7 Artikel ,
15.01.2025 :
Pressespiegel überregional
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Übersicht:
n-tv.de, 15.01.2025:
Thüringen / Anklage gegen zwei mutmaßliche Reichsbürger-Rädelsführer
Mitteldeutscher Rundfunk, 15.01.2025:
Bundesweit wohl einmalig / Mutmaßliche Reichsbürger: Verdacht auf hundertfache Erpressung und Nötigung
Belltower.News, 15.01.2025:
Rechte Influencerinnen, Influencer / Wie Rechtsextreme Straßenumfragen als Videoformat nutzen
Störungsmelder, 15.01.2025:
Matthias Helferich / Türöffner am rechten Rand
die tageszeitung Online, 15.01.2025:
Sächsischer Verfassungsschutz / AfD überwacht sich nun selbst
Spiegel Online, 15.01.2025:
Mit Stimmen von CDU und BSW / Sächsischer Landtag wählt AfD-Politiker in die Parlamentarische Kontrollkommission
Westfalen-Blatt, 15.01.2025:
Polizei prüft AfD-"Abschiebeticket"
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n-tv.de, 15.01.2025:
Thüringen / Anklage gegen zwei mutmaßliche Reichsbürger-Rädelsführer
15.01.2025 - 13.33 Uhr
Sie sollen Sachbearbeiter unter Druck gesetzt haben, um Zahlungsforderungen abzuwehren: Gegen zwei mutmaßliche Rädelsführer einer Reichsbürger-Gruppe gibt es jetzt eine Anklage.
Mühlhausen (dpa/th). Gegen zwei mutmaßliche Rädelsführer einer Reichsbürger-Gruppe hat die Staatsanwaltschaft Mühlhausen Anklage erhoben. Den beiden 54 und 52 Jahre alten Männern wird unter anderem die Bildung einer kriminellen Vereinigung sowie Rädelsführerschaft vorgeworfen, wie ein Behördensprecher sagte. Zuvor hatte MDR Thüringen darüber berichtet. Zudem werde Ihnen versuchte Nötigung und versuchte Erpressung in besonders schwerem Fall zur Last gelegt.
Behördenmitarbeiter unter Druck gesetzt
Laut Staatsanwaltschaft sollen sie als mutmaßliche Reichsbürger über Jahre Mitarbeiter in Thüringer Behörden mit Droh- und Erpressungsschreiben überzogen haben, um sich so staatlichen Zahlungsverpflichtungen zu entziehen und die Behörden lahmzulegen. Dem 54-Jährigen aus Mühlhausen wirft die Staatsanwaltschaft 263 Fälle und dem 52-Jährigen aus Erfurt 51 Fälle vor. Gegen zwölf andere Beschuldigte liefen die Ermittlungen noch, hieß es.
Die so genannten Reichsbürger erkennen die Bundesrepublik und ihre demokratischen Strukturen nicht an. Die Gruppierung soll sich basierend auf einer gemeinsamen ideologischen staatsablehnenden Grundhaltung zusammengeschlossen haben, um insbesondere eine steuerrechtliche Sonderrechtsordnung zu schaffen, erklärte die Staatsanwaltschaft.
So seien Schreiben und Zahlungsforderungen von Finanzbehörden und Justiz mit eigenen, organisatorisch eng abgestimmten Mahn- und / oder Forderungsschreiben in Millionenhöhe als für sie nicht bindend abgelehnt worden. Die entsprechenden - teilweise täglich eingereichten - Schreiben sollten den jeweiligen Sachbearbeiter dazu bewegen, von der Geltendmachung der gegenüber den Beschuldigten bestehenden Forderungen Abstand zu nehmen, hieß es.
Systematische Einschüchterung durch arbeitsteilige Organisation
Die Vereinigung sei dabei arbeitsteilig organisiert gewesen. Ziel sei die systematische Einschüchterung von Gläubigern und Behördenmitarbeitern gewesen, so die Staatsanwaltschaft. Unter der Führung der Angeschuldigten kamen den Mitgliedern der Gruppe verschiedene Aufgaben wie Sekretariats- und Netzwerkarbeit, Beobachtung von Gerichtsverhandlungen sowie Aufbau von Finanzierungsstrukturen zu. Den Forderungen sei außerdem durch Drohungen und Anschläge bis in den Privatbereich der Mitarbeiter Nachdruck verliehen worden, hieß es.
Dem 54-Jährigen wirft die Staatsanwaltschaft außerdem Steuerhinterziehung in besonders schwerem Fall vor. Dabei gehe es um eine unterlassene Umsatzsteuervoranmeldung für Edelmetall-Geschäfte und um eine Schadenssumme von mehr als einer halben Million Euro. Ferner habe die Thüringer Finanzverwaltung bislang gegen ihn bestandskräftige Steuerforderungen in Millionenhöhe nicht erfolgreich vollstrecken können, hieß es. Zudem stünden weitere Ermittlungen gegen den 54-Jährigen wegen Wirtschaftsstraftaten vor dem Abschluss, hieß es.
Untersuchungshaft und Verbindungen zu anderen Gruppierungen
Die beiden Männer sitzen seit Mai vergangenen Jahres in Untersuchungshaft. Mit einem Prozessbeginn gegen sie vor dem Landgericht Mühlhausen wird im Fall der Zulassung der Anklage noch im Februar gerechnet.
Die federführend durch den Staatsschutz der Kriminalpolizei Nordhausen geführten Ermittlungen haben zudem Kontakte der Angeschuldigten zu führenden Personen von bundesweit agierenden mutmaßlich terroristischen Reichsbürger-Vereinigungen wie den "Vereinten Patrioten" oder der "Patriotischen Union" ans Tageslicht befördert.
