation zu gründen.
Der Bundesvorstand der AfD zielt mit der Reform vermutlich darauf ab, die Parteijugend vor einem möglichen Verbotsverfahren zu schützen. Denn die JA gilt selbst dem Verfassungsschutz seit 2023 als gesichert rechtsextrem. Auf eine Mäßigung der Parteijugend zielt die Reform eher nicht ab. Angesprochen auf die von der JA immer wieder propagierte millionenfache Abschiebung sagte AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel Ende vergangenen Jahres: "Ich sehe keine Veranlassung zur Mäßigung".
Durch die Reform erhofft sich die Partei aber mehr Kontrollmöglichkeiten der Jugendorganisation. Bisher hatte der Bundesvorstand wenig Zugriff auf die Mitglieder, die bis ins rechtsterroristische Spektrum reichen. Die JA ist von der AfD zwar als Parteijugend anerkannt, agiert aber formal als unabhängiger Verein. Durch die Gründung einer neuen Parteijugend soll diese näher an die AfD gebunden werden.
Bisher gilt: Nur der Vorstand der JA muss Mitglied in der AfD sein. Diskutiert wird, ob das künftig für alle Mitglieder ab dem 16. Lebensjahr gelten soll. Wie die neue Parteijugend heißen soll, ist noch nicht festgelegt. Im letzten Jahr kursierte bereits der Name "Patriotische Jugend". Die AfD zeigte sich beim Bundesparteitag in Riesa offen dafür, dass die Parteijugend den Namen selbst wählt. Nur ist eben noch gar nicht so klar, wie die JA die Pläne einer neuen Parteijugend überhaupt findet. Dort wurde die Neuformierung bereits hitzig diskutiert.
Apolda - Geburtsstadt der "Jungen Patrioten"?
Radikale Kader wie die Chefin der JA-Brandenburg Anna Leisten oder der stellvertretende Bundesvorsitzende Sven Kachelmann empfinden die Reform als einen Schlag gegen die eigene Parteijugend. Nach der Abstimmung in Riesa reagierte die Junge Alternative Schleswig-Holstein auf X damit, man habe der Jugend "den Dolch in den Rücken gerammt". Inzwischen wurden die Posts wieder von der Plattform gelöscht. Es sind also zwei Szenarien möglich: Die JA könnte sich beim geplanten Bundeskongress in Apolda dafür entscheiden, in der neuen Jugendorganisation aufzugehen. Denkbar wäre aber auch eine partielle Abspaltung von der Mutterpartei.
So weit will es das Bündnis "Buntes Weimarer Land" gar nicht erst kommen lassen. Eines der Ziele sei, dass der Bundeskongress der JA nicht in der Stadthalle stattfindet, sagt Max Reschke, Sprecher des Netzwerks, der taz. Schon 2022 tagte die Parteijugend in Apolda, damals war die örtliche Stadthalle noch in privater Hand. Seit dem Jahr 2023 verwaltet die Stadt die Räumlichkeiten. Das Bündnis "Buntes Weimarer Land" fordert diese nun auf, den Mietvertrag zu kündigen, den die JA schon im November unterzeichnet hatte.
Unterstützung bekommt das Bündnis auch aus der Politik. Gudrun Kittel, Kommunalpolitikerin der Linken in Apolda, möchte nicht, "dass man Rechtsextremen in der eigenen Stadthalle eine Bühne lässt". Das bringe nicht nur die Stadt, sondern auch die gesamte Region in Verruf. Sie wolle verhindern, dass "Apolda die Geburtsstadt der Patriotischen Jugend wird", sagt die Politikerin, die sich dem Bündnis angeschlossen hat.
Auch die Thüringer Linken-Abgeordnete Katharina König-Preuss forderte die Stadt Apolda in der vergangenen Woche auf, die Vermietung der Stadthalle an die JA abzusagen. "Die Junge Alternative ist keine harmlose Vereinigung, sondern eine als Jugendorganisation getarnte, extrem rechte Struktur, in der sich Neonazis tummeln", argumentiert König-Preuss und verweist auf die Benutzungsordnung der Stadthalle.
Diese biete die Möglichkeit, Veranstaltungen zu untersagen, wenn der Verdacht bestehe, dass diese der Verbreitung verfassungsfeindlicher Propaganda dienen. Es sei auch von Gerichten darauf verwiesen worden, dass die JA an einem "völkisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff" festhalte. "Trotz dieser klaren Faktenlage werden de facto einer Neonazi-Organisation Räume durch eine Kommune zur Verfügung gestellt", so König-Preuss.
