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5 Artikel , 29.11.2024 :

Pressespiegel überregional

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Übersicht:


die tageszeitung, 29.11.2024:
Höchststand gemessen

Berliner Morgenpost Online, 29.11.2024:
III. Weg-Anhänger / Neonazis sollen aus Pankower Sportverein geworfen worden sein

Endstation Rechts., 29.11.2024:
Auf dem Weg zu gesichert rechtsextrem / Warum sich die AfD selbst hochstuft

Spiegel Online, 29.11.2024:
Leuna in Sachsen-Anhalt / AfD gedenkt deutscher Soldaten mit Nazi-Spruch und beschimpft Kritiker als "Denunzianten"

stern.de, 29.11.2024:
Brisante Forderung / AfD will Abtreibungen weitgehend einschränken

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die tageszeitung, 29.11.2024:

Höchststand gemessen

Laut Informationsstelle RIAS wurden nie so viele antisemitische Vorfälle erfasst, wie im ersten Halbjahr 2024

Von Raweel Nasir

Die Zahl antisemitischer Vorfälle steigt. Das geht aus dem aktuellen Bericht der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) hervor, der am Donnerstagmorgen in der Synagoge in der Oranienburgerstraße vorgestellt wurde.

Demnach wurden zwischen Januar und Juni 2024 1.383 antisemitische Vorfälle erfasst - mehr als im gesamten Jahr 2023. Der Bericht dokumentiert insgesamt 1.383 Vorfälle, im Schnitt also 230 Vorfälle im Monat. Damit ist ein Höchststand an antisemitischen Vorfällen seit Beginn der Aufzeichnungen 2015 erreicht.

Dies wirke sich einschränkend auf den Alltag von Jüdinnen, Juden aus, heißt es im Bericht. Egal ob auf der Straße, in öffentlichen Verkehrsmitteln oder anderen Bereichen des Privatlebens, in allen Bereichen meinen Betroffene, sich weniger sichtbar und offen als jüdisch in Berlin bewegen zu können.

27 der gemeldeten Vorfälle ereigneten sich an Schulen. Die Art der Vorfälle sei "alarmierend": Jüdische Kinder wurden von Mitschülerinnen, Mitschülern geschlagen, bespuckt, bedroht und angefeindet.

Einen Zusammenhang zwischen der gestiegen Anzahl der Vorfälle und dem Überfall der Hamas am 7. Oktober sieht die RIAS zwar durchaus, stellt aber auch klar, dass es nicht ausschließlich darauf zurückzuführen sei.

"Antisemitismus ist egal aus welcher Richtung oder aus welcher Motivation heraus zu bekämpfen", betont der Sozialwissenschaftler Sigmount Köngisberg am Donnerstag.

Auch online lässt sich ein stärkerer Anstieg der Gewalt feststellen. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres lässt sich eine 35-prozentige Steigerung verzeichnen. Von 528 auf 715 Vorfälle hat sich die Online-Gewalt erhöht.

Offline wird ein besonderes Augenmerk auf antiisraelische Versammlungen gelegt. Hierbei betonen die Herausgeber des Berichts die Bedeutung der Differenzierung. "Wir würden niemals ganze Versammlungen und Menschen, die an ihnen teilnehmen, pauschal als antisemitisch bezeichnen. Wir analysieren die Redebeiträge und Plakate auf den Demonstrationen", so Projektleiterin Julia Kopp.

Einzelne seien "höchstgradig problematisch", sagt sie und nennt als Beispiel ein Plakat, auf dem Netanjahu als Satan bezeichnet wird, der die USA wie einen Hund an der Leine zieht. Dies reproduziere antisemitische Verschwörungserzählungen, wie sie auch schon während der Corona-Pandemie auftraten.

