www.hiergeblieben.de

4 Artikel , 30.12.2024 :

Pressespiegel überregional

_______________________________________________


Übersicht:


Störungsmelder, 30.12.2024:
So rechtsextrem war 2024

Belltower.News, 30.12.204:
Jahresrückblick 2024 / Baden-Württemberg: Südwest-AfD mit kommunalen Wahlerfolgen, Neonazi-Nachwuchs und ein möglicher rechter Mord

Westdeutsche Zeitung Online, 30.12.2024:
Widerstand gegen rechte Szene in Hüls / "Ich bleibe nicht neben Nazis wohnen"

Südwestrundfunk, 30.12.2024:
Hakenkreuz auf Wand und Auto / Hochhaus in Worms mit Nazi-Symbolen beschmiert

_______________________________________________


Störungsmelder, 30.12.2024:

So rechtsextrem war 2024

30.12.2024 - 08.17 Uhr

Das Treffen von Potsdam zeigt: Rechtsextremisten finden zunehmend Gehör in der AfD. Die wiederum erhält durch rechte Thesen Aufwind - und feiert Wahlerfolge.

Von Tom Sundermann

Für die AfD kamen Gegenwind und Zuspruch wohl noch nie so sehr zusammen wie im abgelaufenen Jahr. Im Januar trafen sich Menschenmengen in Großstädten zu Demonstrationen gegen Rechtsextremismus und auch gegen die Partei. Kurz zuvor war bekannt geworden, wie AfD-Kader mit rechtsextremen Aktivisten in Potsdam Pläne für Massenabschiebungen diskutiert hatten. Dennoch feierte die Partei im Sommer und Herbst Rekordergebnisse bei den Kommunal- und Landtagswahlen im Osten.

Immer wieder haben wir im Störungsmelder von Zeit Online dokumentiert, wie gut die Partei mit rechtsextremen Gruppen vernetzt ist. Die Szene aus Freien Kameradschaften, Reichsbürgern und rechten Medienmachern bleibt stark. Und ihre Ideologie verfängt. Ablesen kann man das an Videos, in denen Menschen "Ausländer raus" in die Kamera brüllen, wie im Mai während einer Party auf Sylt. Vor allem aber an rechten Aufmärschen, an Angriffen auf demokratische Politiker, an Strafverfahren, deren Zahl weit über die Auswahl in diesem Jahresrückblick hinausreicht.

Januar: Zehntausende demonstrieren gegen die AfD

Kurz nach Jahresbeginn enthüllte die Recherche-Plattform Correctiv ein Treffen von Rechtsextremisten, bei dem sich Politiker der AfD mit vermögenden Unternehmern, Mitgliedern der WerteUnion und rechtsextremen Aktivisten wie Martin Sellner getroffen hatten. Während der Zusammenkunft im November 2023 in Potsdam ging es um Themen wie die so genannte Remigration, also die massenhafte Deportation von migrantischen Menschen. Die erste Reaktion der AfD-Spitze auf das Treffen schürte im rechten Vorfeld starke Kritik gegen die Partei. Insbesondere aber rüttelte der Vorfall Bürgerinnen und Bürger auf: Wochenlang gingen sie zu Zehntausenden auf die Straßen. In dieser Zeit wurden auch Rufe nach einem Verbot der AfD lauter.

Ebenfalls auf die Straße gingen im Januar Landwirte, aus Protest gegen gestrichene Subventionen und die Politik der Ampel-Regierung. Diese Demonstrationen wurden vielfach von Rechtsextremisten unterwandert. Dabei ging es Teilnehmern aus dem rechten Spektrum um weit mehr als nur Aufmerksamkeit, wie etwa bei einem Aufmarsch in Brandenburg deutlich wurde.

Februar: Wenn Faschisten Fasching feiern

Auch Rechtsextremisten begehen den politischen Aschermittwoch. Im thüringischen Ronneburg nahe Gera feierte eine Mischung aus Reichsbürgern, Anhängern der rechten Kleinpartei Freie Sachsen und anderen Rechtsextremisten. Das Treiben spielte sich nicht etwa in einer versteckten Szene-Lokalität ab, sondern in der Bogenbinderhalle der städtischen Veranstaltungshalle von Gera. Bürgermeisterin Krimhild Leutloff (CDU) hatte offenbar nichts dagegen. Auf eine Anfrage des Störungsmelders reagierte sie nicht.

Im Februar berichteten wir zudem über Maximilian Krah, AfD-Spitzenkandidat für die Europa-Wahl. Er beschäftigt den rechtsextremen Aktivisten Erik Ahrens. Dieser ist offenbar für Krahs Social-Media-Strategie zuständig und verbreitet Thesen über Genetik und Vererbung. Für Szene-Kenner sind es Chiffren einer Rassenideologie, die sich offenbar ohne große Einschränkungen über Plattformen wie TikTok verbreiten lässt.

März: Einreiseverbot für Martin Sellner

Das Potsdamer Treffen hatte von Mitte März an konkrete Folgen für den österreichischen Teilnehmer Martin Sellner: Die Stadt Potsdam verhängte ein bundesweit gültiges Einreiseverbot gegen ihn. "Um Grundrechte und Grundgesetz zu schützen, müssen die Institutionen ihre Mittel nutzen", sagte Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD). Das Verbot hatte allerdings nicht lange Bestand. Bereits Ende Mai hob das Potsdamer Verwaltungsgericht die Entscheidung vorläufig auf, weil die Stadt eine Gefährdung durch Sellner nicht hinreichend belegt hatte.

