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5 Artikel , 08.01.2025 :

Pressespiegel überregional

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Übersicht:


Endstation Rechts., 08.01.2025:
Seminar in der Südheide / Reichsbürger-Netzwerke - nicht rechtsextrem?

Süddeutsche Zeitung Online, 08.01.2025:
"Reichsbürger"-Prozess / Mutmaßlicher Putschist will von Gewalt nichts gewusst haben

Südwestrundfunk, 08.01.2025:
Prozess gegen mutmaßlichen Reichsbürger aus Kreis Kusel hat begonnen

Südwestrundfunk, 08.01.2025:
Organisatoren mit Protest zufrieden / 650 Menschen demonstrieren in Nehren gegen AfD-Politiker

die tageszeitung Online, 08.01.2025:
Geplanter Protest gegen AfD-Parteitag / Das Riesa-Moment des Antifaschismus

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Endstation Rechts., 08.01.2025:

Seminar in der Südheide / Reichsbürger-Netzwerke - nicht rechtsextrem?

Sie werben verstärkt in rechtsoffenen Kreisen für ein Staatssystem wie das des Deutschen Kaiserreiches und vernetzen sich unermüdlich. Unterstützung finden Reichsbürger-Gruppen wie der "Verband Deutscher Wahlkommissionen" (VDWK) dabei durch erfahrene Revisionisten. Im niedersächsischen Wesseloh war einer der Köpfe der Holocaust-Leugner-Szene dabei.

Andrea Röpke / Olaf Meyer

Vernetzungsbemühungen kennzeichnen die reichsideologische Szene. Allein dem Telegram-Kanal des "Verband Deutscher Wahlkommissionen" (VDWK) gehören fast 2.000 Mitglieder an. Diese Dachorganisation führt so genannte Flaggenläufe wie in Gera mit etwa 1.000 Teilnehmenden durch, ihr Ziel ist die Organisation deutschlandweiter "Gemeindewahlen" sowie die Reaktivierung des Deutsche Kaiserreichs. Das nächste große Treffen soll am 15. März 2025 in Schwerin stattfinden. Es heißt: "Das Deutsche Reich 1871 - 1918 ist die Heimath aller Deutschen."

Dieser "Ewige Bund" von 26 Völkern sei zur Weltmacht aufgestiegen, sehr zum Ärger englischer Aristokraten, die wollten das nicht zulassen und "zwangen" Deutschland 1914 zum Krieg, schreibt Frank Meier bei VDWK. Er schwadroniert in der Telegram-Gruppe weiter, 1918 sei es zum "Putsch durch die feigen Sozis" gekommen und so habe alles "seinen geplanten Lauf genommen". "Indoktrination, Erschaffung eines Schuldkomplexes seit über 100 Jahren." Meier: "Das einzige weltweite souveräne Völkerrechtssubjekt DR wurde in den Dreck getreten und mit ihm wir Deutsche." Es habe dann Pläne gegeben, Deutschland abzuschaffen, doch die Deutschen seien "immer gute Menschen, immer friedlich" gewesen. Rechtsextremes Vokabular, welches auf offene Ohren stößt.

Veranstaltungen im Verborgenen

Eine im Kanal des "Verband Deutscher Wahlkommissionen" (VDWK) beworbene mehrstündige Vortragsveranstaltung mit Referent "Niklas" im "Landgasthaus Wesseloh" in der Südheide organisierte eine ortsansässige Heilpraktikerin. Sie nennt sich auf Telegram Fliegenpilzsammlerin und ist im örtlichen Sportverein aktiv. Es wurde um eine "freiwillige Schenkung von 30 Euro" für den Referenten und die Übernahme seines Essens vom Buffet gebeten. Der Referent betreibt den Telegram-Kanal "Klas Heimatliebe" mit über 1.400 Mitgliedern.

Diverse größere reichs- und verschwörungsideologische Veranstaltungen fanden in den letzten drei Jahren in der Region statt: Eggestorf und Bendingbostel (Arminius Erben), Walsrode (Druschba und Königreich Deutschland), Bad Bevensen (Indigenes Volk Germanitien). Die Teilnehmenden am letzten Sonntag in Wesseloh kamen aus dem Heidekreis, Hannover, Winsen / Luhe, Braunschweig, Gifhorn, Brake und Rotenburg. Es war eine eher kleine Runde von etwa zwei Dutzend Leuten, die scheinbar in die rechtliche Reichs-Materie eingeführt werden sollten.

