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4 Artikel ,
09.12.2024 :
Pressespiegel überregional
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Übersicht:
MiGAZIN, 09.12.2024:
"Satirische Enthüllungsshow" / Attentat von Hanau kommt auf die Bühne
Endstation Rechts., 09.12.2024:
Falsche Masken-Atteste / Bewährungsstrafe für Hamburger Querdenker-Ikone
die tageszeitung Online, 09.12.2024:
Streit in der AfD Nordrhein-Westfalen / Landesvorstand blockiert Direktkandidaturen
tagesschau.de, 09.12.2024:
Debatte über AfD-Verbot / Hohe Hürden für ein Partei-Verbotsverfahren
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MiGAZIN, 09.12.2024:
"Satirische Enthüllungsshow" / Attentat von Hanau kommt auf die Bühne
09.12.2024 - 12.47 Uhr
Das rassistisch motivierte Attentat von Hanau kommt auf die Bühne - und nicht nur das. Der Autor Nuran David Calis hat sich schon mehrfach mit rechtsextremem Terror beschäftigt. Sein neues Stück heißt "Leaks" und hat in Frankfurt Premiere.
Das Attentat von Hanau wird Thema eines Bühnenstücks. Bei dem rassistisch motivierten Anschlag am 19. Februar 2020 erschoss ein 43-jähriger Deutscher neun Menschen mit migrantischen Wurzeln, danach seine Mutter und sich selbst. Das Stück "Leaks. Von Mölln bis Hanau" von Nuran David Calis wird am 14. Dezember in den Kammerspielen des Schauspiels Frankfurt uraufgeführt.
Der Autor hat für das Stück Interviews, Zeugenberichte, journalistische Recherchen und Material aus Ausschüssen und Prozessen zu einer Collage montiert. "Im Gewand einer bunten, satirischen Enthüllungsshow entblößt Calis‘ neue Arbeit für das Schauspiel Frankfurt Strukturen, Täter, Komplizen und Mitwisser", heißt es in der Vorankündigung.
Suche nach Gemeinsamkeiten
In dem Stück geht es nicht nur um Hanau, sondern auch um weitere rechtsradikale Attentate seit dem Brandanschlag in Mölln 1992. Der Autor wolle Gemeinsamkeiten aufzeigen - etwa "die Ähnlichkeiten des Behördenversagens" oder "die Stigmatisierung der Opfer". Bereits in früheren Stücken hatte Calis sich mit rechtem Terror beschäftigt, etwa in den Stücken "Die Lücke" in Köln und "NSU 2.0" in Frankfurt.
Nuran David Calis wurde in Bielefeld geboren und arbeitet als Regisseur und Autor an zahlreichen namhaften deutschsprachigen Bühnen. Für seine Stücke und seine Inszenierungen wurde er mehrfach ausgezeichnet. Nach der Uraufführung von "Leaks" am 14. Dezember gibt es vier weitere Vorstellungen im Dezember und Januar. (dpa/mig)
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Endstation Rechts., 09.12.2024:
Falsche Masken-Atteste / Bewährungsstrafe für Hamburger Querdenker-Ikone
Der Mediziner Walter Weber, Mitgründer der "Ärzte für Aufklärung", stellte in der Corona-Pandemie bereitwillig Atteste zur Befreiung von der Masken-Pflicht aus - ohne jede körperliche Untersuchung. Nach einem langen und zähen Prozess verurteilte das Hamburger Landgericht den 80-Jährigen jetzt zu einer 22-monatigen Bewährungsstrafe. Seine Fans feiern ihn als Helden.
Joachim F. Tornau
Nele Behr hatte die Faxen dicke. Nach sieben Monaten und mehr als 25 mühsamen Verhandlungstagen wollte die Richterin am Montag das Urteil gegen den Hamburger Arzt und Corona-Leugner Walter Weber verkünden, es ging um das Ausstellen falscher Atteste zur Befreiung von der Masken-Pflicht in der Pandemie. Doch kaum hatte die Strafkammer-Vorsitzende am Hamburger Landgericht die ersten Worte gesprochen, versuchte die Verteidigung, sie mit einem weiteren Beweisantrag zu überbrüllen.
"Ruhe!", brüllte die Richterin zurück. Und begründete dann - in aller Ruhe, wenn auch immer noch sichtbar angefasst von einem Verfahren, das sie in hanseatischer Zurückhaltung "herausfordernd" nannte - das Urteil gegen den 80-jährigen Mediziner. Für 57 Fälle, in denen Weber ohne jegliche Untersuchung gesundheitliche Probleme durch das Maske tragen bescheinigt hatte, eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten. "Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse" lautet der entsprechende Paragraf im Strafgesetzbuch.
