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Mindener Tageblatt , 07.01.2025 :

Rätselhafter Sockel auf dem Jakobsberg

Das NS-Regime wollte mit einem Denkmal den militanten Aktivisten Albert Leo Schlageter ehren / Manche Fragen wie dessen Parteizugehörigkeit sind bis heute nicht geklärt / Ein Historiker sucht Antworten

Dirk Haunhorst

Porta Westfalica. Fertig wurde das Denkmal nie, geblieben ist bis heute der Sockel, der sich an dem Weg zwischen Fernsehturm und Porta-Kanzel befindet und mit Hilfe einer Treppe bestiegen werden kann. Dort stehen die Besucher dann auf dem Relikt eines NS-Denkmals, das 1933 in Gedenken an Albert Leo Schlageter (1894 - 1923) errichtet wurde. Auch neun Jahrzehnte danach gibt es noch offene Fragen: Die reichen von der politischen Einordnung Schlageters bis hin zu der richtigen Platzierung von Informationen über das Denkmal. Der Historiker Thomas Lange möchte mit einer Forschungsarbeit zur Klärung beitragen. Sein Zwischenbericht, den er im Dezember im politischen Fachausschuss präsentierte, macht deutlich: Auf manche Fragen gibt es keine einfachen Antworten.

Schlageter war Soldat im Ersten Weltkrieg, Angehöriger mehrerer Freikorps und militanter Aktivist. Während der französisch-belgischen Ruhrbesetzung wurde er wegen Spionage von einem französischen Gericht zum Tode verurteilt und hingerichtet. NS-Propaganda stilisierte ihn zum Märtyrer und der Kult um Schlageter mündete in Gedenkorten, 1933 auch an der Porta.

Schlageter habe zeitlebens nicht annähernd die Bedeutung gehabt, die ihm nach seinem Tod zugeschrieben wurde, berichtet Thomas Lange: "Er war bis zu seiner Verhaftung, Verurteilung und Hinrichtung völlig unbekannt." Und das werde in der Rückschau, zumindest außerhalb des wissenschaftlichen Diskurses, fast völlig übersehen. Schlageter habe innerhalb der Freikorps, in denen er kämpfte und auch in der so genannten Organisation Heinz, als deren Mitglied er die Sabotageakte im Ruhrgebiet durchführte, keinerlei exponierte Position besessen, die ihn außerhalb dieser Bewegungen bekannt gemacht hätte. "Erst mit seinem Tod wurde er zu einer Symbolfigur, vor allen Dingen in politisch rechten Milieus, die sich vom bürgerlich-nationalen bis zum antirepublikanisch-völkischen Spektrum erstreckten."

Das Bundesarchiv digitalisiert zur Zeit eine wichtige Akte

Thomas Lange, zugleich Geschäftsführer des Portaner KZ-Gedenkstätten-Vereins, beschäftigt sich gemäß dem städtischen Forschungsauftrag auch mit einer Frage, die immer wieder gestellt wird: War Schlageter, der zehn Jahre vor der Machtergreifung der Nazis starb, selbst NSDAP-Mitglied? "Das lässt sich tatsächlich, Stand heute, nicht einwandfrei bejahen oder verneinen", lautet Langes Antwort. Die NSDAP habe Schlageter in ihrer Propaganda bereits vor 1933 als Nationalsozialisten bezeichnet. So wurde in den 1930er-Jahren zum ersten Mal eine Mitgliedsliste einer NS-Tarnorganisation publiziert - die NSDAP war zum Zeitpunkt des mutmaßlichen Beitritts Schlageters in Preußen verboten -, auf der sich Schlageters Name und Adresse finden. "Manche Historiker bezweifeln die Echtheit dieser Liste, andere nutzen sie ohne Bedenken als Quelle zur NS-Organisationsgeschichte", berichtet Lange.

Die Liste befindet sich in einer Akte des NS-Parteiarchivs, die aktuell vom Bundesarchiv digitalisiert wird. Vielleicht, so Lange, gebe es danach mehr Klarheit. Auf eine erste Anfrage habe das Bundesarchiv bereits geantwortet. Demnach gebe es keine Hinweise auf eine Fälschung. Allerdings, so der Historiker, sei bislang nicht ausgeschlossen, dass die Liste in den 1920er- oder frühen 1930er-Jahren im Sinne der NS-Propaganda gefälscht worden sei. Dazu bedürfe es genauerer Untersuchungen, sobald das Dokument nach der Digitalisierung für weitere Forschungsarbeit genutzt werden könne.