Beispielhaft, wie jüdisches Leben in Deutschland eingeschränkt wird, nennt Sigmount Königsberg das Puppentheater "Bubales". Das jüdische Berliner Puppentheater, das sich für einen Dialog zwischen jüdischen und muslimischen Menschen einsetzt, kann nur noch mit Polizeischutz auftreten.

Welche Maßnahmen es zu ergreifen gilt? Julia Kopp von RIAS appelliert vor allem an die Zivilgesellschaft: "Natürlich ist die Politik aufgefordert zu handeln, aber was jüdische Menschen auch brauchen, ist, dass alle Menschen bei Antisemitismus jeglicher Art hinschauen, zuhören und eingreifen."

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Berliner Morgenpost Online, 29.11.2024:

III. Weg-Anhänger / Neonazis sollen aus Pankower Sportverein geworfen worden sein

29.11.2024 - 11.35 Uhr

Von Sebastian Struwe, Bezirksreporter

Berlin. Rechtsradikale haben auf einer Sportanlage in Weißensee trainiert. Nun soll der Vereinschef der Forderung des Bezirks nachgekommen sein.

Diese Entdeckung hat vor einigen Monaten für reichlich Schlagzeilen gesorgt, weit über Pankow hinaus: Auf einer Sportanlage in der Rennbahnstraße in Weißensee, hinter einer Grundschule, ertüchtigten sich regelmäßig Mitglieder der neonazistischen Kleinstpartei Der III. Weg, beim Boxen in einer bezirklichen Sporthalle. Haben sich ertüchtigt, glaubt man dem Chef des hinter dem Sportkomplex stehenden Vereins TSC Preußen 97, Martin Rutz.

Im Gespräch mit der Fachbereichsleitung des Bezirksamts Pankow soll Rutz erklärt haben, die betroffenen Rechtsextremen aus dem Verein verwiesen zu haben. Das sagte Pankows Stadtrat für Schule, Sport und Facility Management, Jörn Pasternack (CDU), auf Morgenpost-Nachfrage. So habe es wiederholt Treffen zwischen Bezirksamt und Vereinschef gegeben, bei denen klargemacht worden sei, dass seitens des Bezirks erwartet wird, dass die entsprechenden Männer nicht weiter auf dem Gelände trainieren können sollten.

Weißensee: Hausverbot auf Grund von Gesinnung nicht möglich

"Es wurde an den Vereinschef appelliert, die besagten Personen aus dem Verein zu entfernen", sagte Pasternack. Da ein Hausverbot allein auf Grund der politischen Gesinnung rechtlich nicht möglich sei, könne dies nicht angeordnet, sondern der Verein nur aufgefordert werden. Beim jüngsten Treffen in dieser Woche habe Rutz schließlich erklärt, dem nachgekommen zu sein und die Mitgliedschaft der Personen in dem Verein beendet zu haben.

Pasternack hatte mit der Morgenpost bereits im Oktober gesprochen, auch über diesen Sachverhalt. Er habe geprüft, ob es Möglichkeiten gibt, den Rechtsextremen ein Hausverbot zu erteilen - dies sei jedoch "nicht möglich und auch nicht richtig". Ein solches Verbot sei "zum Beispiel beim Zeigen verfassungsfeindlicher Symbole" umsetzbar. "Ich habe mich auch mit der Senatsverwaltung für Sport verständigt. Es gibt die Sportförderungswürdigkeit. Können wir die anzweifeln und den betroffenen Verein kündigen? Die Rückmeldung lautete: nein", sagte Pasternack damals. Der Verein halte sich an die Vorgaben. Auch seitens Innen- und Sport-Senatorin Iris Spranger (SPD), die er dazu kontaktiert habe, habe es keine Lösungsideen gegeben.

