5 Artikel ,
10.01.2025 :
Pressespiegel überregional
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Übersicht:
Pfälzischer Merkur Online, 10.01.2025:
Reichsbürger-Prozess in Zweibrücken `/ Angeklagter gibt Personalausweis ab, weil er kein Personal der BRD sein will
tagesschau.de, 10.01.2025:
Horb am Neckar / Zwangsräumung bei "Reichsbürger" - Großeinsatz der Polizei
Jüdische Allgemeine Online, 10.01.2025:
Meinung / Hitler ein Linker? / Der "Vogelschiss"-Moment der Alice Weidel
tagesschau.de, 10.01.2025:
Ein Jahr nach Correctiv-Enthüllungen / Was von den Massenprotesten übrig bleibt
Neue Westfälische, 10.01.2025:
Proteste gegen Rechts wirkungslos? / Äußerungen der AfD lassen "Schlimmes erahnen"
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Pfälzischer Merkur Online, 10.01.2025:
Reichsbürger-Prozess in Zweibrücken `/ Angeklagter gibt Personalausweis ab, weil er kein Personal der BRD sein will
10.01.2025 - 07.10 Uhr
Zweibrücken. Eine seltsame Geschichtsstunde vom Landgericht in Zweibrücken: Deutschland solle in den Grenzen vor dem Ersten Weltkrieg gelten. Ein Mann verschickt Briefe der Regierung von Preußen. Ein Reichsbürger-Prozess, der Einblicke in die Szene bietet.
Von Rainer Ulm
Der Prozess begann satte drei Stunden später, weil der Angeklagte zu seiner Verhandlung nicht erschienen war. Er hatte sich zwar tags zuvor in gleich drei Schreiben gegenüber dem Landgericht Zweibrücken für krank erklärt - allerdings kein dafür notwendiges ärztliches Attest beigelegt. So musste ihn die Staatsschutzkammer von der Polizei an dessen Meldeadresse - der Mann wohnt im knapp eine Autostunde entfernten Kreimbach-Kaulbach im Kreis Kusel (Rheinland-Pfalz) - ausfindig machen und ins Gerichtsgebäude kutschieren lassen.
Krankgemeldeter Reichsbürger steht in Zweibrücken vor Gericht
Hier muss sich der 66-jährige gebürtige Bayer, der mutmaßlich der Szene der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" angehört, wegen verfassungsfeindlichen Einwirkens auf Sicherheitsorgane sowie Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole verantworten.
Zur Erläuterung: "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" sind Gruppierungen und Einzelpersonen, die - unter anderem unter Berufung auf das historische Deutsche Reich und verschwörungstheoretische Argumentation - die Existenz der Bundesrepublik Deutschland (BRD) und deren Rechtssystem ablehnen, den demokratisch gewählten Repräsentanten ihre Legitimation absprechen und / oder sich als jenseits der Rechtsordnung stehend definieren.
Angeklagter soll Bundesrepublik nicht anerkennen
Apropos "stehend". Der Angeklagte mit dem zu einem Zopf gebundenen langen grauen Haaren zog es nach seinem Eintreffen im Gerichtssaal zunächst vor, den Prozesses stehend zu verfolgen.
Er setzte sich erst, nachdem Staatsanwalt Rouven Balzer begonnen hatte, die lange Anklageschrift zu verlesen. Demnach soll der Mann in den Jahren 2017 und 2018 in 20 Schreiben Gedankengut der so genannten "Reichsbürger-Bewegung" verbreitet und an das Oberlandesgericht Nürnberg, an die Justizvollzugsanstalt (JVA) Passau sowie an diverse Dienststellen der Bundes- und der Schutzpolizei gesendet haben. Darin soll er der BRD die Staatlichkeit, Souveränität und die staatsrechtliche Legitimation abgesprochen und behauptet haben, die Bundesrepublik sei völkerrechtswidrig als verwaltender Scheinstaat eingesetzt worden.