So ging es u.a. um die "Grundsätzliche Informationen zur Geschichte der Staatlichkeit und die elementare Bedeutung der Bodenrechte". Diese Szene erkennt die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland nicht an. In einem Vortrag des Referenten Niklas aus Hessen heißt es: "Die Deutschen regieren sich nicht selber, die BRD ist ein Treuhandsystem ohne Selbstregierung." Er ruft dazu auf etwas zu unternehmen und quasi das Grundgesetz durch eine eigene Verfassung zu ersetzen. Unter den Besuchern in der Südheide waren Impfgegnerinnen, Impfgegner, Russland-Freunde, die Mitarbeiterin einer regionalen Solawi, aber vor allem einer der zentralen Köpfe des deutschen Geschichtsrevisionismus: Wolfram Schiedewitz aus Seevetal.

Der Einfluss der Neonazis

Schiedewitz leitet seit Jahren den antisemitischen "Verein Gedächtnisstätte e.V." um Holocaust-Leugner wie Horst Mahler oder die jüngst verstorbene Ursula Haverbeck. Er postet in Kanälen wie "Deutsches Reich" die Programme seines Vereines im Zentrum Guthmannshausen. Weitere Geschichtsrevisionisten wie Bernhard Schaub, Wolfram Nahrath oder Nikolai Nerling paktieren längst mit der reichsideologischen Staatsverweigerer-Szene.

"Die fremdbestimmte BRD, aus dem Hintergrund geführt vom "Tiefen Staat" durch Figuren wie Bill Gates und George Soros, muss abgelöst werden durch das eigenständige Deutsche Reich unter Leitung seines Kaisers" forderte im Mai 2020 der ehemalige Waldorf-Lehrer, völkische Aktivist und Antisemit Schaub und plädierte für eine Konterrevolution und die Einsetzung von Prinz Georg Friedrich von Preußen. Nachdem bei den Massenprotesten von Querdenken 711 seit 2020 die Farben des Deutschen Reiches zu einem Aushängeschild mutierten, scheinen solche Forderungen für viele innerhalb des rechten Protest-Lagers nicht abwegig.

Der mehrfach verurteilte Neonazi Horst Mahler gilt als einer der Gründer der so genannten Reichsbürger-Szene. Von ihm stammen mehrere zentrale "Argumente" dieses heterogenen Spektrums wie die Behauptung, der SPD-Politiker Carlo Schmid, einer der Gründerväter des Grundgesetzes, habe dessen Legitimität bestritten. Mahler legte auch die These vor, die Bundesregierung betreibe im "jüdisch-amerikanischen Auftrag" einen "Umvolkungsfeldzug gegen unser Volk".

Mahlers Vorstellung, die Bundesrepublik sei eine GmbH, die als "Geschäftsführung ohne Auftrag für das Deutsche Reich" tätig ist, greift auch VDWK-Referent Niklas ähnlich in seinen Vorträgen auf. Bei einer rechten Veranstaltung in Göttingen im Mai 2025, die aufgezeichnet wurde, sagte der Mann mit dem roten Bart: "Es geht nicht um Blutvergießen, wir nehmen unsere Rechte wahr. Es geht darum die Menschen zu erreichen. Die Deutschen haben keine Identifikation mit diesem Landstrich. Wir haben hier keine Deutschen irgendwann. Man kann doch nicht den Barbaren unser Land überlassen!"

Kaum Rechtsextreme in der Reichs-Szene?

Dennoch bleiben die Verfassungsschutzbehörden in der Bundesrepublik bei ihrer gefährlichen Arbeitshypothese diese politische Szene sei insgesamt nicht rechtsextrem. Antisemitismus und Revisionismus als fester Bestandteil der Ideologie reichen demnach ebenso wenig aus wie die Kooperation mit Völkischen und Geschichtsverfälschern. Im niedersächsischen Jahresbericht der Geheimdienst-Behörde wird die Anzahl der "Reichsbürger und Selbstverwalter" mit 1.080 Personen angegeben. Zwar wird das Phänomen inzwischen unter Rechtsextremismus gelistet, doch tatsächlich behauptet, nur 40 Personen aus diesem Spektrum seien der rechtsextremistischen Szene zuzuordnen.

