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3 Artikel ,
20.12.2024 :
Pressespiegel überregional
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Übersicht:
tagesschau.de, 20.12.2024:
Exklusiv: "Sächsische Separatisten" / Wie der Anführer die Terror-Gruppe finanzieren wollte
die tageszeitung Online, 20.12.2024:
Streit um Russland in der AfD / Chrupalla hat Ärger wegen Anti-NATO-Aussagen
Endstation Rechts., 20.12.2024:
"Sezession" / Demokratie-Auffassungen der Neuen Rechten und bei einem geistigen Vorbild
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tagesschau.de, 20.12.2024:
Exklusiv: "Sächsische Separatisten" / Wie der Anführer die Terror-Gruppe finanzieren wollte
20.12.2024 - 06.12 Uhr
Mehrere Männer sollen in Sachsen eine rechtsterroristische Vereinigung gegründet haben. Nun zeigen MDR-Recherchen: Der mutmaßliche Rädelsführer soll nicht nur mit Waffenteilen gehandelt haben - er scheint auch überzeugter Nationalsozialist zu sein
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Von Nina Böckmann, Thomas Datt, Marcel Siepmann, Edgar Lopez, Albrecht Radon, Marcus Engert, MDR
Seit Anfang November weiß die Öffentlichkeit von der Existenz der so genannten "Sächsischen Separatisten". Die Gruppe, bestehend aus 15 bis 20 Personen, soll sich laut Bundesanwaltschaft zu einer rechtsterroristischen Vereinigung zusammengeschlossen haben, um "mit Waffengewalt Gebiete in Sachsen zu erobern und mit Waffengewalt einen NS-Staat zu errichten", wie eine Behördensprecherin der tagesschau am Tag der Festnahme erklärte.
"MDR Investigativ" konnte nun Einsicht in vertrauliche Unterlagen nehmen. Sie zeigen erstmals das Ausmaß der Vorwürfe gegen den als Rädelsführer beschuldigten Jörg S. Demnach halten Behörden ihn nicht nur für einen Waffennarr, sondern auch für einen bekennenden Nationalsozialisten. Der 23-Jährige wurde in Sachsen geboren und ist der Sohn des 1995 wegen "nationalsozialistischer Wiederbetätigung" zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilten österreichischen Neonazis Hans-Jörg S. jun.
Schalldämpfer, Magazine und schusssichere Westen
Jörg S. soll nicht nur mit NS-Devotionalien, sondern auch mit Militärausrüstung gehandelt und dafür nicht nur Ebay-Kleinanzeigen, sondern auch einen Telegram-Kanal namens "Völkischer Flohmarkt" verwendet haben. Zuerst hatte die "Welt" darüber berichtet.
Zwei mutmaßliche Geschäfte des Beschuldigten sind den Ermittlern nach MDR-Informationen dabei besonders aufgefallen. Im Oktober 2023 soll S. zusammen mit seiner polnischen Freundin einen Schalldämpfer aus Polen erhalten und nach Österreich weiterverkauft haben.
Nur wenige Wochen später soll S. am Handel mit schusssicheren Westen für den militärischen Gebrauch, so genannte militärische Plattenträger, beteiligt gewesen sein. Die Ermittler schätzen ihren Wert auf rund 50.000 Euro.
Zugang zu scharfen Waffen
Unklar ist, ob das Geschäft abgeschlossen wurde - und ob S. seine Aktivitäten möglicherweise sogar ausgeweitet hat. So soll er geplant haben, in Polen ein Lager für Schalldämpfer und Magazine für Maschinengewehre einzurichten. Einem weiteren Beschuldigten gegenüber soll S. von der Möglichkeit berichtet haben, 100 Stück der Magazine von einer polnischen Quelle kaufen zu können.
All das bringt die Ermittlungsbehörden zu der Einschätzung, dass S. Zugang zu scharfen Waffen hatte und für den "Ernstfall" sicherstellen wollte.