Nazis in Pankow: Sportplatzwarte und Vereine geschult

Der nun offenbar vollzogene Rauswurf könnte die Aufnahme in einen anderen Verein nicht verhindern. "Wenn der Verein die Aufnahme bestätigt, können diese Personen in jeden Verein, in den sie wollen", sagte Pasternack bei dem Gespräch vor etwa einem Monat. Der Bezirk habe das ihm Mögliche getan und die Pankower Sportplatzwarte geschult, damit die an Hand gewisser Symbolik oder Kleidung direkt erkennen, wenn dort Nazis trainieren, um dann das Hausrecht durchsetzen, denn das Zurschaustellen entsprechender Symbole ist verboten. Außerdem seien Sportvereine auf freiwilliger Basis beschult worden. "Ich brauche viele Augen zur Informationsgewinnung. Wenn die im Sportamt Bescheid sagen, können wir tätig werden", sagte der Stadtrat.

Der Fall in der Rennbahnstraße ist nicht der einzige bekannte, in dem Nazis Sportanlagen im Bezirk nutzen. Auch im Kissingen-Stadion im Ortsteil Pankow und auf dem Panke-Sportplatz in Buch haben sie in Vergangenheit nachweislich trainiert.

Bildunterschrift: Ein Anhänger der Neonazi-Partei "Der III. Weg" bei einer Demonstration.

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Endstation Rechts., 29.11.2024:

Auf dem Weg zu gesichert rechtsextrem / Warum sich die AfD selbst hochstuft

Es ist im politischen Berlin kein Geheimnis mehr, dass durch die vorgezogenen Neuwahlen eine Neubewertung der AfD durch den Verfassungsschutz vorerst nicht veröffentlicht wird. Viele Beobachter vermuten eine Hochstufung zum gesichert rechtsextremen Beobachtungsobjekt. Vermutlich reicht dafür, dass die Partei in der Verdachtsphase nicht mit den geforderten Konsequenzen gegen verfassungsfeindliche Bestrebungen vorging.

Thomas Witzgall

Vorgaben, was eine Partei machen könne und müsse, wolle sie sich nicht verfassungsfeindliche Aussagen ihrer Funktionäre und Gliederungen zurechnen lassen müssen, machte das Bundesverfassungsgericht im Urteil zum Nicht-Verbot der NPD. Es ist wahrscheinlich das Feld, in dem die AfD am eindeutigsten die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in den Wind schießt und auf Zeit spielt. So werden auch Aussagen verständlich, die mutmaßlich aus dem Verfassungsschutz-Verbund gestreut wurden, die Partei müsse für eine Hochstufung weder qualitativ noch quantitativ radikaler werden, sondern einfach so weitermachen wie bisher.

Bewährungsversagen in der Verdachtsfallphase

Das Bundesamt für Verfassungsschutz selbst schweigt sich auf Anfrage von Endstation Rechts. aus, welche Szenarien zu einer Hochstufung denkbar sind, sondern antwortete hier mit der Sprachregelung, die Bestrebungen "müssen sich zur Gewissheit verdichtet haben", ein ohne Kontext nicht verständlicher Textbaustein des Verfassungsschutz-Verbundes.

Das folgend beschriebene Modell könnte als Titel "Bewährungsversagen" tragen, heißt, die Partei reagiert nicht oder falsch auf verfassungsfeindliche Bestrebungen, die ihre Einstufung als Verdachtsfall begründen und duldet diese somit als Teil des vertretenen Spektrums.

Das Bundesverfassungsgericht hatte etwa in Bezug auf positive Äußerungen der NPD zum Nationalsozialismus und am ehemaligen Schulungsleiter der Jugendorganisation "Junge Nationalisten", zuvor "Junge Nationaldemokraten", Pierre D., eindeutige Vorgaben gemacht. Letzterer hatte einen "Leitfaden" der NPD-Jugend zu verantworten, in dem laut Gericht zum Ausdruck komme, dass "der deutschen Volksgemeinschaft" ein "abstammungsbezogenen exklusiver Charakter" zukomme und dieser vor einer Vermischung mit "andersrassigen Völkern" zu schützen sei.