Bündnis fordert Bürgermeister zu klarer Haltung auf
Das Problem ist: Olaf Müller (CDU), der Bürgermeister der Stadt Apolda, sieht das anders - und er verweist auch auf die Benutzungsordnung. Darin sei geregelt, dass neben kulturellen auch nicht-kulturelle Veranstaltungen in der Stadthalle stattfinden können, erklärte er in der Zeitung Thüringer Allgemeine. Zudem hat sich die JA schon im Vorfeld juristisch abgesichert. Bereits im Oktober, also vor Abschluss des Mietvertrags, hatte die Jugendorganisation einen Eilantrag beim Verwaltungsgericht Weimar gestellt, um die Stadthalle für ihren Bundeskongress nutzen zu können. Dieser sei durch eine städtische Justiziarin geprüft worden, so Bürgermeister Olaf Müller.
Eine juristische Auseinandersetzung um die Nutzung der Stadthalle mit der JA hält Müller für wenig erfolgsversprechend. Zudem gelte für die JA der Gleichbehandlungsgrundsatz. Der Bundeskongress der JA unterscheide sich, "formell-juristisch gesehen" nicht von anderen Parteiveranstaltungen, gibt Müller in der Thüringer Allgemeinen zu bedenken.
Am vergangenen Mittwoch suchte das Bündnis "Buntes Weimarer Land" das Gespräch mit Bürgermeister Olaf Müller. "Der Ruck nach Rechts ist in Angriffen und Wahlergebnissen in Apolda und der Region eine immer weiter steigende Gefahr", sagt Max Reschke, Sprecher des Netzwerks der taz. Es sei enorm wichtig, "dass sich auch die Stadt klar gegen Rechtsextremismus positioniert".
Erst Anfang Januar geriet die Stadt auf Grund eines antisemitischen Vorfalls in die Schlagzeilen. Bisher Unbekannte legten vor dem Prager Haus einen Schweinekopf ab - eine Erinnerungsstätte an die Verfolgten im Nationalsozialismus und an jüdisches Leben in Thüringen. In Apolda hat die AfD bei den Landtagswahlen im vergangenen Jahr mit 32,6 Prozent die meisten Stimmen erhalten. Gefolgt von der CDU mit rund 25 Prozent.
Doch auch nach dem Gespräch mit dem Bündnis "Buntes Weimarer Land" rückt Bürgermeister Olaf Müller nicht von seiner Position ab: "Natürlich wissen wir um die missliche Situation. Durch die Benutzungsordnung der Stadthalle, welche vom Stadtrat beschlossen wurde, sind uns allerdings die Hände gebunden", sagt Müller der taz. Natürlich begrüße er "die nun angemeldeten Demonstrationen, solange sie friedlich bleiben". Beim Bundeskongress der JA werde man darauf achten, ob verfassungsfeindliche Symbole erkennbar seien und gegebenenfalls polizeiliche Maßnahmen einleiten.
Die Krux mit dem Mietvertrag
Juristisch betrachtet ist die Kündigung des Mietvertrags von städtischen Räumen für Parteien tatsächlich nicht einfach. So hatte beispielsweise die Messe Essen der AfD den Mietvertrag noch vor dem Bundesparteitag der AfD im Sommer 2024 gekündigt, weil die AfD eine nachträglich eingefügte Passage nicht akzeptieren wollte.
Die Passage sah vor, die AfD zu verpflichten, verfassungsfeindliche Parolen auf dem Parteitag zu unterlassen. Die AfD klagte dagegen und bekam vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Recht. Das Gericht urteilte, dass die AfD bei der Zulassung zu öffentlichen Einrichtungen nicht anders als andere Parteien behandelt werden dürfe. Vor dem Landgericht Essen erkannte die Stadt zugleich an, dass sie den Mietvertrag nicht kündigen konnte. Zu prüfen wäre, ob ähnliches tatsächlich auch für die JA gilt.
Derzeit laufen die Vorbereitungen für die geplante Demonstration des "Netzwerk buntes Weimarer Land" auf Hochtouren. Das Bündnis rechnet nicht mit so viel Zulauf wie am vergangenen Wochenende in Riesa bei den Protesten gegen den Parteitag der AfD. 500 sind bislang angemeldet. "Wir wünschen uns natürlich, dass sich viele Menschen an diesem Wochenende auf den Weg nach Apolda machen", so Reschke. Auf der Kampagnen-Plattform Campact wurde nun auch eine Petition gestartet, die den Bürgermeister auffordert, der JA den Mietvertrag zu kündigen.
Bildunterschrift: Welchen Weg wird die Junge Alternative gehen?
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Deutschlandfunk, 18.01.2025:
Kommentar / Die Tarn-Phase der AfD ist vorbei
Ihr Parteitag hat gezeigt: Bei der AfD gibt es schon lange nichts mehr zu entlarven. Wer die Partei wählt, will Rassismus, Sexismus, Abwertung, Neid, den Bruch mit dem verhassten System. Doch viele, die nicht AfD wählen, hören nur schulterzuckend zu.
