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10 Artikel ,
28.11.2024 :
Pressespiegel überregional
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Übersicht:
Störungsmelder, 28.11.2024:
Queer-Feindlichkeit / Neue Hauptgegner für eine neue Generation von Neonazis
die tageszeitung, 28.11.2024:
Der rechte Rand / Wie rechte Gewalt in Meck-Pomm wächst
Mitteldeutscher Rundfunk, 28.11.2024:
Reichsbürger / Aufrufe zu Schein-Wahlen von "Wahlkommission Reuß" - Wer steckt dahinter?
MiGAZIN, 28.11.2024:
RIAS-Jahresbericht / Höchste Zahl antisemitischer Vorfälle in Berlin
Jüdische Allgemeine Online, 28.11.2024:
Krefeld / Sieben Stolpersteine gestohlen / Der Staatsschutz der örtlichen Polizei ermittelt
Zeit Online, 28.11.2024:
Parteitag / AfD stellt Landesliste für Bundestagswahl auf
tagesschau.de, 28.11.2024:
Papier von Verfassungsrechtlern / Unterstützung für AfD-Verbotsverfahren
MiGAZIN, 28.11.2024:
Völkisch-nationalistisch / Rechtsexperten unterstützen Initiative für AfD-Verbot
die tageszeitung, 28.11.2024:
Experten stützen AfD-Verbot / Juristischer Rückenwind vor der Debatte im Bundestag
Zeit Online, 28.11.2024:
Jens Maier / Sieg für den rechten Richter
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Störungsmelder, 28.11.2024:
Queer-Feindlichkeit / Neue Hauptgegner für eine neue Generation von Neonazis
28.11.2024 - 16.52 Uhr
Sächsische Neonazis haben die Paraden zum Christopher Street Day zu ihren wichtigsten Feindbildern erkoren. Vor allem junge Rechte kommen zu ihren Protesten.
Von Michael Krell
Wurzen, 15. Mai 2024
In der sächsischen Kleinstadt nahe Leipzig findet zum ersten Mal ein eigener Christopher Street Day (CSD) statt, ein Demonstrationsumzug, dessen Teilnehmerinnen sich für die Rechte queerer Menschen einsetzen. Doch der CSD hat Gegner. Rund 20 junge, teils vermummte Neonazis laufen dem Protestzug hinterher, bauen sich an dessen Rand auf und versuchen mehrmals, auf die Versammlungsfläche zu gelangen. Den Ton geben Kader der Jungen Nationalisten, kurz JN, an, der Jugendorganisation der rechtsextremen Partei Heimat, die früher als NPD bekannt war.
Während der Abschlusskundgebung spitzt sich die bedrohliche Kulisse zu. Um den Marktplatz herum stehen mehrere Grüppchen aus dem rechten Hooligan-Milieu, eine weitere Gruppe unscheinbar aussehender Jugendlicher filmt und verhöhnt ohne Unterlass die CSD-Teilnehmer. Am Ende bleibt es bei Provokationen, Bedrohungen und leichten Rangeleien, doch die Botschaft der rechten Szene ist eindeutig: Ihr seid hier nicht willkommen. Die Polizei schreibt mehrere Anzeigen wegen Nötigung, Körperverletzung und Vermummung. Ansonsten bleiben die Einsatzkräfte weitgehend passiv.
Der Wurzener CSD war einer der ersten des Jahres. Bereits damals zeigte sich: Etwas gerät ins Rutschen. "In der Tat ist die Mobilisierung gegen CSD-Veranstaltungen in diesem Umfang ein neues Phänomen, das im gesamten Bundesgebiet auftritt", erklärt Janek Treiber, Politikwissenschaftler an der TU Dresden. Gerade in Ostdeutschland seien die Teilnehmerzahlen der Proteste besonders groß, während die CSD-Paraden für die rechte Szene "eine neue Hauptgegner-Rolle einnehmen".
Eine neue Generation von Neonazis, die hauptsächlich via Social Media angesprochen werden, begreift gewaltbereite Demonstrationen gegen die CSDs als Erlebnis und verhilft zuletzt eher schwächelnden Organisationen wie den Jungen Nationalisten zu neuer Bedeutung. Dass ausgerechnet das Phänomen Christopher Street Day im Fokus der Rechten steht, erklärt Treiber damit, dass sich diese als Protest-Objekt in der analogen Welt anbieten, "die eine links-progressive Idee repräsentieren". Sexualität und Sexualmoral seien aber seit Langem Themen der extremen Rechten: "Ihre Gegner werden dabei oft als verabscheuungswürdige Perverse dargestellt." Ein Muster, das sich im Laufe des Sommers bestätigt.