Im Störungsmelder beleuchteten wir das krude Geschichtsverständnis von Sellner und seinen Gesinnungsgenossen: Für die Vision der Remigration bekämpft die Neue Rechte die deutsche Erinnerungskultur. Das Gedenken an den Holocaust wird in der rechtsextremen Deutung zu einer quasi religiösen Handlung, die Übernahme von Verantwortung kommt in dieser Vorstellung einer Abschaffung des eigenen Volks gleich.

April: Reichsbürger wollen das Kaiserreich zurück

Lange war die Szene der gefährlichen Reichsbürger zersplittert. Doch ein Netzwerk langjähriger Aktivisten hat es geschafft, Einheit zu stiften und über das eigene Milieu hinaus Menschen zu erreichen. So demonstrierten im thüringischen Gera Anfang April rund 1.000 Anhänger des Milieus für die Vision, Deutschland in den Grenzen des früheren Kaiserreichs wiederherzustellen. Auch für Neonazis sind die Reichsbürger anschlussfähig: So wurde auf der Thüringer Veranstaltung das Horst-Wessel-Lied angestimmt, die verbotene Parteihymne der NSDAP, wie hier nachzulesen ist.

Im April gerieten zudem zwei AfD-Politiker wegen mutmaßlicher Verstrickungen im Ausland in die Schlagzeilen. Dem Bundestagsabgeordnete Petr Bystron wurde vorgeworfen, Zahlungen von Russland oder von der pro-russischen Internetplattform Voice of Europe erhalten zu haben. Bystron dementierte das. Die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen wegen Geldwäsche und Bestechlichkeit auf. Ebenfalls in den Fokus geriet Maximilian Krah, AfD-Spitzenkandidat für die Europa-Wahl. Er soll einen Mitarbeiter beschäftigt haben, der für den chinesischen Geheimdienst spionierte. Der Mitarbeiter wurde festgenommen, im Mai wurde Krahs Büro im Europa-Parlament durchsucht.

Mai: Angriff auf sächsischen SPD-Politiker

Anfang Mai wurde der sächsische SPD-Spitzenkandidat für die Europa-Wahl, Matthias Ecke, beim Plakatieren in Dresden angegriffen und schwer verletzt. Er musste operiert werden. Seine mutmaßlichen Angreifer - vier junge Männer zwischen 17 und 18 Jahren - stammen offenbar aus dem rechtsextremen Milieu. Es war bei Weitem nicht der einzige Angriff auf einen Politiker. So wurde auch die Berliner Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) kurz darauf von einem Mann angegriffen. In Sachsen, wo ihr Parteigenosse Ecke kandidierte, ist die Gewalt gegen Volksvertreter kein Zufall. Demnach stachelt vor allem die Partei Freie Sachsen ihre Anhänger gezielt zu Angriffen und Störaktionen auf, um die Vorherrschaft im öffentlichen Raum zu erringen.

Ende des Monats begann der Hauptprozess gegen die Verschwörer der Reichsbürger-Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß und acht weitere Angeklagte vor dem Oberlandesgericht Frankfurt. In dem Terror-Verfahren wird ihnen vorgeworfen, einen gewaltsamen Umsturz gegen die deutsche Regierung vorbereitet zu haben. Die Gruppe hatte mehr als 360 Schusswaffen gehortet und geplant, Minister und Abgeordnete in Handschellen abzuführen. Im April hatte bereits das Verfahren gegen neun weitere Angeklagte in Stuttgart begonnen, im Juni startete ein zusätzlicher Prozess gegen acht andere mutmaßliche Verschwörer in München.

Juni: AfD dominiert Kommunalwahlen im Osten

Im Juni wählten unter anderem Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern neue Kreistage und Stadträte. Wahlsieger war in allen drei Ländern die AfD. Thüringen hatte schon Ende Mai die Kommunalwahl abgehalten, dort gewann die AfD ebenfalls kräftig hinzu und landete knapp hinter der CDU. Damit schnitt die AfD durchweg besser ab als bei den Wahlen vor fünf Jahren. Einiges hatte sich seitdem verändert: Im Wahlkampf gab es deutliche Konkurrenz rechter Kleinparteien, die die AfD mit einer noch schärferen Rhetorik angriffen. Um mehr politisches Personal aufstellen zu können, bedient sich die AfD der Hilfe von so genannten kommunalpolitischen Vereinigungen. Sie greifen gezielt auf Referenten der Partei zurück und werden mit Steuergeldern unterstützt.

Außerdem wählte Europa ein neues Parlament. Auch bei dieser Wahl gewannen rechte bis rechtsextreme Parteien an Stimmen. Wir analysierten dazu, warum die AfD im Ruhrgebiet besonders stark ist. Nach der Wahl musste sich die Partei im Europäischen Parlament neu sortieren. Der Grund: Kurz zuvor hatte die Rechtsaußen-Fraktion Identität und Demokratie die Abgeordneten der AfD ausgeschlossen. AfD-Spitzenkandidat Krah hatte zuvor in einem Interview die Schuld von SS-Mitgliedern relativiert.

Juli: Rechtsextremes Magazin "Compact" verboten

Es ist so etwas wie das Zentralorgan der Neuen Rechten: das Magazin Compact, herausgegeben von Jürgen Elsässer. In der Zeitschrift und auf von der Redaktion veranstalteten Kundgebungen ging es allerdings nicht nur um Kritik am politischen System in Deutschland, sondern um offene Koketterie mit einer Revolution. Mitte Juli verbot das Bundesinnenministerium das Magazin. Wohn- und Geschäftsräume von Verleger Elsässer wurden durchsucht, das Vermögen des Verlags eingezogen. Juristisch war die Entscheidung umstritten - und hielt schließlich nicht stand: Mitte August hob das Bundesverwaltungsgericht das Verbot vorläufig auf. Bis zu einer endgültigen Entscheidung dürfte es noch länger dauern.

