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7 Artikel , 27.12.2024 :

Pressespiegel überregional

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Übersicht:


Deutschlandfunk, 27.12.2024:
Bundesgerichtshof / Urteil gegen Reichsbürger wegen versuchten Mordes an Polizisten rechtskräftig

Der Tagesspiegel Online, 27.12.2024:
Berliner Behörden mit Härte gegen Neonazis / Razzia nach brutalem Angriff auf SPD-Mitglieder in Lichterfelde

die tageszeitung, 27.12.2024:
Ausrufezeichen im Dorf

tagesschau.de, 27.12.2024:
Neue Correctiv-Recherche / AfD-Politiker sollen sich mit Neonazis getroffen haben

Kölner Stadt-Anzeiger Online, 27.12.2024:
Roger Beckamp / AfD-Mann aus Windeck trifft sich mit Neonazis in der Schweiz und bietet ihnen Jobs an

Correctiv, 27.12.2024:
Neue Rechte / Kein Geheimtreffen gegen Deutschland - wir waren trotzdem dabei

Endstation Rechts., 27.12.2024:
Wolfgang Gedeon / Ex-AfD-Landtagsabgeordneter auf antisemitischen Pfaden

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Deutschlandfunk, 27.12.2024:

Bundesgerichtshof / Urteil gegen Reichsbürger wegen versuchten Mordes an Polizisten rechtskräftig

Ein wegen versuchten Mordes an Polizisten verurteilter Reichsbürger ist mit seiner Revision vor dem Bundesgerichtshof gescheitert.

Die Karlsruher Richter erkannten bei der Prüfung keine Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten. Das entsprechende Urteil des Stuttgarter Oberlandesgerichts ist damit rechtskräftig. Der Mann aus der Reichsbürger-Szene hatte im April 2022 im baden-württembergischen Boxberg mit einem Sturmgewehr auf Mitglieder eines Spezialeinsatzkommandos der Polizei geschossen. Ein Beamter wurde schwer verletzt. Das Oberlandesgericht hatte den 55-Jährigen unter anderem wegen sechsfachen versuchten Mordes zu 14 Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt.

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Der Tagesspiegel Online, 27.12.2024:

Berliner Behörden mit Härte gegen Neonazis / Razzia nach brutalem Angriff auf SPD-Mitglieder in Lichterfelde

27.12.2024 - 13.49 Uhr

Sie sollen mit Springerstiefeln auf SPD-Wahlkämpfer eingetreten haben. Zwei Wochen danach rückt die Polizei bei Mitgliedern eines Neonazis-Trupps in Niedersachsen, Sachsen und Sachsen-Anhalt an.

Von Alexander Fröhlich und Julius Geiler

Böses Erwachen für Neonazi-Schläger und teilweise deren Eltern am frühen Morgen nach den Weihnachtsfeiertagen: Nach der Attacke auf zwei Mitglieder der SPD vor zwei Wochen in Berlin-Lichterfelde sind die Berliner Behörden am Freitagmorgen mit massivem Aufgebot gegen eine Gruppe von Neonazis vorgegangen.

Die Polizei durchsuchte dabei die Wohnungen von insgesamt acht Verdächtigen. 110 Einsatzkräfte der Polizei Berlin sowie der Polizeibehörden der Länder Niedersachsen, Sachsen und Sachsen-Anhalt rückten an zehn Wohnanschriften im niedersächsischen Wolfsburg, in Sachsen-Anhalt in Aschersleben, Halle an der Saale, Schkopau und Leuna sowie im sächsischen Rötha an.

Die Ermittler haben inzwischen weitaus mehr Verdächtige im Visier. Zunächst waren es vier junge Männer im Alter 16, 18 sowie zwei Mal 19 Jahren. Sie wurden bereits nach der Attacke festgenommen. Drei von ihnen sitzen bereits in Untersuchungshaft. Vier weitere Personen sollen nun hinzugekommen sein.

SPD-Wahlkämpfer zu Boden gerissen und getreten

Am brutalsten sollen Florian K. (19) und Elias U. (18) zugeschlagen haben. Sie sollen am Sonnabend, 14. Dezember, zwei SPD-Wahlkämpfer zu Boden gerissen haben und mindestens eines der Opfer mit Springerstiefeln gegen Kopf und Rumpf getreten haben.

Ebenfalls in Untersuchungshaft ist der 16-jährige Pascal K., jüngerer Bruder von Florian K. Gegen den 19-jährigen Florian B. wurde der Haftbefehl gegen Meldeauflagen ausgesetzt, sein Tatbeitrag soll am geringsten gewesen sein.

Alle vier Jugendlichen kommen aus Halle und Umgebung und waren wegen einer rechtsextremen Demonstration nach Berlin angereist - und attackierten dann die zwei SPD-Wahlkämpfer am Bahnhof Lichterfelde-Ost mit massiver Gewalt. Obendrein sollen die vier Neonazis dann hinzueilende Polizisten rassistisch beleidigt und mit einer Glasflasche angegriffen haben.

Der jüngste Verdächtige ist 15 Jahre alt

Zum Schlägertrupp sollen weitere Neonazis gehören. Die Ermittler des für politisch motivierte Straftaten zuständigen Staatsschutzabteilung des Landeskriminalamtes (LKA) und der Generalstaatsanwaltschaft kamen ihnen schnell auf die Spur. Auch bei ihnen rückte die Polizei am Freitagmorgen an.

Es geht um den 15 Jahre alten Florian J., den 19-jährigen Tim Benjamin R., den 21-jährigen John Nicklas S. und die 16 Jahre alte Celine S. Sie sollen an der Attacke auf die Sozialdemokraten beteiligt, auf sie eingeschlagen und teilweise mit Springerstiefeln eingetreten haben. Jedoch sollen sie nicht an den massiven Widerstandshandlungen gegen die Polizisten beteiligt gewesen sein.

Die Polizei beschlagnahmte bei der Razzia umfangreiches Beweismaterial. Darunter waren Handys, Speichermedien, mögliche Tatkleidung, Vermummungsutensilien, Schlagwerkzeuge, Messer sowie rechtsextremes Propagandamaterial.

Verbindung zu Neonazi-Gruppen in Berlin

Die acht Neonazis sind nach Tagesspiegel-Recherchen in einer Gruppe "Deutsche Jugend zuerst" organisiert. Die Ermittler sprechen von einer "politisch rechtsmotivierten Jugendorganisation". Deren Ziel ist es laut Berliner Staatsanwaltschaft, bundesweit nicht nur an rechtsextremen Demonstrationen und Versammlungen teilzunehmen, sondern "auch gewaltsam gegen politische Gegner vorzugehen". Sie seien vor zwei Wochen in Berlin aktiv auf der Suche nach einer Auseinandersetzung mit Linken gewesen. In einer Profilbeschreibung der Gruppe auf Instagram ist zu lesen: "Wir fahren auf Demos gegen CSDs und Links." (CSD steht für Christopher Street Day.)