Die NPD hatte im Bundesvorstand beschlossen, die Schulungsbroschüre einzuziehen und zu vernichten. Zudem wurde versucht, Pierre D. als "Hardliner" zu bezeichnen, der nicht repräsentativ für die NPD und die JN sei.

Das Bundesverfassungsgericht ließ das alles nicht gelten, auch weil zwischen Veröffentlichung im Januar 2013 und der Reaktion darauf im April 2014 über ein Jahr vergangen war. Eine Partei müsse sich von sich aus und in einem engen Zusammenhang mit Äußerungen ihrer Funktionäre oder Führungskräfte ihre Teilorganisationen ausdrücklich distanzieren oder Ordnungsmaßnahmen ergreifen, ansonsten müsse sie sich diese zurechnen lassen. Spätestens mit der Leitlinie aus dem Urteil war Narrativen der AfD der Boden entzogen, bei Höcke handele es sich lediglich um den Vorsitzenden eines noch dazu kleinen Landesverbandes. Nichtsdestotrotz wird es gelegentlich noch vorgebracht.

Bundesverfassungsgericht verlangt ausdrückliche Distanzierungen

Zudem wird auch klar, dass für die AfD der Zug für etliche Distanzierungen längst abgefahren ist. Die vom Verfassungsschutz vorgelegten und von Gerichten einschlägig gewerteten Belege beginnen wie in zahlreichen Artikeln dargelegt bei der Parteichefin und designierten Kanzlerkandidatin Alice Weidel und dem Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland. In Sachsen umfassen sie etwa große Teile des aktuellen Landesvorstandes, in Bayern schwerpunktmäßig einige gewichtige Mitglieder des Landesvorstandes, darunter des rechtspolitischen Sprechers der Landtagsfraktion, wobei das bayerische Landesamt für die AfD im Freistaat nur schlaglichtartig Belege liefert.

Das Bundesverfassungsgericht verlangt zudem eine ausdrückliche Abkehr von den Aussagen. Gelegentlich wird kolportiert, dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen werde Geltungskraft entzogen, weil sich die Ausführungen im Urteil auf Aussagen vom Europa-Abgeordneten Maximilian Krah und der Bundestagsabgeordneten Christina Baum stützten - und beide nun nicht mehr dem Bundesvorstand angehörten. Ohne Platz auf der Landesliste dürfte Baum zudem aus dem Bundestag ausscheiden.

Das wird den Gerichten allerdings nicht reichen. Ohne ausdrückliche Erklärung bleibt unklar, warum beide scheinbar in Ungnade gefallen sind. Bei Krah ist zudem zu vermuten, dass eher der Skandal um den mutmaßlichen chinesischen Spion ausschlaggebend war und weniger seine Aussagen zum ethnischen Volksverständnis. Krah wird zudem innerhalb der Partei, besonders in Bayern, weiter prominent eingeladen, erhält Bühnen und strebt angeblich eine Kandidatur für den Bundestag an. Nach Abkehr sieht das nicht aus.

Kosmetische Ordnungsmaßnahmen

Die AfD scheint zudem häufig mit Abmahnungen zu agieren und diese vor Gericht zu präsentieren. Auch diese rein nach innen wirkenden Maßnahmen dürften den Anforderungen bei weitem nicht genügen. Besonders der bayerische Landesverband reagiert damit, aber höchstens kosmetisch. So wollte der Schriftführer im Landesverband, zugleich rechtspolitischer Sprecher der Landtagsfraktion, einen Mitarbeiter, den er für fragwürdige Postings verantwortlich machte, nur abgemahnt haben. Dierkes wiederum soll vom Landesverband intern abgemahnt worden sein, wobei auch hier dem Gericht nicht klar wurde, ob für die verfassungswidrigen Thesen oder für seine Posts zum Sylt-Video.