Ende Juli trat ein Kommunalpolitiker nach Anfeindungen von Rechtsextremisten zurück: der parteilose Landrat des Kreises Mittelsachsen, Dirk Neubauer. Er sei "konfrontiert mit einer persönlichen diffusen Bedrohungslage aus rechter Ecke", teilte er mit. Im Störungsmelder analysierten wir, wieso dies mutmaßlich nicht der letzte Schritt dieser Art bleiben wird.

August: Enger Draht zu mutmaßlichen Terroristen – und zur AfD

Im Sommer wurde nach MDR-Recherchen ein weiterer Name im Umfeld der mutmaßlichen Putschisten um Heinrich XIII. Prinz Reuß bekannt: der des umtriebigen Dachdeckers Frank Haußner. Der Thüringer soll demnach Mitglied einer Vorläufer-Gruppierung des Zusammenschlusses gewesen sein, eine Anklage gibt es bislang nicht. Im Störungsmelder zeichneten wir nach, welche Kontakte Haußner sonst noch pflegte: Eine besondere Nähe hatte er zum Thüringer AfD-Chef Björn Höcke. Mehrfach traten die beiden gemeinsam auf Demonstrationen auf, zu ideologischen Fragen äußerten sie sich in verblüffender Ähnlichkeit.

Zudem beleuchteten wir, wie sich die AfD zur sorbischen Minderheit in der sächsischen Oberlausitz verhält. Auf Wahlplakaten versuchte sie, die Sorben zu vereinnahmen, mit Slogans wie "Unsere Dörfer sind bunt genug!" Zugleich stammen aus der Partei Vorschläge, sorbisch geprägte Dörfer als Museum Touristen zugänglich zu machen und ihre Kultur als Folklore abzustempeln.

September: Wahlsieg für die AfD, gefälschte Stimmen für die Freien Sachsen

Am 1. September wählten Thüringen und Sachsen einen neuen Landtag. Die AfD holte die besten Ergebnisse ihrer Geschichte: In Thüringen gewann sie knapp ein Drittel der Stimmen, in Sachsen landete sie mit fast 31 Prozent nur knapp hinter der CDU. Kurz nach der Wahl fielen in Sachsen außergewöhnlich starke Ergebnisse für die Freien Sachsen auf. Zudem gab es Unregelmäßigkeiten bei Briefwahlstimmen: Während der Auszählung wurden Stimmzettel entdeckt, bei denen Kreuze überklebt und stattdessen bei den Freien Sachsen gesetzt worden waren. Die Generalstaatsanwaltschaft nahm Ermittlungen wegen Wahlbetrugs auf.

Drei Wochen später fand auch in Brandenburg die Landtagswahl statt. Dort blieb die AfD nur knapp hinter dem Wahlsieger SPD zurück. Für den erfolgreichen Kurs machen Beobachter auch die gute Vernetzung der AfD mit ihrem rechtsextremen Umfeld verantwortlich. Daran entzündet sich eine interne Debatte: Gemäßigtere Kräfte wollen die Partei näher an die politischen Mitbewerber führen, um eines Tages nach einer Regierungsbeteiligung zu greifen. Auch aus der anderen Richtung gehen einzelne Politiker auf Extremisten zu. Die CDU-Kandidatin Saskia Ludwig suchte im Wahlkampf die Nähe zu führenden Köpfen aus dem Corona-Verschwörungsmilieu.

Oktober: Ermittlungen nach Aufmarsch gegen CSD

Nach einem Aufmarsch von Rechtsextremen und Neonazis im Rahmen des Christopher Street Days (CSD) im sächsischen Görlitz Ende September begannen Ermittlungen gegen sieben Verdächtige, wie Anfang Oktober bekannt wurde. Die Staatsanwaltschaft wirft den Beschuldigten unter anderem Volksverhetzung sowie die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen vor. Deutsche und polnische Rechtsextreme hatten dazu aufgerufen, gegen die Toleranz-Parade zu demonstrieren. Auch in anderen Städten hatte es Störversuche gegen CSD-Veranstaltungen gegeben, etwa in Leipzig und in Bautzen.

Ermittlungen gab es Anfang Oktober auch im Westerwald: Im rheinland-pfälzischen Hachenburg durchsuchte die Polizei eine alte Fabrik, die sich zum Treffpunkt von Rechtsextremen entwickelt hatte. Unser Bericht zeigt, wie die Zivilgesellschaft jahrelang dagegen ankämpfte. Kurz darauf wurde den rechten Mietern des Gebäudes die Kündigung ausgesprochen.

November: Polizei nimmt mutmaßliche rechte Umstürzler fest

Die militante Terror-Gruppe Sächsische Separatisten soll für einen Tag X Umsturzpläne gehabt haben. Anfang November ließ die Bundesanwaltschaft acht mutmaßliche Mitglieder festnehmen, Ermittler durchsuchten 20 Objekte in Sachsen, Polen und Österreich. Die Vereinigung hatte sich offenbar spätestens vier Jahre zuvor gegründet. Mindestens drei der Beteiligten waren Mitglieder der AfD und engagierten sich für die Partei als Kommunalpolitiker. Der sächsische Landesverband teilte daraufhin mit, die drei seien umgehend aus der AfD ausgeschlossen worden.

Nach den Enthüllungen zum Potsdamer Treffen vom Januar waren Diskussionen um ein Verbotsverfahren gegen die AfD entbrannt. Doch Verbote sind weder eine einfache noch eine zwingend effektive Lösung, zeigt ein Blick über die europäischen Grenzen: Immer wieder gelingt es Parteien, sich mit Tricks darüber hinwegzusetzen.

