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Lippische Landes-Zeitung ,
29.11.2024 :
Mahnmal erinnert an Hinrichtung
Das Werk eines Bildhauers soll 2025 an der Kilianskirche in Schötmar aufgestellt werden / Das ist die erschütternde Geschichte dahinter
Thomas Reineke
Bad Salzuflen-Schötmar. Stefan Bolewski wurde nur 29 Jahre alt. Der gebürtige Pole und Kriegsgefangene wurde Ende Juli 1941, knapp zwei Jahre nach dem Angriff von Nazi-Deutschland auf Bolewskis Heimatland, in einem Steinbruch in Breden erhängt - es war eine öffentliche Hinrichtung mit vielen Zuschauern, hat der ehemalige Leiter des Salzufler Stadtarchivs, Franz Meyer, recherchiert. Die Anklage lautete: Bolewski war eine Beziehung mit einer deutschen Frau eingegangen, was damals unter Strafe stand. Für den Polen bedeutete dies den Tod, für seine Geliebte eine mehrjährige Haftstrafe im KZ.
Mehr als 80 Jahre nach der Hinrichtung soll für Bolewski ein Mahnmal an der reformierten Kilianskirche im Zentrum von Schötmar aufgestellt werden. Die Initiative dazu geht vom Bad Salzufler Ratschlag für Vielfalt, Toleranz und Respekt aus. Erstellt hat das Mahnmal der Bad Salzufler Bildhauer Helmut Schön. "Jetzt suchen wir noch nach einem Termin für die Einweihung", sagt Jobst Flörkemeier vom Ratschlag. Dass künftig ein Mahnmal an die Gräueltaten der Nazis auch in der Kurstadt erinnert, ist auch dem Lions Club Bad Salzuflen zu verdanken. Dieser habe das Projekt großzügig finanziell unterstützt, so Flörkemeier. Eine weitere namhafte Spende kam von der Salzuflerin Gabriele Beermann.
Das Mahnmal zeigt gen Himmel gestreckte Streben, die menschlichen Armen gleichen, die verzweifelt und ausweglos um Hilfe flehen. Die fünfeckige Grundstruktur soll auf die Gemeinsamkeit aller Menschen (fünf Extremitäten, fünf Sinne) hinweisen. Die verengte Mitte steht laut Bildhauer Schön für deren Drangsal und Geknechtetsein. Die verstörende Form und die gebrochene Oberfläche dienen als Mahnung und Auftrag an die Lebenden, nie wieder ein derart verbrecherisches Regime, was den Tod von Millionen von Menschen verursacht hat, an die Macht kommen zu lassen. Die Initiatoren vom Ratschlag wollen mit dem Mahnmal zudem an alle geschundenen Kriegsgefangenen erinnern.
Auf Einladung der Stadt kamen 2016 fünf Angehörige des Hingerichteten aus Polen nach Salzuflen. Darunter mit Szymon Bolewski ein Großneffe des Ermordeten, dessen Internet-Recherche im Herbst 2015 dafür gesorgt hatte, dass die Familie über das Schicksal ihres Verwandten informiert werden konnte.
Einen besonderen Dank richteten die Hinterbliebenen damals an den ehemaligen Salzufler Stadtarchivar Franz Meyer. Dieser hatte 1996 zu dem Thema geforscht und die Ereignisse an Hand weniger Dokumente und vieler Gespräche mit Zeitzeugen rekonstruiert und in einem Aufsatz festgehalten. Allerdings war er auf Grund der Berichte seinerzeit davon ausgegangen, dass Stefan Bolewski ein Einzelkind war. Seine Suche nach Angehörigen war in den 1990-er Jahren trotz einer Anfrage beim Internationalen Suchdienst gescheitert.
In dem Aufsatz von Meyer über das Schicksal von Stefan Bolewski heißt es wörtlich: "Nach der menschenverachtenden, rassistisch geprägten Rechtsauffassung der NS-Justiz hatte er sein Leben verwirkt, da er als "Fremdvölkischer" ein Liebesverhältnis zu einer in Ehrsen-Breden ansässigen "deutschblütigen Frau" unterhalten hatte."
Die Frau selbst war wegen des ihr zur Last gelegten "Geschlechtsverkehrsverbrechens" zu einer mehrjährigen Konzentrationslager-Haft verurteilt worden. Wie Historiker Meyer seinerzeit der LZ erklärte, seien ihm die Namen der Geliebten und auch des Denunzianten, der das Paar verraten hatte, bekannt - er habe sie aber aus Gründen des Datenschutzes nicht veröffentlicht.