Fragwürdige Ansichten
Weber ist eine Ikone der Querdenken-Bewegung. Er hat die "Ärzte für Aufklärung" mitgegründet, die auf ihrer von ihm redaktionell verantworteten Internetseite bis heute die Gefährlichkeit des Corona-Virus leugnen und Verschwörungsmythen über Pandemie und Impfung verbreiten. Aber auch früher schon fiel er mit fragwürdigen Thesen auf. So richtete er seine Behandlung als Onkologe an der persönlichen Annahme aus, dass Krebs maßgeblich durch "psychosomatischen Stress" und "ungelöste Konflikte" verursacht werde. Dabei bezieht sich Weber unter anderem auf den antisemitischen Verschwörungsideologen Ryke Geerd Hamer (1935 - 2017), dessen pseudo-medizinische "Germanische Neue Medizin" mehrere hundert Menschen das Leben gekostet haben soll.
Auch mit einem Attest hatte Weber schon einmal für Schlagzeilen gesorgt: Im Jahr 2000 sprang er einer Rentnerin zur Seite, die wegen einer rassistischen Beleidigung angeklagt war. Er bescheinigte der Frau kurzerhand, in Gegenwart von Schwarzen "Angstzustände" zu bekommen.
Blanko-Atteste: "Wer braucht noch eines?"
Reue und Einsicht liegen ihm fern, damals wie heute. "Sie sehen sich selbst als Held", sagte Richterin Behr. "Sie haben Ihre eigene Überzeugung über das Gesetz gestellt." Dass es Weber bei den Masken-Bescheinigungen nicht um medizinische Redlichkeit ging, zeigte sich besonders deutlich, als er im November 2020 mit Gleichgesinnten zu einer Corona-Demo nach Leipzig fuhr. Allesamt natürlich maskenlos. Als die Polizei gekommen sei, so die Richterin, habe der Angeklagte einen Stapel Blanko-Atteste aus der Tasche gezogen: "Wer braucht noch eines?"
Noch in seinem Schlusswort hatte Weber trotzig verkündet, auch in Zukunft wieder so zu handeln, wie er es getan hat. Die gewährte Bewährung sei trotz des Alters des Angeklagten und seiner fehlenden Vorstrafen darum "kein Selbstgänger" gewesen, betonte die Richterin. Das Gericht entschied sich zwar trotzdem dafür - verhängte jedoch als Bewährungsauflage, dass der Arzt drei Jahre lang keinerlei Masken-Atteste ausstellen darf. Tut er es doch, kann die Bewährung widerrufen werden. Eine durchaus salomonische Lösung. Die Verteidigung aber will sie nicht akzeptieren. "Wir haben schon Revision eingelegt, auf elektronischem Weg noch im Gerichtssaal", sagte Rechtsanwalt Ivan Künnemann, der sich wie sein Co-Verteidiger Sven Lausen einen Namen als Vertreter von Corona-Leugnerinnen, -Leugnern gemacht hat, nach der Verhandlung. Als dritter Verteidiger war zwischenzeitlich auch noch Edgar Siemund aufgetreten, Politiker der Corona-Leugnerinnen, -Leugner-Partei "Die Basis" aus Oberbayern.
E-Mail reichte für Attest
Mit dem Urteil folgte das Gericht der Forderung der Staatsanwaltschaft. Die Verteidiger hatten Freispruch verlangt und dabei, wie schon im Prozessverlauf, reichlich Nebelkerzen gezündet. Dass Telemedizin in der Pandemie doch ausdrücklich erwünscht gewesen sei. Oder dass die Verpflichtung zur körperlichen Untersuchung einzig und allein auf ein Urteil aus der Nazi-Zeit zurückgehe.
"Das ist haarsträubend", kommentierte die Richterin. "Eine fernmündliche Beschreibung von Symptomen reicht unter keinen Umständen aus, eine Befreiung von der Masken-Pflicht auszustellen. Das ist medizinisches Basiswissen." Zumal eine medizinische Sachverständige im Prozess deutlich gemacht hatte, dass die auf den Attesten angegebenen Symptome wie Kopfschmerzen oder Atemnot niemals ausreichen könnten, eine potenziell lebensgefährliche Kohlendioxid-Vergiftung durch die Maske zu diagnostizieren. Manchmal, berichtete die Rechtsmedizinerin, habe sich Weber auch damit zufrieden gegeben, wenn ihm Patientinnen, Patienten bloß mailten: "Ich finde die Maske eklig."