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Mitteldeutscher Rundfunk, 15.01.2025:
Bundesweit wohl einmalig / Mutmaßliche Reichsbürger: Verdacht auf hundertfache Erpressung und Nötigung
15.01.2025 - 05.00 Uhr
Seit knapp drei Jahren ermitteln die Staatsanwaltschaft Mühlhausen und die Kriminalpolizei Nordhausen gegen eine Gruppe mutmaßlicher Reichsbürger. Sie sollen Behörden und Privatpersonen erpresst und genötigt haben. Die Ermittler gehen von einer kriminellen Vereinigung aus. Der Fall dürfte in Deutschland juristisch bisher einmalig sein. Dazu trieb das Finanzamt offenbar Steuerschulden in Millionenhöhe nicht ein.
Von Axel Hemmerling, Ludwig Kendzia und Bastian Wierzioch, MDR Thüringen
In Nordthüringen soll eine Gruppe von Reichsbürgern Behörden mit Drohschreiben überzogen haben.
Beamte sollten eingeschüchtert werden, um kriminellen Geschäften nachzugehen.
Offenbar verzichtete das Finanzamt auf die Vollstreckung einer Steuerschuld in Millionenhöhe.
Die Staatsanwaltschaft hat die Verdächtigen als kriminelle Vereinigung eingestuft.
Offenbar haben die Verdächtigen Kontakt zur Gruppe um Prinz Reuß.
Unter den Hunderten Schreiben, die am Amtsgericht Mühlhausen jeden Tag so eingehen, waren diese Briefe immer schnell zu erkennen. Ein Blick genügte. Denn die Beamtinnen oder Beamten in den jeweiligen Bereichen wurden nicht als "Herr" oder Frau" angeschrieben, sondern als "Mensch". So wie, "Mensch Meier" oder "Mensch Müller". Der Absender wollte damit offenbar deutlich machen, dass ihm Rang und Geschlecht des Gegenübers völlig egal waren.
Ein kriminelles Geschäftsmodell?
Nach Recherchen von MDR Investigativ ist einer der Absender dieser Briefe der Landwirt Steffen S. gewesen. Ein Mann, der bei den Behörden in Nordthüringen seit Jahren bekannt ist. Von den Ermittlern wird er als "Reichsbürger" eingestuft, also jemand, der die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und ihre Gesetze nicht anerkennt.
Das, davon gehen die Fahnder aus, war offenbar auch die Grundlage für eine Art kriminelles Geschäftsmodell, das nach langwierigen Ermittlungen - einer großen Razzia vor einem Jahr und der andauernden Untersuchungshaft für S. - nun zu einer Anklage geführt hat.
Vorwurf: Behörden mit Drohschreiben überzogen
Gemeinsam mit dem ebenfalls in Untersuchungshaft sitzenden Mike H. soll S. der Rädelsführer einer kriminellen Vereinigung sein: Einer Gruppe von weiteren zwölf Frauen und Männern, die mutmaßlich auch der Ideologie der "Reichsbürger" anhängen. Sie sollen zusammen seit mindestens 2021 systematisch und organisiert Behörden mit Schreiben überzogen haben, die den Verdacht der Erpressung und der Nötigung nahelegen.
Schreiben, die offenbar nur einem Zweck dienten: Sich staatlichen Forderungen, wie dem Zahlen von Steuern und Ordnungsgeldern sowie dem Zwangsverkauf von Land, zu widersetzen. Das Ziel soll es gewesen sein, Beamte so einzuschüchtern, dass sie es nicht mehr wagen würden, zu agieren.
Hunderte Verdachtsfälle von Erpressung und Nötigung
Das, was die Ermittler nach Recherchen von MDR Investigativ in fast drei Jahren detaillierter Arbeit aufgedeckt haben, deutet auf ein ausgeklügeltes System des Unterdrucksetzens und Erpressen von Rechtspflegern, Grundbuchbeamten, Ordnungsbehörden, Gerichtsmitarbeitern, Finanzbeamten, Steuerfahndern oder Polizisten in Thüringer Amtsstuben hin.
Dem mutmaßlichen Rädelsführer Steffen S. werden mehr als 260 Erpressungen und Nötigungen im besonders schweren Fall vorgeworfen. Seinem mutmaßlichen Komplizen Mike H. mehr als 50 Fälle. Das bestätigte ein Sprecher des Landgerichts Mühlhausen MDR Investigativ.
Bei diesen Taten sollen die weiteren zwölf Beschuldigten, gegen die bisher noch keine Anklage erhoben wurde, geholfen haben. Sie alle sollen sich für dieses mutmaßlich kriminelle Modell systematisch untereinander abgestimmt haben.
Drei Jahre Ermittlungen
Alles begann offenbar 2021, als der Staatsanwaltschaft Mühlhausen aufgefallen war, dass sich Anzeigen wegen Nötigung und Erpressung, die aus verschiedenen Behörden gegen Steffen S. und weiterer Beschuldigter gestellt worden waren, häuften. Unter anderem sollen S. und seine mutmaßlichen Helfer das Amtsgericht Mühlhausen mit diversen Schreiben überzogen haben.
MDR Investigativ hat bei einer Recherche zu Grundstücksgeschäften von S. solche Schreiben finden können. In einem geht es um eine Zwangsvollstreckung eines Grundstückes von ihm. In diesem schreibt er an die Grundbuchbeamten: "Ihr gesamter gesundheitlicher Zustand scheint sich deutlich zu verschlechtern, daher scheinen Sie die fundamentale, rechtliche Realität nicht mehr bewusst wahrnehmen zu können."
In weiteren teilweise völlig kruden semantischen Satzungetümen lässt er sich darüber aus, dass die zuständigen Beamten gar nicht legitimiert seien, in irgendeiner Form gegen ihn vorgehen zu dürfen oder rechtlich agieren zu können.