Menschen zweiter Klasse
Weiter konnte Franz Meyer Folgendes rekonstruieren: Nach dem Überfall der Wehrmacht auf Polen 1939 geriet Stefan Bolewski in Kriegsgefangenschaft. Anschließend wurde auch er als Zwangsarbeiter nach Deutschland deportiert. Bolewski war wohl seit 1940 auf einem Hof in Ehrsen tätig. Hier bezog er später auch eine private Wohnung.
Die polnischen Arbeitskräfte galten in den Augen der Nationalsozialisten allerdings als Menschen zweiter Klasse, die sich regelmäßig beim Wachtmeister melden mussten, sich nur in geringem Umfang frei bewegen und an keinen Veranstaltungen teilnehmen durften. Als Verbrechen schlechthin galt der NS-Justiz der sexuelle Kontakt zwischen Zwangsarbeitern und deutschen Frauen. "Da auf vielen Höfen in der Regel jeweils nur ein Zivilarbeiter zum Einsatz kam, ließ sich in der Praxis die von den NS-Ideologen geforderte Rassentrennung nur selten realisieren. Faktisch besaßen zahlreiche Polen einen regelrechten Familienanschluss", schreibt Meyer in seinem Aufsatz.
Das Verhältnis von Stefan Bolewski zu einer ebenfalls auf dem Hof in Ehrsen tätigen Frau eines Wehrmachts-Soldaten war Anfang 1941 durch einen Nachbarn verraten worden. Ein Sondergericht in Bielefeld folgte der Strafempfehlung der Gestapo und verurteilte den Polen zum Tode. Die Hinrichtung erfolgte öffentlich und symbolisch in dem Bereich, in dem Stefan Bolewski auf den Feldern gearbeitet hatte.
Zwangsarbeiter müssen zusehen
Während Hunderte Schaulustige freiwillig zum Steinbruch gekommen waren, zwangen die Nazis zur Abschreckung noch rund 80 polnische Zwangsarbeiter, an dem am Galgen hängenden Opfer vorbei zu gehen, so Meyer. Der Hintergrund: Auch in Bad Salzuflen sind während des Zweiten Weltkriegs Hunderte Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter eingesetzt worden, um den Aderlass an deutschen Männern für den Fronteinsatz auszugleichen. Wie in jedem größeren Unternehmen im "Dritten Reich" waren nach Angaben von Historiker Meyer beispielsweise bis zu 70 Zwangsarbeiter zeitgleich in den Hoffmann‘s Stärkefabriken im Einsatz - zunächst französische, später russische Kriegsgefangene.
Stefan Bolewski gehörte laut Meyer vermutlich zu den 813 polnischen Kriegsgefangenen, die Anfang Januar 1940 für die lippische Landwirtschaft abgestellt wurden. Die einzelnen Arbeitskommandos mit einer Stärke von etwa 20 Mann wurden über die einzelnen Dörfer verteilt, wo sie in der Regel in Gaststätten, leer stehenden Schulen oder auf Gütern in Lagern untergebracht waren. Später lebten die Zwangsarbeiter dann oft unter strengsten Auflagen auf "ihren" jeweiligen Höfen. Ähnlich der Stigmatisierung durch den "Judenstern" mussten auch die polnischen Zwangsarbeiter stets sichtbar ein Zeichen auf der rechten Brustseite der Kleidung tragen - ein violettes "P"auf gelbem, violett umrahmten Grund.
Kontakt zum Autor: treineke@salzeagentur.de
Bildunterschrift: 2016 haben Angehörige von Stefan Bolewski den Ort seiner Hinrichtung in einem ehemaligen Steinbruch in Breden besucht. Möglich gemacht hat die Aufklärung des Schicksal des von den Nazis ermordeten Polen Ex-Stadtarchivar Franz Meyer (rechts).
Bildunterschrift: So sieht das Mahnmal aus, das demnächst an der Kilianskirche in Schötmar aufgestellt werden soll.