Dezember: Jugendorganisation zu rechts für die AfD?

AfD-Mitglieder von morgen sammeln sich in der Nachwuchsorganisation Junge Alternative, zumindest bislang. Doch die Partei-Jugend, die sich kurz JA nennt, wird für die Mutterpartei zunehmend zum Problem, weil sie bundesweit extrem radikalisiert ist, stärker als die AfD selbst. Um die Aktivitäten des Nachwuchses besser kontrollieren zu können, der sich vielfach auf das Radar des Verfassungsschutzes gebracht hat, beschloss die Partei im Dezember einen Entwurf für eine Satzungsänderung. Damit soll die JA unter dem Namen Junge Patrioten vollständig in die AfD eingegliedert werden. So hätte die Partei volle Kontrolle über die Finanzen und die Mitglieder. Die heutige JA ist strikt dagegen.

Im Störungsmelder warfen wir schließlich einen Blick auf die Aktivitäten der Partei in Brüssel. Dort pflegt die AfD enge Kontakte zur rechtsextremen Partei Wiedergeburt aus Bulgarien. Beide Lager eint unter anderem ihre schier grenzenlose Treue zum Regime von Russland.

Bildunterschrift: Teilnehmer einer Anti-AfD-Demonstration Anfang Februar in Köln.

Bildunterschrift: Der Hauptangeklagte, Heinrich XIII. Prinz Reuß, am ersten Verhandlungstag des Terror-Prozesses vor dem Oberlandesgericht Frankfurt.

Bildunterschrift: "Compact"-Verleger Jürgen Elsässer spricht während der Durchsuchung seines Hauses mit Journalisten.

Bildunterschrift: Polizisten bringen die bei der Razzia festgenommenen mutmaßlichen Mitglieder der Sächsischen Separatisten zum Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof.

_______________________________________________


Belltower.News, 30.12.204:

Jahresrückblick 2024 / Baden-Württemberg: Südwest-AfD mit kommunalen Wahlerfolgen, Neonazi-Nachwuchs und ein möglicher rechter Mord

Was wird von 2024 in Bezug auf Rechtsextremismus und Demokratie-Feindlichkeit in Erinnerung bleiben? Für den Jahresrückblick befragen wir zivilgesellschaftliche Initiativen über die Situation in ihrem Bundesland. Heute: Baden-Württemberg.

Ein Gastbeitrag von Lucius Teidelbaum.

Bauern-Proteste mit rechter Beteiligung am Jahresbeginn

Gleich zu Jahresbeginn versuchten die Alternative für Deutschland (AfD) und andere extreme Rechte an die Bauern-Proteste im Südwesten Anschluss zu finden, beispielsweise am 8. Januar 2024 in Stuttgart auf einer Kundgebung. Zwar stellten sie nur eine Minderheit der 700 Beteiligten, aber mehrere AfD-Mitglieder, inklusive des Bundestagsabgeordneten Dirk Spaniel, sowie andere rechte Aktivistinnen, Aktivisten machten Gebrauch vom offenen Mikrofon. Der Moderator meinte auf Nachfrage der Presse: "Wir wussten, wer Herr Spaniel ist".

Auch Teile der nach rechts radikalisierten Post-Corona-Proteste machten sich die Bauern-Demos zu eigen. Als etwa 400 Personen am 14. Februar 2024 in Biberach gegen eine Aschermittwoch-Veranstaltung der Grünen mit Jürgen Trittin, Ricarda Lang und Cem Özdemir protestierten, waren sowohl Pandemie-Leugnerinnen, -Leugner als auch Reichsbürgerinnen, Reichsbürger und sonstige Rechte vertreten.

Es wurden zehn Brände gelegt, die Scheibe eines ministeriellen Begleitfahrzeugs eingeschlagen und mehrere Polizeibeamte verletzt. In der Folge musste die Veranstaltung abgebrochen werden.

Südwest-AfD auf Erfolgskurs

Als die "Besten im Westen" bezeichnen Mitglieder der AfD ihre Partei in Baden-Württemberg gerne. Nicht ganz zu Unrecht, da die Partei im Bundesland Baden-Württemberg ihre westdeutsche Umfrage-Hochburg hat. Dass diese Umfragen auch in reale Wahlergebnisse münden können, stellte die Partei bei den am 9. Juni 2024 stattfindenden Kommunalwahlen in Baden-Württemberg und den Europaparlaments-Wahlen teilweise unter Beweis. Trotz der starken Proteste gegen Rechtsextremismus und für die Demokratie im Frühjahr nach Veröffentlichung der Correctiv-Recherche auch in Baden-Württemberg.

Die Wahlkampferöffnung der AfD fand am 27. April 2024 in Donaueschingen mit den Partei-Vorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla statt. Auch vom FPÖ-Europa-Abgeordneten (Freiheitliche Partei Österreichs) Harald Vilimsky kam ein Grußwort. Allerdings trat der ursprünglich ebenfalls angekündigte AfD-Europaabgeordnete Maximilian Krah nicht auf - offenbar eine Folge seiner diversen Skandale .

Wahlkampfunterstützung liefert das extrem rechte Compact-Magazin, welches am 18. Mai 2024 in Wertheim (Main-Tauber-Kreis) ein "Volksfest" durchführte, u.a. mit der AfD-Bundestagsabgeordneten Christina Baum. Der Zuspruch blieb aber mit 150 Besucherinnen, Besuchern laut Polizei eher überschaubar.