Wie ernst die Berliner Behörden den Angriff auf die Sozialdemokraten nehmen und wie viel Druck in den Ermittlungen ist, zeigt ein Umstand: Nicht die Staatsanwaltschaft, sondern die Generalstaatsanwaltschaft führt das Verfahren.

Erinnerung an die "Baseballschläger-Jahre"

Die Ermittler prüfen, inwiefern die Neonazis mit anderen rechtsextremen Gruppen aus Berlin in Verbindung stehen. Tagesspiegel-Recherchen belegen, dass sie mit Berliner Kadern der Gruppierungen "Deutsche Jugend voran" (DJV) und "Jung und Stark" (JS) in Kontakt standen.

Gemeinsam traten sie bei verschiedenen Gegenveranstaltungen zu Pride-Paraden im Sommer auf. Berliner Akteure von "Deutsche Jugend voran" sprachen den vor zwei Wochen festgenommenen Neonazis in Beiträgen auf Instagram ihre Solidarität aus.

Einer der Hauptbeschuldigten, Elias U., war im Oktober bei an einem Neonazi-Protest in Berlin-Marzahn. Er trägt online den Profilnamen "Zecken boxen" und beschreibt sich als "stolzer Deutscher". Er sei "bereit für jede Demo". Florian K. nennt sich in den Sozialen Netzwerken "Arier", sein Profilbild zeigt ein Mitglied des rassistischen amerikanischen Geheimbunds "Ku-Klux-Klan" im weißen Gewand.

Alle Gruppen - "Deutsche Jugend zuerst", "Deutsche Jugend voran" (DJV) und "Jung und Stark" (JS) - sind am Sommeranfang dieses Jahres entstanden. Sie fallen durch extreme Gewaltbereitschaft und den Hang auf, optisch wie rechtsextreme Skinheads in den 90er Jahren aufzutreten.

Experten sprechen von einer "neuen Generation" Neonazis und warnen vor einer Rückkehr der "Baseballschläger-Jahre". Die Gruppen mobilisieren Minderjährige im Netz und über Portale wie TikTok. Der Verfassungsschutz betrachtet die Entwicklung als "gefährdungsrelevant".

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die tageszeitung, 27.12.2024:

Ausrufezeichen im Dorf

Ernestine Monville-Raabe und Martin Raabe vom Netzwerk "beherzt" kämpfen unermüdlich gegen den Einfluss von völkischen Siedlerinnen, Siedlern in der Lüneburger Heide. Einschüchtern lassen sie sich nicht.

Von Amira Klute

Die Gegend zwischen Uelzen und Lüneburg ist flach und voller Felder. Eine Landstraße führt vorbei an Häusern aus roten Klinkersteinen durch kleine Dörfer, die Allenbostel, Barnstedt oder Grünewald heißen. In manchen wohnen ein paar Hundert, in anderen keine fünfzig Menschen.

Auch weil sie dünn besiedelt ist und es viele abgelegene Höfe gibt, wohnen in dieser Gegend besonders viele extrem rechte, völkische Familien. Die Region ist schon seit den 1920er-Jahren bei Rechten beliebt. Die NSDAP holte hier früh absolute Mehrheiten.

Heute sind Völkische aktiv im Kindergarten, Sportverein oder der Freiwilligen Feuerwehr. Sie arbeiten als Anwälte, Handwerker oder Lehrer, sind Nachbarn, bei denen das Horst-Wessel-Lied zu hören ist, die Sommersonnenwende feiern und Flaggen zu Hitlers Todestag auf Halbmast setzen.

In Ebstorf, nicht weit von der Kreisstadt Uelzen, zündet Ernestine Monville-Raabe zwei Kerzen am Adventskranz an und setzt sich an den Tisch in ihrer Wohnküche. "Meine Einstellung ist: wer Angst hat, macht nix", sagt die 74-Jährige. Ihr Mann, Martin Raabe, 75, mit am Tisch, nickt. Ende 2018 haben die Raabes das Netzwerk "beherzt" mitgegründet, das sich auf den Dörfern im Nordosten der Lüneburger Heide "für ein weltoffenes Zusammenleben" einsetzt, wie es auf der Webseite heißt.

Erkennungszeichen von "beherzt" sind große pink-gelbe "Kreuze ohne Haken", zwei Holzlatten, die ein X bilden, "fUEr Vielfalt" steht darauf. Das UE im "Für" steht für Uelzen. Mittlerweile findet man sie in fast jedem Ort im gleichnamigen Landkreis. Sie hängen an Gartenzäunen, Scheunentoren und Häuserecken. Mehr als 2.500 sind es, einige davon als Solidaritätsgrüße über ganz Deutschland verteilt, so das Netzwerk.

Nach den Drohungen muss man Ernestine Monville-Raabe und Martin Raabe fragen. Von selbst erwähnen sie die nicht. Als es am Anfang von "beherzt" eine Person brauchte, die öffentlich für die Gruppe spricht, mit Adresse und Gesicht, hätten die beiden lange diskutiert, und entschieden, dass Martin Raabe das macht. Seit einem Jahr zeigen noch mehr der rund 400 Mitglieder von "beherzt" ihr Gesicht, auf der Webseite, bei Zeitungsinterviews und auf Instagram. "Trotzdem krieg’ ich noch den meisten Dreck übergekübelt", sagt Martin Raabe.

Manchmal führen Autos vor, hielten an und drehten wieder um. "Wenn die Bäume wenig Blätter haben, kann ich mir die Nummernschilder merken", sagt Ernestine Monville-Raabe. Vergangenes Jahr hätten die Drohungen sich gehäuft, anonyme E-Mails und Anrufe mit unterdrückter Nummer. Im Frühjahr 2023 habe es nachts Sturm geklingelt. Im ersten Moment habe Monville-Raabe gedacht, es sei ihre Tochter. Dann habe sie verstanden, dass das nicht sein könne und entschieden, lieber nicht aufzumachen.

Ungefähr eine Woche habe es jede zweite Nacht geklingelt. Minutenlang. "Dann hab ich gedacht: jetzt ist gut", sagt Monville-Raabe, überkreuzt resolut ihre Arme vor der Brust, um das zu unterstreichen. "Ich habe die Klingel abgestellt." Nach einigen Wochen sei es nachts wieder ruhig gewesen. "Natürlich sind wir quasi Ausrufezeichen im Dorf, weil alle wissen wie wir denken", sagt Martin Raabe.