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Lippische Landes-Zeitung, 13.04.2016:
Kommentar / Erinnern hilft gegen Schreihälse
Von Stefan Backe
"Vielleicht kann dieser Bericht dazu beitragen, dass sein Tod nicht in Vergessenheit gerät." Mit diesen Worten schloss Franz Meyer 1996 seinen Aufsatz über die Hinrichtung des Zwangsarbeiters Stefan Bolewski ab. Mit der Tatsache, dass seine damalige Recherche 20 Jahre später maßgeblich geholfen hat, dass die polnische Familie das Schicksal des Ermordeten klären konnte, ist dieser Wunsch fast prophetisch in Erfüllung gegangen. Seine Arbeit und die Entscheidung des Bürgermeisters, die Angehörigen als Ehrengäste einzuladen, stehen der Stadt gut zu Gesicht.
Ob im Detmolder Auschwitz-Prozess, wo ein unvorstellbarer Massenmord verhandelt wird, oder im Fall eines einzelnen Opfers wie in Ehrsen-Breden: Es ist für unsere Gesellschaft existenziell, sich weiter kritisch mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Denn egal, welche Position man zur aktuellen Flüchtlingspolitik hat: Es ist unüberhörbar, dass die Schreihälse in Deutschland derzeit lauter werden. Fremdenhass ist wieder salonfähig geworden. Wir sollten über jede Gelegenheit dankbar sein, die uns noch daran erinnert, wozu blindes Mitlaufen führen kann. Wie schrieb Franz Meyer 1996: Nur dank willfähriger Helfer konnte das Terror-Regiment der Nazis auch im hintersten Winkel des "Dritten Reiches" bestens funktionieren.
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Lippische Landes-Zeitung, 30.01.2002:
Sein Verbrechen war die Liebe
Franz Meyer schildert das Schicksal eines polnischen Zwangsarbeiters
Blomberg (sb). Es war ein heißer Sommertag. Daran erinnerten sich die vier Zeitzeuginnen, die Franz Meyer in Ehrsen-Breden befragte, genau. Ein Montag. Am 28. Juli 1941 wurde ein junger polnischer Zwangsarbeiter im Steinbruch von Ehrsen-Breden gehängt. Sein Name: Stefan Bolewski. Das einzigartige Schicksal des 29-Jährigen hat Meyer, Stadtarchivar in Bad Salzuflen, recherchiert. Montagabend berichtete er darüber anlässlich des Gedenktages für die NS-Opfer in der "Alten Synagoge".
Sein Blomberger Kollege Dieter Zoremba hatte in der Begrüßung der leider sehr wenigen Zuhörer den aktuellen Bogen zu der inzwischen teilweise angelaufenen Entschädigung der Zwangsarbeiter geschlagen: "Viele haben keine Chance, jemals Geld zu bekommen, denn sie haben Deutschland nicht lebendig verlassen", erinnerte er an die Menschen, die bei Luftangriffen, Arbeitseinsätzen in der Großindustrie oder im Konzentrationslager umkamen.
Einem Nazi-Verbrecher fiel auch Stefan Bolewski zum Opfer. Sein Vergehen war die Liebe.
Geboren wurde Bolewski am 2. August 1911 in einem Dorf südlich von Posen als einziger Sohn katholischer Eltern. Bei Warschau in Kriegsgefangenschaft genommen, kam er vermutlich im Januar 1940 gemeinsam mit 812 anderen polnischen Kriegsgefangenen nach Lippe, wo er in einem von 39 Arbeitskommandos in der Landwirtschaft eingesetzt wurde. Bolewski wurde zunächst im Saal der Gastwirtschaft Wellenbüscher in Breden untergebracht, im August bezog er als so genannter "Zivilarbeiter" eine private Wohnung auf dem Hof Limberg, Ehrsen Nr. 5, seine Arbeitsstätte.
Sein - als Kapitalverbrechen geahndetes - Verhältnis zu einer jungen, deutschen Tagelöhnerin, Mutter zweier Kinder, deren Mann an der Front war, flog Anfang 1941 auf. Ein Partei-Treuer hatte das Paar verraten.
"Ich spreche hier von einem ungesühnten NS-Verbrechen, denn weder der Denunziant noch der Richter, der das Todesurteil verhängte, wurden je dafür bestraft", erklärte Meyer.
Die Hinrichtung selbst sei offensichtlich von der Gestapo bewusst als öffentliches Spektakel inszeniert worden, um die Bevölkerung einzuschüchtern. So sei eine Gruppe von 20 polnischen Zwangsarbeitern an dem Gehenkten vorbeigeführt worden. Vor allem Schaulustige der umliegenden Dörfer - sogar Mütter mit Kindern - habe es den Zeitzeugen zufolge zum Steinbruch gezogen.