Eilantrag des Beschuldigten, das Deutsche Reich wieder herzustellen
Und der Angeklagte soll gefordert haben, den Nachkriegsstatus wieder herbeizuführen. Denn das Deutsche Reich mit seinen 26 Glied- und Bundesstaaten bestehe fort. Die "völkerrechtswidrig eingesetzte Verwaltung" betreibe eine "deutschlandfeindliche Politik" gegen die Zivilbevölkerung und begehe "Völkermord" durch "Bevölkerungsaustausch". Auch müsse endlich eine gründliche "Entnazifizierung" stattfinden. Diese Schreiben soll er unter anderem mit "Eilantrag", mit "Niederschrift und Eilverfügung der administrativen Regierung des Freistaates Preußen", "Niederschrift und Anordnung des Deutschen Reiches" oder mit "Eilverfügung des Freistaates Preußen an die Bundesrepublik Deutschland" betitelt haben.
Zu den Vorwürfen vom Vorsitzenden Richter Andreas Herzog befragt, gab der Angeklagte, der nach eigenen Worten zuletzt eine Selbstverteidigungsschule betrieben haben will, zunächst zu, diese Schreiben versandt zu haben. Er habe damit jedoch 2018 aufgehört - nachdem sein Haus von der Polizei durchsucht worden war. Um dann zu beteuern, er habe damit nicht die "Grundordnung der BRD untergraben", sondern nur seinen Unmut über die Asylpolitik von Angela Merkel zum Ausdruck bringen wollen. Die ehemalige Bundeskanzlerin habe damals "internationale Gesetze" gebrochen, was "niemand gekümmert" habe.
Wie der Angeklagte seine Schreiben begründete
"Ich wollte aufrütteln. Die Behörden sollten ihre Arbeit machen", behauptete der 66-Jährige weiter. "In dem Sinne: Hallo Leute, werdet doch wach!" Danach sei es ihm besser gegangen: "Ich hatte das Bedürfnis, was zu machen."
Die Polizeiarbeit habe er nicht "untergraben" wollen: "Ich bin der friedlichste Mensch, den es gibt!" Auf die Frage, ob er Teil der Reichsbürger-Bewegung sei, antwortete er: "Nein." Er sei "noch nie auf solchen Demonstrationen und Kundgebungen" gewesen. Zumal er "mit dem Grundgesetz keine Probleme" habe.
Deutschland in den Grenzen vor dem Ersten Weltkrieg gefordert
Warum dann aber in den von ihm verbreiteten Schreiben zu lesen war, dass das deutsche Staatsgebiet "in den Grenzen zwei Tage vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs" bestehe, wollte Richter Herzog wissen. Worauf der Angeklagte achselzuckend erwiderte: "Ich krieg‘s nicht mehr hin. Kann ich nicht sagen."
Jedenfalls habe das Bundesverfassungsgericht bereits vor vielen Jahren festgestellt, dass das Deutsche Reich niemals unterging, sagte der Angeklagte weiter. Deshalb sei unklar, ob die BRD ein souveräner Staat sei: "Das ist die Frage - wohl eher nicht, wenn er von außen alles diktiert bekommt." So habe der frühere US-Außenminister James Baker im Juli 1990 während der 2 + 4-Verhandlungen zur deutschen Einheit den Artikel 23 des Grundgesetzes "gestrichen".
Angeklagter: BRD ein Verwaltungskonstrukt und kein souveräner Staat
Die BRD sei als "Verwaltungskonstrukt gedacht gewesen", so der 66-Jährige, der von dem Kaiserslauterer Rechtsanwalt Johannes Berg verteidigt wird. Er habe seinen Personalausweis "gekündigt", weil er kein "Personal" eben dieser Verwaltung sein wollte. Er lebe jetzt als Angehöriger des "Indigenen Volks Germaniten": "Man kann auch Deutscher sein ohne Personalausweis! Ich zahle ja weiter meine Steuern und meine Knöllchen."