Ob er ein Nationalsozialist war oder nicht, ist für die Frage nach dem Umgang mit dem Sockel auf dem Jakobsberg eher zweitrangig, denn Schlageter war zum Zeitpunkt der Denkmal-Planungen fast zehn Jahre tot. Wichtiger scheint die Betrachtung der Entstehungsgeschichte des Sockels zu sein. In der bisherigen Diskussion, so Lange, habe man den Eindruck gewinnen können, dass das Denkmal eher eine lokale Initiative gewesen sei, bei der die örtliche NSDAP irgendwie "mitspielte". Diese Annahme gehe jedoch an historischen Fakten vorbei. "Das Denkmal-Projekt war ein Projekt von Nationalsozialisten für einen nationalsozialistischen Staat", sagt Lange. "Entsprechend haben wir es auch bei dem Sockel mit dem Relikt eines NS-Denkmals zu tun."

Dass nach der Grundsteinlegung 1933 die kurz darauf geplante Fertigstellung und Einweihung nie erfolgte, hängt mit dem Streit um die finale Gestaltung zusammen. Das vorgesehene Kreuz als Spende des Ruhrkonzerns Dortmunder Union, dem damals auch die Kleinenbremer Zeche Wohlverwahrt gehörte, befand sich bereits auf dem Jakobsberg, als Stimmen laut wurden, die stattdessen NS-Symbole wie Runen oder Hakenkreuz forderten. Lange glaubt indes nicht, dass es dabei um grundlegende ideologische Auseinandersetzungen über christliche und NS-Symbolik ging. Sondern mehr darum, welche Akteure an den Machthebeln der wachsenden NS-Diktatur ihren Willen durchsetzen und sich als "Macher" beweisen konnten.

Jede Menge spannender Stoff also, der in der Dezember-Ausschusssitzung an- aber nicht ausdiskutiert werden konnte. Ideen zum Umgang mit dem Sockel gibt es längst, so viel wurde deutlich. Ein Vorschlag lautet, aus dem Denkmal ein Mahnmal zu machen und vor allem die Informationen auszubauen. Am Schlageter-Sockel selbst gibt es nämlich nur einen elementaren Hinweis, Ausführlicheres hingegen am Fernsehturm, der aber ein ganzes Stück entfernt steht. Ein Politiker empfahl die Anbringung eines QR-Codes am Sockel mit Verweis auf die Tafeln am Fernsehturm.

Auch Thomas Lange unterstreicht gegenüber dem MT die Bedeutung öffentlichkeitswirksamer Informationen: "Je besser vor Ort dokumentiert wird, worum es sich bei dem Denkmalsockel handelt, desto weniger läuft man Gefahr, ihn zu einer Art lokalhistorischem Kuriosum verkommen zu lassen, dessen Interpretation dann in Verharmlosung und Glorifizierung münden kann."

Der Fachausschuss will sich im Februar erneut mit dem Schlageter-Denkmal und Langes Forschungsbericht beschäftigen. Der Zeitpunkt passt auch deshalb gut, weil sich der 80. Jahrestag des Kriegsendes nähert. Zudem wurden Anfang April 1945 die KZ-Außenlager an der Porta geräumt. Eine unmittelbare Verbindung zum Schlageter-Denkmal lasse sich zwar nicht so einfach ziehen, sagt Thomas Lange. Dennoch könne man Denkmalsockel und Lager in einem Zusammenhang betrachten, "da wir hier auf wenigen Metern sowohl ein Beispiel für die Anfänge der Totalisierung des NS-Staates und einer ganz bestimmten Sichtweise auf die deutsche Gesellschaftsidentität haben und gleichzeitig die finalen Konsequenzen der NS-Ideologisierung durch die KZ-Außenlager dokumentieren können". Dadurch ergäben sich eine Menge Anknüpfungs- und Diskussionspunkte im Sinne politischer Bildung.

Der Autor ist erreichbar unter Dirk.Haunhorst@MT.de.

Bildunterschrift: Der Schlageter-Denkmal befindet sich ungefähr einen halben Kilometer hinter dem Fernsehturm am Weg zur Porta-Kanzel und steht seit 2021 in der städtischen Denkmalliste.

Bildunterschrift: Albert Leo Schlageter wurde 1923 hingerichtet. Der Denkmalsockel auf dem Jakobsberg entstand zehn Jahre später.


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Mindener Tageblatt, 29.08.2017:

Bizarrer Streit ums Kreuz

Portaner Gesamtschüler haben die Geschichte der Schlageter-Gedenkstätte untersucht und präsentieren ihre Ergebnisse am Tag des offenen Denkmals

Von Dirk Haunhorst

Porta Westfalica (mt). Das Kaiser-Wilhelm-Denkmal ist das prominenteste Monument an der Porta, weit weniger bekannt ist das Schlageter-Denkmal auf der anderen Weserseite. Beide Bauwerke werden am Tag des offenen Denkmals genauer betrachtet.

Portaner Gesamtschüler aus der Arbeitsgemeinschaft "Jüdischer Friedhof Hausberge" wollen am Sonntag, 10. September, gemeinsam mit dem Bismarck-Bund ihre Untersuchungsergebnisse zum Thema "Das Schlageter-Denkmal in der Porta Westfalica - ein Nazi-Erbe?" vorstellen.