Doch genau diese Gruppierungen wie der "Vaterländische Hilfsdienst", der "Ewige Bund" oder der "Verband Deutscher Wahlkommissionen" (VDWK) feiern mutmaßliche Terroristen der "Gruppe Reuß" als Freiheitskämpfer. So gibt es alleine einen Kanal "VDWK grüßt Prinz Heinrich XIII". Am 12. Januar soll "zu Ehren von Max Eder und allen politischen Gefangenen - somit auch für Heinrich XIII" eine Solidaritäts-Demo vor dem Gefängnis in Frankfurt am Main stattfinden. Zum Kern der mutmaßlichen Terror-Gruppe Reuß gehören neben dem ehemaligen Elitesoldaten Eder auch die Ex-Bundestagsabgeordnete der AfD Birgit Malsack-Winkemann. Politische Radikalisierung und Vernetzung schreiten weiter voran.

Bildunterschrift: Der Tagungsort für das mehrstündige Seminar in der Südheide.

Bildunterschrift: Referent "Niklas" auf dem Weg zum Seminar.

Bildunterschrift: Geschichtsrevisionist Wolfram Schiedewitz vom Verein Gedächtnisstätte.

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Süddeutsche Zeitung Online, 08.01.2025:

"Reichsbürger"-Prozess / Mutmaßlicher Putschist will von Gewalt nichts gewusst haben

08.01.2025 - 14.44 Uhr

Ein mutmaßlicher Verschwörer im Stuttgarter "Reichsbürger"-Prozess weist Vorwürfe zurück. Er glaubte zwar an den Umsturz - Gewalt will er aber nie im Sinn gehabt haben.

Stuttgart (dpa). Er glaubte nach eigener Aussage an böse Mächte, die das Blutelixier von Kindern trinken, er glaubte an eine internationale Allianz, die die Regierung stürzen wird am "Tag X". Er postete in Chats von Panzern und Krieg. Aber Gewalt, so machte nun ein Angeklagter im Stuttgarter "Reichsbürger"-Prozess klar, habe er nie im Sinn gehabt. Er habe lediglich beim zivilen Wiederaufbau nach dem Umsturz helfen wollen.

Der mutmaßlichen "Reichsbürger"-Terror-Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß wird vorgeworfen, einen gewaltsamen Umsturz der Bundesregierung geplant und dabei bewusst Tote in Kauf genommen zu haben. Die mutmaßlichen Verschwörer stehen an drei verschiedenen Orten vor Gericht: München, Frankfurt am Main und Stuttgart. Bei dem Verfahren in Stuttgart geht es um den militärischen Teil der mutmaßlichen Terror-Gruppe, der die geplante Machtübernahme mit Waffengewalt durchsetzen sollte.

Einer der neun Männer nahm nun Stellung zu den Vorwürfen, machte Angaben zu seiner Biografie und zu seiner Rolle in der Gruppe.

Unzufrieden mit Rechtssystem

Der 42-Jährige, der über seinen Anwalt im Oberlandesgericht eine lange Erklärung vorlesen lässt, stellt sich dar als Mann, der mit beruflichen und privaten Problemen konfrontiert war, der unzufrieden war mit der Pandemie-Politik und der Ampel-Regierung. Er sei nicht einverstanden gewesen mit dem deutschen Rechtssystem. Aber beim Gedanken, dass Menschen hätten exekutiert werden sollen bei einem Umsturz, schaudere es ihm, heißt es in der Erklärung. "Ich bin ein Handwerker aus dem Schwarzwald."

Er habe nicht in öffentliche Gebäude eindringen wollen, um Regierungsmitglieder festzunehmen oder gar zu töten, ließ der Angeklagte verkünden. Er räumte aber ein, daran geglaubt zu haben, dass ein internationaler Geheimbund, eine so genannte Allianz, die Regierung in Deutschland stürzen werde. Ihm sei es bei seinem Wirken in der Gruppe um Reuß darum gegangen, den Wiederaufbau von Strukturen vorzubereiten.

Im Führungsstab des "militärischen Arms"?

"Ich bin sicher zu weit gegangen", lässt der Angeklagte vortragen. "Ich habe viele Äußerungen getätigt, für die ich mich heute schäme." Aber das, was in der Anklage stehe, treffe auf ihn nicht zu.