Und überhaupt habe er die deutsche Geschichte "nur hinterfragt". "Dass sich jemand auf den Schlips getreten fühlt, war nicht unsere Absicht." Er habe die Schreiben im Auftrag des "Volksstaats Bayern" per Fax versandt, sei nur für die Anschreiben zuständig gewesen. Und er fügte hinzu: "Diese Bewegung gibt es heute nicht mehr." Im Übrigen habe er die Schreiben weder verfasst noch vollständig gelesen, sondern "nur weitergeleitet". Verfasserin sei vielmehr eine Monika S. (er nannte den vollständigen Namen der nach Merkur-Recherchen inzwischen 55 Jahre alten Frau, die seit 2017 als "Innenministerin" des nun so genannten "Bundesstaats Bayern" firmiert, und gab deren Wohnort mit "in der Nähe von München" an).
Weshalb der Vorsitzende Richter zum Schluss des langen ersten Prozesstages noch den rechtlichen Hinweis erteilte, dass in diesem Fall womöglich eine "Strafbarkeit wegen Beihilfe in Betracht kommen" könnte.
Fortsetzung: Am kommenden Dienstag, 14. Januar, wird ab 9 Uhr im Landgericht Zweibrücken weiter verhandelt.
Bildunterschrift: 2017 und 2018 hatte es in Bayern mehrere Durchsuchungen in Häusern von mutmaßlichen Reichsbürgern gegeben, so auch bei dem nun in Zweibrücken angeklagten 66-Jährigen. (Um wessen Haus es sich auf dem Archivbild handelt, ist der Redaktion nicht bekannt).
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tagesschau.de, 10.01.2025:
Horb am Neckar / Zwangsräumung bei "Reichsbürger" - Großeinsatz der Polizei
10.01.2025 - 09.11 Uhr
In Horb am Neckar in Baden-Württemberg gab es am Abend einen Großeinsatz der Polizei. Grund dafür war die Zwangsräumung bei einem Mitglied der "Reichsbürger"-Szene. Das Gebäude wurde stundenlang umstellt.
Im Stadtteil Ihlingen in Horb am Neckar (Kreis Freudenstadt) war die Polizei am Donnerstagabend mit einem Großaufgebot im Einsatz. Die Polizei hat nach eigenen Angaben eine Zwangsräumung des Amtsgerichts Horb begleitet. Die Polizeikräfte waren zur Sicherheit vor Ort. Es gab Befürchtungen, der Mann könnte Widerstand leisten.
Mann wird der "Reichsbürger"-Szene zugeordnet
Die Polizei ordnet ihn der "Reichsbürger"-Szene zu. Es habe vorab Informationen über den Bewohner gegeben, nach denen eine Gefährdung der eingesetzten Kräfte nicht ausgeschlossen werden konnte, teilte die Polizei mit. Erst am frühen Freitagmorgen seien die Einsatzkräfte nach und nach abgerückt.
Eine Gefährdung für die Bevölkerung habe zu keinem erkennbarem Zeitraum bestanden. Bewohner aus angrenzenden Gebäuden wurden laut Polizei vorsorglich aufgefordert, diese während des laufenden Einsatzes zu verlassen.
Wohnung geräumt: Bewohner war nicht zuhause
Der Bewohner selbst war laut Polizei nicht anzutreffen. Auch andere Menschen, die in dem Haus leben sollen, waren demnach nicht vor Ort. Bei der Durchsuchung seien keine gefährlichen Gegenstände gefunden worden.
Einsatzkräfte hatten das Gebäude am Donnerstagabend stundenlang umstellt und die Umgebung großräumig abgesperrt. Anwohner hatte die Polizei aufgefordert, ihre Wohnungen und Häuser zu verlassen. Manche kamen zwischenzeitlich bei Freunden und Verwandten unter. Die Hintergründe des Einsatzes waren bis in die Nacht unklar.
Gespenstische Szenen in Ihlingen
Der Einsatz hat nicht nur vor Ort für Aufsehen gesorgt. Ihlingen ist ein kleiner Ortsteil von Horb mit nur ein paar hundert Einwohnern. Als gegen 17 Uhr am Donnerstagabend massenhaft Polizei anrückte, in Kolonne und mit Blaulicht, gab es schnell auch Videos in den Sozialen Medien. So wurde in der Facebook-Gruppe "Blaulicht News Horb am Neckar" ein Video geteilt, auf dem auch gepanzerte Fahrzeuge zu sehen waren.