Anwalt weist Vorwürfe zurück
In einem weiteren Schreiben teilt er mit, dass es sich bei dem gesamten Vorgang der Zwangsvollstreckung um "eine Täuschung im Rechtsverkehr" handle, er dadurch einen Vermögensschaden erlitten habe und dem Beamten deshalb 53.465.885,00 Euro in Rechnung stelle. Sollte dieser das nicht zahlen, drohte S., alles an einen börsennotierten internationalen Schuldeneintreiber zu übergeben.
Solche und ähnliche Drohbriefe finden sich immer wieder in den Akten. Der Anwalt von Steffen S. teilte mit, dass es sich bei den versandten Schreiben "weder um Nötigungs- und schon gar nicht um Erpressungsversuche" handle. Der Anwalt von Mike H. ließ eine Anfrage unbeantwortet.
Finanzbehörden verzichten offenbar auf Millionen-Forderung
Das Vorgehen von S. und seinen mutmaßlichen Komplizen zeigte in einigen Thüringer Behörden scheinbar Wirkung, da man dort offenbar nicht mehr gegen ihn und andere aus der Gruppe vorging. Denn nach MDR Investigativ-Recherchen fanden die Ermittler in dem aktuellen Verfahren heraus, dass das Finanzamt Mühlhausen offenbar jahrelang eine Steuerschuld von sechs Millionen Euro gegen Steffen S. nicht vollstreckte.
Warum die Thüringer Finanzbehörden bisher auf diese millionenschwere Steuernachzahlung durch einen mutmaßlichen Reichsbürger verzichteten, wollte das Thüringer Finanzministerium dem MDR mit Verweis auf das Steuergeheimnis nicht sagen. Das könnte sich aber ändern, denn dieser Vorgang soll Teil der Anklage der Staatsanwaltschaft Mühlhausen sein und dürfte somit im kommenden Prozess eine Rolle spielen. Der Anwalt des Beschuldigten weist den Vorwurf zurück und sagte, dass es bisher nie um eine solche Summe gegangen sei.
Mutmaßlicher Anschlag
Druck, Erpressung oder Nötigung waren offenbar einige der "Geschäftsgrundlagen" der mutmaßlichen Reichsbürger-Gruppe um Steffen S. und Mike H. Doch dazu soll auch noch Gewalt gekommen sein. S. steht auch im Verdacht, Steuern hinterzogen zu haben. Dabei geht es laut Landgericht um über eine halbe Million Euro.
Ein Steuerfahnder war mit diesem Fall betraut. Scheinbar gelang es der Gruppe um S., den Namen und den Wohnort des Fahnders herauszubekommen. Im November 2021 wurde sein Haus mitten in der Nacht mit Altöl beschmiert, ebenso sein Auto, das auch noch im Anschluss zertrümmert wurde. Eine klare Botschaft.
Polizei fahndet nach Tätern
Nach MDR Investigativ-Recherchen fand die Polizei damals in der Nähe des Tatorts einen Baseballschläger, der als Tatwerkzeug galt. An ihm sollen DNA-Spuren festgestellt worden sein, die zu einem einschlägig bekannten Kleinkriminellen führten. Alle Versuche, ihn mit der Tat in Verbindung zu bringen, scheiterten. Doch im vergangenen Jahr gelang den Beamten der Durchbruch. Sie fanden einen weiteren mutmaßlichen Komplizen, der dann bei der Vernehmung auspackte.
Demnach sollen die mutmaßlichen Täter im Kontakt zu S. und seiner Familie gestanden haben, und offenbar für den Überfall auf den Steuerfahnder angeheuert worden sein. Auch das soll Teil der Anklage sein. Der Anwalt von S. sagte dazu, sollte sich ein solcher Vorwurf in der Anklage finden, werde diesem entschieden widersprochen. "Anhaltspunkte, die den Schluss auf ein solches Handeln zulassen, ohne den Bereich der Spekulation zu betreten, werden nicht vorliegen", so der Verteidiger.
Juristisches Neuland
Sollte das Landgericht Mühlhausen die Anklage zulassen, dürfte ein juristisch hochspannender Prozess starten. Denn bisher wurde in Deutschland eine Gruppe mutmaßlicher Reichsbürger noch nicht als kriminelle Vereinigung angeklagt. Dabei geht es vor allem darum, dass die Gruppe personell verflochten sein muss, dass gemeinsame kriminelle Interessen verfolgt werden und das alles über einen langen zeitlichen Rahmen sowie in einem engen organisatorischen System. Das sehen die Staatsanwälte bei der Gruppe um Steffen S. und Mike H. gegeben.
Offenbar Kontakt zu Reuß-Gruppe
Darüber hinaus scheinen S. und seine mutmaßlichen Komplizen in der deutschen Reichsbürger-Szene vernetzt zu sein. Unter anderem soll es eine Verbindung zur Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß geben, der mit weiteren Angeklagten wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main steht. Im Zuge der Razzien bei Reuß wurde ein Schriftstück gefunden, auf dem dieser die Handynummer von Steffen S. notiert hatte.
Diese wurde ihm offenbar von einer Kontaktperson aus Erfurt weitergeleitet. Ob S. und Reuß dann Kontakt untereinander aufgenommen haben, ist bisher unklar. Die Anwälte von Reuß reagierten nicht auf eine entsprechende MDR-Anfrage. Der Anwalt von S. bestreitet, dass es Kontakte zu Reuß gegeben haben soll.
Treffen von "Reichsbürgern" im Eichsfeld
Zudem soll es im Mai 2022 in einem kleinen Ort im Eichsfeld ein Treffen zwischen Mitgliedern der Nordthüringer Reichsbürger-Gruppe um S. und H. und Mitgliedern der Gruppe "Vereinte Patrioten" gegeben haben. Teile dieser Gruppe stehen vor dem Oberlandesgericht Koblenz unter Anklage.
Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen vor, eine Terror-Vereinigung gegründet zu haben. Sie sollen unter anderem deutschlandweite Stromausfälle, die Entführung von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und die Einführung einer neuen Verfassung nach dem Vorbild des Kaiserreichs 1871 geplant haben.