Die Unterlagen erhärten außerdem den Verdacht, dass Jörg S. in verschiedenen Chat.Gruppen auf dem MessengerDienst Telegram seine Gesinnung offen äußerte - darunter ein privater Kanal namens "NSB chat". "NSB" kurz für "National Socialist Brotherhood" - auf Deutsch etwa "nationalsozialistische Bruderschaft". Die Chat-Gruppe sollte offenbar der internationalen Vernetzung von Anführern rechtsextremer "Zellen" dienen. Inwiefern hinter jedem Mitglied auch eine aktive "Zelle" steckt, ist unklar.
Nationalsozialismus als "Lebenseinstellung"
Noch vor seiner Aufnahme in den "NSB Chat" wurde er von einem anderen Mitglied der Telegram-Gruppe offenbar auf seine Eignung geprüft. Nach seiner ideologischen Orientierung gefragt soll S. geantwortet haben, er sei Nationalsozialist, und ergänzt haben, das sei keine Ideologie, sondern eine Lebenseinstellung, die auf Verbundenheit zu einem Volk, einer Rasse und Ahnen basiere.
Nach Erkenntnissen der Ermittler soll Jörg S. zudem Mitglied des NSB-Ablegers "Deutsch Völkische Front" gewesen sein. Darin sollten sich vorrangig deutsche "Zellenleiter" miteinander vernetzen. In zugehörigen Chat-Gruppen soll S. auffällig aktiv gewesen sein und sich über militärische Ausrüstung und rechtsextreme Schriften ausgetauscht haben.
An einer Stelle unterhalten sich einzelne Mitglieder darüber, ob sie vom Konflikt zwischen der Ukraine und Russland betroffen seien, woraufhin Jörg S. geantwortet habe, dass Deutschland irgendwann das Gas abgestellt werden könnte. Dies kommentiert ein anderer Nutzer mit: "Hoffentlich bleibt genug Gas für die Juden übrig". Jörg S. habe darauf mit "LMAO" erwidert, der umgangssprachlichen Abkürzung für "Ich lach mich schlapp".
Sorge vor den Behörden
S. habe außerdem nicht nur Zustimmung für einen "White Jihad" geäußert, sondern seine Ansichten zu geeigneten Organisationsformen für Rechtsterrorismus geteilt. Mit Bezug auf die "Atomwaffen Division" soll er beispielsweise geschrieben haben, bei zu großer medialer Aufmerksamkeit würden Gruppen schnell ins Visier der Behörden geraten, weshalb "Zellen" oder "Einsame-Wolf-Taktiken" besser seien, um staatliche Repression zu unterlaufen.
Insgesamt gehen die Ermittler basierend auf den Unterlagen davon aus, dass S. für das Netzwerk als Mentor und Berater insbesondere im Hinblick auf militärisches Equipment und die Beschaffung von Ausrüstung fungierte. In den Chats habe er auch zu einzelnen Waffentypen gefachsimpelt.
Jörg S. soll anderen Chat-Mitgliedern des "NSB Chat" zudem reale Treffen vorgeschlagen haben, zum Beispiel eine Art "Camp" in Kroatien, auf dem trainiert und "über das Wichtige persönlich" gesprochen werden könne. Ob es tatsächlich zu diesem Camp kam, ist nicht bekannt. Bekannt ist den Ermittlern jedoch, dass einige der mutmaßlichen Mitglieder der "Sächsischen Separatisten" wenige Monate später eine Reise nach Kroatien antraten.
Üben bei "Nacht- und Gewaltmärschen"
Zu den "Sächsischen Separatisten" zählen die Ermittler neben Jörg S. und dessen Brüdern noch etwa 15 weitere Personen. Ein Teil von ihnen habe sich wiederholt in einem Wald nahe Brandis getroffen. Das legen verschiedene Fotos aus einer weiteren Chatgruppe nahe. Zu sehen: Personen in militärischer Ausrüstung. Mit dieser sollen sie in dem Wald unter anderem "Nacht- und Gewaltmärsche" geübt und mit Airsoft-Waffen auf einem alten Flugplatz für den Häuserkampf trainiert haben. Die Ermittler sehen darin Belege für "paramilitärische Trainings", mit denen sich die Gruppe auf einen "Tag X" vorbereiten wollte.