SWR-Reportern boten sich vor Ort gespenstische Szenen: Polizisten mit Sturmhauben hatten sich postiert. Anwohner durften nicht mehr zu ihren Häusern. Zunächst war unklar, was da passiert. Gleichzeitig wirkte die Situation paradox ruhig: Außer den Polizeikräften war niemand mehr auf der Straße. Die Polizei selbst war in aufmerksamer aber auch unaufgeregter Wartestellung. Um Mitternacht gingen die Straßenlaternen aus.
Erst in den frühen Morgenstunden rückte die Polizei ab - nach eigenen Angaben ohne Zwischenfall und ohne Ergebnis. Die Polizei hat keine gefährlichen Gegenstände gefunden.
Wie es mit der geplanten Zwangsräumung weitergeht, ist nicht bekannt. Beim Amtsgericht war bislang niemand zu erreichen. Klar ist: Gegen den Mann, dessen Haus geräumt werden sollte, gibt es keinen Haftbefehl. Er wird deshalb nicht gesucht.
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Jüdische Allgemeine Online, 10.01.2025:
Meinung / Hitler ein Linker? / Der "Vogelschiss"-Moment der Alice Weidel
10.01.2025 - 10.04 Uhr
Mir ihren Aussagen zu Adolf Hitler im Gespräch mit Elon Musk hat die AfD-Chefin erneut ihre Inkompetenz bewiesen
Von Michael Thaidigsmann
Nein, nein, sie hat nicht "Autobahnen" gesagt. Hätte sie es getan, wäre es aber auch nicht weiter aufgefallen. Die Nebelkerzen, die Alice Weidel in ihrem Live-Podcast mit Elon Musk am Donnerstagabend zündete, waren in Wahrheit intellektuelle Stinkbomben.
Besonders deutlich wurde das, als Weidel auf die Nazi-Zeit und auf Adolf Hitler zu sprechen kam. Ein "antisemitischer Sozialist", ein Linker, ein Kommunist sei der Diktator gewesen, behauptete die AfD-Chefin. Zur Begründung führte sie an, die Nationalsozialisten hätten ja den Sozialismus im Namen getragen und seien für die Verstaatlichung der Industrie eingetreten.
Für Hitlers Rassenwahn, für seinen abgrundtiefen Juden-Hass, hatte die Ökonomin Weidel eine simple Begründung: Hitler habe schließlich "die gesamte Industrie verstaatlichen" wollen; daran könne man seine sozialistische Einstellung erkennen. Die AfD habe inhaltlich das genaue Gegenteil vor, so Weidel: "Wir sind eine libertäre, konservative Partei."
Es war nicht der einzige Moment im Interview, der zum Fremdschämen war. Aber es war wohl die Aussage, an die man sich auch noch in einigen Jahren erinnern dürfte. Mit anderen Worten: Es war der "Vogelschiss"-Moment der Alice Weidel. Alexander Gauland, ihr Vorgänger im Parteivorsitz und einstiger Kollege im Fraktionsvorsitz, hatte den Begriff 2018 verwendet, um die Herrschaft der Nazis im Kontext der deutschen Geschichte zu bagatellisieren. Jetzt legte Weidel rhetorisch noch eine Schippe drauf und deutete Adolf Hitler kurzerhand zum Linken um.
Im anschließenden Interview bei RTL stellte die Kanzlerkandidatin der AfD klar, dass das ernst gemeint war. "Ich bin Ökonomin, und für uns ist völlig klar, dass Adolf Hitler ein Linker war." Weidel ging sogar noch weiter. Hitler habe damals "die gleichen Methoden" angewendet wie die Linke heute.
Ein infamer Vergleich. Dass ausgerechnet Hitler, der erst durch Spenden und politische Unterstützung zahlreicher deutscher Großindustrieller an die Macht kam und in seiner zwölfjährigen Regierungszeit die Produktionsmittel nicht verstaatlichte, ein Sozialist gewesen sein soll, ist seit Jahrzehnten widerlegt. Dass er linke Ideen für seine Zwecke nutzte, ist da kein Widerspruch.