Die Raabes wohnen seit mehr als 35 Jahren in Ebstorf. Gekommen sind sie Ende der 1980er aus Indonesien, wo Martin Raabe als Pastor im Auslandsdienst gearbeitet hat. "Wir waren auch ’n bisschen exotisch für die", sagt Ernestine Monville-Raabe über das Ankommen in Ebstorf. Schon damals hätten sie eine fremdenfeindliche Grundstimmung wahrgenommen. "Selbst die Jungbauern waren unglaublich konservativ", sagt Monville-Raabe.

Extrem Rechte ziehen schon seit Jahren gezielt aufs Land. Für Völkische hat das nicht nur strategische, sondern auch ideologische Gründe. Die völkische Weltanschauung schließt an die nationalsozialistische "Blut-und-Boden"-Ideologie an. Das Leben in ländlicher Abgeschiedenheit steht für Völkische einer angeblichen Überfremdung in der Moderne entgegen. Das begründen sie rassistisch und antisemitisch.

Die Amadeu Antonio Stiftung zählt rund 200 solcher Siedlungen im Bundesgebiet. In Niedersachsen beobachtet der Verfassungsschutz die völkischen Siedler. In der Lüneburger Heide wohnen aktuell ungefähr 20 völkische Familien - einige, wie die Fachmanns, seit Generationen. Und es werden mehr.

"Eine Generation heiratet gerade querbeet" sagt Olaf Meyer von der Antifaschistischen Aktion Lüneburg-Uelzen. Die Gruppe beobachtet die völkische Szene seit den 1980ern. In den letzten Jahren bemerke sie eine Zunahme an Adressen, sagt Meyer. Das liege an den Hochzeiten, aber auch daran, dass Rechte von auswärts her zögen. Zum Beispiel in einen Ort mit knapp über 150 Menschen, ganz in der Nähe der Raabes. Vor ein paar Jahren ist ein Anwalt, der 2016 für die AfD im Uelzener Kreistag saß und Völkische vertritt, mit seiner Familie in den Ort gezogen.

"Das hat das Dorf zerrissen", sagt Martin Raabe, "in drei Gruppen". Da seien solche, die mit den Rechten nichts zu tun haben wollen, solche, die kein Problem mit ihnen haben und welche, die aktiv "nein" sagen. Manchmal ist der Riss nur so breit wie die Dorfstraße. Die Scheune auf der einen Straßenseite gehört seit neuestem dem völkischen Anwalt. Direkt gegenüber liegt ein Hof, an dessen Scheune das "Kreuz ohne Haken" von der Straße deutlich zu sehen ist. "In so einem Ort ist das ein Statement", sagt Raabe.

So klein ist Bienenbüttel nicht, fast 7.000 Menschen zählt die Gemeinde. Vor fast zwei Jahren stand der Ort im Fokus einer Dokumentation von Spiegel TV. Darin geht es um den Umgang der Gemeinde mit der völkischen Familie Fachmann, die seit Generationen im Ort verankert ist. Deren verstorbenes Oberhaupt Wolfgang Fachmann hatte 1987 zusammen mit anderen Völkischen eine Anzeige in der Lokalzeitung zum Tod von Rudolf Heß geschaltet. Sein Sohn war Mitglied der verbotenen rechtsextremen Artgemeinschaft - und leitet bis heute die Leichtathletik-Abteilung im TSV Bienenbüttel.

"Die sind nett und freundlich" sagt Annemarie Schulz, 76, auf der Bahnhofsstraße in Bienenbüttel, über die Fachmanns. "Jeder hat so seine Meinung", sagt ein Mann, der namentlich nicht genannt werden will. Es störe ihn nicht, wenn jemand eine andere Meinung habe als er. So gleichmütig sehen das nicht alle im Ort, aber allen ist der Name Fachmann ein Begriff.

Welche Rolle die Familie im Ort spielt, zeigt auch ihr Haus, das prominent im Herzen der Stadt steht, direkt am Bahnhof, nur drei Gehminuten vom Rathaus entfernt. Bis in die 2000er betrieb hier der alte Fachmann eine Apotheke. Heute ist es eine Bäckerei. Von außen ist das Haus gleich zu erkennen: Ins Gebälk sind nicht nur die Namen von Wolfgang Fachmann und seiner Frau Helga eingelassen, sondern auch eine Wolfsangel, ein beliebtes Symbol bei völkischen Rechten. Das Zeichen ist nicht per se verboten, aber die Verwendung im Kontext von rechtsextremistischen Organisationen kann in Deutschland strafbar sein.

"Ob die Zeichen dort mit heutigem Stand sichtbar sind oder nicht, wird von uns nicht kontrolliert und entzieht sich daher unserer Kenntnis", sagt eine Sprecherin der Gemeinde Bienenbüttel auf Nachfrage der taz. Kurz nach Veröffentlichung des Beitrags von Spiegel TV vor zwei Jahren verurteilte die Gemeinde in einem Statement "Extremismus aufs Schärfste und in jeder Form, egal ob links, rechts oder gar religiös motiviert".

Ein Bündnis kritisiert schon länger, dass die Gemeinde sich nicht klar zu den Völkischen positioniere und fordert, als sichtbares Zeichen ein "Kreuz ohne Haken" am Rathaus anzubringen. Im September hat das Bündnis dem Bürgermeister Merlin Franke (CDU) eine Petition mit mehr als 700 Unterschriften übergeben. Der hielt sich bedeckt und verwies an den Gemeinderat. Dort hatten SPD und Grüne schon 2023 einen ähnlichen Antrag eingebracht. Der sei danach aber nicht wieder thematisiert worden, berichtet die lokale Allgemeine Zeitung. Auf taz-Nachfrage sagt eine Gemeinde-Sprecherin, das Thema solle 2025 im Rat besprochen werden. Die Behandlung sei dadurch verzögert, dass dem Rat die Unterschriftenlisten der Petition noch nicht vorlägen.

Für Martin Raabe ist das eine "etwas blasse Verzögerungstaktik". Dabei ginge es auch anders. Die Gemeinde Lüchow-Dannenberg im benachbarten Wendland etwa hat ein Kreuz am Rathaus angebracht.

Nicht alle freuen sich über "Kreuze ohne Haken". Von Anfang an wurden welche geklaut. Einmal gestalteten Unbekannte eins zu einem Hakenkreuz um. In diesem Sommer aber habe es eine richtige Diebstahl-Welle gegeben, sagt Martin Raabe. Kreuze wurden beschmiert, verunstaltet, zwei mal steckten Messer vor ihnen im Boden. "Das ist nicht nur Sachbeschädigung von zwei Brettern, das ist politisch", sagt Raabe.

Der Polizeidirektion Lüneburg / Uelzen sind die Fälle bekannt. Es seien Anzeigen über geklaute Kreuze "in geringer zweistelliger Zahl" eingegangen, schwerpunktmäßig aus den Landkreisen Uelzen und Lüchow-Dannenberg, sagt ein Sprecher der taz. Sie würden vom Staatsschutz bearbeitet. Zu möglichen Tätern könne man sich nicht äußern, weil die Ermittlungen noch laufen.