Dass die Gerichte hier mehr verlangen dürften, deutet das Bundesverfassungsgericht ebenfalls in den Ausführungen zu Pierre D. an. Gegen die versuchte Klassifizierung als "Hardliner" spreche seine lange andauernde und führende Tätigkeit innerhalb der JN und der Umstand, dass er bis zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden aufstieg. Die jüngst veröffentlichten Gründe zur Beobachtung der AfD in Bayern liefern ein ähnliches Bild. Gerade in den Kategorien Angriffe auf die Menschenwürde und demokratiefeindliche Thesen kamen bis auf ein AfD-Mitglied auf niemanden ernsthafte Konsequenzen zu.

Teilweise stiegen die Personen sogar noch weiter auf. Harald Meußgeier wurde Landtagsabgeordneter und dem Parlament als Vizepräsident vorschlagen. Rene Dierkes und Franz Schmid wurden in den Landesvorstand gewählt, Benjamin Nolte in diesen wieder kooptiert, ebenso wie der islamfeindliche Aktivist Erhard Brucker. Auch dessen Nominierung zum Bundestagskandidaten wird wohl kein Gericht der Welt als nachhaltige Distanzierung werten. Auch das verkündete Ausschlussverfahren gegen den damaligen stellvertretenden Kreisvorsitzenden, Reinhard Mixl, wurde nur mit einer Abmahnung beendet. Er stieg inzwischen zum Vorsitzenden für Schwandorf und Cham auf. Ordnungsmaßnahmen gegen die im Urteil genannten Kreisverbände oder die Kreistagsfraktion in Aichach-Friedberg sind nicht bekannt. Und auch an der Spitze der AfD blieb Gauland Ehrenvorsitzender und soll laut Medienberichten erneut mit einer Kandidatur für den Bundestag liebäugeln. Maßnahmen gegen ihn oder auch gegen Weidel beziehungsweise Höcke sind momentan als utopisch anzusehen. In Sachsen müsste gegen große Teile der Landesführung vorgegangen werden.

Welche Konsequenzen ein fehlendes Vorgehen gegen Führungskräfte hat, lässt sich im NPD-Urteil zur Frage nachlesen, ob die heutige "Heimat" als wesensverwandt mit dem Nationalsozialismus anzusehen sei. Die NPD hatte hier vorgebracht, sie lehne einige Grundprinzipien des Nationalsozialismus ab und sei auch nicht nach dem "Führerprinzip" organisiert. Das Bundesverfassungsgericht ließ das nicht gelten und blickte dafür auf die große Bandbreite an positiven NS-Bezügen durch führende Funktionäre oder Teilorganisationen. Aufgeführt werden in den Belegen Äußerungen und Handlungen beginnend von Holger Apfel, damaligen Bundesvorstandsmitgliedern wie Thomas "Steiner" Wulff und Karl Richter, der damaligen Vorsitzenden der Frauenorganisation, Maria Frank, einzelnen Landtagsabgeordneten wie Jürgen Gansel bis hin zu Landesvorständen und Kreisvorsitzenden.

Verfassungsfeindliche Thesen müssen nicht einhellig geteilt werden

Es komme auch nicht darauf an, so das Bundesverfassungsgericht sehr eindeutig, "ob die Verbundenheit mit dem Nationalsozialismus durch die Antragsgegnern einhellig geteilt wird. Entscheidend ist vielmehr das Vorliegen einer entsprechenden Grundtendenz bei der Antragsgegnerin, so dass die positive Bezugnahme auf den Nationalsozialismus nicht als "Entgleisung" Einzelner angesehen werden kann." Ähnliches ließe sich auf Basis der öffentlichen Urteilsgründe auch für die AfD und die Bezüge zum ethnischen Volksverständnis herstellen, das gegen die Menschenwürde und das Demokratie-Prinzip verstößt.

Eine solche Grundtendenz gegen vereinzelte Beschlüsse hatte bereits das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen in Münster gesehen, als es der AfD eindeutig ins Stammbuch schrieb, ein Verdacht extremistischer Bestrebungen entfalle nicht, wenn ein Zusammenschluss ein Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung ablege, sonstige Aktivitäten dies aber konterkarierten.