Für Übungen mit scharfen Waffen wich ein Teil der Gruppe den Erkenntnissen der Ermittler zufolge wohl ins Ausland aus: Ein Schießtraining fand offenbar in Tschechien statt, mindestens ein weiteres sei in Polen geplant gewesen.
Polnisches Gericht stimmt Überstellung nach Deutschland zu
Anders als die übrigen Beschuldigten war Jörg S. nicht in Deutschland, sondern in Polen verhaftet worden. Über seine Auslieferung nach Deutschland muss ein polnisches Gericht entscheiden. MDR-Informationen zufolge hat das Gericht die Überstellung kürzlich bestätigt.
Jörg S. wird vom rechtsextremen Szene-Anwalt Martin Kohlmann vertreten. Dieser ließ Anfragen zu den Vorwürfen unbeantwortet. Nach der Festnahme seines Mandanten hatte Kohlmann erklärt, bei der Gruppierung handele es sich um einen losen Freundeskreis, der sich gelegentlich zum Wandern und zum Paintball-Spielen getroffen habe.
Die Ermittler glauben nicht daran. An welchen Vorbildern sich Jörg S. stattdessen orientiert haben könnte, zeigt ein weiterer Post in dem Chat mit seinen Freunden aus Brandis. S. soll darin Fotos zweier Opfer eines rechtsextremen Anschlags geteilt haben. In Bratislava hatte ein Rechtsextremist sie 2022 bei einem Anschlag in einer queerfreundlichen Bar erschossen. Auch das Manifest des Täters habe Jörg S. gepostet. Ein weiteres Gruppenmitglied kommentiert den Post mit einem Meme. Darauf zu sehen: Ein lachender Heinrich Himmler.
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die tageszeitung Online, 20.12.2024:
Streit um Russland in der AfD / Chrupalla hat Ärger wegen Anti-NATO-Aussagen
20.12.2024 - 16.27 Uhr
Laut AfD-Chef Chrupalla hat Russland den Ukraine-Krieg bereits gewonnen. Die deutsche NATO-Mitgliedschaft stellt er in Frage. Teile der AfD sind empört.
Von Gareth Joswig
Berlin (taz). Der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla steht wegen seiner notorischen Russland-Nähe mal wieder in der Kritik. In der AfD-Fraktionssitzung am Dienstag hat es nach einem Interview von ihm in der Welt eine rund 90-minütige Aussprache gegeben. In dem Interview hatte er wörtlich behauptet: "Russland hat diesen Krieg gewonnen." Ebenso brachte er mit viel Kreml-Sound einen NATO-Austritt Deutschlands ins Spiel und hat damit sowohl in der AfD-Fraktion als auch der Anhängerschaft für einigen Unmut gesorgt.
Ein Verteidigungsbündnis müsse die Interessen aller europäischen Länder akzeptieren, auch die von Russland, sagte Chrupalla in der Welt. Wenn die NATO das nicht sicherstellen könne, müsse "sich Deutschland überlegen, inwieweit dieses Bündnis für uns noch nutzbringend ist". In der Vergangenheit hatte Chrupalla bereits häufiger im Reichsbürger-Sound geraunt, dass Deutschland nicht souverän sei. Im Interview argumentierte er ähnlich: "Bislang ist Europa gezwungen, die Interessen Amerikas umzusetzen, das lehnen wir ab."
Kritik über Parteigrenzen hinweg war Chrupalla danach sicher. Der CDU-Abgeordnete Carsten Müller nannte ihn einen "Putin-Jünger" und die AfD "vaterlandslose Gesellen". Der SPD-Politiker Andreas Schwarz sagte: "Die AfD ist ein Sicherheitsrisiko für Deutschland." Der Politikwissenschaftler und Experte für Sicherheitspolitik, Joachim Krause, bekundete, Chrupalla verhalte sich "wie ein russischer Einflussagent".