"Wir werden die nicht wegkriegen" sagt Monville-Raabe über die Völkischen in der Region. "Und das ist ja auch nicht das Ziel", sagt ihr Mann. Sondern es gehe darum, die große schweigende Mehrheit aufzuwecken. "Die sollen sich positionieren."

Auf die Diebstahl-Welle aus dem Sommer hat das Netzwerk "beherzt" mit der Aktion "immer eins mehr" reagiert. Jede Person, die einen Fall bei der Polizei anzeigt, bekommt kostenlos zwei neue Kreuze. "Das ärgert die", sagt Martin Raabe und gluckst.

Bildunterschrift: Mehr als 2.500 "Kreuze ohne Haken" hat das Netzwerk "beherzt" schon aufgestellt, die meisten im Kreis Uelzen so wie hier in Medingen.

Bildunterschrift: Kriegt "den meisten Dreck übergekübelt": Pastor Martin Raabe, Gesicht und Stimme des Netzwerks "beherzt".

Bildunterschrift: Wolfsangel in der Fassade: das Haus der völkischen Familie Fachmann in Bienenbüttel.

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tagesschau.de, 27.12.2024:

Neue Correctiv-Recherche / AfD-Politiker sollen sich mit Neonazis getroffen haben

27.12.2024 - 21.39 Uhr

Laut Correctiv-Recherche haben sich Politiker der AfD offenbar in der Schweiz mit Neonazis getroffen. Themen waren etwa Migration und Abschiebungen. Ein Abgeordneter soll für Jobs im Bundestag geworben haben.

Von Philip Brost, ARD Berlin

Die neue Recherche des Medienunternehmens Correctiv erinnert an das Geheimtreffen in Potsdam: Wieder sollen sich AfD-Abgeordnete und Rechtsextremisten getroffen haben. Diesmal nicht in Potsdam, sondern in der Schweiz, sagt Jean Peters von Correctiv: "Wir haben einen Reporter eingeschleust bei einem Treffen von einem Mitglied des Bundestags, Roger Beckamp, und einer brandenburgischen Landtagsabgeordneten, Lena Kotré." Die beiden sollen sich in der Schweiz mit Neonazis getroffen haben. "Unter anderem waren dort Blood and Honour-Mitglieder", so Peters.

Blood and Honour ist eine in Deutschland verbotene Neonazi-Organisation. Die Schweizer Neonazi-Gruppierung "Junge Tat" soll zu dem Treffen eingeladen haben. Beide Organisationen gelten als gewaltbereit und werden von den Behörden in Deutschland und der Schweiz beobachtet.

AfD-Abgeordnete für Privatisierung von Abschiebungen

Der Bericht von Correctiv zeigt erneut die Nähe der AfD zur Neonazi-Szene. Bereitwillig tauschen sie ihre rechtsextremen und völkischen Gedanken aus.

Die brandenburgische AfD-Abgeordnete Kotré beispielsweise warb bei dem Treffen in der Schweiz für eine Privatisierung von Abschiebungen. Sie möchte mit DNA-Proben und Sprachanalysen die Herkunft von Geflüchteten bestimmen, um sie in ihre Heimatländer abzuschieben. Eingebürgerten Deutschen möchte sie die Staatsbürgerschaft wieder entziehen, wenn diese sich - ihrer Meinung nach - nicht an Recht und Gesetz halten.

"Um sich greifende Hemmungslosigkeit"

Tobias Ginsburg nahm für die Correctiv-Recherche undercover an dem Treffen teil. Der Journalist beobachtete schon länger, dass solche rechtsextremen Ansichten nicht mehr nur in Neonazi-Gruppen geteilt werden, sondern auch mit Hilfe der AfD in die Mitte der Gesellschaft rücken: "Ich glaube, wir sehen hier vor allem eine um sich greifende Hemmungslosigkeit."

Es gehe gar nicht mehr darum, ob die AfD rechtsextrem sei, sondern darum, wo sie sich überhaupt noch von einer klassischen Neonazi-Szene abgrenze, so Ginsburg. Es werde dort eine neue Realität behauptet, dort werde gesagt, die Leute um sie herum, "das seien nur nette Schwiegersöhne, das seien nur Migrations-Kritiker".

Job-Angebote für Neonazis

Für Ginsburg sind sie das nicht. Seine Recherche zeigt auch, dass der AfD-Bundestagsabgeordnete Beckamp unter den anwesenden Neonazi-Gruppen unverhohlen für Jobs in Abgeordnetenbüros seiner Partei wirbt, um darüber Geld für "andere Dinge", wie er sagt, zu generieren, die ihren politischen Zielen nützen.

Die AfD hat auf die Vorwürfe der Recherche bisher nicht reagiert. Eine Anfrage des ARD-Hauptstadtstudios zu den Inhalten des Berichts von Correctiv und möglichen Konsequenzen für die betroffenen AfD-Abgeordneten ließ die Partei bislang unbeantwortet.

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Kölner Stadt-Anzeiger Online, 27.12.2024:

Roger Beckamp / AfD-Mann aus Windeck trifft sich mit Neonazis in der Schweiz und bietet ihnen Jobs an

27.12.2024 - 12.26 Uhr

Von Sara Pichireddu

Schein-Kandidatur und Remigration - AfD-Politiker treffen sich mit Neonazis in der Schweiz. Mit dabei ein Abgeordneter aus Windeck. Correctiv berichtet.

Seine Kandidatur sei nur "zum Schein" - Roger Beckamp, AfD-Politiker aus Rhein-Sieg und seit 2021 Bundestagsabgeordneter, hat sich am 14. Dezember in der Schweiz mit Mitgliedern rechtsextremer, teils in Deutschland verbotener Gruppen getroffen. Begleitet wurde er von der brandenburgischen AfD-Politikerin und Landtagsabgeordneten Lena Kotré.

Nach dem Treffen mit den Anhängerinnen und Anhängern der Gruppe "Junge Tat" und der verbotenen Bewegung "Blood and Honour" soll Beckamp in einem Einzelgespräch mit einem Correctiv-Reporter verraten haben: "Ich kämpfe gerade um die Liste. Aber das ist nur zum Schein." Eigentlich wolle er damit andere Kandidaten unterstützen, berichtet das Recherche-Netzwerk Correctiv. In einem Zoom-Call soll er explizit gesagt haben: "Ich mache ja nicht weiter im Bundestag, das heißt, ich kandidiere nicht mehr."