Bildunterschrift: Amtsgericht in Mühlhausen: Mit Briefen sollten die Beamten eingeschüchtert werden.
Bildunterschrift: Brief vom Angeklagten S. an Grundbuchbeamte.
Bildunterschrift: Der Verdächtige stellte den Behörden eine Rechnung in Höhe von über 53 Millionen Euro.
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Belltower.News, 15.01.2025:
Rechte Influencerinnen, Influencer / Wie Rechtsextreme Straßenumfragen als Videoformat nutzen
Mit Straßenumfragen liefern extrem rechte Influencerinnen, Influencer ihrer Anhängerschaft ideologisches Futter. Sie zeigen aber nur eins: die eigene Überheblichkeit.Wie kann man sich schützen?
Von Monitoring Belltower.News
Die so genannte "Identitäre Bewegung", Nikolai Nerling (Der Volkslehrer), Leonard Jäger oder Michelle Gollan, sie und noch viele weitere extrem rechte Influencerinnen, Influencer versuchen durch Straßenumfragen das ideologische Fundament der eigenen Anhängerschaft zu festigen. Dabei sind Straßenumfragen generell ein beliebtes Video-Format und müssen nicht per se problematisch sein.
Haben sie mal kurz ne Minute Zeit? - Eine Person mit Mikrofon und Kamera kommt auf einen zu und lächelt gewinnend. Schon im Fernsehen hatten Straßenumfragen häufig das Ziel, Ahnungslosigkeit oder besonders abwegige Antworten dem Spott des Publikums freizugeben. Das Format ist auch im Kurz-Video-Format beliebt. Creatorinnen, Creatoren suchen für ihre Videos Freiwillige in der Fußgängerzone. Das Versprechen nach Sichtbarkeit und ein kurzweiliger Spaß sind Überredung genug. Nichtsahnende sollen in Kamera und Mikro sprechen. Ihre Sichtweise auf bestimmte Sachverhalte darlegen. Was mit dem Inhalt letztendlich passiert, darüber haben die Interviewten keine Handhabe.
Straßenumfragen-Formate zählen zu dem Repertoire der Unterhaltungsformate. Die Grenze des, mit anderen Lachen, zu, über sie lachen, verläuft hier meist fließend. Insbesondere bei politischen Themen werden hier nicht selten Wissenslücken oder abenteuerliche Welterklärungsmuster offenbart. Zuschauende werden über Befragte gestellt und zu den Wissenden gezählt. Wer ausgewählt wird oder welche Antwort, ja welcher Anteil dieser, das liegt bei der schneidenden Person und das sind gegenwärtig zunehmend Creatorinnen, Creatoren.
Doch nicht nur extrem rechte Influencerinnen, Influencer bedienen sich diesem Stilmittel: "Ist nur ein YouTube-Kanal, ist nix Schlimmes", versichert etwa der AfD-Bundestagsabgeordnete Roger Beckamp dem sichtlich verunsicherten jungen Mann, den er auf einer Demonstration interviewt. "Ich bin hier, weil ich mich für die Demokratie und gegen Faschismus einsetzen möchte", sagt der Befragte schließlich. Beckamp, der die Gelegenheit wittert, stellt eine gezielte Frage: "Und was ist Faschismus genau?" Es folgt die unvermeidliche Überforderung. Der junge Mann ist offensichtlich überrumpelt, dreht sich Hilfe suchend zu seiner Begleitung und bittet um Unterstützung. Der 15 Sekunden lange Clip endet abrupt, doch für die Zuschauerinnen, Zuschauer ist zu diesem Zeitpunkt schon alles gesagt. In der Kommentarspalte wird dann fleißig verallgemeinert: "immer wieder unfassbar! die wissen alle nicht warum sie das überhaupt machen!" (sic).
Die ungleiche Ausgangslage wird dabei vollständig ignoriert. Der Interviewte ist ein sichtlich nervöser Protest-Teilnehmer, der einem erfahrenen Politiker gegenübersteht und das auch noch vor der Kamera. Diese Asymmetrie wird von vielen Zuschauerinnen, Zuschauern nicht wahrgenommen. Der entscheidende Punkt liegt jedoch im Schnitt. Das Video endet genau zu dem Zeitpunkt, an dem der Befragte ins Straucheln gerät, der Moment, in dem er die Kontrolle verliert und seine Unsicherheit sichtbar wird.
Noch deutlicher wird die Macht des Schnitts in einem TikTok-Clip, mit dem die rechte Influencerin Michelle Gollan ihr YouTube-Video über die "Letzte Generation" bewirbt. In dem Videoausschnitt wird eine Unterstützerin der Klima-Bewegung befragt. Nachdem sie ihre Begeisterung für die "Letzte Generation" äußert, folgt eine schnelle Schnittsequenz, in der ausschließlich die Füllwörter und Laut-Pausen des Interviews herausgepickt werden. Das Ganze ist unterlegt mit heiterer Musik, die den Zuschauenden sofort vermitteln, dass hier etwas Lächerliches dargestellt wird, die Befürworterin der Demonstration.
So wird der Eindruck erweckt, die befragte Person sei unsicher, unvorbereitet und möglicherweise wenig kompetent in ihrer Haltung. Das Video dient als Teaser für das komplette YouTube-Video, wobei die Unterstützerin gezielt als karikierte Protagonistin präsentiert wird. Gleichzeitig werden mögliche negative Vorannahmen über die Unterstützer der "Letzten Generation" für den Zuschauer scheinbar bestätigt. Es handelt sich um einen gezielten Versuch, die Person und die Bewegung, für die sie eintritt, lächerlich dastehen zu lassen.