Bei den Kommunalwahlen am 9. Juni 2024 kandidierte die AfD dann in den 1.101 baden-württembergischen Kommunen mit 137 eigenen Listen, also in 12,4 Prozent der Gemeinden.

Für die AfD kandidierten in Baden-Württemberg dabei 2.054 Personen für 2.799 Mandate. Die AfD hat nach den Kommunalwahlen im Südwesten nun insgesamt 869 Mandate inne, auf die 665 unterschiedliche Personen gewählt wurden.

Wo sie antrat, legte sie in der Regel zu. Ihr bestes Ergebnis erzielte sie in der Stadt Pforzheim, wo sie mit 22 Prozent der Stimmen die stärkste Partei bei den Gemeinderatswahlen wurde.

Der Messer-Angriff eines gewalttätigen Islamisten auf eine Kundgebung von antimuslimischen Rassistinnen, Rassisten am 31. Mai 2024 in Mannheim, in deren Folge ein Polizist verstarb, führte auch zur erwartbaren Mobilisierung der AfD.

Die AfD und ihre Jugendorganisation "Junge Alternative" (JA) führten bereits am 2. Juni 2024 in Mannheim eine Kundgebung unter dem Motto "Remigration hätte diese Tat verhindert!" mit 150 Personen durch.

Größer mobilisiert wurde auf den 7. Juni 2024 nach Mannheim zu der AfD-Kundgebung zum Thema "Islamismus stoppen!", an der dann etwa 700 Personen teilnahmen.

Obwohl die Beteiligung unterhalb des Erwarteten lag, konnten AfD und Co. Einfluss auf den Diskurs gewinnen: Statt über die Gefahren von Islamismus wurde über Migration und "den Islam" diskutiert.

Die baden-württembergische AfD absolvierte 2024 drei Landesparteitage: am 24. und 25. Februar in Rottweil, am 5. und 6. Oktober in Ulm und am 16. und 17. November in Ketsch.

In der Südwest-AfD hatte im Jahr 2024 der seit mindestens 2020 offen ausgetragenen Machtkampf zwischen dem Lager um den AfD-Bundestagsabgeordneten Dirk Spaniel und die Bundesvorsitzende Alice Weidel im Oktober auf einem Landesparteitag in Ulm mit dem Sieg des Weidel-Lagers ein Ende. In Ulm wurde die Landesliste für die Bundestagswahl 2025 aufgestellt. Spaniel und seine Verbündeten wie Christina Baum scheiterten bei Versuchen sich auf die Liste wählen zu lassen.

Auch infolge der parteiinternen Streitereien haben die beiden baden-württembergischen AfD-Bundestagsabgeordneten Thomas Seitz und Dirk Spaniel die AfD verlassen. Dabei ging es weniger um inhaltliche Differenzen, sondern mehr um einen Machtkonflikt.

Trotz des Streitigkeiten in der Partei steigen die Mitgliederzahlen auch in Baden-Württemberg. Im August 2024 berichtete man von 6.000 Mitgliedern im Landesverband.

In Westdeutschland, auch in Baden-Württemberg, ist die Partei zurückhaltender mit Selbstpositionierungen als extrem rechte Partei. Stattdessen labelt man sich lieber als "Die konservative Kraft im Südwesten".

Das hielt die Südwest-AfD aber nicht vom Lob für die rassistische Pegida-Bewegung aus Dresden ab: "Im Oktober 2014 startete Pegida in Dresden den Protest gegen Islamisierung und für mehr Patriotismus. ( … ) Mit der letzten Veranstaltung am Sonntag ging eine Ära zu Ende, aber das Vermächtnis bleibt. Danke, Pegida, für 10 Jahre Einsatz für unser Land!"

Die AfD-Bundestagsabgeordnete Christina Baum reiste sogar zur 250. und letzten Pegida-Demonstration am 20. Oktober 2024 nach Dresden und trat dort als Rednerin auf. Hier verkündete sie ihre Vorstellung einer besseren Politik: "Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass die Pegida-Bewegung in den neuen Geschichtsbüchern stehen wird, und zwar in den Geschichtsbüchern, die vom deutschen Volk geschrieben werden und nicht von den Siegermächten. Die Voraussetzung dafür ist, dass wir als Deutsche, als Deutschland die vollständige Souveränität erlangen. Denn nur durch Souveränität bekommen wir Freiheit. Und dazu müssen wir die deutschlandfeindlichen Politiker in Berlin auf den Mond schicken."

Die Jugendorganisation der AfD, die "Junge Alternative" (JA) wandelt derweil auf neurechts-neofaschistischen Pfaden. JA-Mitglied Jannis George war sowohl bei "Reconquista 21" aktiv als auch in der JA, wo er seit Oktober 2024 als Beisitzer fungiert.

Mit zwei anderen Männern wurde George am 19. September 2024 vom Amtsgericht Bad Cannstatt vorläufig u.a. wegen Volksverhetzung zu einer Gefängnisstrafe von sechs Monaten auf Bewährung verurteilt. Die drei hatten zu einer Gruppe gehört, die auf dem Dach des Eingangs zu einem Freibad ein Banner mit der Aufschrift "Remigration für sichere Freibäder!" gezeigt, Flyer verteilt und Parolen skandiert hatten. Inzwischen haben die Verurteilten Berufung eingelegt.

George besuchte mehrfach Tagungen des ehemaligen neurechten Thinktanks "Institut für Staatspolitik" und brachte die Inhalte von dort mit nach Baden-Württemberg, wo er mehrere Vorträge für die JA hielt, zum Beispiel am 6. April 2024 in Stuttgart zum Thema "Schnellroda und Parlamentspatriotismus".