Nein, Hitler war ein Rechtsextremist, wie er im Buche steht. Alice Weidel weiß das natürlich, sie ist ja nicht blöd. Aber zur Reinwaschung ihrer in Teilen ebenfalls rechtsextremen Partei ist ihr offenbar jedes Mittel recht.
Auch antisemitische Denkmuster sind ihr nicht fremd. So stellte sie in ihrem Talk mit Elon Musk auch noch die Behauptung auf, Juden seien in der damaligen Zeit "wohlhabende Menschen" gewesen. "Jüdische Menschen waren hoch gebildet, sehr kultiviert. Und sie waren erfolgreich." Hitler habe den Neid in der Bevölkerung auf Juden nur ausschlachten müssen. Eine "sozialistische Maßnahme" sei der Antisemitismus der Nazis gewesen.
Wer so einen Stuss erzählt, hätte noch vor einigen Jahren in der deutschen Politik einen schweren Stand gehabt. Alexander Gauland musste für seine "Vogelschiss"-Rhetorik harte Kritik einstecken. Statt Rücktrittsforderungen bekam Weidel dagegen Rückendeckung für ihre abstrusen Thesen - und das von keinem geringeren als Elon Musk.
Auch der Tech-Unternehmer sieht sich offenbar als Steigbügelhalter und hat ein Herz für geistige Dünnbrettbohrer am äußersten rechten Rand des politischen Spektrums. Alice Weidel ist einer davon. Sie hält sich selbst für die Klügste, redet gerne abschätzig über ihre politischen Konkurrenten und spricht dem grünen Wirtschaftsminister die fachliche Kompetenz ab.
Sogar zur "einzigen Beschützerin der Juden" in Deutschland hat Alice Weidel sich und ihre Partei stilisiert. Auch das ist infam.
Die Wahrheit wird bei ihr im Nullkommanichts zur Lüge. Am Donnerstag hat die AfD-Chefin das eindrucksvoll unter Beweis gestellt.
Bildunterschrift: Michael Thaidigsmann.
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tagesschau.de, 10.01.2025:
Ein Jahr nach Correctiv-Enthüllungen / Was von den Massenprotesten übrig bleibt
10.01.2025 - 08.36 Uhr
Vor einem Jahr veröffentlichte das Online-Magazin Correctiv Recherchen zu einem Treffen rechtsextremer Kreise. Dort diskutierte Pläne zur "Remigration" lösten Massendemonstrationen aus. Der RBB hat nachgefragt: Was ist daraus geworden?
Etwas unscheinbar in einem Hinterhof liegt das alte Kino "Alhambra", mitten in der Innenstadt von Luckenwalde in Brandenburg. Die rote Eingangstür quietscht beim Öffnen. Das kleine Foyer, die gepolsterte Sitzecke und die Wandverkleidung in DDR-Design versprühen den Charme längst vergangener Zeiten. Der fensterlose Raum wirkt wie ein gemütliches Wohnzimmer. "Es ist ein schöner Ort, um zusammen zu kommen", sagt Caroline Fritsch, während sie einen Barhocker an die holzvertäfelte Theke stellt.
Demonstration als Ausgangspunkt
Betrieben wird das "Alhambra" vom örtlichen Kulturförderverein. Hier trifft sich die Initiative "Wir hier in Luckenwalde". Seit einem Jahr plant Fritsch unter diesem Motto gemeinsam mit anderen Ehrenamtlichen regelmäßig Aktionen für den demokratischen Zusammenhalt in der Stadt südlich von Berlin: Diskussionsrunden, Vorträge oder Konzerte.
Auslöser für das Engagement waren die Pläne zu so genannten Remigration bei einem rechtsextremen Treffen in Potsdam, veröffentlicht durch das Online-Magazin Correctiv. Damals, im Januar 2024, organisierte Caroline Fritsch auf dem nahe gelegenen Marktplatz eine Demonstration - das erste Mal in ihrem Leben. 600 Menschen kamen, angemeldet waren nur 200.
"Ich war kurz davor auf einer der großen Demos in Berlin und hatte das Gefühl, ich muss etwas tun und den Protest in meine Heimat tragen, in die Kleinstadt", erinnert sich die 36-Jährige. In einer Partei oder sonst politisch aktiv sei sie bis dahin nicht gewesen.