Dieses Video-Format ist vor allem darauf ausgelegt, Jugendliche anzusprechen. Die kurzen Clips sind so konzipiert, dass sie auf Plattformen wie TikTok und Instagram möglichst viral gehen und ein breites Publikum erreichen. Videos, die Fremdscham auslösen, so genannter Cringe Content, sind besonders bei Jugendlichen beliebt und bilden den Rahmen dieser Videos und der Unterhaltungsfaktor steht vermeintlich im Vordergrund, dabei wird aber subtil rechte Ideologie vermittelt.
Bereits Nikolai Nerling, auch bekannt als "Der Volkslehrer", bespielte so die eigene Anhängerschaft, indem er etwa auf anti-rechte Veranstaltungen ging und dort Demokratinnen, Demokraten interviewte, um sie der Lächerlichkeit preiszugeben. Auch ein vermeintliches Comedy-Projekt der rechtsextremen Identitären Bewegung provozierte bereits vor fünf Jahren mit solchen Video-Formaten.
Ziel ist es, die demokratische Zivilgesellschaft oder Menschen mit Migrationsbiografien vorzuführen. Es werden von Einzelaussagen und Einzelpersonen Schlüsse über ganze Gruppen gezogen und als Gefahr oder Objekt der Verachtung inszeniert. Die Rechtsextremen können dabei bei den Zuschauenden bereits bestehende Ressentiments bestätigen oder neue Legitimierung für Hass-Kampagnen und antidemokratische Positionen schaffen, ohne sich selber groß zu äußern. Der Schnitt und die Darstellung bilden den Kontext und die Menschenfeindlichkeit.
Rechte Influencerinnen, Influencer nutzen Straßenumfragen auch als Plattform für die eigene Überhöhung. Durch die gezielte Auswahl und Bearbeitung von Clips präsentieren sie sich und ihre Community als vermeintlich überlegene Gegenspieler einer "unwissenden" oder "lächerlichen" Gegenseite. Dieses Gefühl der Überlegenheit wird in Kommentarspalten und innerhalb der eigenen Anhängerschaft weiter verstärkt. Die Inszenierung als souveräne, schlaue und wissende Gruppe ist dabei ein verbindendes Element. Diese Überheblichkeit dient nicht nur der Selbstvergewisserung innerhalb der rechten Szene, sondern auch der Überzeugung und Rekrutierung neuer Anhängerinnen, Anhänger. Schließlich lachen Zuschauerinnen, Zuschauer lieber über andere, als selbst potenziell zum Ziel des Spotts zu werden.
Auch so kann Selbstverharmlosung funktionieren - man zeigt mit dem Finger auf andere, desavouiert sie und muss sich selbst scheinbar gar nicht mehr positionieren, Schlüsse werden nur angedeutet. Souveränität bleibt der interviewenden und schneidenden Person vorenthalten.
Rechtsextremen kommt dieses Format entgegen. Sie können Menschen exponieren, lächerlich und verächtlich machen, ähnlich wie Libs of TikTok. Einem Kanal, der in den USA dadurch bekannt wurde, queere Erzieherinnen, Erzieher und Lehrerinnen, Lehrer im Stile des hate influencing als Feindbild zu markieren. Betroffen sind arglose Demonstrationsteilnehmende, engagierte Menschen, marginalisierter Gruppen und Organisationen und Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus einsetzen. Allen gemein ist, dass ihnen nicht bewusst scheint, in wessen Mikrofon sie sprechen und für welchen Kanal ihr Beitrag verwendet wird.
Im schlimmsten Fall werden sie jedoch nicht nur exponiert, sondern Aussagen werden entkontextualisiert, mit Täuschungsabsicht verkürzt oder auf die boshafte Art ausgelegt.
Abschließend noch ein paar Hinweise, wie man sich selber schützen kann, nicht Teil dieser Strategie zu werden.
1. Wer filmt?
Lass dir einen Presseausweis zeigen oder google die Person und das Format, um sicherzugehen, dass du nicht getäuscht wirst.
2. Stelle Fragen
Unseriöse Akteurinnen, Akteure vermeiden oft klare Antworten oder geben irreführende Informationen. Achte auf die Überprüfbarkeit gegebenenfalls getätigter Aussagen.
3. Veröffentlichung nur gegen Freigabe
Gebe zur Absicherung an, Beiträge, in denen du sprichst und zu sehen bist, erst vor Veröffentlichung freizugeben, um Entkontextualisierung und missbräuchliche Absichten frühzeitig zu identifizieren. Lehnen die Creatorinnen, Creatoren dies ab, kann dies als Hinweis auf unseriösen Umgang mit dem Video-Material gedeutet werden und dir helfen eine Entscheidung darüber zu treffen, ob du dich mit dem Vorgehen ohne diese Möglichkeit sicher vorkommst.
4. Erkenne potenzielle Anzeichen
Achte auf typische Symbole, Schlagwörter oder Kleidung, die mit rechtsextremen Ideologien in Verbindung gebracht werden könnten. Wenn jemand plötzlich suggestive oder provokative Fragen stellt, die auf Vorurteile abzielen, unterbrich das Gespräch und halte fest, dass das Filmmaterial nicht veröffentlicht werden darf.
5. Vermeide Interaktion
Grundsätzlich bist du nicht verpflichtet, im öffentlichen Raum Fragen zu beantworten. Höflich, aber bestimmt abzulehnen, ist vollkommen legitim. Ein einfacher Satz wie "Ich habe keine Zeit" oder "Nein, danke" kann helfen, die Situation zu beenden. Notfalls auf Bildrechte bestehen.
6. Mach andere darauf aufmerksam
Hast du eine / einen rechtsextremen Content Creatorin, Creator identifiziert, informiere deine Umgebung oder Veranstalterinnen, Veranstalter, damit diese sich ebenfalls schützen können und gegebenenfalls die Polizei rufen.
7. Melde problematische Vorfälle
Wenn du merkst, dass jemand gezielt rechtsextreme Ideologien verbreitet oder andere belästigt, informiere die Mobile Beratung. Plattformen wie "Meldestellen für Hass-Rede" oder Antidiskriminierungsstellen können ebenfalls unterstützen.