Beckamp will Direktkandidatur, Landesverband dagegen

Das Treffen, öffentlich angekündigt und beworben, aber durchgeführt unter strengen Sicherheitsvorkehrungen und Geheimhaltung, wurde von Correctiv dokumentiert. Die Reporter veröffentlichten unter anderem Audiomitschnitte des Treffens zu Dokumentationszwecken.

Roger Beckamp, anmoderiert als Hauptredner des Abends, schwärmt nach dem Treffen in Sozialen Medien über die Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Nennt sie "Schwiegersöhne", wie Correctiv zitiert. Er soll außerdem dafür geworben haben, dass die anwesenden Mitglieder der Neonazi-Gruppen sich um Jobs bei den Abgeordneten bewerben. Jeder und jede habe einen eigenen Etat für Mitarbeitende, soll Beckamp gesagt haben, und man könne auch Leute gebrauchen, die "in ihrer Freizeit andere Dinge" täten als die eigentliche politische Arbeit, die der Partei aber nützen könnten. Audio-Aufnahmen belegen diese Aussage.

Zuletzt gab es um Beckamps Personalie in der Partei selbst Streit: Der AfD-Landesverband NRW verweigerte dem 49-Jährigen die Unterschrift für seine Direktkandidatur und warf ihm parteischädigendes Verhalten vor. Er leiste "keine oder so gut wie keine parlamentarische Arbeit" als Abgeordneter, wie der "Kölner Stadt-Anzeiger" von einem Sprecher erfuhr. Man erachte ihn deshalb als ungeeigneten Kandidaten. Beckamp kündigte daraufhin an, er wolle sich seinem Kreisverband nochmal zur Wahl stellen, diesmal ohne Gegenkandidaten. Der Landesverband kann seine Kandidatur ohne Begründung kein zweites Mal zurückweisen.

AfD-Abgeordnete will Remigration für die, die nicht in ihrem Sinne wählen

Wie schon bei dem Geheimtreffen in Potsdam vor einem Jahr, ging es auch in der Schweiz um "Remigration", ein Begriff, mit dem die AfD inzwischen offen Wahlwerbung macht. Lena Kotré führte ihre Vorstellungen dieser Praxis genauer aus: Wie Correctiv berichtet, soll sie sich dafür ausgesprochen haben, eingebürgerten Deutschen die Staatsbürgerschaft zu entziehen, falls sie straffällig würden.

Kotré spricht davon, sie "wieder loszuwerden", wie in einem der Audio-Mitschnitte zu hören ist. Auch für Menschen, die etwas wählen wollten, was nicht im Sinne ihrer Ideale sei, sei Remigration "der Schlüssel". Sie habe Sorge davor, was passieren könnte, wenn Menschen mit Migrationshintergrund beispielsweise ein Gesetz auf den Weg bringen könnten, das Schweinefleisch verbieten würde.

Kotré soll sich außerdem dafür ausgesprochen haben, Abschiebungen in die Hände privater Dienstleistenden zu legen sowie die Herkunft von Menschen mit DNA-Proben prüfen zu lassen. Sie sprach auch über die parteiinterne Kommunikation zum möglichen AfD-Verbot. Es treibe den Parteivorstand durchaus um, so die Landtagsabgeordnete, es mache also gerade keinen Sinn, den Holocaust zu leugnen oder Hitler zu verherrlichen. "Alles, was darunter ist", sei aber legitim. Sie geht wohl davon aus, dass es zu einem Verbotsverfahren kommen wird.

Bei dem Mitorganisator des Treffens, Manuel Corchia, wurde zuvor bei einer Hausdurchsuchung ein Waffenarsenal gefunden, berichtet Correctiv. Er ist Führungsmitglied bei der "Jungen Tat".

Bildunterschrift: Roger Beckamp hat am 14. Dezember bei einem Treffen in der Schweiz mit Neonazi-Gruppen gesprochen (Archivbild).

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Correctiv, 27.12.2024:

Neue Rechte / Kein Geheimtreffen gegen Deutschland - wir waren trotzdem dabei

Mitte Dezember trafen sich AfD-Funktionäre mit Neonazis in der Schweiz, darunter Mitglieder von "Blood and Honour". Das Treffen wurde beworben, aber zugleich von der Öffentlichkeit abgeschirmt. Unser Reporter schaffte es, dabei zu sein. Eine Überraschung bot sich im Nachklapp des Treffens.

Von Jean Peters , Tobias Ginsburg , Niclas Fiegert , Martin Böhmer

An einem Samstagabend im Dezember, zwei Wochen vor Weihnachten, in der Schweizer Kleinstadt Kloten, wenige Autominuten vom Zürcher Flughafen entfernt. Mehrere junge Männer stehen rauchend auf einem Balkon des Restaurants "83NullZwei" und schauen hinunter auf das umliegende Sportgelände. Es ist ruhig, nur im Hallenbad nebenan ziehen einige Rentner ihre Bahnen.

Im Gastraum sind die Fenster beschlagen, die Wände dicht mit Topfpflanzen und Eishockey-Fotos behängt, professionell wirkende Filmkameras und Scheinwerfer wurden aufgestellt. Der Raum füllt sich, in erster Linie mit weiteren jungen Männern mit streng gezogenen Scheiteln, dazu ein paar junge Frauen mit Flechtfrisuren und einige ältere Besucher. Ein Typ im Thor Steinar-Pullover bestellt an der Theke ein Bier und Kartoffelchips. Später werden noch Blätterteig-Häppchen gereicht.

Kurze Anmoderation des Beisitzers der Jungen Alternative Baden-Württemberg, dann tritt der Hauptredner des Abends nach vorne: Roger Beckamp, Abgeordneter für die AfD im Deutschen Bundestag. Die zweite Rednerin wird erst später eintreffen: Lena Kotré, frisch wiedergewählte AfD-Landtagsabgeordnete in Brandenburg. Ihr Flieger habe Schwierigkeiten gehabt, erklärt der Moderator.

Beckamp und Kotré reden an dem Abend viel über "Remigration". Der Begriff ist ein Klassiker unter den völkisch-rassistischen Tarnbegriffen, wie wir im Info-Kasten weiter ausführen. Beckamp empfiehlt jungen Aktivisten auch, sich mal in die Groß- oder Urgroßeltern einzufühlen: Wen würden sie wohl heute denn wählen, wie würden sie heute auf unser Land blicken? Alles klassische Themen der Neonazi-Szene. Beckamp betont mehrfach, die Veranstaltung sei kein Geheimtreffen - was in der Gaststube jedes Mal mit Lachern quittiert wird. Man habe nichts zu verbergen. Er hoffe auch, dass "das Ganze ins Netz gestellt wird", der Mitschnitt des Abends.