Neues Label, alter Inhalt: "Reconquista 21"

Der baden-württembergische Ableger der extrem rechten "Identitären Bewegung" (IB) tritt seit Ende 2023 unter dem Label "Reconquista 21" auf und bedient sich damit - ganz undeutsch - einer spanischen Vokabel. Als "Reconquista" ("Rückeroberung") wird die gewaltsame christliche Eroberung der spanischen Halbinsel bezeichnet, in deren Folge hunderttausende Musliminnen, Muslime und alle Jüdinnen, Juden vertrieben wurden.

Als inhaltliche Begleitung von "Reconquista" existiert in Stuttgart ein Lesezirkel, der IB-nahen-Lektüre-Gruppe "Fahrenheit 451".

Jungnazi-Nachwuchs

Jahrelang waren nach dem Verbot der "Autonomen Nationalisten Göppingen" 2014 klassische parteifreie Neonazis in Baden-Württemberg kaum öffentlich wahrnehmbar, auch wenn es weiterhin eine entsprechende Subkultur gab.

Das scheint sich seit 2024 zu ändern. Eine neue Generation von jungen Neonazis tritt offen auf.

Neue Ziele für neonazistische Gegen-Mobilisierungen waren auch in Baden-Württemberg Paraden zum "Christopher Street Day" (CSD). Als am 6. September 2024 in Albstadt-Ebingen (Zollernalbkreis) ein CSD stattfand, wurde von der extrem rechten Gruppe "Zollern-Jugend Aktiv", die sich im Umfeld von "Die Heimat" (früher NPD) verorten lässt, eine Gegenkundgebung unter dem Motto "Nein zum Gender-Wahnsinn! - Kinder und Zukunft schützen" angemeldet. Über 100 Personen nahmen an dem queerfeindlichen Gegenprotest teil, vor allem junge und bisher wenig öffentlich in Erscheinung getretene Neonazis.

Reichsbürger-Träume in Baden-Württemberg

Der Südwesten gilt auch als Hochburg der so genannten Reichsbürger, wo mehrere tausend von ihnen aktiv sind. Im Laufe des Jahres gab es zahlreiche Ankündigungen für Veranstaltungen von Reichsbürger-Gruppen wie dem "Königreich Deutschland" oder der "Wahlkommission Königreich Württemberg".

Im Jahr 2024 kam es immer wieder zu Hausdurchsuchungen und Waffenfunden bei Reichsbürgern.

So wurde beispielsweise am 14. März 2024 in Aldingen (Kreis Tuttlingen) das Haus eines 56-jährigen Reichsbürgers von der Polizei durchsucht. Es wurden mehrere hundert Schusswaffen, Waffenteile und Munition sichergestellt.

Schon weiter ist man bei der Reichsbürger-Gruppe um den Prinzen von Reuß. Am 29. April 2024 begann am Oberlandesgericht Stuttgart in Stammheim der Prozess gegen zehn Angeklagte, von denen neun aus dem Ländle stammen. Parallel finden derzeit in Frankfurt / Main und München weitere Prozesse gegen die Reuß-Gruppe statt.

Rechte Parteien-Resterampe

Mit wenig Erfolg versuchen auch extrem rechte Parteien jenseits der AfD aktiv zu werden. Da ist zum einen die in "Die Heimat" umbenannte ehemalige NPD, die es vereinzelt noch schafft, Veranstaltungen wie Liederabende in Baden-Württemberg zu veranstalten. Unter dem Label NPD tritt weiterhin eine Gruppe von Traditionalistinnen, Traditionalisten auch in Baden-Württemberg auf, die die Umbenennung in "Die Heimat" nicht mittragen wollte.

Auch die Neonazi-Kleinstpartei !Der III. Weg" ist in einzelnen Orten und Regionen von Baden-Württemberg aktiv.

Am 6. Juli 2024 wurde in Fellbach der Landesverband Baden-Württemberg der Partei "WerteUnion" gegründet. Die Partei versucht bundesweit und bisher erfolglos der AfD Konkurrenz zu machen.

Die WerteUnion war auch beteiligt am rechtskonservativen und rechtslibertären "Bürgergipfel" am 7. September 2024 in der Liederhalle in Stuttgart, an dem 700 Personen teilnahmen. Veranstalter waren das rechtslibertäre Online-Portal "Der Sandwirt" um den Unternehmer Oliver Gorus aus Konstanz und die "Atlas Initiative" um den Antidemokraten Markus Krall. Partner war u.a. auch der "WerteUnion Förderverein".

Anstieg von Antisemitismus

Nach dem Hamas-Überfall am 7. Oktober 2023 und der Eskalation des Israel-Palästina-Konflikts kam es auch in Baden-Württemberg zu einem starken Anstieg antisemitischer Vorfälle. Einige Straftaten konnten bereits präventiv verhindert werden.

So wurde Ende April 2024 ein 24-jähriger Mann in Bad Friedrichshall (Kreis Heilbronn) verhaftet, der sich im April via Chat über Angriffe auf jüdische Einrichtungen ausgetauscht hatte. Am 18. Mai 2024 wurde dann in Weinheim (Rhein-Neckar-Kreis) sein Chat-Partner, ein 18-jähriger Mann, verhaftet und seine Wohnung durchsucht. Ihm wurde vorgeworfen, geplant zu haben, Menschen in einer Synagoge in Heidelberg zu töten und sich dann von der Polizei erschießen zu lassen.

Am 15. November 2024 begann deswegen in Heidelberg der Prozess gegen insgesamt drei Angeklagte, denen die Planung von Anschlägen auf jüdische Einrichtungen in Heidelberg und Frankfurt am Main vorgeworfen wird.