Modell "Bauernopfer" funktioniert nicht

Der NPD hatte damals auch nicht geholfen, dass sie tatsächliche Maßnahmen gegen einzelne einfache Parteimitglieder ergriffen hatte beziehungsweise diese durch Austritt gegenstandslos wurden, während sie gegenüber relevanteren Mitgliedern aus der Spitze tatenlos blieb und auch nichts vorgetragen wurde.

In der Gedankenwelt der AfD mag es nur ein kleiner Schritt sein, von einem noch grundgesetzkonformen zum verfassungswidrigen ethnischen Volksverständnis. Für die Gerichte, angefangen von Bundesverfassungsgericht, ist es aber entscheidend für die Beurteilung, schließlich geht es hier um zwei der innersten Kerne der Verfassung: Menschenwürde und Demokratie-Prinzip.

Dieses bisher beobachtete Dulden kritische Mitglieder beziehungsweise Aussagen dürfte das stärkste Argument darstellen, dass verfassungsfeindliche Sichtweisen innerhalb der AfD akzeptiert werden und damit in politischem Handeln münden könnten. Zumal sich die Frage stellt, wer überhaupt innerhalb der Partei noch ernsthaft dagegen vorgehen wollte und könnte. Es müsste, wie bereits gerichtlich niedergelegt, bei Weidel, Gauland oder Höcke beginnen.

Die AfD könnte sich hier auch nicht auf Unkenntnis berufen. Das hatte das Bundesverfassungsgericht damals bei der NPD nur bei Äußerungen einfacher Parteimitglieder und Funktionäre akzeptiert, aber ein Einschreiten bereits ab Kenntnis verlangt. Und der AfD sind nach Entscheidungen etlicher Gerichte längst hunderte problematische Aussagen quer durch die Partei bekannt.

Bildunterschrift: AfD auf dem Weg zu gesichert rechtsextrem.

Bildunterschrift: Der AfD-Politiker Rene Dierkes im Gespräch mit der Polizei, neben ihm der rechtsextreme Compact-Geschäftsführer Jürgen Elsässer.

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Spiegel Online, 29.11.2024:

Leuna in Sachsen-Anhalt / AfD gedenkt deutscher Soldaten mit Nazi-Spruch und beschimpft Kritiker als "Denunzianten"

29.11.2024 - 19.26 Uhr

"Für Führer, Volk und Vaterland. Warum?", stand auf einem AfD-Kranz am Volkstrauertag. Der Historiker Wolfgang Benz bezeichnet die Parole als nationalsozialistische Ideologie. Die Partei legt nun sogar noch nach.

Von Malte Göbel

Am Volkstrauertag hat die AfD-Stadtratsfraktion auf dem Stadtfriedhof von Leuna in Sachsen-Anhalt einen Kranz mit der Aufschrift "Für Führer, Volk und Vaterland. Warum?" niedergelegt. Das berichtete zuerst die "Mitteldeutsche Zeitung". Diese schreibt auch von einem gleichlautenden Slogan auf dem Spruchband eines Kranzes, der auf dem Friedhof der zu Leuna gehörenden Ortschaft Zweimen niedergelegt wurde.

Zweimens Bürgermeister Rüdiger Patsch ist gleichzeitig auch der Vorsitzende der AfD-Fraktion im Stadtrat von Leuna. Der Kranz in Zweimen kam nach Angaben der "Mitteldeutschen Zeitung" nicht von der Partei, sondern laut Aufschrift vom Ortschaftsrat, Förderverein der Feuerwehr und Johannesbier-Verein.