Ein Kommentar von Christiane Florin
War da was in Riesa? Ach ja, beim Parteitag der AfD rief Alice Weidel "Re-Migration" und wirkte wie eine Chorleiterin, die zum "Und jetzt alle"-Sound anhebt. Re-Migration, das neue Volkslied. Die Öffentlichkeit nimmt‘s zur Kenntnis. Man hat sich gewöhnt.
Kleine Erinnerung: Vor einem Jahr fand das Recherchenetzwerk Correctiv heraus, dass sich in Potsdam eine rechte bis rechtsextreme Runde ums Thema Re-Migration versammelt hatte. Alice Weidel entließ daraufhin ihren Referenten, denn der war in Potsdam dabei. Die Partei sang Anfang 2024 das Wort noch nicht begeistert im Chor mit, sie fabrizierte ein Stimmengewirr aus "Jawoll!, Re-Migration" und "böse, böse Kampagne der Systemmedien".
Das völkische Volkslied jetzt ist gerade deshalb so bemerkenswert, weil es nicht überrascht. Alles läuft nach Plan, alles ist gut durchkomponiert. Die Neue Rechte hat klar formulierte kulturelle Ziele: den Diskurs drehen, Begriffe prägen, Unerhörtes normalisieren. Eine schuldbewusste Erinnerungskultur gilt als "Umerziehung", Faktenchecks werden zur "Zensur" umgedeutet, "illegale Migration" wurde zum geflügelten Wort, als sei Migration per se kriminell.
Verhöhnung des demokratischen Rechtsstaats
Wer so dauerbeschallt wird, wähnt sich in einer Diktatur, glaubt, sich permanent gegen Bevormundung wehren zu müssen. Rassismus und Sexismus, Rachegelüste, Hass, Neid - all das gehört zum neurechten Grundton. Insofern ist bei der AfD schon lange nichts mehr zu entlarven, schon lange niemand mehr durch Interviews inhaltlich zu stellen, wie es dann heißt. Die AfD strebt vor aller Augen in Parlamente, um demokratische Institutionen zu sabotieren. Als der Riesaer-Parteitag jubelte: "Alice für Deutschland" war das eine Verhöhnung des demokratischen Rechtsstaats.
Bei aller Vorsehbarkeit: Zur neurechten Komposition gehören auch einige Takte Selbstverharmlosung, "Camouflage" genannt. Man gibt sich bürgerlich, besorgt, als verfolgte konservative Minderheit, die sich bloß ins Deutschland der Helmut-Kohl-Jahre zurücksehnt, als Familie noch zählte und nicht Gender. Diese Tarn-Phase ist jetzt vorbei, ganz offiziell.
Wettbewerb um die schrillsten Töne
Die demokratischen Parteien haben das Kunststück nicht vollbracht, einerseits ihr Profil zu schärfen und andererseits das Unaufgebbare, Gemeinsam-Demokratische zu betonen. Stattdessen läuft der Wettbewerb um die schrillsten Töne zum Thema Migration weiter. Unisono zeigen Studien, dass es sich nicht lohnt, die Phrasen der Rechtspopulisten zu übernehmen. Sie zeigen auch, dass Denkzettel- und Protestwähler selten sind. Aber was die Politikwissenschaft sagt, klingt eben unknackig.
Wer die AfD wählt, will Rassismus, Sexismus, Abwertung, Neid, den Bruch mit dem verhassten System. Wer so denkt, geht davon aus, dass die Rache die Richtigen trifft, die Fremden, die Faulen, natürlich nie einen selbst.
Viele, die nicht AfD wählen, hören den völkischen Liedern schulterzuckend zu. Etwas größere Erinnerung: Der evangelische Pfarrer Martin Niemöller fand die Nazis zuerst gut, nach 1933 wurde er nach und nach zum Gegner. Er sagte: "Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen, denn ich war kein Kommunist." Er sagte: "Als sie die Juden holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Jude."
Solche Sätze sind so verdammt moralisch, auch Moral gehört zu den kulturell umgewerteten, abgewerteten Begriffen.
In neurechten Macht-Szenarien kommt es darauf an, ob die Konservativen in den völkischen Chor einstimmen. Manche CDUler klingen wie die AfD, viele noch nicht. Es ist falsch, die Union als faschistisch zu bekämpfen und das demokratische Bündnis mit ihr zu verweigern. Niemöllers berühmtes Zitat endet so: "Als die Nazis mich holten, war niemand mehr da, um zu protestieren." Im Moment bleibt eine Mehrheit übrig, die protestieren könnte. Leider bringt sie noch keinen demokratischen Chor zustande.
Bildunterschrift: Die AfD hat auf ihrem Parteitag in Riesa ihr Wahlprogramm beschlossen - und darin auch das Wort "Remigration" aufgenommen.
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