Wichtig ist, dass du dich sicher fühlst und auch auf dein Bauchgefühl achtest. Bleib wachsam und lass dich nicht in ungewollte Gespräche verwickeln. Ist das Video-Material erst einmal veröffentlicht, ist es schwierig dagegen vorzugehen.
Bildunterschrift: Auf YouTube und TikTok profilieren sich extrem rechte Influencerinnen, Influencer mit Straßenumfragen. Die vorgezeichnete Meinung der Interviews wird oft schon beim Videotitel deutlich.
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Störungsmelder, 15.01.2025:
Matthias Helferich / Türöffner am rechten Rand
15.01.2025 - 19.48 Uhr
Er hofiert militante Rechtsextreme und lässt Verfassungsfeinde ins Parlament: Der AfD-Bundestagsabgeordnete Matthias Helferich gewinnt in seiner Partei weiter an Macht.
Von Dominik Lenze
Kurz vor seinem Auftritt ist Matthias Helferich besonders gut gelaunt. Der AfD-Politiker scherzt mit dem Reporter von Zeit Online über seine Konflikte mit Parteikollegen, Fragen nach Neonazi-Kontakten bügelt er mit einem Lachen ab. Dann betritt er die Bühne des Landesparteitages in Marl nahe Dortmund. Unter Applaus fordert er, die AfD solle "nicht vor dem Verfassungsschutz kuschen", spricht von "Biestern" und "importieren Schlachtergesellen", verlangt die "millionenfache Remigration". Die Mehrheit der Parteibasis ist überzeugt und wählt Helferich bei der Versammlung Anfang Januar auf Listenplatz sechs - der Wiedereinzug in den Bundestag ist ihm damit so gut wie sicher.
Dort sitzt er seit der vergangenen Wahl, jedoch nicht in der Fraktion der AfD. Mehrfach hatte er sich mit der Fraktion gestritten, derzeit läuft ein Parteiausschlussverfahren wegen rassistischer Aussagen gegen Helferich. Zum Beispiel hatte er die Aussage "raus mit die Viecher" in Sozialen Medien geteilt, verbunden mit dem Aufruf zur Remigration. Sein eigener Landesvorstand warnte im Ausschlussantrag vor Szenarien, die "an die finstersten Kapitel der Menschheitsgeschichte, speziell auch der deutschen Geschichte erinnern"; sollten "Personen wie Matthias Helferich jemals politisch-exekutive Macht erhalten".
Über den Erfolg des Dortmunder Abgeordneten auf dem Landesparteitag freut sich vor allem das rechtsextreme Vorfeld der AfD. Nicht ohne Grund: Der 36-jährige Jurist unterstützt radikale Gruppen nach Kräften, selbst solche, von denen sich die Bundesspitze seiner Partei abgrenzen will. Eine Gruppierung, deren Kontakte bis ins militante Neonazi-Milieu reichen, hat es ihm besonders angetan.
Gegenüber Zeit Online sagt Helferich auf dem Parteitag, er fände es "grundsätzlich in Ordnung, wenn man sich mit aktivistischen Jugendgruppen austauscht" und nannte die Revolte Rheinland als Beispiel. Vor einem Jahr setzte die AfD die Gruppe auf die Unvereinbarkeitsliste. Wer Mitglied in einer auf dieser Liste geführten Vereinigung ist, darf nicht zugleich AfD-Mitglied sein. Helferich kritisierte dies scharf. Auf Instagram postete er das Logo von Revolte Rheinland, dazu den Satz: "Danke für dieses mutige Projekt".
Verbindung in gewaltbereite Szene
Die Mitglieder der Truppe stammen überwiegend aus der Identitären Bewegung und dem Burschenschafter-Milieu, einige bewegten sich in neonazistischen Kreisen. "Die Gruppe vertritt ein völkisches Volksverständnis, das sich rassistisch auf Abstammung bezieht", erklärt ein Mitarbeiter der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Rheinland-Pfalz. Ihre Aktionen richteten sich vor allem gegen Migranten. Ideologisch lasse sie sich dem "traditionellen völkischen Rechtsextremismus" zuordnen.
Es gibt auch Verbindungen zur gewaltbereiten Neonazi-Szene: Im Oktober 2024 nahmen Mitglieder von Revolte Rheinland an einer Kampfsportveranstaltung im Westerwald teil, die von der militanten Neonazi-Partei Der Dritte Weg organisiert wurde. Dies geht aus einer Antwort der rheinland-pfälzischen Landesregierung auf eine Anfrage der Grünen hervor. Die Anhänger des Dritten Wegs verehren unverhohlen den historischen Nationalsozialismus. 130 Personen waren zu dem Event erschienen, das noch am selben Abend von der Polizei aufgelöst wurde. Die Einsatzkräfte registrierten Verstöße gegen das Waffengesetz.
Wenige Wochen später verkündete Revolte Rheinland die eigene Auflösung. Beobachter vermuten: aus taktischen Gründen. Kurz zuvor hatte die Polizei Wohnungen von Mitgliedern verbündeter rechtsextremer Gruppen durchsucht. Die Mitglieder von Revolte Rheinland wollen nach eigener Aussage weiter politisch aktiv bleiben.
Rechter Vortragsabend im Parlament
Manch einer aus dem Umfeld der Gruppe könnte dabei an eine Partei-Karriere gedacht haben: Gerald Christ nahm im Sommer 2023 an einer Wanderung der Revolte Rheinland teil, inzwischen ist er Sprecher des AfD-Kreisverbandes Bonn. Offenbar arbeitet er für Matthias Helferich. Interne Nachrichten, die Zeit Online vorliegen, legen nahe, dass Christ Verwaltungsaufgaben für den Bundestagsabgeordneten übernimmt. "Wenn etwas unklar ist, meldet euch bei mir oder Gerald", heißt es in einer Nachricht von Helferich zur Vorbereitung auf den Landesparteitag.