Wegen der Wortwahl auf dem Kranz in Leuna hat sich die Kommune nach Angaben von Bürgermeister Michael Bedla (CDU) an Polizei und höhere Dienstbehörden gewandt. "Die haben keinen strafrechtlichen Tatbestand erkannt", zitiert die "MZ" den Bürgermeister. Nach Angaben der Zeitung sei der Kranz von Leuna im Müll gefunden worden, an der Schleife sei das "Führer" abgeschnitten gewesen. Der Kranz in Zweimen sei nach Aufforderung durch die Kirche an die Stadt und die Vereine entfernt worden. Die dortige Pfarrerin nannte den Wortlaut demnach "beschämend".

Der Historiker Wolfgang Benz verurteilt die Verwendung des Slogans scharf. "Das ist ein Spruch aus dem nationalsozialistischen Wortschatz", sagt er dem Spiegel. "Wer das im Jahr 2024 benutzt, der identifiziert sich mit nationalsozialistischer Ideologie." Mehr sei dem eigentlich nicht hinzuzufügen. Denn mit "Führer" könne nur ein Mensch gemeint sein, das sei nicht Alice Weidel, sondern Adolf Hitler.

"Wer solche nationalsozialistische Semantik heutzutage benutzt, kann sich durch gar nichts rausreden, der zeigt seine vollkommene Übereinstimmung mit Brauchtum, Ideologie und Inhalten nationalsozialistischer Politik", sagt Benz. "Das entlarvt." Und es sei in diesem Fall noch viel eindeutiger als im Fall der Verwendung des SA-Spruches "Alles für Deutschland" durch den AfD-Rechtsextremisten Björn Höcke. Dieser war dafür mehrfach zu einer Geldstrafe verurteilt worden.

Die AfD gibt die Verwendung des NS-Spruchs nicht nur zu, sondern weist Kritik wütend zurück. In einem Posting auf Facebook nennt Fraktionschef Rüdiger Patsch Kritiker wie Bürgermeister Bedla und den Stadtratsvorsitzenden Daniel Krug (FDP) "Denunzianten" und via Hoffmann-von-Fallersleben-Zitat "Lumpen". Beide seien "offenbar geschichtlich ungebildet". Der Slogan sei in Ordnung, da er in Todesanzeigen und Beileidsschreiben verwendet wurde. Kritik daran sei der Versuch, AfD-Abgeordnete "mundtot" zu machen.

Der Slogan "Für Führer, Volk und Vaterland" war eine in NS-Deutschland oft verwendete Formel. Regelmäßig stand in Todesanzeigen, dass Soldaten "Für Führer, Volk und Vaterland" gefallen seien.

Auch linientreue Geistliche nutzten die Parole, um ihre Gemeinden auf die NS-Ideologie einzuschwören. Frauen wurden aufgefordert, "für Führer, Volk und Vaterland" Kinder zu bekommen. Im Jahr 2020 gab es Aufsehen um Militärfriedhöfe in Texas und Utah, auf denen Grabsteine unter anderem mit dieser Aufschrift standen.

Bildunterschrift: Schild mit der Aufschrift "Soldaten 1939 / 1945" an einem Soldaten-Gräberfeld auf dem Westfriedhof in Magdeburg.

Bildunterschrift: Wolfgang Benz.

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stern.de, 29.11.2024:

Brisante Forderung / AfD will Abtreibungen weitgehend einschränken

29.11.2024 - 06.03 Uhr

Von Tom Kollmar und Martin Schmidt

Abtreibungen sind in Deutschland zwar rechtswidrig, bleiben in den ersten Wochen aber straffrei. Die AfD will, dass sie die absolute Ausnahme bleiben - und verschärft ihren Kurs.

Die Rede ist ganz harmlos von einer "Willkommenskultur für Kinder". Was dahinter steckt? Die Alternative für Deutschland will Abtreibungen künftig weitgehend einschränken. So steht es auf Seite 73 des AfD-Programmentwurfs für die Bundestagswahl 2025, der seit Donnerstagnachmittag fertig ist. Er liegt RTL / ntv und dem stern vor.