Aber es gab auch intern heftige Kritik: Aus der AfD-Fraktion war von unterschiedlichen Stellen zu hören, dass sich viele Abgeordnete in einer eineinhalbstündigen Diskussion über die strittigen Zitate Chrupallas kritisch geäußert und dabei den Fraktions- und Parteivorsitzenden ungewöhnlich scharf angegriffen hätten. Kritisiert worden sei er dabei vorrangig von Bundeswehrsoldaten in der Fraktion wie Joachim Wundrak, Rüdiger Lucassen, Jan Nolte, aber auch vom JA-Chef Hannes Gnauck. Auf die Tagesordnung hatte der Generalleutnant a.D. Wundrak den Punkt gesetzt.
Interne Mail zeugt von 90-minütigem Streit
Nur wenige der üblichen Putin-Versteher hätten Chrupalla während der Fraktionssitzung in Schutz genommen: Etwa Rainer Rothfuß, der sich erst kürzlich zu einer Konferenz in russische Sotchi einladen ließ, um dort den russischen Ex-Präsidenten und bellizistischen Scharfmacher Dimitri Medwedew zu treffen, der unter anderem schon Atomschläge gegen Berlin gefordert hatte.
Ebenso habe Jürgen Pohl den Fraktionschef Chrupalla in Schutz genommen. Pohl hatte zuletzt auch für Kanzler Olaf Scholz (SPD) in der Vertrauensfrage gestimmt, weil er Friedrich Merz (CDU) in der Russland-Frage für das geringere Übel hielte - dieser wolle schließlich Taurus-Raketen in die Ukraine liefern.
Der Streit in der Fraktionssitzung war offenbar so heftig, dass sich der stellvertretende Bundessprecher und Abgeordnete Peter Boehringer danach am Dienstagnachmittag noch einmal mit einer Mail an alle AfD-Abgeordneten wendete. Darin nahm er Chrupalla in Schutz. Die Mail liegt der taz vor.
Darin kritisiert Boehringer, dass sich die in Teilen "faktenfern geführte Debatte" in "90 Minuten nicht ein einziges Mal" an den konkreten Formulierungen Chrupallas aufgehängt habe. In seinem vollen Wortlaut sei das "inkriminierte Interview" gar nicht so schlimm, findet Boehringer, kritisiert dafür aber "geframte Überschriften" der Welt - die aber enthielt nur das wörtliche Zitat Chrupallas: "Russland hat diesen Krieg gewonnen."
Darüber hinaus bestätigt Boehringer in der Mail, dass die Positionen des Parteichefs für viel Kritik auch in der Anhängerschaft gesorgt haben: "Auch ich habe wie wir alle dazu kritische Zuschriften von Bürgern bekommen." Dennoch halte er die Aussagen Chrupallas im Kontext für wenig verwerflich. "Niemand muss sich deswegen "die Freundschaft aufkündigen" lassen. Oder gar sich als "Vaterlandsverräter" beschimpfen lassen", so Boehringer.
Kritik an der NATO sei auch AfD-Politikern erlaubt - "sofern sie nicht (was tatsächlich programmwidrig wäre) mit einer Austrittsforderung aus der NATO verbunden wird". Letzteres habe Chrupalla aber nicht getan, so Boehringer. Auf taz-Anfrage bekräftigte Boehringer, wer Chrupalla "Kreml-Propaganda" unterstelle, disqualifiziere sich selbst.
Nun ja: Chrupallas jüngste Aussagen fügen sich in ein Gesamtbild ein. Er besuchte auch zu Kriegszeiten die russische Botschaft und ließ sich am Tag der Befreiung am 8. Mai bei einer Kranzniederlegung für russische Propaganda einspannen. 2022 verglich er kurz vor dem Überfall auf die Ukraine bei einer Rede in Russland ernsthaft Hitlers Propaganda mit der Entnazifizierung der Alliierten in Deutschland - die "Reeducation" habe "nachhaltige Auswirkungen auf unsere nationale Identität und Kultur" gehabt.