Verbotene, gewaltbereite Neonazi-Gruppen im Publikum

Am Ende des Abends wird sich Kotré bei ihren "Schweizer Freunden" bedanken, Roger Beckamp wird anschließend auf Social Media von einer "sehr netten Runde lauter ( … ) Schwiegersöhne" schwärmen, es seien "sehr angenehme, anständige, differenzierte, junge Leute" da gewesen. Vor Ort wirbt er damit, Abgeordnete könnten Geld und Jobs verteilen, an Leute, die "in ihrer Freizeit andere Dinge" täten, die dem politischen Vorfeld "nützen". Im Publikum sitzen Mitglieder rechtsextremistischer Gruppen, wie der in Deutschland verbotenen "Blood and Honour"-Bewegung und der Schweizer Gruppierung "Junge Tat". Die "Schwiegersöhne" sind gewaltbereite, radikale Neonazis. Bundestagsmitglied trifft Rechtsextreme, angekündigt und angepriesen in Sozialen Medien, es soll alles offen wirken.

Für die Teilnahme musste man sich mit dem Bild eines amtlichem Lichtbildausweis anmelden, kurzer Video-Anruf mit Gesinnungscheck inklusive. Eigentlich wollte die Runde im Rössli-Saal in Illnau-Effretikon zusammenkommen. Doch die Stadt verbot die Veranstaltung. Durch ein "Trickli" habe die Veranstaltung trotzdem stattfinden können, schrieb die "Junge Tat" im Netz. Unser Reporter hat erlebt, wie dieses "Trickli" aussah: Manche der Teilnehmer wurden zu einem Parkplatz bestellt, von dort weiter gelotst oder in Autos zu dem ihnen bis dahin unbekannten Ort gebracht, dieses Mal organisiert von AfD-Mitgliedern aus Lörrach. Solche konspirativen Schleusungen haben in der Neonazi-Szene Tradition. Alles trotz des von Beckamp mehrfach betonten, nicht geheimen Charakters.

Correctiv hat aber auch ein "Trickli" auf Lager: Einer unserer Reporter hat verdeckt an dem Treffen teilgenommen.

Gut ein Jahr ist seit dem Geheimtreffen in Potsdam vergangen, über das Correctiv berichtete und bei dem der Kopf der Identitären Bewegung, Martin Sellner, sein "Remigrationskonzept" vorstellte, das in der Einladung als Masterplan angekündigt wurde. Sein Konzept bedeutet die massenhafte Vertreibung von Menschen aus Deutschland, darunter Geflüchtete und so genannte "nicht-assimilierte Staatsbürger". Mit Hilfe von "maßgeschneiderten Gesetzen" und "Anpassungsdruck" sollen diese aus dem Land gedrängt werden. Nach Sellners Vorstellung betrifft das bis zu "sechs Millionen" Menschen.

AfD-Mann Beckamp in der Schweiz: "Was die CDU jetzt verspricht, ist nichts anderes als Remigration", Kotré kontert, und sieht es als Schlüssel zur Wahlbeeinflussung.

Auch hier, bei dem Treffen in der Schweiz, wird immer wieder Bezug auf den Tarnbegriff "Remigration" genommen. Zu Beginn seines Vortrags erzählt Beckamp, der österreichische rechtsextreme Autor Martin Sellner habe Einfluss auf ihn gehabt. Beckamp sagt, man könne statt von "Remigration" auch von Rückführung und Abschiebung in großem Stil sprechen. Auch eher weiche Aspekte zählten dazu, "Anreize" wie Prämien in Dänemark beispielsweise. "Was die CDU jetzt verspricht, ist nichts anderes als Remigration", sagt Beckamp auf der Bühne und zieht den Begriff damit von Sellners radikalen Definition weg, in der auch Staatsbürger vertrieben werden sollen.

Kotré erwidert allerdings, für sie gehe der Begriff "ein bisschen weiter". Es gehe nicht nur um die Ausreisepflichtigen, sondern "auch diejenigen, die sich hier nicht an Recht und Gesetz halten, die allerdings schon die deutsche Staatsbürgerschaft erlangt haben". Ihre Logik: "Sie haben getäuscht, dass sie sich hier an die freiheitlich-demokratische Grundordnung halten und damit kann man ihnen nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz einfach mal die Staatsbürgerschaft wieder entziehen." Die volle Ausschöpfung der angeblichen gesetzlichen Möglichkeiten sei für sie "der volle Begriff der Remigration".

Fünf Minuten später sagt Kotré, theoretisch sei "Remigration" aber auch "wieder der Schlüssel", um unliebsame Wahlentscheidungen zu verhindern.

Beckamp erzählt von Kontinuität und seiner Herkunft, von seinem "Zusammenhang", seinem Volk, "den Deutschen". Kontinuität sei für ihn etwas "Eigenes", auch für zukünftige Generationen. Kotré will eine privatisierte Abschiebeindustrie, will mit Hilfe von DNA-Proben und Sprachanalysen von Smartphones Regionen bestimmen lassen, aus der Geflüchtete vermeintlich stammen und sie dorthin abschieben. Der Moderator schlägt vor, die jungen Leute aus dem Publikum könnten beim "Koffer packen" helfen.

Correctiv hat nach dem Treffen Beckamp und Kotré per E-Mail angeschrieben und sie unter anderem gefragt, wie der Kontakt zur Gruppe "Junge Tat" zustande kam, ob ihnen die Teilnehmer der Veranstaltung bekannt waren und wie sie zu den Zielen der "Jungen Tat" stehen. Antworten gab es nicht.

"Die Angst vorm AfD-Verbot, die den Bundesvorstand rumtreibt"

Während die Besucher der Klotener Gaststätte aufmerksam den Ausführungen von Kotré und Beckamp lauschen, wird in der AfD um eine ganz grundsätzliche Frage gestritten: Wie radikal darf und soll man auftreten? Zu den Vertretern eines radikalen Kurses gehört etwa Bundestagsmitglied Matthias Helferich, der dort "millionenfache Remigration" propagiert und erst kürzlich den Verleger Götz Kubitschek in den Bundestag einlud. Maximilian Krah dagegen schreibt auf X, es sei unklug, sich mit Forderungen zu weit aus dem Fenster zu lehnen - mit Blick auf ein mögliches Verbotsverfahren.

Kotrés und Beckamps Besuch bei einer Schweizer Neonazi-Gruppierung ist eine klare Positionierung in dieser Streitfrage. Man dürfe sich nicht "künstlich distanzieren", sagt Kotré später am Abend im Zwiegespräch. Es ergebe zwar "keinen Sinn", den Holocaust zu verharmlosen oder Hitler zu verherrlichen. Aber "alles, was dadrunter ist, muss in meinen Augen sein: eben darüber zu sprechen, wie man sein eigenes Volk sieht. Und was man eben von seinem eigenen Volk fernhalten möchte." Denn das spreche die Wähler an. "Und die ganze Angst vorm AfD-Verbot. Das ist ja das, was gerade den Bundesvorstand auch umtreibt, ne? AfD-Verbot werden die so oder so beantragen, ob Roger und ich jetzt hier in der Schweiz sind oder nicht." Correctiv hat den AfD-Bundesverband gefragt, ob ihm das Treffen in der Schweiz bekannt war und wie er zur Teilnahme von Beckamp und Kotré steht. Die Anfrage blieb unbeantwortet.