Umso erstaunlicher, dass der Fall ein halbes Jahrhundert später vielerorts totgeschwiegen wurde. Selbst im Familienkreis der Geliebten: Die kehrte nach Verbüßung einer vierjährigen Haftstrafe im Konzentrationslager Bergen-Belsen in ihren Heimatort zurück und lebte mit ihrem Mann, der aus der Kriegsgefangenschaft zurückkam, weiter. 1996 starb die Frau. Ihr jüngster Sohn hatte bis dato nichts von den Geschehnissen der Jahre 1940 / 41 erfahren.
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die tageszeitung, 26.11.1999:
In der Sache Wroblewsky gegen Nacke
Sie sollte froh und zufrieden sein, dass sie, die Polin, in Kriegszeiten auf einem deutschen Gut schaffen durfte - zumindest, wenn es nach Graf Lambsdorff geht. Doch Janina Wroblewsky klagt auf Entschädigung für 36 Monate Zwangsarbeit - gegen ihren Nachbarn.
Aus Bad Salzuflen Jens Rübsam
An schönen Novembertagen kann man am Wiesenrand der Bauernschaft Ehrsen-Breden, an der Ecke Weidenstraße / Lohhofstraße, ein stattliches Gut in der Sonne sehen. Geräumige Ställe, aus einem Verschlag lugt ein weißer Gaul; Speicher- und Verwalterhaus, erdverbunden restauriert, dahinter grasen wollige Schafe; dazwischen, schimmernd im letzten Herbstlicht, ein imposantes Herrenhaus, so stolz aufgerichtet wie der Dom zu Köln - aus diesem Blickwinkel: der Hof des lippischen Landwirts Albrecht Nacke, nachgerade ein ländliches Idyll.
An diesem schönen Novembersonntag steht eine alte Dame am Tor des Hofes. "Da hinten", sagt sie, "da war der Eingang zum Keller, da unten haben wir gegessen". - "Da", sagt sie, "da ist der Schuppen, da hat der Verwalter des Hofes versucht, mich an der Brust zu packen". - "Da", sagt sie, "da ist der Teich, da mussten wir in eisiger Kälte Zuckerrüben schrubben". Aus dem Blickwinkel der polnischen Zwangsarbeiterin Janina Wroblewsky, 75: der Hof der lippischen Landwirtsfamilie Nacke, nachgerade ein Ort mit hässlichen Flecken.
Wer die Bauernschaft Ehrsen-Breden, heute ein Ortsteil von Bad Salzuflen, besucht, dringt ein. Wer hier Fragen stellt, stört. Wer mit Albrecht Nacke spricht, sieht einen Landwirt in Zorn geraten. Zwangsarbeiter? "Es sind keine Unterlagen mehr vorhanden. Ich weiß nicht, ob es hier polnische Zwangsarbeiter gab." Pferdewirtschaftsmeister Nacke ist Jahrgang 50 und will "von nichts" wissen. Nackes Mutter ist Jahrgang 20 und "kann keine Stellung beziehen". Nackes Großmutter, während des Krieges Inhaberin des Hofes, ist schon lange tot.
"Man kann davon ausgehen", sagt der Bad Salzufler Stadtarchivar Franz Meyer, "dass auf allen mittleren und größeren Höfen im Deutschen Reich Zwangsarbeiter beschäftigt waren". Der Nacke-Hof gehörte zu den größeren im Lipper Land, im "Polizeilichen An- und Abmeldebuch" der Gemeinde Ehrsen-Breden (1939 bis 1944) ist er zu finden unter Nummer 2, was ein Hinweis ist auf die Ansehnlichkeit des Hofes. Unter K ist im Meldebuch der Eintrag zu lesen: Kopec, Janina, Landarbeiterin, Geburtsjahr: 1924, Staatsangehörigkeit: Polen, zugezogen am 9. Mai `43, angemeldet bei Hausnummer 2. "Aus den Unterlagen geht eindeutig hervor", sagt Archivar Meyer, "dass auf dem Hof Nacke polnische Landarbeiter beschäftigt waren". Zwangsarbeiter.