Der Generalbundesanwalt wirft dem Mann vor, sich spätestens im Juni 2022 der Gruppe um Prinz Reuß angeschlossen zu haben. Er soll im Führungsstab des "militärischen Arms" der Gruppe gewesen sein, innerhalb des Stabs für die "Untereinheit für taktische Luftunterstützungsaufgaben" zuständig. Der Angeklagte soll zudem eine Verschwiegenheitserklärung der Gruppe mit ausgearbeitet und im Ortenaukreis Rekrutierungsveranstaltungen organisiert haben.

Der 42-Jährige räumte vor Gericht ein, an einer Verschwiegenheitserklärung mitgearbeitet zu haben, auch wenn er mit der Androhung einer Todesstrafe darin nichts zu tun gehabt haben will. Die Treffen der Gruppe seien für ihn "zivile Informationstreffen" gewesen, ohne militärische Bedeutung. Man habe eine handlungsfähige Organisation für die Zeit nach dem Umsturz aufbauen wollen. "Es ging nicht um Tötung oder Säuberung, sondern um Strukturschaffung", heißt es in seiner Erklärung.

Blackout, Panzer, Tag X

Bei den Treffen geht es seinen Aussagen zufolge um den Dritten Weltkrieg, um einen Blackout, den Tag X und ein neues Deutschland. Dass er diese Dinge geglaubt habe, führt der Angeklagte auch darauf zurück, dass er unzufrieden mit seinem Leben in der Phase war.

Der Mann postete in Chats der Gruppe unter anderem darüber, dass er Leopard-Panzer haben wollte, dass er bewaffnet sei und bereit. Rückblickend stellt er die Äußerungen als entweder sarkastisch oder scherzhaft gemeint dar, als Folge seiner nervlichen Anspannung oder als schlicht missverstanden.

Die Einlassung und Befragung des Angeklagten wird vermutlich einige Prozesstage dauern. Ein Ende des Mammut-Verfahrens ist nicht in Sicht. Bis zum Urteil gilt für die Angeklagten die Unschuldsvermutung.

"Reichsbürger" erkennen die Bundesrepublik und ihre Gesetze nicht an. Die Szene ist sehr heterogen, ein Teil wird dem rechtsextremistischen Spektrum zugeordnet.

Bildunterschrift: Neun Männer stehen in Stuttgart vor Gericht, immer mehr äußern sich zu den Vorwürfen.

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Südwestrundfunk, 08.01.2025:

Prozess gegen mutmaßlichen Reichsbürger aus Kreis Kusel hat begonnen

08.01.2025 - 13.34 Uhr

Angeklagter musste von Polizei zum Gericht gebracht werden

Ein mutmaßlicher Reichsbürger muss sich seit Mittwoch vor dem Landgericht Zweibrücken verantworten. Er soll den Staat verunglimpft und Briefe mit verfassungsfeindlichen Inhalten an Behörden geschickt haben.

Zum eigentlich Prozessbeginn am Mittwochmorgen war der Angeklagte allerdings nicht am Landgericht Zweibrücken erschienen. Es folgte eine stundenlange Verzögerung. Polizeibeamte mussten den Mann von seinem Wohnort in Kreimbach-Kaulbach im Kreis Kusel abholen. Der Prozess konnte dadurch erst am Mittag starten.

Angeklagter wohnte zur Tatzeit im Rhein-Pfalz-Kreis

Verwirrung gab es zunächst auch um den Wohnort des Mannes. Denn zur Tatzeit, 2018, hatte er noch im Rhein-Pfalz-Kreis gewohnt. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann vor, von Ludwigshafen aus 20 Briefe verschickt zu haben. Und zwar an Polizeidienststellen, Gefängnisse und Gerichte in Bayern. In den Briefen wurde der Anklage zufolge Gedankengut der Reichsbürger propagiert.

Angeklagter will sich vor Gericht in Zweibrücken äußern

In den Briefen sei der Bundesrepublik Deutschland die Legitimation abgesprochen worden. In Wahrheit bestehe das alte Deutsche Reich aus der Zeit des "Freistaates Preußen" weiter. Die Politik begehe "Völkermord durch gezielten Bevölkerungsaustausch" heißt es laut Anklage in den Briefen des 66-Jährigen weiter.

Wie der Pflichtverteidiger des Angeklagten auf Anfrage mitteilte, will sich der 66-Jährige vor Gericht äußern. Der Angeklagte soll Teil einer Gruppe gewesen sein. Als erster Zeuge soll ein Polizist aus Ludwigshafen aussagen.