Banner-Aktionen, Sturmhauben, Waffenarsenale: Das ist die Schweizer Gruppe "Junge Tat"

Das Bierglas des jungen Mannes ist längst geleert, als Beckamp die Motivation für sein politisches Engagement darlegt: Ihm gehe es um Kontinuität, "etwas Eigenes", "mein Volk, die Deutschen". Das sei seine Motivation. Die Möglichkeit von Kontinuität und deren konkrete Verkörperung in Personen. Personen wie den Menschen im Publikum. Dass die "Junge Tat" von einer Sicherheitsbehörde als extremistisch angesehen werde, sage mehr aus über die Sicherheitsbehörden als über die "Junge Tat".

Tatsächlich wird die "Junge Tat" von der Schweizer Bundespolizei Fedpol beobachtet, sechs Mitglieder wurden unter anderem wegen Rassendiskriminierung verurteilt, da sie laut Staatsanwaltschaft "die Ideologie des Nationalsozialismus verbreiteten und die Menschenwürde von Juden und dunkelhäutigen Menschen krass herabsetzten". Bei Hausdurchsuchungen fand die Polizei beim Führungsmitglied Manuel Corchia und einem weiteren Mitglied Waffenarsenale, darunter Kalaschnikows, Pistolen, Schrotgewehre und Munition. Bei Online-Vorlesungen loggte er sich zum Geburtstag von Adolf Hitler als "Alles Gute A. H. 88" ein, "Heil Hitler"-Rufe waren zu hören. Konkret störten sie eine queere Vorlesestunde für Kinder mit Rauchbomben, ein Mitglied schlug bei einer Corona-Demo einen am Boden liegenden Gegendemonstranten und sie inszenierten Provokationen wie das Hissen rechtsextremer Banner am Basler Bahnhof. Auf Fragen von Correctiv, unter anderem, was sich die Gruppe davon versprach, Kotré und Beckamp einzuladen, antwortete die "Junge Tat" nicht.

Auch das deutsche Bundesamt für Verfassungsschutz hat die "Junge Tat" im Blick: Auf Grund von Vernetzungen der Gruppe nach Deutschland seien deren Aktivitäten für das Bundesamt relevant, heißt es auf Correctiv-Anfrage. "Zudem sind verschiedene Verbindungen der "Jungen Tat" in die deutsche rechtsextremistische Szene bekannt. Vereinzelt mündeten diese bereits in gemeinsame Aktionen", erklärt das Bundesamt.

Beckamp stört sich an all dem offenbar nicht. Sein Eindruck von den Anwesenden, erklärt er in seiner Rede, sei "ganz anders als das Bild, was entworfen wird". Später sagt er, man brauche "immer Leute, die vorangehen", "so wie Manuel hier, der sich total verbrannt hat für das Projekt". Gemeint ist Manuel Corchia, der die Veranstaltung mitorganisiert hatte - und bei dem mutmaßlich die Waffen gefunden wurden.

Aber vor homophoben Aktionen warnt Beckamp eindrücklich, die halte er für "nicht sinnvoll". Er erinnert an den Aufmarsch im sächsischen Bautzen im letzten Sommer, bei dem Neonazis mit Reichskriegsflagge gegen den gerade stattfindenden Christopher Street Day hetzten. Das habe er abgelehnt, sagt Beckamp, "weil es nachher so rüberkam, als wenn man gegen Homosexuelle sei". Damit stößt Beckamp allerdings bei seinem Publikum auf Widerspruch, wie in der Pause zu hören ist.

Das Potpourri völkisch-rechtsextremer Lieblingsthemen

Hiervon abgesehen werden an dem Abend die Hauptthesen der völkischen Rechten heruntergespult. Es klingt ein bisschen wie eine KI-generierte Zusammenfassung rechtsextremer Lieblingsthemen, ein Portfolio der "neurechten" Neonazi-Akademie in Schnellroda, garniert mit ausgesprochen altrechten Neonazi-Slogans.

Die Referenten sagen, Fremde wollten uns das Land wegnehmen, Frauen seien durch Migration besonders gefährdet, Linksextreme verdienten Geld mit Migration, Muslime bedrohten das Christentum, Ausländer wollten das Land übernehmen. Beckamp spricht vom "alliierten Bombenterror", ein Teilnehmer befürchtet einen vermeintlichen "Bevölkerungsaustausch", andere erkundigen sich nach Strategien, die Geburtenrate christlicher Akademiker-Pärchen zu steigern. Neuester Hit seit diesem Jahr: Correctiv, das Lügen-Netzwerk. Und das Wort "Remigration" erscheint immer wieder als Allround-Lösung.

Am Büchertisch neben dem Eingang verkauft ein Junge in Trachtenweste derweil Titel eines neofaschistischen Verlags aus Dresden. Auf Seite 62 eines Büchleins zu neoreaktionärer Ideologie steht: "Menschenrassen existieren, unterscheiden sich, ernsthafte Politik muss sich daran orientieren."

Allesamt Themen, die Beckamp schon zumindest in Teilen zuvor in seinen Kanälen verbreitete. Allesamt Themen, die in den Gerichtsverfahren zur Einschätzung der AfD als rechtsextremem Verdachtsfall, der Landesverbände als gesichert rechtsextremen Bestrebungen und nach Einschätzung von Verfassungsjuristen auch für ein Verbot der Bundespartei relevant seien.

Streit in NRW-AfD: Roger Beckamps Kandidatur nur zum Schein?

Und mehr noch: All das passiert im Kontext eines Streits der AfD in Nordrhein-Westfalen. Die Streitfrage: ob Beckamp auf einem oberen Platz der Wahlliste antreten darf. Was er noch gar nicht erzählt habe, sagt Beckamp ein paar Tage später unserem Reporter, der sich vor dem Treffen extra seinen Schnurrbart abrasiert hatte, in einem Zoom-Call: "Ich mache ja nicht weiter im Bundestag, das heißt, ich kandidiere nicht mehr." Was er da gerade mache, sei "nur um andere zu unterstützen, die auf die Liste sollen".

Bemerkenswert ist das auch deshalb: Fünf Tage zuvor hatte er sich über die vielen Lügen beschwert, die von Medien in die Welt gesetzt würden, er nannte das "entweder schlechte Arbeit oder bewusst bösartig". Hier sagt er nun: "Ich kämpfe gerade um die Liste. Aber das ist nur zum Schein."