Eines der merkwürdigsten Phänomene in der gegenwärtigen Entschädigungsdebatte ist das Ausklammern der Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft. Entschädigt werden soll, wer in Fabriken Granaten und Autos montierte. Wer auf Gutshöfen diente und auf Feldern ackerte, der soll "froh" und "zufrieden" sein über sein Schicksal. Der Beauftragte der Bundesregierung, Otto Graf Lambsdorff, sieht sich berufen kundzutun, dass das Los von Zwangsarbeitern in der Landwirtschaft nicht mit denen in Konzentrationslagern und Gettos vergleichbar war und deshalb eine Entschädigung für sie nicht in Frage kommt. Landwirte verschwören sich zu der Aussage: "Denen ging es doch gut. Die bekamen zu essen und durften am Tisch der Familie sitzen." Und Bauernverbands-Funktionäre deuten die Geschichte auf ihre Weise: "Die Ersatzarbeitskräfte sind den Bauern im Rahmen der Kriegswirtschaft schlicht und einfach zugeteilt worden."
Die Historiker sind sich vor allem in einem einig: Keiner der Ostarbeiter kam freiwillig ins Deutsche Reich, sie wurden deportiert, verschleppt, insgesamt weit über sieben Millionen. Auch die Landwirte haben sich bereichert. Und nicht zuletzt: Zwangsarbeit war und ist ein völkerrechtliches Verbrechen.
Bei seinen Forschungen in einer bayerischen Gemeinde stößt der Münchner Historiker Tobias Weger auf "objektive Unterschiede zwischen der Arbeit in einer Fabrik und der Arbeit auf einem Bauernhof": Landwirte verhalten sich zu den Fremdarbeitern wie zu ihren Mägden und Knechten. Fremdarbeiter bekommen dieselben Mahlzeiten wie die Bauersfamilie. Bauern leihen Fahrräder an Landarbeiter aus und lassen sie zu Bekannten in die Nachbardörfer ziehen. Die Frankfurter Historikerin Gabriele Freitag dagegen findet bei ihren Untersuchungen im Lipper Land heraus, dass "die bäuerlichen Arbeitgeber die von der Partei propagierte rassische Diskriminierung der "slawischen Untermenschen" akzeptierten und sich der polizeilichen Strafinstrumentarien zur "Disziplinierung" der polnischen und sowjetischen Arbeitskräfte bedienten".
So groß die Distanz zwischen Bayern und Ostwestfalen-Lippe, so different auch die Lage der landwirtschaftlichen Zwangsarbeiter. Hier ein Brocken Fleisch in der Suppe, da nur ein paar Gramm Fett. Hier familiäres Miteinander, da das Eintreiben der deutschen Sprache mit der Schaufel. Hier die Verbundenheit durch die Religion, da gewaltsame Abtreibung.
Wer heute mit Janina Wroblewsky, gehüllt in eine feste Winterjacke und auf dem Kopf eine lustige blaue Mütze, um den "Nacke-Hof" in Ehrsen-Breden spaziert, sieht sich plötzlich an der Seite von Janka, einem hübschen polnischen Mädchen von 19 Jahren, um den Leib ein paar Lumpen, auf der rechten Brustseite ein Quadrat: ein violettes P auf gelbem Grund, umrahmt in violett, und an den Füßen ausgetretene Schuhe. Es ist Frühjahr 43. Aber es kann auch Winter 43 sein. Oder Sommer 44. Oder Frühjahr 45. Zeit hat in Kriegszeiten den Wert von Falschgeld. Jahreszeiten haben nur die Bedeutung, ob gerade Roggen ausgesät oder Heu gewendet werden muss. Und von Ehrsen-Breden, diesem Dorf hinter Salzuflen, weiß Janina Kopec nur, dass es irgendwo weit weg liegt von ihrem Heimatdorf Bagenica. Das liegt gute 100 Kilometer hinter Krakau. Da sagt man "tak" und nicht "ja", "nje" und nicht "nein".
Aber Ehrsen-Breden liegt nicht irgendwo, sondern im Lipper Land, in der "Provinz unterm Hakenkreuz", in einem Freistaat, in dem die NSDAP schon bei der Landtagswahl 1933 knapp 40 Prozent der Stimmen erhält. "Durchbruchsschlacht am Teutoburger Wald" jubelt Arno Schröder, Pressewart des NSDAP-Gaus Westfalen-Nord. Wer hier das Sagen hat, ist schon 1935 klar: die Nationalsozialisten.
