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Westfalen-Blatt / Lübbecker Kreiszeitung ,
07.01.2025 :
Juden wurden verachtet und ausgebeutet
Serie Antisemitismus im Lübbecker Land während des 18. Jahrhunderts, Teil 2
Von Dieter Besserer
Lübbecke / Preußisch Oldendorf (WB). Schon seit dem Mittelalter ist die Diskriminierung von Juden im Lübbecker Land nachweisbar. 1595 ordnete der Mindener Bischof sogar an, dass alle Juden Lübbecke verlassen mussten. Erst unter dem "Großen Kurfürsten" gab es relative Rechtssicherheit.
Doch nach dem Regierungsantritt seines Sohnes, Kurfürst Friedrich I., änderte sich die Situation für die Juden wieder zum Schlechteren: Dieser betrachtete sie zunehmend als Objekt wirtschaftlicher Ausbeutung. 1691 erließ der neue Kurfürst ein "Konfirmationspatent" auch für die Juden in der Grafschaft Ravensberg. In dem Patent wurden die vom Großen Kurfürsten ausgestellten Aufenthaltsgenehmigungen bestätigt und verlängert. Für dieses Zugeständnis musste die gesamte Judenschaft aber innerhalb von vier Wochen 20.000 Taler und nach Protesten "nur" 16.000 Taler Sondersteuer zahlen.
In Oldendorf wird nur die Familie Gerson Joel erwähnt. 1699 wohnte Gerson Joel zur Miete auf der Stätte Nr. 45 auf dem heutigen Kirchplatz, der früheren "Düfels Stätte", die als Nachfolgebau noch heute besteht. Die Grenze zum Kirchhof verlief direkt an der Nordseite des Hauses. Dies führte zu Konflikten mit der evangelisch-lutherischen Gemeinde.
Im Juni 1699 beschwerte sich Gerson Joel bei seinem Vermieter, dass der evangelische Kaplan Hoffmann, der im angrenzenden späteren zweiten Pfarrhaus wohnte, ihm das Überfahrtsrecht über den Kirchhof verweigere. Er müsse aber über den Kirchhof fahren, um Holz zu seinem Haus zu bringen. Gerson Joel erhielt staatlichen Rechtsschutz von dem Oldendorfer Vogt Leutnant Hörmann. Die Auseinandersetzung hierüber endete erst im Jahre 1755 durch einen besonderen Vertrag. Für das Überfahrtsrecht forderte die Kirche Landbesitz, und das Tor zum Kirchplatz musste für Juden verschlossen bleiben. Bemerkenswert ist, dass die Kirche früheren christlichen Mietern dieses Hauses vor 1699 ohne Geldforderungen das Überfahrtsrecht erlaubt hatte.
Misstrauen gegen die "Verräter Christi"
Inzwischen hatte sich Kurfürst Friedrich I. 1701 selbst zum König in Preußen gekrönt. Unter seinem Nachfolger, König Friedrich Wilhelm II, sollte sich die Situation für die Juden nochmals verschlechtern. Dieser Monarch hatte die altlutherische Gläubigkeit eines Mannes, der von der Schuld der Juden am Kreuzestod Christi und der Notwendigkeit ihrer Sühne überzeugt war. In einer Instruktion von 1722 für seinen Nachfolger schrieb er: "Ihr müsset sie drücken, den sie Jesus Christi Verräter sein und sie nicht trauen, den der redlichste Jude ein Erzbetrüger und Schelm ist." War allerdings ein Jude sehr wohlhabend, konnte er mit viel Geld die Ausstellung neuer Geleitbriefe (Aufenthaltsgenehmigungen) für den ersten Sohn und weitere Söhne erreichen.
Vom neuen freigeistigen König Friedrich II. erhofften sich die Oldendorfer Juden eine Besserung ihrer Lage, wurden aber bitter enttäuscht. Dieser König schrieb in einer Randverfügung vom 15. Juni 1740: "alle Religionen Seindt gleich und guht wan ( ... ) und wen Türken und Heiden kähmen und wollten ( ... ) wier sie Mosqueen und Kirchen bauen."
"Porzellanedikt" als neue Schikane
Von Synagogen war keine Rede und die Juden waren völlig von der angeblichen Toleranz des neuen Monarchen ausgeschlossen. Er war bis zu seinem Tode 1786 von der "politischen Schädlichkeit der Juden" überzeugt. Der König teilte die Juden in Gruppen unterschiedlicher Wohn- und Gewerbeberechtigung ein und begrenzte ihre Anzahl auf 40 Familien in der Grafschaft Ravensberg. Die Städte Lübbecke im Fürstentum Minden und Oldendorf in der Grafschaft Ravensberg mussten darüber wachen, dass sich die Anzahl der jüdischen Familien nicht vermehrte.
1769 ließ sich König Friedrich II. eine neue Schikane für die Juden einfallen. Wenn ein Haushaltsvorstand der zugelassenen Familien für seinen Sohn ein Nachfolgerecht im Gewerbe mit Haus-Konzession beantragte, musste er zwangsweise von der königlichen Porzellanmanufaktur in Berlin Porzellan für mindestens 100 Taler abnehmen, um die Manufaktur des Königs wirtschaftlich zu stützen.
Beim Verkauf des Porzellans, das manchmal zerbrochen in Oldendorf ankam, gab es oft Verluste. Erst wenn die Abnahme von der örtlichen Behörde bestätigt war, wurden neue Geleitbriefe und Haus-Konzessionen für die nachfolgenden Söhne erteilt. In Oldendorf betraf dies die Familien Philipp Meyer, Abraham Berend, Jacob Levi, Levi Joseph und Levi Heinemann.
Manche konnten sich den Kauf des Porzellans finanziell nicht leisten und die örtlichen Behörden legten das königliche Edikt etwas großzügiger aus. Dies erfuhr 1779 der König, und er befahl rücksichtslos die Nachzahlung der ausstehenden Summen. Daraufhin kam es zu Konkursen, und die Anzahl jüdischer Familien nahm ab.
Bildunterschrift: Das ehemalige Tegtmeiersche Haus auf dem Kirchplatz in Preußisch Oldendorf. In dem Vorgängerbau wohnte der jüdische Einwohner Gerson Joel und später Levi Heinemann, der das Haus
neu erbaute.
Bildunterschrift: Kurfürst Friedrich Wilhelm I. von Brandenburg, auch der Große Kurfürst genannt, siedelte gezielt Juden auch im Minden-Lübbecker Land an.
Bildunterschrift: Der preußische König Friedrich II. (Der Alte Fritz) war zutiefst von der "Schädlichkeit" der Juden überzeugt.
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Am 7. Januar 2025 veröffentlichte das "Westfalen-Blatt / Lübbecker Kreiszeitung" "Teil 2" - von der "Serie Antisemitismus im Lübbecker Land während des 18. Jahrhunderts" - von (Stadthistoriker) Dieter Besserer.
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www.jüdische-gemeinden.de/index.php/gemeinden/k-l/1229-luebbecke-nordrhein-westfalen
www.jüdische-gemeinden.de/index.php/gemeinden/p-r/1600-preussisch-oldendorf-nordrhein-westfalen
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