Fans belagern Gericht
Um den Prozess gegen ihren Mandanten in eine Generalabrechnung mit den Corona-Maßnahmen umzuwandeln, hatten die Verteidiger sogar versucht, Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und den Präsidenten des Robert Koch-Instituts, Lothar Schaade, vorzuladen. Vergeblich allerdings. Der Staatsanwaltschaft warfen sie laut Gericht vor, Unterlagen unterdrückt und verbotene Absprachen mit den Sachverständigen getroffen zu haben. "Abenteuerlich" nannte das die Richterin - und schloss nicht aus, dass sich die Anwälte mit den ungerechtfertigten Anwürfen selbst strafbar gemacht haben könnten.
Wie an jedem einzelnen Verhandlungstag waren Fans des Angeklagten auch zur Urteilsverkündung in Scharen erschienen. Sie hielten eine Schweigeminute für ihren Helden ab, klatschten, als er den Saal betrat, buhten die anwesende Presse aus und unterbrachen die Urteilsbegründung mit Zwischenrufen: "Dieses Gericht ist bedeutungslos!"
"Sie gefährden die Demokratie"
So ähnlich war das seit dem Prozessauftakt im Mai offenbar immer abgelaufen. Wachtmeister seien beleidigt, Praktikantinnen, Praktikanten der Justiz am Betreten des Saals gehindert worden, sagte die Strafkammer-Vorsitzende. "Das hat mich tief erschüttert." Die Zuschauerinnen, Zuschauer hätten sich aufgeführt, als seien sie die Einzigen, die die Demokratie verteidigen. "Das ist falsch. Sie gefährden die Demokratie", sagte Behr. "Zu einem demokratischen Umgang gehört Anstand und Respekt. Man muss einander zuhören."
Die meisten Anhängerinnen, Anhänger von Walter Weber waren da jedoch schon wütend aus dem Saal gestürmt. Draußen vorm Gericht sangen sie dann "Die Gedanken sind frei".
Bildunterschrift: Walter Weber verlässt das Landgericht - und wird direkt von Anhängern in Empfang genommen.
Bildunterschrift: Querdenker protestieren vor dem Landgericht Hamburg für Walter Weber.
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die tageszeitung Online, 09.12.2024:
Streit in der AfD Nordrhein-Westfalen / Landesvorstand blockiert Direktkandidaturen
09.12.2024 - 17.55 Uhr
Der Streit in der AfD NRW eskaliert: Der Landesvorstand um Martin Vincentz blockiert die Direktkandidaturen der Abgeordneten Helferich und Beckamp.
Von Gareth Joswig
Berlin (taz). Der Streit in der AfD Nordrhein-Westfalen eskaliert: Der Landesvorstand um Martin Vincentz hat nun den beiden Bundestagsabgeordneten Matthias Helferich und Roger Beckamp die Unterschrift für ihre Wahlkreis-Kandidaturen verweigert. Beide waren von ihren Kreisverbänden für die vorgezogene Bundestagswahl im Februar aufgestellt worden. Doch die eigentlich formal noch erforderliche Unterschrift, damit die Kandidatur offiziell werden kann, verweigert der Landesvorstand nun und blockiert damit die beiden Kandidaten.
Sowohl Beckamp als auch Helferich sind gut vernetzt in extrem rechten Kreisen. Beide sind für offenen Rassismus bekannt. Seit Monaten machen die beiden Stimmung gegen den Landesvorstand, der mit dem Höcke-Lager über Kreuz liegt und sich gerne als liberalkonservativ verharmlost. Nun hat der zurückgeschlagen.
Helferich, der sich mal als das "freundliche Gesichts des NS" bezeichnet hatte, machte den Vorgang am Montag öffentlich und höhnte auf X: "Vincentz’ Frau tut mir leid: Er scheint von mir besessen zu sein. Heute legte der Landesvorstand Einspruch gegen die Wahl von Roger und mir als Direktkandidaten ein. Man ist im Vincentz-Lager wohl so verzweifelt, dass man nun Wahlen rückgängig macht."