Zudem beschäftigt Chrupalla als Grundsatzreferenten Dimitrios Kisoudis, einen Verfechter eines antiamerikanischen Kurses gemäß dem russisch-faschistischen Vordenker Alexander Dugin.
Weidel schweigt zu Russland
Die AfD-Kanzlerkandidatin und Co-Vorsitzende Alice Weidel wollte sich auf taz-Anfrage nicht dazu äußern. In einem Statement im Bundestag im Beisein von Chrupalla dementierte sie aber wahrheitswidrig, dass dieser den NATO-Austritt ins Spiel gebracht habe. Ihr sei es wichtig, den "europäischen Arm in der NATO zu stärken".
Auch Chrupalla selbst ruderte ein wenig zurück und wollte vom NATO-Austritt nichts mehr wissen: "Bis zum Aufbau eines europäischen Militärbündnisses … bleibe die NATO ein zentrales Element der Sicherheitsstrategie", zitierte er aus dem Wahlprogramm.
Stefan Keuter aus dem Arbeitskreis Außen, bekannt für Pseudo-Wahlbeobachtung in Russland, wiegelte ebenfalls nach der Fraktionssitzung ab: Die Fraktion habe sich lediglich "ausgesprochen", das Ergebnis sei Rückendeckung für Chrupalla gewesen, so Keuter: "Was Chrupalla gesagt hat, spricht der überwältigenden Mehrheit der Mitglieder aus dem Herzen."
Nicht wenige Parteifreunde sehen das deutlich anders. Aus Parteikreisen heißt es, die von Chrupalla angestoßene Debatte zu Russland und der NATO komme zu Unzeiten, weil man mit demonstrativer Russland-Nähe in Westdeutschland keine Sympathien gewinnen könne - und dort werde schließlich die Wahl entschieden.
Zuletzt hatte bereits der Abgeordnete und Berufsmusiker Matthias Moosdorf für erhebliche Unruhe gesorgt, weil er laut einer t-online-Recherche eine Honorar-Professur in Moskau angenommen hat und außerdem aus russischer Staatsgeldern für ein Konzert bezahlt worden sein soll. Ernste Sanktionen innerhalb der Fraktion gab es dafür keine.
Chrupalla selbst wollte sich im Nachgang der Fraktionssitzung nicht äußern. Auf taz-Anfrage sagte er: "Fraktionssitzungen sind interne Sitzungen, dazu gebe ich keine Auskunft."
Bildunterschrift: Ein Blumenstrauß von Putin? Redlich verdient hätte sich ihn die AfD-Spitze jedenfalls.
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Endstation Rechts., 20.12.2024:
"Sezession" / Demokratie-Auffassungen der Neuen Rechten und bei einem geistigen Vorbild
Alain de Benoist und Erik Lehnert, ein alter und neuer Neuer Rechter, kritisieren den Parlamentarismus in der "Sezession". Dabei stützen sie sich auf Carl Schmitt, der Demokratie und Diktatur im Einklang sah. Dieser gilt als "Klassiker" der Neuen Rechten.
Armin Pfahl-Traughber
Man muss die "Klassiker" der Neuen Rechten kennen, will man ihre eigentlichen Positionen und Zielsetzungen verstehen. Dies macht auch die Berufung auf "Demokratie" deutlich, wie die jüngst erschienene "Sezession" vom Dezember veranschaulicht. Das Blatt wird nun von einer "Metapolitik VerlagsUG" herausgegeben, vertreten durch Erik Lehnert, den ehemaligen Geschäftsführer des "Instituts für Staatspolitik". Er und Alain de Benoist, der bekannteste Akteur der französischen Neuen Rechten, äußern sich dort zu "Demokratie", wobei sie diesen Begriff für ihre eigene Gesinnung vereinnahmen wollen.