Am Kampfsport-Event mit dem Dritten Weg hat Christ nach eigenen Angaben nicht teilgenommen. Auch habe er "an keinen Veranstaltungen von Vereinigungen teilgenommen, die zum Zeitpunkt ihres Stattfindens auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD standen", teilt er auf Anfrage mit. Die Wanderung mit der Revolte Rheinland hatte stattgefunden, bevor die AfD die Gruppe auf die Liste setzte.
Helferich, der sich vor einigen Jahren als "das freundliche Gesicht des NS" bezeichnet hatte, lässt Rechtsextreme nicht bloß in sein eigenes Büro, er öffnet ihnen auch die Türen des Parlaments: Am 3. Dezember des vergangenen Jahres hielt Götz Kubitschek, der wohl wichtigste Vordenker der extremen Rechten und enger Vertrauter von Björn Höcke, einen Vortrag in Räumlichkeiten des Deutschen Bundestags. Eingeladen zu der Veranstaltung hatte nach eigenen Angaben Helferich, der im Nachgang Bilder von dem Abend auf X postete. Parlamentarier bestätigten Zeit Online, dass es sich um Räume des Bundestags handelt.
Für Helferich war der rechte Vortragsabend "eine Veranstaltung zu Streit und Demokratie ( ... ), die reibungslos und zur Zufriedenheit aller verlaufen ist", wie er mitteilt. Er räumt ein, dass er "seit Jahren verschiedene "Vorfeldprojekte" ideell und finanziell unterstützt". Die Unvereinbarkeitsliste seiner Partei, auf der auch die von ihm hochgeschätzte Revolte Rheinland steht, halte er "in ihrer jetzigen Form als unkritische Übernahme von Wertungen des `Verfassungsschutzes` für hochproblematisch". Nichtsdestotrotz folge er der Beschlusslage seiner Partei.
Auf das Ausschlussverfahren, das nach wie vor gegen ihn läuft, blickt er "entspannt", lässt Helferich auf dem NRW-Parteitag wissen. Jörg Meuthen, ehemals Parteichef der AfD, habe ihn auch schon rausschmeißen wollen. "Nachher hat er die Partei verlassen", sagt Helferich und lacht.
Bildunterschrift: Der Bundestagsabgeordnete Matthias Helferich spricht Anfang Januar auf dem Parteitag der NRW-AfD.
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die tageszeitung Online, 15.01.2025:
Sächsischer Verfassungsschutz / AfD überwacht sich nun selbst
15.01.2025 - 21.00 Uhr
Ein AfD-Politiker wurde von CDU und BSW in das Kontrollgremium für den sächsischen Verfassungsschutz gewählt.
Von Michael Bartsch
Dresden (taz). Der Sächsische Landtag hat am Mittwoch im ersten Wahlgang alle fünf Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) für den Verfassungsschutz gewählt, darunter auch den AfD-Abgeordneten Carsten Hütter. In offener Abstimmung votierten CDU, AfD und BSW für Hütter, beim Wagenknecht-Bündnis gab es eine Enthaltung. Der 60-Jährige zog bereits 2014 für die AfD in den Dresdner Landtag ein und avancierte inzwischen zum Bundesschatzmeister seiner Partei. In den vergangenen beiden Legislaturperioden war er noch relativ geräuschlos in die PKK gewählt worden.
Wegen der wachsenden Radikalisierung der AfD standen nach der Landtagswahl vom 1. September 2024 die Vorzeichen anders. SPD, Linke und Grüne im Landtag signalisierten bereits eine Ablehnung Hütters. Die ultrakonservative Wochenzeitung Junge Freiheit berichtete dagegen schon vorab von Erklärungen einiger CDU-Abgeordneter, "dass man in ihrer Fraktion mehrheitlich keine Gründe sehe, dessen Wahl zu verhindern". Namen wurden nicht genannt. "Ich habe Signale von Abgeordneten anderer Fraktionen erhalten, dass sie mich bei der Kandidatur unterstützen", zitiert die Zeitung den AfD-Abgeordneten selbst.
So verhielt sich die CDU-Fraktion bei der PKK-Wahl dann auch. Bei der ersten wichtigen Abstimmung nach Bildung der CDU-SPD-Minderheitskoalition kurz vor Weihnachten votierten die Partner damit unterschiedlich. In allen drei Wahlen zu den parlamentarischen Überwachungsgremien für Verfassungsschutz und Polizei stimmte die SPD gegen die AfD-Kandidaten.
"Ein Verfassungsfeind für den Verfassungsschutz"
"Um im Plenum Mehrheiten für unsere Vorhaben als Minderheitsregierung zu gewährleisten, arbeiten wir ausschließlich mit den demokratischen Fraktionen zusammen", erklärte die Parlamentarische Geschäftsführerin und stellvertretende Fraktionsvorsitzende Laura Stellbrink. "Eine rechtsextreme Partei kann nicht mit den Stimmen der Sozialdemokratie rechnen!" Der SPD-Kandidat für die PKK, Albrecht Pallas, wurde auf Anhieb in das Gremium gewählt.
Schärfer äußerte sich für die nicht mehr an der sächsischen Landesregierung beteiligten Grünen die Leipziger Bundestagsabgeordnete Paula Piechotta. "Dass ein Verfassungsfeind den Verfassungsschutz kontrolliert, ist mit einer wehrhaften Demokratie unvereinbar", sagte sie. Die CDU-Landtagsfraktion breche auf unverantwortliche Weise mit diesem Grundsatz. "Die Mitgliedschaft der AfD in der PKK und ihr Status als Beobachtungsobjekt führen zu einer hoch problematischen Doppelrolle - insbesondere mit Blick auf den Zugang zu hoch sensiblen Daten", fügte Frau Piechotta hinzu.