Und die kümmern sich emsig um ihre Bauern: Sie preisen "Blut und Boden", propagieren die gesellschaftliche Unersetzlichkeit des bäuerlichen Standes, rufen zur "Erzeugungsschlacht" auf und erlassen Regeln für die Zwangsarbeiter: kein Verlassen der Ortschaft, kein Gastwirtschaftsbesuch, der geschlechtliche Kontakt zwischen "Fremdvölkischen" und Deutschen ist ein "GV-Verbrechen" - und wird geahndet mit Todesstrafe für die "Fremdvölkischen" und Konzentrationslager für die Deutschen.
Am Nachmittag des 28. Juli 1941 wird in der Bauernschaft Ehrsen-Breden der polnische Landarbeiter Stefan Bolewski hingerichtet, wegen eines Liebesverhältnisses zu einer "deutschblütigen Frau". Eine Fahrzeugkolone passiert an diesem Tag das Dorf - vorbei am Haus des Tischlermeisters Schürig, der Sarg und Galgen anzufertigen hatte, und vorbei am Gutshof Nacke. Über Feldwege kriechen die Autos weiter hinauf zum Steinbruch, wo die Einheimischen unter reger Anteilnahme den 29-Jährigen alsbald am Strang wippen sehen. Als Stadtarchivar Franz Meyer diesem Vorfall Jahre später nachgehen und Zeitzeugen befragen will, bekommt er von vielen aus Ehrsen-Breden zu hören: "Davon will doch heute niemand mehr was wissen." Mutter Nacke gibt sich ihm gegenüber knapp: "Ich habe nichts gesehen."
Janina, die junge Polin, die in einem weißen, flockigen Pünktchen-Kleid an einem warmen Sonntagnachmittag im Mai 1943 um halb vier dem Transport am Bahnhof Schötmar entsteigt und einer Freundin zum Gutshof Nacke folgt, wird noch oft von der Hinrichtung des Stefan Bolewski hören. Was sich in ihr einfräst, sind die Tipps der anderen Fremdarbeiter: Stets lammfromm sein, stets den Worten des Verwalters folgen, stets fleißig anpacken, von morgens halb sieben bis abends neun Uhr, 74 Stunden die Woche - arbeiten, egal ob ihr "nach den Tagen" der Unterleib schmerzt oder die Hand, die sie sich beim Holzhacken verletzt; arbeiten für 20 Reichsmark im Monat, für 60 Prozent dessen, was ein Hilfsarbeiter deutscher Abstammung erhielt. Ein Gespannführer wurde am Monatsende schon mal mit 100 Reichsmark entlohnt.
Verwalter Lesemann ist ein strenger Herr, der morgens nach der Hafersuppe im Pferdestall schreiend die Arbeit verteilt: "Dalli! Dalli! Raboti! Raboti!". Die einen müssen auf die Felder laufen, die anderen die Gäule führen. Die einen müssen Kühe melken, die anderen die Futterrüben-Reihen ausharken. Die einen müssen Mist aufladen, die anderen das Korn dreschen. Zwei Scheiben Butterbrot gibt es zur Hand, eine für den Vormittag, eine für den Nachmittag. Zwischendrin das Mittagessen, meistens Eintopf. Und abends das, was mittags stehenblieb. Danach waren vier Körbe Kartoffeln zu schälen, und dann war es Zeit, sich schlafen zu legen. Und wenn sich Janina Kopec, die alle auf dem Hof nur Janka nennen, abends noch auf dem Weg zum Briefkasten macht, gilt es darauf zu achten, das P an der Brust zu haben und "nicht den Nazis zu begegnen".
Es folgen die Samstage, die wie Wochentage sind: "Dalli! Dalli! Raboti! Raboti!" Janka hat den Hof zu fegen, "stellen Sie sich vor, den ganzen Hof!". Sonntags sind die Milchkannen zu säubern, "stellen Sie sich vor, 60 Milchkannen!". Verwalter Lesemann führt alle Tage das Wort: "Ihr sollt nicht faulenzen", schreit er, das ist noch zu ertragen. "Sonst kommt ihr in die Munitionsfabrik oder ins Konzentrationslager", tobt er, das ist nicht mehr zu ertragen. "Es gab viele Fälle", sagt Stadtarchivar Meyer, "wo Bauern ihre ideologische Verbrämung ausgelebt haben, ihren Herrenstatus".