Mutmaßlichem Reichsbürger droht bis zu fünf Jahre Haft

Das Strafmaß für die zur Last gelegten Taten ist bereits bekannt. Es reicht von einer Geldstrafe bis zu fünf Jahren Gefängnis. Für die Verhandlung vor dem Zweibrücker Landgericht ist am kommenden Dienstag ein weiterer Verhandlungstag angesetzt.

Wie das Gericht erklärte, ist bei Staatsschutz-Angelegenheiten das Gericht in Zweibrücken zuständig. Ansonsten sei bei einem Angeklagten aus dem Rhein-Pfalz-Kreis das Landgericht in Frankenthal zuständig.

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Südwestrundfunk, 08.01.2025:

Organisatoren mit Protest zufrieden / 650 Menschen demonstrieren in Nehren gegen AfD-Politiker

08.01.2025 - 16.59 Uhr

Von Mia Zundel

Was für ein Empfang: Bei einem Wahlkampf-Termin in Nehren wird ein AfD-Politiker von 650 Demonstrierenden ausgepfiffen. Sie wollen die AfD nicht in dem kleinen Ort.

In Nehren (Kreis Tübingen) haben am Dienstagabend rund 650 Menschen demonstriert. Grund war ein Besuch des Bundestagsabgeordneten Malte Kaufmann von der Alternative für Deutschland (AfD). Die Partei hat sich auf SWR-Anfrage bisher nicht geäußert.

Einige Protestierende ärgern sich, dass die AfD ihre Veranstaltung im Gasthaus Nehrener Hof abhalten konnte. Der Inhaber, Werner Jung, kann den Unmut nicht verstehen. Er sieht sich als politisch neutral und versichert, er würde den Raum an jede Partei vermieten, ganz egal ob rechts oder links. Die Veranstaltung der AfD hat er als ruhig und unproblematisch wahrgenommen. Laut ihm ging es dort vor allem um Wirtschaftspolitik. Die Demonstration hat ihn gestört. Im Gespräch mit dem SWR klagte er über das "unmögliche laute Geschrei" von draußen. Nun hat er zahlreiche schlechte Bewertungen von den Demonstrierenden für seinen Gasthof bekommen. Trotzdem würde er wieder so handeln, sagt er.

Wahlkampf in Nehren: Eine gute Idee?

Während drinnen im Gasthaus der AfD-Politiker Malte Kaufmann aus dem Wahlkreis Heidelberg vor etwa 90 Interessierten sprach, riefen draußen die Demonstrierenden "Alle zusammen gegen den Faschismus" und sangen "Schrei nach Liebe" von der Band Die Ärzte. Dass die AfD in so einem kleinen Ort wie Nehren Wahlkampf macht, hält Benedikt Döllmann (Grüne) vom Tübinger Kreistag für eine Strategie. Die AfD erwarte auf dem Dorf weniger Widerstand, doch das Gegenteil sei der Fall.

"Ermutigend, wenn sich so viele für die Demokratie einsetzen"

Tanja Schmidt von der SPD Nehren hat die Demonstration mit organisiert. Sie zeigt sich sehr zufrieden darüber, wie der Abend verlaufen ist. Die Stimmung sei super gewesen, alles sei friedlich abgelaufen. Dass sich so viele Menschen für die Demokratie einsetzen, gebe ihr neuen Mut, sagte Schmidt dem SWR.

Nehrener besorgt über Pläne der AfD

Die SPD-Politikerin aus Nehren sieht in der AfD eine Gefahr für die Demokratie. Die Willkommenskultur in Nehren sei ihr wichtig, deswegen setze sie sich für geflüchtete Menschen ein. Die Pläne der AfD, Flüchtlinge abzuschieben, bereiten Tanja Schmidt große Sorgen.

Zu der Demo hatten einige SPD-Ortsgruppen aus der Region, die Omas gegen Rechts im Steinlachtal und weitere Initiativen aufgerufen. Sie möchten für Nehren einstehen und der AfD klar machen, dass sie hier nicht willkommen ist.

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die tageszeitung Online, 08.01.2025:

Geplanter Protest gegen AfD-Parteitag / Das Riesa-Moment des Antifaschismus

08.01.2025 - 14.28 Uhr

Kolumne Bewegung von Timm Kühn

Die Proteste und Blockaden gegen den AfD-Parteitag im sächsischen Riesa am Wochenende dürften groß werden. Hat die antifaschistische Bewegung Aufwind?