Mutmaßlicher Haupttäter ist ein 25 Jahre alter Deutscher, der nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft versucht hatte, nach Syrien zu reisen, um sich dort Islamisten anzuschließen. Nachdem das misslang, soll er mit einem 18-jährigen Deutsch-Türken in einem Chat einen Terroranschlag auf die Synagoge in Heidelberg oder eine jüdische Einrichtung in Frankfurt / Main geplant haben. Einem weiteren 25 Jahre alten Deutschen werfen die Ermittlerinnen, Ermittler Beihilfe vor.

Laut der Statistik der Beratungsorganisation für Betroffene von Antisemitismus Ofek gab es vom Oktober 2023 bis September 2024 173 Beratungsfälle in Baden-Württemberg.

Verdacht auf einen rechts motivierten Mord

Am 14. Oktober 2024 begann am Landgericht Waldshut-Tiengen ein Gerichtsprozess, in dem es um die Tötung des Tunesiers Mahdi ben Nacer aus Rickenbach geht. Der 38-jährige Mann wurde am 23. Dezember 2023 in Rickenbach im Hotzenwald (Kreis Waldshut) wenige Meter hinter seinem Geflüchteten-Heim von einem 58-jährigen Mann aus Maulburg (Landkreis Lörrach) erschossen. Der Täter versteckte die Leiche zuerst, zerstückelte sie später und warf sie in den Rhein, wo sie im April 2024 von Tauchern gefunden wurde. Später gestand er die Tat und behauptete in Notwehr gehandelt zu haben.

Der Angeklagte fiel laut Medien-Berichterstattung zuvor mit antisemitischen und rassistischen Aussagen auf. Außerdem wurde bei einer Hausdurchsuchung neben illegalen Waffen und Schwarzpulver auch einschlägig rechte Literatur gefunden. Zudem hatte er seine Hundehütte mit einem Schild mit der Aufschrift "Wolfsschanze" versehen. Für das antisemitische Statement "Ein richtiger Deutscher kauft nicht bei Juden" bei einer internen Schulung sei er von seinem Arbeitgeber abgemahnt worden.

Somit ist eine rechts motivierte Tat sehr nahe liegend.

Vor Gericht wird allerdings von Totschlag und dem möglichen Mordmerkmal "niedriger Beweggrund" ausgegangen.

Der Angeklagte wurde am 18. November 2024 wegen Totschlags zu sechs Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt, eine Strafe, die unterhalb des Strafmaß lag, welches die Staatsanwaltschaft gefordert hatte. Ein rechtes Motiv wurde nicht festgestellt.

Die Schwester des Opfers, Zouleikha ben Nacer, fragte zu Recht: "Wäre mein Bruder noch am Leben, wenn er ein Deutscher wäre?"

Bildunterschrift: Die Bauern-Proteste zu Beginn des Jahres wurden auch in Stuttgart von der AfD und der Jungen Alternative begleitet.

_______________________________________________


Westdeutsche Zeitung Online, 30.12.2024:

Widerstand gegen rechte Szene in Hüls / "Ich bleibe nicht neben Nazis wohnen"

30.12.2024 - 07.30 Uhr

Krefeld. Der Widerstand gegen eine drohende "rechte Szene" in Hüls geht weiter. Die CDU sieht indes keinen Grund für eine "Alarmstimmung".

Von Werner Dohmen

Der Widerstand gegen eine drohende "rechte Szene" in Hüls nimmt Fahrt auf. Wie berichtet, hatten sich im November rund 30 Vertreterinnen und Vertreter von Kirchen, Vereinen, Organisationen und Politik auf Einladung von Bezirksvorsteher Thorsten Hansen zu einem Informationsaustausch zusammengesetzt. Die dabei beschlossene Gründung einer WhatsApp-Gruppe ist längst über die Bühne gegangen - "und sie wächst und gedeiht", sagt Hansen.

Die WZ-Berichterstattung habe in Hüls hohe Wellen geschlagen, berichtet der Bezirksvorsteher. Ob beim Nikolaus-Fest oder beim Bubbelmaat - immer wieder sei er darauf angesprochen worden. Hintergrund: Neonazis der "Volksgemeinschaft Niederrhein", die in den vergangenen Jahren vor allem in Kamp-Lintfort für überregionales Aufsehen gesorgt hatte, soll seit kurzem auch in Hüls Anhänger haben. Es werde versucht, verschiedene Wohnungen für Mitglieder anzumieten. Die Krefelder Polizei teilte dazu in November auf WZ-Anfrage mit: "Die Existenz rechtsradikaler bis -extremistischer Wohnraum-Projekte oder ideologisch geprägter Gesellschaftsgebilde der PMK-R sind bekannt. Hierzu zählt auch die Volksgemeinschaft Niederrhein sowie ihre Kader." Die Abkürzung PMK-R steht für "politisch motivierte Kriminalität - rechts".

Einige Nachbarn der genannten Wohnungen hatten Hansen auf die Aktivitäten der "Volksgemeinschaft" aufmerksam gemacht. "Ich bleibe nicht neben Nazis wohnen", sagt einer von ihnen im Gespräch mit der WZ und spricht von einer "beängstigenden Situation". Deshalb engagiere er sich nun auch. Ein Nachbar hatte die Polizei auch auf das lautstarke Abspielen rechtsradikaler Lieder einer Bremer Gruppe namens "Endstufe" aufmerksam gemacht. Diese bezeichnet sich selbst als Skinhead-Band - die linke Zeitung "taz" nennt sie Rechtsrocker.