Die Zivilgesellschaft vernetzt sich lokal
Zusammenhalt schaffen und die Vielfalt der Gesellschaft sichtbar machen, das sind die Ziele von Fritsch und ihren Mitstreitern. Die Initiative richtet sich vor allem an Jugendliche und junge Erwachsene. "Viele junge Menschen berichten uns, dass sie nicht das Gefühl haben, die Politik würde auf ihre Probleme eingehen. Viele Parteien ziehen sich aus unserer Region zurück und überlassen das Feld den Populisten", berichtet Fritsch. Dem wolle sie etwas entgegensetzen.
Aus der Idee unter alten Freunden entstand schnell ein Netzwerk in der Stadt mit gut 20.000 Einwohnern. Bei regelmäßigen Treffen hätten immer mehr Leute ihre Expertise ins Projekt eingebracht, von Technik über Design bis Kommunikation: "Ich hatte am Anfang Angst, dass wir alleine dastehen. Aber der Zuspruch war überwältigend. Das hat uns gegenseitig motiviert und mittlerweile ist es fast ein Selbstläufer." Anfeindungen habe es selten gegeben, stattdessen viele positive Rückmeldungen aus der Stadtgesellschaft.
Kaum Erfolge auf politischer Ebene
Lokale und regionale Initiativen wie in Luckenwalde gab und gibt es auch andernorts. Dennoch ist die Bilanz der Großdemonstrationen vor einem Jahr aus Sicht von Beobachtern ernüchternd.
Den Rechtsextremismus in Deutschland habe die Bewegung nicht geschwächt, so der Sozialwissenschaftler Johannes Kiess vom Else-Frenkel-Brunswik-Institut für Demokratieforschung an der Uni Leipzig. "Von der anfangs beeindruckenden und breiten Mobilisierung ist wenig geblieben. Die Politik ist nicht auf die Forderungen der Demonstrationen eingegangen. Das hat schnell zu Frustration bei den Beteiligten geführt", bilanziert Kiess.
Die Parteien der Mitte hätten sich zwar zunächst auf die Seite der Proteste gestellt. Ein gefordertes Demokratiefördergesetz zur Stärkung der Zivilgesellschaft aber gebe es bis heute nicht. Auch das Bestreben nach einem AfD-Verbotsverfahren sei kaum vorangekommen. Ebenso wenig hätten die Demonstrationen letztlich Wahlerfolge und hohe Umfragewerte populistischer Parteien verhindern können. Und die Debatte um Migration und Asyl habe sich weiter nach rechts außen verschoben.
Dennoch sieht Kiess in der Reaktion auf die Correctiv-Enthüllungen vor einem Jahr positive Signale für die Demokratie: "In viele ostdeutschen Kleinstädten waren das die ersten und größten Demonstrationen gegen Rechtsextremismus. Das hat gezeigt, dass breite Bevölkerungsschichten die völkisch-rassistischen Narrative der AfD ablehnen".
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Neue Westfälische, 10.01.2025:
Proteste gegen Rechts wirkungslos? / Äußerungen der AfD lassen "Schlimmes erahnen"
Berlin. Ein Jahr nach den Massendemonstrationen gegen Rechtsextremismus sieht der Zentralrat der Juden die Wirkung verpufft. Seine Bilanz falle ernüchtert aus, sagte Zentralratspräsident Josef Schuster. "Ich bin tatsächlich ein wenig erschüttert, dass man an den Wahlumfragen der AfD in der Hinsicht nichts mehr ablesen kann. Pessimistisch müsste man meinen, dass die Menschen die AfD genau wegen ihrer radikalen Positionen wählen wollen."
Schuster warnte mit Blick auf die Bundestagswahl am 23. Februar: "Die AfD ist für mich keine Partei des demokratischen Spektrums. Für den Fall einer Regierungsbeteiligung der AfD mache ich mir ernsthaft Sorgen, inwieweit jüdisches Leben tatsächlich noch in Deutschland möglich wäre. Was wir von Funktionären der AfD hören, lässt sehr Schlimmes erahnen."
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