Am 14. Januar 2023 schien in Lützerath für einen kurzen Moment alles wieder möglich. Bis zu 40.000 Menschen versuchten, das von der Polizei hermetisch abgeriegelte Braunkohle-Dorf zu stürmen, das einige Aktivistinnen, Aktivisten besetzt hielten. Die legendäre "Schlammschlacht von Lützerath" war ein elektrisierendes Moment: Die Klima-Bewegung kam zusammen und zeigte ihre geballte Macht. Als die Polizei-Ketten durchbrochen wurden, schien die Klima-Bewegung für einen Moment wieder lebendig.

Nun, fast auf den Tag genau zwei Jahre später, scheint sich eine vergleichbare Bewegungsmagie zu entfalten. Die Mobilisierung für die Proteste und Blockaden gegen den Parteitag der AfD im sächsischen Riesa explodiert derzeit jedenfalls. Über 200 (!) Busse aus über 70 Städten hat das Widersetzen-Bündnis bundesweit organisiert, alleine aus Berlin und Umgebung machen sich 40 Busse auf den Weg. Tickets sind kaum noch zu ergattern.

Am Montag scheiterte für viele Interessierte ein Zoom-Call an völliger Überlastung, in dem über mögliche strafrechtliche Konsequenzen von Aktivismus in Sachsen aufgeklärt werden sollte. 500 Leute nahmen teil, damit hatte das Widersetzen-Bündnis offenbar nicht gerechnet. Fahrgemeinschaften bilden sich, auch die Züge dürften voll werden. Von Dresden macht sich eine Rennfahrrad-Demo auf den Weg. "Egal wie - Kommt nach Riesa!", schreibt das Widersetzen-Bündnis auf Telegram.

Beginn eines Protest-Zyklus

Doch der Vergleich mit Lützerath hinkt. Retrospektiv betrachtet markierte Lützerath schließlich vor allem das vorläufige Ende des Protest-Zyklus der Klima-Bewegung. Mit dem Abbaggern von Lützerath, für das die Grünen ihren Segen gegeben hatten, wurde auch das letzte bisschen Hoffnung auf wirklich ernstzunehmende Klima-Politik begraben. Antifaschismus ist dagegen zwar uralt, steht in seinem derzeitigen Bewegungszyklus aber - so könnte eine These lauten - noch ganz am Anfang.

Ein kurzer Blick zurück: Seit nun etwa 10 Jahren (für gesellschaftliche Entwicklungen keine allzu lange Zeit) kollabiert der antifaschistische Konsens der Bundesrepublik - dass es also lange zumindest als verpönt galt, öffentlich Ausländer, Queers und Juden zu hassen. Seither wächst die AfD und faschisiert sich, Konservative und Neoliberale sind ebenfalls in einem Prozess der voranschreitenden Rechtspopularisierung, Geflüchtete werden systematisch entrechtet, migrantisierte Menschen und Sozialleistungsempfangende stigmatisiert und zum Sündenbock für alles erklärt.

Der Rechtsruck ist im vollen Gange - bisher völlig ungebremst. Doch es gibt Anzeichen dafür, dass sich die Teile der Bevölkerung, die auch weiterhin keinen Bock auf Faschismus haben, aus ihrer Schockstarre und Apathie zu lösen beginnen. Die riesigen Massenproteste gegen Faschismus Anfang 2024 waren ein erster Ausdruck dieser moralischen Empörung, die sich allerdings nicht in organisierten Widerstand übersetzte. Im Juli vergangenen Jahres schaffte es dagegen das neue Widersetzen-Bündnis erstmals, zum Parteitag der AfD in Essen Zehntausende für massenhaften zivilen Ungehorsam gegen Faschismus zu mobilisieren.

Die AfD reagierte auf diesen zivilgesellschaftlichen Druck sofort und verlagerte ihren Parteitag aus der westdeutschen Metropolregion zurück ins ostdeutsche Hinterland. Wird es nun auch dort ungemütlich für die Menschenfeinde, hat dies deshalb wirkliches Potenzial, einen Anker gegen den dramatischen Verfall des gesellschaftlichen Zusammenhalts zu werfen. Denn klar ist: Die AfD hetzt die Menschen in diesem Land gegeneinander auf, Widerstand dagegen ist wichtig und richtig.