Der Pressesprecher von Vincentz bestätigte der taz, dass der Landesvorstand die Kandidatur nicht unterstützt. Hintergrund sei unter anderem das laufende Parteiausschlussverfahren gegen Helferich. Der Sprecher sagte: "Herr Helferich wird wahrscheinlich nicht mehr lange Mitglied der Partei sein. Er hat sich hervorgetan durch parteischädigendes Verhalten." Sowohl Beckamp als auch Helferich arbeiteten seit Monaten öffentlich gegen den eigenen Landesverband und leisteten so gut wie keine parlamentarische Arbeit als Abgeordnete: "Daher erachten wir beide als ungeeignete Kandidaten und sind bestrebt, Schaden von unserer Partei abzuwenden", so der Sprecher.
Hausdurchsuchungen, Urkundenfälschung, Geldwäsche
Beckamp hatte zuletzt ein ausführliches Statement veröffentlicht, in dem er dem Landesvorstand zahlreiche Vorwürfe machte. Man laufe in Nordrhein-Westfalen Gefahr, der AfD den Einzug in den Bundestag zu verhageln, weil es Rechtsunsicherheiten bei der Aufstellung der Landesliste geben könnte, so der Abgeordnete in dem aufwändig produzierten Facebook-Video.
Er bezog sich darin auch auf Vorwürfe gegen den Landtagsabgeordneten Klaus Esser, bei dem die Staatsanwaltschaft Aachen letzte Woche eine Hausdurchsuchung durchführte. Esser gilt als Vertrauter des Landesvorsitzenden Vincentz. Er soll sich zu Unrecht als Jurist ausgegeben und Urkunden gefälscht haben. Zudem gibt es gegen ihn eine Anzeige wegen Geldwäsche. Hinzu kommt, dass er bei der Mitgliedsaufnahme getrickst haben soll, was eventuell die Rechtmäßigkeit der anstehenden Aufstellungsversammlung für die Bundestagswahl beeinflussen könnte. Esser bestreitet die Vorwürfe. Der Ermittlungen wegen Geldwäsche sollen laut Partei mittlerweile eingestellt sein.
Beckamp kritisiert in seinem Video, dass der Landesvorstand bereits lange über die "kriminellen Machenschaften" Essers Bescheid gewusst, aber nicht reagiert habe. Zudem äußerte der Abgeordnete Zweifel, dass der in Marl vom 2. bis zum 5. Januar anstehende Landesparteitag an mehreren Werktagen und in den Weihnachtsferien nicht zumutbar sei - und damit möglicherweise auch rechtlich angreifbar. Es sei ein Unding, "dass die Delegierten unter der Untätigkeit und leider auch Unfähigkeit des Landesvorstands leiden müssen", so Beckamp.
Der taz sagte Beckamp am Montag nun zur Blockade seiner Direktkandidatur: "Traurige Geschichte, dass man im innerparteilichen Wettbewerb solche Methoden anwendet." Er warf dem Landesvorstand vor, wie "Altparteien" zu agieren. Angriffslustig kündigte er an, bei einer erneuten Aufstellungsversammlung in seinem Wahlkreis in Rhein-Sieg nochmal kandidieren zu wollen - dann könne der Landesvorstand die Kandidatur nicht mehr verhindern. Ein Ende des Streits ist also noch lange nicht in Sicht.
Auch Helferich kündigte der taz gegenüber an, erneut antreten zu wollen. Er sei sich der Unterstützung seines Kreisverbands Dortmund sicher. Sein Parteiausschlussverfahren sei hingegen noch nicht eröffnet, sagte Helferich, der selbst Jurist ist. Gegen das Parteischiedsgericht liege ein Befangenheitsantrag vor. "Die machtpolitische Willkür ist offensichtlich und man scheut sich meinem Eindruck nach, weiter zu verhandeln." Sowohl Helferich als auch Beckamp wollen sich Anfang Januar beim Parteitag in Marl auch auf die Landesliste wählen lassen.
Sollte die Landesliste auf Grund rechtlicher Anfechtungen im bevölkerungsreichen Nordrhein-Westfalen nicht zustande kommen und die AfD nicht antreten können, könnte das die autoritär-nationalradikale Partei vier bis fünf Prozentpunkte der Gesamtstimmen bei der Bundestagswahl kosten. Auch die Landeswahlleitung hat in dem Fall auf Grund der Ungereimtheiten bereits bei der AfD nachgefragt. Der Landesvorstand beteuert hingegen, alle rechtlichen Probleme aus der Welt geschafft zu haben. Die AfD-Spitze um Alice Weidel bleibt wohl trotzdem alarmiert.