Sie haben ihre Merkblätter. In einem, vom Arbeitsamt Detmold, heißt es: "Jeder Bauer wird persönlich dafür verantwortlich gemacht, dass die volkspolnischen Arbeitskräfte sich nicht herumtreiben, da solche Personen in jeder Hinsicht eine Gefahr für die Öffentlichkeit bedeuten." Sie haben ihre Feiern im nahen Bad Salzuflen. Am 7. Februar 1944 beendet der SA-Standartenführer Prinz zu Schaumburg-Lippe eine Kundgebung mit den Worten: "Wir kämpfen mit dem besten Volk, wir kämpfen mit dem besten Führer! Da kann keiner gegen uns siegen!" Ein Jahr später zitiert das NSDAP-Organ "Lippischer Staatsanzeiger" den Reichskanzler Hitler: "In diesem Kampf wird die deutsche Nation siegen." Drei Monate später wirft Janina Kopec den Spaten aufs Feld: "So, jetzt kannst du weiterarbeiten", zischt sie Verwalter Lesemann an. Anfang April 1945 marschieren die Amerikaner in Bad Salzuflen ein.
Wer Janina Wroblewsky in diesen Tagen im Salzufler Ortsteil Schötmar besucht - vom Nacke-Hof in Ehrsen-Breden bis zu ihrer Wohnung ist es nicht weiter als eine Taxi-Kurzstrecke -, der trifft auf eine bescheidene Dame, die Rührkuchen und Schmalzstullen anbietet, die ständig Bilder sieht, wenn sie sich erinnert - auch schöne Bilder. Die von einer freundlichen Gutsherrin, "die alte Frau Nacke war immer gut zu uns". Die von Jupp, einem Volksdeutschen, dem Knecht auf dem Nacke-Hof, dem sie anfangs nur zaghaft ihre Zuneigung zeigt, mehr ist einer "Fremdvölkischen" nicht erlaubt.
Im Sommer `45 heiratet Janina Kopec Josef Wroblewsky. Sie bleiben in Deutschland. Sie wohnen noch 24 Jahre in Ehrsen-Breden. Sie verhalten sich "ruhig und anständig" und ziehen drei Mädchen groß. Sie tragen niemandem etwas nach. Sie sagen sich: "Vergessen wir`s. Wir wollen gesund bleiben." Und doch bleiben sie "die Polacken" im Dorf.
Längst ist es ein eisiger Novemberabend geworden, als Janina Wroblewsky sagt: "Er hat ja auch nicht schuld." Er, das ist der Landwirt Albrecht Nacke, geboren nach dem Krieg, Erbe des Hofes, Beklagter im Rechtsstreit Wroblewsky - Nacke. Weil "die Arbeit so schwer war" und weil es "um meine Würde" geht und weil der "Bundeskanzler im Fernsehen sagte: "Alle Zwangsarbeiter werden entschädigt"", darum klagt sie. Die Summe, die ihr Rechtsanwalt addiert hat, beläuft sich auf 39.000 Mark: 1.000 Mark Schmerzensgeld pro geleisteten Monat Zwangsarbeit, plus 3.000 Mark Lohnachzahlung. Die Gegenseite lässt wissen: "Es wird mit Nichtwissen bestritten, dass die Klägerin ( ... ) auf dem Hofe Nacke ( ... ) beschäftigt war." Ein Historiker meint: "Wenn es human auf dem Hof abgegangen wäre, dann würde der Landwirt reden."
Eine Stiftungsinitiative - ähnlich der Industrie - lehnen Vertreter des Bauernverbandes ab: "Fassen Sie mal einem Bauern heute in die Tasche!" Albrecht Nacke wehrt sich gegen eine "geschichtliche Aufarbeitung mit Mitteln des Rechtsstaates". Ein Verbandsfunktionär, der vorgibt, den Fall gut zu kennen, steht ihm zur Seite: "Da sieht eine Frau, dass ein Hof wirtschaftlich gut dasteht. Aber die Basis dafür hat sie doch nicht mit ihrer Zwangsarbeit gelegt."
"Meinen Sie", fragt Janina Wroblewsky zum Abschied besorgt, "meinen Sie, ich mache das mit der Klage richtig?"
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Am 28. Juli 1941 wurde der 29 Jahre alte polnische Kriegsgefangene wie Zwangsarbeiter Stefan Bolewski - wegen einer Beziehung mit einer deutschen Frau - im Steinbruch in Ehrsen-Breden - am Galgen - erhängt.
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