Zum Thema Abtreibungen heißt es in dem Entwurf wörtlich: "Beim sorgfältigen Abwägen der Interessen muss Abtreibung die absolute Ausnahme bleiben, z. B. bei kriminologischer oder medizinischer Indikation." Offen ist, ob für die AfD darüber hinaus weitere Ausnahmen gelten würden. Aufgeführt werden sie in der Auflistung nicht.

Begründet wird die Forderung damit, dass das Recht auf Leben "ein fundamentales Menschenrecht" sei. Ohne dieses Recht könne kein anderes Menschenrecht in Anspruch genommen werden. "Das Lebensrecht des ungeborenen Kindes steht aber einem Wunsch der Mutter auf Abtreibung diametral entgegen", heißt es im Programmentwurf.

Die AfD verschärft ihren eigenen Kurs

Geht es nach der AfD soll das Beratungsgespräch die werdende Mutter vor allem von einem Schwangerschaftsabbruch abbringen. Auch mit einer unkonventionellen Methode. "Während der Schwangerschaftskonfliktberatung sollen den Müttern Ultraschallaufnahmen des Kindes gezeigt werden, damit diese sich über den Entwicklungsstand des Kindes im Klaren sind", heißt es in den Forderungen der Partei.

Die AfD behauptet, dass bei jährlich etwa 100.000 gemeldeten Abtreibungen in Deutschland weder das Lebensrecht der Kinder ausreichend geschützt werde noch die Schwangeren hinreichend über schwere Abtreibungsfolgen und über Hilfsangebote aufgeklärt würden. Nur 3.000 dieser Abtreibungen hätten einen kriminologischen und medizinischen Hintergrund, wären also auch nach den Reformplänen der AfD vertretbar.

Dies würde aber auch bedeuten, dass mehrere zehntausend Abtreibungen pro Jahr in Zukunft nicht mehr möglich wären. Die von der AfD aufgeführten Zahlen zu Abtreibungen in Deutschland gleichen weitgehend denen des Statistischen Bundesamtes.

Mit der Forderung würde die Partei ihre Haltung im Vergleich zu dem 2016 beschlossenen Grundsatzprogramm verschärfen. "Die AfD steht für eine Kultur des Lebens und ist im Einklang mit der deutschen Rechtsprechung der Meinung, dass der Lebensschutz bereits beim Embryo beginnt. Wir fordern daher, dass bei der Schwangerenkonfliktberatung das vorrangige Ziel der Beratung der Schutz des ungeborenen Lebens ist", heißt es dort. Von einer "absoluten Ausnahme" ist nicht die Rede. Stattdessen steht im Grundsatzprogramm: "Werdenden Eltern und alleinstehenden Frauen in Not müssen finanzielle und andere Hilfen vor und nach der Entbindung angeboten werden, damit sie sich für ihr Kind entscheiden können." Adoptionsverfahren seien in diesem Zusammenhang zu vereinfachen.

Forderung platzt in Debatte um Paragraph 218

Eine Verschärfung des Schwangerschaftsabbruch-Paragrafen im Gesetz fordert die AfD aber nicht. Schwangerschaftsabbrüche sind bisher laut Paragraf 218 des Strafgesetzbuches rechtswidrig. Tatsächlich bleibt ein Schwangerschaftsabbruch in den ersten zwölf Wochen aber straffrei, wenn die Frau sich zuvor beraten lässt. Ohne Strafe bleibt ein Abbruch zudem, wenn medizinische Gründe vorliegen oder wenn er wegen einer Vergewaltigung vorgenommen wird.

Über die Abschaffung des Paragrafen wird seit Jahren gestritten. Abgeordnete aus mehreren Bundestagsfraktionen wollen noch vor der Bundestagswahl eine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in den ersten drei Monaten erreichen.

Bildunterschrift: AfD-Chefs Weidel und Chrupalla: Brisante Forderungen im Wahlprogramm.

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