Bildunterschrift: Martin Vincentz, Vorsitzender der AfD-Fraktion NRW, am 13.09.2024.
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tagesschau.de, 09.12.2024:
Debatte über AfD-Verbot / Hohe Hürden für ein Partei-Verbotsverfahren
09.12.2024 - 05.21 Uhr
Mehr als 50 zivilgesellschaftliche Organisationen fordern, dass der Bundestag zügig ein AfD-Verbotsverfahren einleitet. Doch ein Parteiverbot hat hohe Hürden. Wie funktioniert es? Ein Überblick.
Von Christoph Kehlbach, ARD-Rechtsredaktion
Wer kann eine Partei verbieten?
Nur das Bundesverfassungsgericht kann in Deutschland eine politische Partei verbieten. Das geschieht, wenn zwei Voraussetzungen vorliegen: Erstens muss überhaupt ein Verbotsantrag in Karlsruhe gestellt worden sein. Denn das Verfassungsgericht wird nicht "von sich aus" tätig. Nur die Bundesregierung, der Bundestag oder der Bundesrat können den Antrag für das Verbot einer bundesweit organisierten Partei stellen. Ob das geschieht oder nicht, ist also eine politische Entscheidung innerhalb des jeweiligen Verfassungsorgans.
Die zweite Voraussetzung: Dieser Verbotsantrag müsste dann auch inhaltlich begründet sein. Das heißt: Die Partei, um die es geht, müsste tatsächlich verfassungswidrig sein. Wenn ein Antrag gestellt wird, muss das Bundesverfassungsgericht darüber entscheiden, ob die Partei verboten wird oder nicht.
Wann genau ist eine Partei verfassungswidrig?
Das Grundgesetz sagt dazu:
"Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche-demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig."
Was genau "freiheitliche-demokratische Grundordnung" bedeutet, hat das Bundesverfassungsgericht 2017 in seinem NPD-Urteil klargestellt. Es sind die Grundprinzipien, die für den "freiheitlichen Verfassungsstaat unentbehrlich" sind: Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaat.
Die Garantie der Menschenwürde umfasst die Wahrung persönlicher Individualität, Identität und Integrität sowie elementare Rechtsgleichheit. Sie gilt für alle Menschen, egal ob Ausländer oder deutsche Staatsbürger. Demokratie-Prinzip heißt: Alle Bürgerinnen und Bürger müssen gleichberechtigt am Prozess der politischen Willensbildung teilnehmen können. Und das Rechtsstaatsprinzip: Der Staat ist an Recht und Gesetz gebunden und unabhängige Gerichte können das kontrollieren.
Zudem birgt die Formulierung "darauf ausgehen" eine weitere Voraussetzung: Um verfassungswidrig zu sein, müsste eine Partei planvoll und zielgerichtet darauf hinarbeiten, zumindest eines dieser Kernelemente zu beeinträchtigen. Laut Bundesverfassungsgericht können aber auch nur Parteien mit einer gewissen politischen Wirkmacht "darauf ausgehen", die freiheitliche-demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden.
Eine Partei muss demnach zumindest das Potenzial haben, ihre verfassungswidrigen Ziele auch umzusetzen. Bei der damaligen NPD ist der Verbotsantrag 2017 an diesem Punkt gescheitert - die Partei war schlicht zu unbedeutend.
Eine Partei von der Größe der AfD, die mit Fraktionen in allen Parlamenten auf Landes- und Bundesebene sitzt und in manchen Regionen sogar stärkste Kraft ist, dürfte sicherlich das erforderliche Potenzial haben, "darauf auszugehen". Bei einem eventuellen AfD-Verbotsverfahren läge der rechtliche Knackpunkt also eher auf der inhaltlichen Ausrichtung. Ein Verbot könnte sich auch auf einzelne Landesverbände beschränken.
Wie lange würde ein Verbotsverfahren dauern?
Genau prognostizieren kann man das nicht. Das jüngste gerichtliche Verbotsverfahren gegen die NPD hat etwas länger als drei Jahre gedauert: Von der Einreichung des Antrags im Dezember 2013 über die mündliche Verhandlung im März 2016 bis zum Urteil im Januar 2017. Allerdings lag da das letzte Urteil in einem Partei-Verbotsverfahren schon 70 Jahre zurück. Karlsruhe musste zunächst die rechtlichen Maßstäbe für ein Parteiverbot in die Gegenwart übertragen. Das wäre nun nicht mehr in nötig, eine kürzere Verfahrensdauer als bei der NPD ist daher wahrscheinlich.