Hülser CDU sieht keinen Grund für eine "Alarmstimmung"

Laut Thorsten Hansen sei das erste Ziel erreicht worden, nämlich viele Menschen in Hüls über die Aktivitäten der "Volksgemeinschaft" zu informieren, darunter auch Vermieter. Nach Auskunft des Nachbarn werden verschiedene Aktivitäten für 2025 überlegt, von Plakat-Aktionen und Aufklebern bis hin zu Demo. Bereits im März dieses Jahres waren in Hüls rund 2.500 Menschen gegen Rechts auf die Straße gegangen.

Schon vor Wochen war ein anonymes Flugblatt in Hülser Briefkästen geworfen worden. Darin wurden die Namen von angeblichen Rechtsradikalen genannt, was in Hülser Facebook-Gruppen auch für Kritik gesorgt hatte. Von Diffamierung war dort die Rede.

Klaus Andes und Frank Minhorst von der CDU in Hüls sind im Herbst auf das "angeblich gefährliche Anwachsen der rechtsradikalen Szene in Hüls" aufmerksam geworden. Sie betonen auf WZ-Anfrage: "Sowohl die Hülser CDU als auch die CDU-Fraktion in der Hülser Bezirksvertretung lehnen Rechts- als auch Linksextremismus und auch jede andere Form von Extremismus ausdrücklich ab." Unter Beachtung der rechtlich legitimen Möglichkeiten werde man sich gegen Rechts-, Links- oder auch sonstige extreme Aktivitäten im Ortsteil einsetzen.

Auch wenn der CDU bekannt sei und missfalle, dass anscheinend mehrere Personen aus der rechtsextremen als auch Unterstützer der linksextremen Szene in Hüls wohnen, sehe man als Partei und Bezirksfraktion, im Gegensatz zu den Verbreitungen in den Sozialen Medien, nach aktuellem Kenntnisstand keinen Grund für eine "Alarmstimmung" in Hüls. Den Ortsteil bringe dies in Misskredit und werde so der "rechtsradikalen Szene" zugeordnet. "Die weitere Entwicklung in Hüls werden wir natürlich beobachten und entsprechend angemessen tätig werden", heben die CDU-Vertreter hervor.

Bildunterschrift: Zu einer Demo gegen Rechts trafen sich am 2. März 2024 viele Menschen auf dem Hülser Markt.

_______________________________________________


Südwestrundfunk, 30.12.2024:

Hakenkreuz auf Wand und Auto / Hochhaus in Worms mit Nazi-Symbolen beschmiert

30.12.2024 - 15.13 Uhr

Von Karin Pezold

Im Wormser Stadtteil Neuhausen haben Unbekannte am Wochenende ein Hochhaus mit Nazi-Schmierereien verunreinigt. Betroffen ist der Sohn eines kürzlich verstorbenen Holocaust-Überlebenden aus Worms.

Bewohner des achtstöckigen Hauses haben Sonntagmorgen Anzeige gegen Unbekannt erstattet. Die Polizei ermittelt nun wegen einer politisch motivierten Straftat.

Kleintransporter ebenfalls beschmiert

Auch ein Kleintransporter ist mit einem Hakenkreuz beschmiert worden. Er gehört Stefan Köcher, Sohn des gleichnamigen Sinto Stefan Köcher, der Mitte Dezember im Alter von 88 Jahren gestorben ist und der in Worms sehr bekannt war.

Stefan Köcher war der letzte Holocaust Überlebende aus Worms. Er war mit vier Jahren von den Nazis verschleppt worden, kam in ein Konzentrationslager und lebte nach seiner Befreiung in Worms weiter. Er setzte sich sehr für die Erinnerungskultur in der Stadt ein.

Sohn von Holocaust-Überlebendem betroffen

Seinem Sohn geht der aktuelle Vorfall sehr nah. "Das fühlt sich schlimm an", sagt er. "Dieses Gefühl von Schmerz und Trauer kann man nicht beschreiben. Die Gedanken gehen immer weiter. Ich habe Angst, dass noch was auf dem Friedhof passieren könnte."

Ermittlungen gehen in alle Richtungen

Ob die Meldung über den Tod von Stefan Köcher in Zusammenhang steht mit den Nazi-Schmierereien an dem Hochhaus, das ermittelt die Wormser Polizei. Nach Angaben einer Sprecherin der Polizei handelt es wegen des Aufmalens von verfassungsfeindlichen Symbolen um eine politisch motivierte Straftat. Es werde in alle Richtungen ermittelt.

Seit Jahren Nachbarschaftsstreit in dem Hochhaus

Nach Angaben der Polizei und nach Informationen von Stefan Köcher gibt es in dem Haus seit Jahren einen Nachbarschaftsstreit. Der Mann, mit dem Stefan Köcher und andere Bewohner in dem Haus Streitigkeiten haben, ist zwar mittlerweile ausgezogen. Die Wohngemeinschaft geht aber davon aus, dass der ehemalige Bewohner hinter den aktuellen Schmierereien stecken könnte. Beweise dafür liegen der Wormser Polizei derzeit nicht vor, so eine Sprecherin.

Schmierereien an dem Wormser Hochhaus werden noch Tage bleiben

Wann die Nazi-Schmierereien an dem Hochhaus in Worms verschwinden, ist noch unklar. Nach Worten von Stefan Köcher müsse die Hausverwaltung einen Maler bestellen. Der müsse die Schmierereien übermalen. Dass das alles noch vor Silvester passieren werde, sei fraglich.

Bildunterschrift: Das Auto von Stefan Köcher in Worms wurde beschmiert - er ist der gleichnamige Sohn des kürzlich verstorbenen Sinto, der auch letzter Wormser Holocaust-Überlebender war.

_______________________________________________


zurück