Geheim ist das nun auch nicht mehr.

Bildunterschrift: Der AfD-Bundestagsabgeordnete Roger Beckamp und die Brandenburger Landtagsabgeordnete Lena Kotré sprachen auf einer Veranstaltung der Schweizer Neonazi-Gruppe "Junge Tat".

Bildunterschrift: Lars Brändlin organisierte das Schleusen am Parkplatz. Brändlin kandidierte für die AfD in Lörrach. Auf dem Parkplatz waren auch Mitglieder von Blood and Honour, Sektion Zürich.

Bildunterschrift: Zwei Mitglieder oder Anwärter von Blood and Honour, Sektion Zürich, bei der Schleusung auf dem Parkplatz.

Bildunterschrift: Tobias Lingg (l.) und Marcel Schweizer (r.) von der Jungen Tat, umgeben von Blood and Honour-Mitgliedern, auf dem Schleuser-Parkplatz.

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Endstation Rechts., 27.12.2024:

Wolfgang Gedeon / Ex-AfD-Landtagsabgeordneter auf antisemitischen Pfaden

Der frühere AfD-Politiker Wolfgang Gedeon, bis 2021 noch Landtagsabgeordneter in Baden-Württemberg, hat eine Broschüre mit dem Titel "Grundsätzliches über Antisemitismus und den israelischen Staatsterrorismus" veröffentlicht und macht mit den gleichen kruden Behauptungen weiter, die bereits zu seinem Parteiausschluss geführt hatten.

Anton Maegerle

Im Laufe der Jahre ist Gedeon immer wieder mit antisemitischen Ausfällen aufgefallen. In Pamphleten schwadronierte er über eine "zionistische Weltverschwörung", verharmloste den Holocaust als "gewisse Schandtat" und bezeichnete Holocaust-Leugner als "Dissidenten". In seinem neuesten Machwerk "Grundsätzliches über Antisemitismus und den israelischen Staatsterrorismus. Wie hilfreich ist die "Katechismus-Debatte" der Soziologen?" schreibt Gedeon einleitend: "Der israelische Terror-Krieg im Nahen Osten verändert weltweit die Einstellung zu Israel und den Juden. Antisemitismus bzw. das, was die Juden so nennen, nimmt im Zeitraffer zu."

Ausgangspunkt der 25-seitigen Broschüre ist der Aufsatz "Der Katechismus der Deutschen", den der in den USA lehrende australische Genozid-Forscher A. Dirk Moses im Mai 2021 veröffentlicht hat. Unter dessen "Ägide", so Gedeon, "wird das bisher geltende Paradigma der Holocaust-Diskussion grundsätzlich in Frage gestellt. Aus sog. postkolonialer Sicht werden Singularität und Spezifität des Holocaust bestritten und dieser als eines von diversen anderen Verbrechen des Kolonialismus behandelt."

Antisemitische Gedankenwelt

Gedeon macht sich die postkoloniale Sichtweise von Moses immer dann zu eigen, wenn sie ihm zur Untermauerung seiner antisemitischen und rechtsextremen Gedankenwelt passend erscheint. In "Der Katechismus der Deutschen" wendet sich Moses gegen die in der Bundesrepublik Deutschland angeblich kultische Beschäftigung mit dem Holocaust ("Zivilreligion"), die angebliche Abwertung anderer, vor allem kolonialer Großverbrechen und die angeblich reflexartige Unterstützung des Staates Israel.

Gedeon führt aus, der "Katechismus" sei für "die Deutschen ein demütigender Gesslerhut und so politisch ein Dreh- und Angelpunkt für die geistige Befreiung". Auch in seinen neuesten Ausführungen schwadroniert Gedeon über die industrielle Massenvernichtung von Millionen jüdischer Menschen: "Gerade beim Thema Holocaust versucht die zionistische Seite, den Deutschen eine ewige Verantwortung für Juden und Israel aufs Auge zu drücken."

Gedeon mit Kritik am Volksverhetzungsparagrafen

"So ethnisiert man Schuld und biologisiert sie: "Tätervolk" und ähnliche Hetzbegriffe hören wir immer wieder von Zionisten und anderen antideutschen Rassisten - Volksverhetzung im wahrsten Sinne des Wortes!" Gedeon diffamiert "Holocaust-Gedenken" als "Zivilreligion"; dieser "Erinnerungskult" sei ein "Triumph des Zionismus in Deutschland".

Die Verurteilung von notorischen Holocaust-Leugnern wie Horst Mahler und Ursula Haverbeck beklagt Gedeon als "totalitäre Gesinnungsjustiz". An anderer Stelle schreibt er: "Den Definitionsterror zionistischer Think Tanks und Lobbyorganisationen verwandelt ( ... ) die deutsche Politik in Justiz- und Polizei-Terror, der vor allem über den "Volksverhetzungsparagrafen" & 130 StGB praktisch ausgeübt wird."

Feindbild: Katholische Kirche

Der Autor behauptet, dass die "sog. deutsche Erinnerungskultur ( ... ) von Anfang an einseitig und antideutsch" gewesen sei. Diffamierend spricht er von einer "moralisch verwahrloste(n) deutsche(n) Politiker-Kaste". Antisemitismus-Forschung wertet er als "Ideologie" ab und führt aus: "Ein Großteil dieser Antisemitismus-Forschung" sei "nichts anderes als wissenschaftlich kostümierter zionistischer Lobbyismus". Verächtlich spricht Gedeon von der "zionismushörigen politischen Klasse Deutschlands".

Gegen Ende seiner Broschüre stellt der 77-Jährige die Frage nach "Schlussforderungen" aus der "Katechismus-Debatte". Er ruft zur "Dejustitiabilisierung" auf: "Über den Paragraphen 130 StGB wird strafrechtlich in großem Maß Meinungsfreiheit beseitigt und Meinungstotalitarismus praktiziert." Gedeon wähnt die Bundesrepublik auf dem Weg in eine "totalitäre Demokratie", einen Staat, "der demokratische Rituale missbraucht, um seinen zionistisch-repressiven Charakter zu verschleiern: demokratisch in der Form, autoritär und totalitär im Inhalt!"

Ein Feindbild von Gedeon scheint auch die heutige Katholische Kirche ("Hilfsinstitution der Menschenrechtskommunisten") zu sein. Diese habe beim Zweiten Vatikanischen Konzil eine "Kernschmelze ihres christlichen Glaubens ausgelöst und damit ihr geistiges Fundament eingerissen hat". Gedeon wehklagt: "Die Christen kämpfen jetzt ohne Institution, während der Judaismus über das westliche System hochgradig institutionalisiert auftritt."

Bildunterschrift: Auf einem YouTube-Kanal versucht Gedeon, mit seinen Thesen ein breites Publikum zu finden - mit mäßigem Erfolg.

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