Ungehorsam und Konzerte

Wer am Samstag (11.01.) individuell nach Riesa anreist, solle vor 06.30 Uhr morgens vor Ort sein, um pünktlich für die Aktionen da zu sein, so das Bündnis. Treffpunkt für die gemeinsame Anreise aus Leipzig ist um 04.30 Uhr morgens am Leipziger Hauptbahnhof. Dort gibt es schon am Freitag eine Mahnwache, um Schlafplätze und Transport zu organisieren und Bezugsgruppen für alle zu finden, die noch auf der Suche sind. Zudem finden Aktionstrainings und -plena statt, abends gibt es Essen. Es gibt auch eine Schlafplatz-Börse (Ich suche … / Ich biete … ) für Leipzig und Dresden.

Für alle, die eine Auffrischung benötigen, wie das mit diesem zivilen Ungehorsam genau funktioniert, finden in Berlin mehrere Aktionstrainings statt. Am Mittwoch veranstalten Verdi und die DGB-Jugend ein solches von 16 bis 20 Uhr in der Oberlandstraße 25 - 36; am Donnerstag die Initiative Studis gegen Rechts von 15 bis 21 Uhr am selben Ort. Zudem besteht die Möglichkeit, Audio-Dateien an audio-programm@systemli.org zu senden, falls man der AfD mal eine Ansage machen will. Die Sprachnachrichten werden auf der Kundgebung über den Lautsprecher in Richtung AfD gespielt.

In Riesa starten am frühen Morgen des Aktions-Samstags - ab etwa 06.30 Uhr - die massenhaften Aktionen des zivilen Ungehorsams. Etwas später - um 07.45 Uhr - startet eine Demonstration vom Bahnhof Riesa zur WT Energiesysteme Arena, vormals Sachsen-Arena, dem Tagungsort der AfD. Vor der Arena beginnt um 9 Uhr eine Protestkundgebung, auf der es Live-Mucke von La Rey, Pöbel MC, ZSK und Team Scheisse geben wird.

Antifaschistisch organisieren

Wer sich bereits im Vorfeld von Riesa antifaschistisch organisieren will, kann diesen Neujahrsvorsatz bereits am Freitag einlösen und beim Offenen Antifa Treffen in Hohenschönhausen mitmachen. Das Treffen ist das erste überhaupt. Beim gemeinsamen Transpi-Malen und bei leckerer Küfa sollen Pläne geschmiedet werden, wie in der Hochburg der Rechtsextremen antifaschistischer Widerstand aufgebaut werden kann. Alle sind willkommen - egal, ob mit Antifa-Vorerfahrung oder nicht (Freitag, 10. 01., Am Berl 13, S-Bhf. Wartenberg, 18.00 Uhr).

Und weil Antifaschismus immer intrinsisch mit dem Kampf gegen Unterdrückung weltweit verbunden ist, darf das Demo-Wochenende gerne am Sonntag (12. 01.) weitergehen. Da findet nämlich die traditionelle Luxemburg-Liebknecht-Demonstration statt, die der Ermordung der beiden Kommunistin, Kommunist durch faschistische Freikorps 1919 gedenkt. Ein alljährlicher Pflicht-Termin für alle, die den Kampf von Rosa und Karl weiterführen wollen (U-Bhf. Frankfurter Tor, 10 Uhr). Zeitgleich findet auch ein Gedenken am Sozialistenfriedhof (Gudrunstraße 20) mit den Parteispitzen der Linkspartei statt.

Wer rechte Argumente besser kontern lernen will, kann am kommenden Dienstag (14. 01.) einen Workshop der Offene Antifa Plattform Friedrichshain besuchen. Diskutiert werden soll dort der Umgang mit einer gesellschaftlichen Situation, in der rechte Äußerungen auf der Arbeit, in der Schule oder im Alltag immer häufiger werden. Welche Handlungsoptionen in solchen Situationen zur Verfügung stehen, wie rechte Argumentationsmuster aufgebaut sind und wie eigene Gesprächsstrategien eingesetzt werden können, soll interaktiv herausgearbeitet werden (Türrschmidtstraße 1, 18 Uhr).

Bildunterschrift: Ob in Riesa oder Essen: Faschos gehören aufgefressen.

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