Dafür betonen beide den angeblichen Gegensatz zum Liberalismus und Parlamentarismus. Die Argumentation ist altbekannt, stammt sie doch von Carl Schmitt. Lehnert erwähnt den NS-belasteten Staatsrechtler gleich fünfmal, Benoist nur einmal. Dessen Auffassungen prägen aber ersichtlich beide in einem konstitutiven Sinne. Dass diese mit der Bejahung einer Diktatur einhergingen, wird aber weder von Benoist noch von Lehnert problematisiert.
Homogenität und Identität als Ideale
Zunächst beklagt der Letztgenannte, dass die AfD ausgegrenzt werde. In seinem Artikel "Parlamentarismus und Demokratie" verweist er darauf, dass sie nicht an der Regierung beteiligt würde, obwohl sie die meisten Stimmen bekommen habe. Noch nicht einmal das Amt eines Bundestags- oder Landtagsvizepräsidenten erhalte die Partei. Diese Aussagen stimmen, gleichwohl ignorieren sie einen schlichten Sachverhalt: Man braucht dazu eine Mehrheit im Parlament, worüber die AfD nun eben in keinem Fall verfügt. Anschließend referiert und zitiert Lehnert dann Schmitt ausführlicher:
"Das Prinzip des Parlamentarismus sei die Diskussion, das der Demokratie die Identität von Regierten und Regierung sowie nationale Homogenität." Doch Homogenität und Identität schließen auch Opposition und Pluralismus aus. In "Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus" (1926) schrieb Schmitt: "Zur Demokratie gehört also notwendig erstens Homogenität und zweitens - nötigenfalls - die Ausscheidung oder Vernichtung des Heterogenen."
Liberale versus organische Demokratie
Das war eine deutliche Positionierung bei dem Staatsrechtler, die aber trotz seiner Kenntnis nicht von Lehnert thematisiert wurde. Auch Benoist geht in dem folgenden Gespräch auf derartige Konsequenzen nicht ein. Er stellt sich selbst als überzeugten Demokraten vor, da das Volk eine zentrale Rolle spielen solle, während er selbst die liberale Idee ablehne. Diese sei am Individuum orientiert, nicht am Kollektiv. So etwas ist formal sogar richtig, aber anders gemeint.
Damit Benoist seine Deutung weiter vertreten kann, bemerkt er sogar: "Nichtbürgern die gleichen Rechte wie Bürgern zuzugestehen ist eine eindeutig antidemokratische Maßnahme." Doch ist dem in Deutschland oder Frankreich in der Realität auch so? Nur Bürger können wählen, Nicht-Bürgern ist dies verwehrt. Mit einfachen Beispielen lässt sich die Positionierung schnell widerlegen. Benoist stellt dann später "den Unterschied zwischen einer organischen, substantiellen Demokratie und einer liberalen, prozeduralen, theoretisch repräsentativen Demokratie" gegenüber.
Diktatur demokratischer als Parlamentarismus?
Damit wird ein identitäres gegen ein pluralistisches Demokratieverständnis gestellt, wofür Schmitt eben ausführlich warb. Er behauptete bezogen auf Demokratie und Diktatur einen möglichen Einklang, der bei Demokratie mit Liberalismus und Parlamentarismus nicht möglich sei. In dem erwähnten Buch schrieb Schmitt: "Bolschewismus und Faschismus … sind wie jede Diktatur zwar antiliberal, aber nicht notwendig antidemokratisch."
Und weiter hieß es dort: "Von einer nicht nur im technischen, sondern auch im vitalen Sinne unmittelbaren Demokratie erscheint das aus liberalen Gedankengängen entstandene Parlament als eine künstliche Maschinerie, während diktatorische und zäsaristische Methoden nicht nur von der acclamatio des Volkes getragen, sondern auch unmittelbare Äußerungen demokratischer Substanz und Kraft sein können." Diktatur sei demokratischer als Parlamentarismus. Ebenso sehen dies offenbar die Akteure der Neuen Rechten, ansonsten könnten sie sich kaum auf die Demokratie-Auffassung von Schmitt berufen.
Bildunterschrift: Carl Schmitt im Jahr 1932.
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