Ganz schnell würde es aber trotzdem nicht gehen. Denn auch in einem neuen Verbotsverfahren müsste das Bundesverfassungsgericht alle vorgebrachten Belege genau prüfen, was eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt.
Das Thema Verbotsverfahren wird zwar in der Politik schon seit längerem diskutiert - aber beschlossen ist die Stellung eines Verbotsantrages noch nicht. Wichtig: Selbst wenn der Bundestag mit einer Mehrheit entscheiden sollte, einen Verbotsantrag gegen die AfD zu stellen, wäre das dann noch nicht gleichbedeutend mit dem eigentlichen Verbotsantrag. Der Beschluss im Parlament würde nur den Startschuss markieren, einen solchen Antrag zu formulieren.
Der endgültige Verbotsantrag, der schließlich das Verfahren in Karlsruhe starten würde, müsste zunächst inhaltlich gut vorbereitet werden. Und auch das würde dauern, weil dieser Antrag auch sämtliche Belege enthalten muss, auf die er sich inhaltlich stützt.
Was kann man zu den Erfolgsaussichten sagen?
Die Hürden für ein Parteiverbot sind hoch. Das Grundgesetz sagt ausdrücklich, dass Parteien an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken. Und das kann durchaus auch abseitige oder extreme Ansichten einschließen. Zudem ist ein Partei-Verbot nicht gleichbedeutend mit einem Gesinnungsverbot.
Karlsruhe nennt ein Parteien-Verbot "das schärfste und zugleich zweischneidige Schwert des Rechtsstaats im Kampf gegen seine organisierten Feinde". Erst, wenn der Nachweis sicher erbracht ist, dass eine Partei tatsächlich verfassungswidrig ist, wird sie auch verboten.
Jüngst haben sich 17 Verfassungsrechtler mit einem Gutachten zu Wort gemeldet, in dem sie einem potenziellen Verbotsantrag gegen die AfD eine Aussicht auf Erfolg bescheinigen. Sie zitieren dabei mehr als 100 öffentliche Äußerungen von AfD-Vertretern, etwa zum Umgang mit Migranten.
Garantiert ist damit ein erfolgreiches Verbotsverfahren aber nicht - es gibt auch Juristen, die sich zurückhaltender äußern. Ein von der AfD beauftragter Anwalt kritisierte das Gutachten der 17 in einem Gegengutachten als "ergebnisorientiert". Der Berliner Staatsrechtler Christoph Möllers vertrat Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat im Verbotsverfahren gegen die damalige NPD. Mit Blick auf ein mögliches AfD-Verbotsverfahren sagte er dem juristischen Fachportal LTO: "Ich denke nicht, dass man die Chancen mit dem augenblicklichen Wissensstand ernsthaft abschätzen kann."
Welche Faktoren sind noch zu bedenken?
Im Vergleich zur NPD liefert jedenfalls das Parteiprogramm der AfD deutlich weniger Anknüpfungspunkte für ein mögliches Verbotsverfahren. Man müsste also mehr auf öffentliche Aussagen der Parteispitzen, das Verhalten der AfD-Anhänger und auch das Verhalten der Partei in den Parlamenten abstellen.
Eine Rolle im Verfahren dürfte sicher auch spielen, wie die Partei mit erwiesenen extremistischen Vorfällen im eigenen Lager umgeht und welches Menschenbild sie tatsächlich vertritt. Und ob das alles "planvoll und zielgerichtet" geschieht.
Erkenntnisse des Verfassungsschutzes auf Bundes- und Landesebene können in einem Verbotsverfahren eine Rolle spielen, sofern sie nicht von V-Leuten stammen. Etwa, indem sie Beweise liefern, auf die sich ein Verbotsantrag stützt. Aber einen Automatismus gibt es insoweit nicht: Auch aus einer Einstufung der AfD als "gesichert extremistisch" durch den Verfassungsschutz müsste nicht zwingend auch ein Verbot der Partei folgen. Das sind zwei unterschiedliche Paar Schuhe.
Aktuell laufen zudem mehrere Strafverfahren gegen AfD-Mitglieder, die verdächtigt werden, Mitglieder terroristischer Vereinigungen gewesen zu sein. Der Ausgang dieser Verfahren und der Umgang der Partei damit könnten auch ein Faktor in einem möglichen Verfahren sein.
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