So argumentiert auch die Linken-Fraktionsvorsitzende im Sächsischen Landtag, Susanne Schaper. Sie hält es für "absurd", dass die AfD ihre eigene Beobachtung durch den Verfassungsschutz kontrollieren soll. Eine Wahl Hütters sei für Linke mit dem Gewissen unvereinbar. "Die AfD darf nicht normalisiert werden."
Bildunterschrift: Carsten Hütter, Bundesschatzmeister der AfD, am Mittwoch in der Sitzung des Sächsischen Landtages.
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Spiegel Online, 15.01.2025:
Mit Stimmen von CDU und BSW / Sächsischer Landtag wählt AfD-Politiker in die Parlamentarische Kontrollkommission
15.01.2025 - 22.38 Uhr
Der Sächsische Landtag hat den AfD-Politiker Carsten Hütter in die Kommission gewählt, die den Verfassungsschutz kontrollieren soll. SPD und Grüne werfen CDU und BSW vor, für Verfassungsfeinde gestimmt zu haben.
Der Sächsische Landtag hat mit den Stimmen der CDU den AfD-Abgeordneten Carsten Hütter in seine Parlamentarische Kontrollkommission gewählt. Dem Gremium gehören fünf Landtagsabgeordnete. Mit Ausnahme der Linken sind alle Fraktionen vertreten. Neben Hütter gehören dem Gremium Ronny Wähner (CDU), Bernd Rudolph (BSW), Albrecht Pallas (SPD) und Valentin Lippmann (Grüne) an.
SPD, Grüne und Linke stimmten gegen AfD-Mann Hütter, der das Amt bereits zuvor innehatte. Hintergrund ist, dass der sächsische AfD-Landesverband vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wird. Die CDU hatte ihre Zustimmung damit begründet, dass bei der Besetzung der Ausschüsse der Wählerwille berücksichtigt werden müsse. Für die Wahl war die Mehrheit der Mitglieder des Landtags erforderlich.
Aufgabe der Parlamentarischen Kontrollkommission ist es, die Tätigkeit der Landesregierung bei der Aufsicht auf das Landesamt für Verfassungsschutz sowie die Tätigkeit des Landesamtes selbst zu kontrollieren. Zu diesem Zweck können ihre Mitglieder Sitzungen einberufen und Regierungsvertreter vorladen. Über die in den geheimen Sitzungen erörterten Informationen sind die Mitglieder der parlamentarischen Kontrollkommission zur Verschwiegenheit verpflichtet.
SPD und Grüne kritisieren CDU
SPD und Grüne haben die CDU nach der Wahl scharf kritisiert. "Die CDU hat heute ohne Not den Vertreter einer rechtsextremen Partei in das Kontrollgremium des sächsischen Verfassungsschutzes gewählt", sagte der Grünen-Politiker Valentin Lippmann im Anschluss. Damit konterkariere sie das Konzept der wehrhaften Demokratie. Mit ihrem Agieren ermöglicht die CDU "Verfassungsfeinden den Zugang zu hoch sensiblen Informationen".
SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese sagte dem "Handelsblatt": "Es macht mich fassungslos, dass die CDU in Sachsen mit der AfD gemeinsame Sache macht." Auch der CDU warf Wiese mangelnde Abgrenzung vor: "Die Brandmauer der CDU scheint inzwischen eher ein Rolltor zu sein, das je nach Bedarf hoch- und runtergefahren wird." CDU-Chef Friedrich Merz habe "seinen Laden nicht im Griff".
Grünen-Partei-Chef Felix Banaszak sagte am Mittwoch: "Teile der CDU sind offenbar bereit, die Brandmauer zur AfD einzureißen - und das nur wenige Tage, nachdem Friedrich Merz eine Zusammenarbeit noch kategorisch und glaubwürdig ausgeschlossen hat." Es sei inakzeptabel, "die AfD und ihre Vertreter weiterhin mit der Kontrolle der Geheimdienste zu betrauen". Aus Sicht von Banaszak steht nach der Abstimmung in Sachsen nicht nur die innere Haltung der CDU auf dem Prüfstand, sondern auch die Frage, welches Signal die Partei nach außen senden wolle. "Steht die Partei geschlossen hinter ihrem Vorsitzenden oder bewegen wir uns auf eine schleichende Normalisierung der Zusammenarbeit mit Rechtspopulisten und Rechtsextremen zu, wie sie auch in Österreich zu beobachten ist? Die Bürgerinnen und Bürger hätten ein Recht darauf, zu erfahren, wofür die CDU wirklich stehe", so Banaszak.
Bildunterschrift: Plenarsaal des Sächsischen Landtages am 15 Januar 2025.
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Westfalen-Blatt, 15.01.2025:
Polizei prüft AfD-"Abschiebeticket"
Nach einer Wahlkampfaktion der Karlsruher AfD ermittelt die Polizei wegen des Verdachts der Volksverhetzung. Grund sei ein Hinweis gewesen, wonach in Sozialen Medien ein "Abschiebeticket" gepostet wurde. Die optisch an Flugtickets angelehnten Flyer richten sich an "illegale Einwanderer". Das Abflugdatum ist auf den Tag der Bundestagswahl am 23. Februar datiert für die Reise: "Von: Deutschland - Nach: Sicheres Herkunftsland". Dabei handele es sich um eine Wahlkampfaktion des Kreisverbandes Karlsruhe, teilte ein Sprecher des AfD-Landesverbands auf Anfrage mit. Die Linkspartei hatte angekündigt, die AfD Karlsruhe anzuzeigen - wegen Bedrohung und Volksverhetzung. Die "Abschiebetickets" wurden laut der Linken in Briefkästen von Menschen mit Migrationshintergrund gesteckt. Der AfD-Landesverband teilte mit, der Flyer richte sich an alle Wahlberechtigten, ein Großteil werde noch verteilt. Die Rede war von etwa 30.000 Exemplaren.
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