Im Schuljahr 2016/17 hat sich die Arbeitsgemeinschaft auf Spurensuche begeben, um herauszufinden, warum das Portaner Denkmal das einzige in Deutschland zu Ehren Schlageters war, das nie in seinem ursprünglichen Entwurf vollendet wurde.

Führungen auch am Kaiser-Wilhelm-Denkmal

Hinter diesem "schweigenden" Denkmal stehe eine bizarre Geschichte, die man erzählen und in die historischen Vorgänge der Region Porta Westfalica einordnen solle, so die AG. Sie hofft, dass zwei Informationstafeln zur Geschichte dieses Denkmals rechtzeitig fertig sind und zum 10. September aufgestellt werden können. Hier seien noch Absprachen mit der Stadt zu treffen.

Die Führungen zum Schlageter-Denkmal starten um 10 Uhr, 12 Uhr und 14 Uhr vom Fernsehturm aus. Die Erläuterungen finden direkt am Denkmal statt, das wenige Fußminuten entfernt liegt.

Der Bismarck-Bund bietet Turmbesteigungen an, Kinder der Besucher können in der Nähe des Kiosks malen, zudem gibt es allgemeine Informationen zur Denkmalspflege und zum Thema "Macht und Pracht". Auch das Bismarck-Zimmer ist zugänglich.

Spenden an diesem Tag sollen dem Bismarckbund zufließen, um die Bau- und Gestaltungsarbeiten im Umfeld von Fernsehturm und Kiosk zu unterstützen.

Am Kaiser-Wilhelm-Denkmal auf dem Wittekindsberg beginnen die Führungen um 10.30 Uhr und um 12 Uhr. Treffpunkt ist die Parkplatz-Ebene. Matthias Gundler von der Westfälisch-Lippischen Vermögensverwaltungsgesellschaft betreut Sanierung und Neubau am Kaiser-Monument. Er erläutert die Entstehung des Denkmals und beschreibt den Stand der Bauarbeiten. Dazu zählen die Sanierung der Ringmauer, der Bau eines Informationszentrums samt Gastronomie direkt unterhalb der Kaiserstatue sowie eines Pavillons am Parkplatz.

Während das Kaiser-Wilhelm-Denkmal seit 1896 auf dem Berg thront, schlugen Versuche fehl, auf dem Jakobsberg etwas annähernd Vergleichbares zu errichten. Ein Denkmal zu Ehren des 99-Tage-Kaisers Friedrich III. blieb in der Planungsphase stecken, der 1902 errichtete Bismarckturm wurde 50 Jahre später abgerissen und durch einen Sendemast (später den heutigen Fernsehturm) ersetzt. Und das Schlageter-Denkmal wurde nie vollendet.

Streit über Umgang mit christlicher Symbolik

Das Monument sollte an Albert Leo Schlageter erinnern, der während der französisch-belgischen Ruhrbesetzung wegen Spionage und mehrerer Sprengstoffanschläge von einem französischen Gericht zum Tode verurteilt und 1923 hingerichtet wurde.

Daraus entwickelte sich in Deutschland ein Heldenmythos, der 1933 im Vorfeld von Schlageters zehntem Todestag auch an der Porta in konkrete Denkmalpläne mündete, die vor allem Hitler-Anhänger vorantrieben. Die Grundsteinlegung erfolgte am 25. Juni 1933, die Bauarbeiten schritten zunächst zügig voran, doch dann geriet das Projekt ins Stocken, weil im Zuge des "Kirchenkampfes" ein heftiger Streit über das vorgesehene 15 Meter hohe Stahlkreuz entbrannte. Manche NS-Ideologen wollten das Zeichen christlichen Glaubens ersetzen lassen - zum Beispiel durch ein Runenkreuz, wogegen hiesige Denkmal-Aktivisten protestierten.

Das Schlageter-Denkmal an der Porta wurde nie fertig, das umstrittene Kreuz bildet heute den Mittelpunkt der Kriegsopfer-Gedenkstätte auf dem Mindener Nordfriedhof.

Bildunterschrift: Unvollendet: Der Sockel des Schlageter-Denkmals wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zur Aussichtsplattform umgestaltet.

Bildunterschrift: Das umstrittene Kreuz steht heute auf dem Mindener Nordfriedhof.

Bildunterschrift: 1923 hingerichtet: Albert Leo Schlageter.

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Am 9. Dezember 2024 präsentierte Historiker Thomas Lange Zwischenergebnisse zum Forschungsauftrag "Albert Leo Schlageter" im "Ausschuss für Planung und Umweltschutz" der Stadt Porta Westfalica (TOP 6).

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https://sitzungsdienst.portawestfalica.de


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