Bautzen, 10. August 2024
Wenige Tage vor dem CSD in Bautzen sagen die Veranstalterinnen ihre After-Show-Party ab. Die Sicherheitslage hat sich zugespitzt. Bautzen gilt seit vielen Jahren als Hochburg der gewaltbereiten sächsischen Neonazi-Szene, in der besonders erfolgreiche Nachwuchsarbeit betrieben wird. Schon bei den Corona-Protesten war ein sogenannter Jugendblock mit an die 100 jugendlichen Neonazis straff organisiert durch die Innenstadt marschiert.
Der Protest gegen den CSD findet statt unter dem Aufruf "Unsere Stadt, unsere Regeln". Dabei versammeln sich rund 700 Neonazis, viele der Teilnehmer sind jung und von außerhalb angereist. Die Polizei wirkt überfordert, mehrmals droht ihr die Kontrolle über die militanten Demonstranten zu entgleiten. Immer wieder gelangen sie wenige Meter an den Umzug heran. Vorsänger stacheln die Masse an, "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus" schallt mehrmals durch die Stadt. Eine derart große Demonstration war der rechten Szene lange nicht mehr gelungen. Die Staatsanwaltschaft leitet 17 Strafverfahren ein, die Ermittlungen laufen noch.
Dass immer mehr jugendliche Teilnehmer zu den Neonazi-Protesten kommen, liegt auch daran, wie sich wichtige Akteure der Szene inszenieren. Besonders auf der Video-Plattform TikTok sind sie aktiv. An der Spitze dieser Entwicklung steht Finley P., Frontmann der Dresdner JN-Ortsgruppe Elblandrevolte, die durch den Angriff auf SPD-Politiker Matthias Ecke bekannt geworden ist. Er führte mehrere Anti-CSD-Proteste per Megafon an. Seine Videos und Livestreams verzeichnen Hunderttausende Aufrufe auf TikTok. Die mit heroischer Musik hinterlegten Video-Schnipsel von Protesten und Ansprachen verbreiten sich schnell über die Plattform und lassen den Dresdner zum Helden einer neuen Generation Rechter aufsteigen.
Leipzig, 17. August 2024
Eine überforderte Polizei, die den rechten Störern wenig entgegenzusetzen hat - das geht auch anders, wie sich eine Woche nach dem Bautzener CSD in Leipzig zeigt. Dort findet die größte sächsische Parade statt. Wieder folgen mehrere Hundert dem Aufruf von Neonazis. Auch dieses Mal befinden sich unter den Teilnehmern viele junge Menschen, die Polizei spricht von 160 Jugendlichen und vier Kindern. Die Polizei hat ihre Einsatztaktik angepasst und nach den teils unkontrollierten Zuständen in Bautzen dazugelernt. Als Teilnehmer im Hauptbahnhof wiederholt verbotene Parolen anstimmen und Hitlergrüße zeigen, untersagt sie den rechten Protest.
Zur Beweissicherung führen Polizisten die Neonazis über Stunden einzeln ab. Die Bilanz: über 40 Straftaten wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Volksverhetzung und Verstößen gegen das Versammlungsgesetz.
Görlitz, 28. September 2024
Zum Abschluss der sommerlichen CSD-Saison ruft die sächsische Neonazi-Szene wieder zum großen Protest auf, diesmal in der deutsch-polnischen Grenzstadt Görlitz. Mehrere Hundert reisen an, überwiegend im Gefolge der Dresdner Elblandrevolte um Finley P. Die Polizei hat ein Großaufgebot zusammengezogen und legt der Neonazi-Versammlung umfassende Versammlungsauflagen auf. Das in Bautzen noch durchgängig zu sehende White-Power-Zeichen wird genauso untersagt wie ausländerfeindliche Parolen. Als der Zug zutiefst menschenfeindliche Parolen wie "HIV hilf uns doch, Homos gibt es immer noch" ruft, stoppt die Polizei die Versammlung für einige Minuten, untersagt die Nutzung des Spruches und fertigt Anzeigen wegen Volksverhetzung gegen die neonazistischen Vorsänger. Am Ende werden über 20 aktuell noch laufende Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Auf der Straße sind die Neonazis damit weitgehend gescheitert, auch wenn die Proteste als Momente der Radikalisierung für die Szene-Neulinge nicht zu unterschätzen sind. Doch Bilder und Videos ihres Protests verbreiten sich auf den Sozialen Plattformen. Über TikTok erreichen sie abermals Tausende junge Menschen - und damit potenzielle Mitstreiter.
Janek Treiber erklärt diesen Effekt damit, dass mit TikTok "emotionalisierende Kurzvideos verbreitet werden können, ohne dass wichtiger Kontext, Hintergrundwissen oder empirische Fakten eine Rolle spielen". Wenn darin immer wieder die Erzählung von einem Deutschland gesponnen wird, das von Migration und Gender-Ideologien bedroht sei, spreche das Menschen an, die wenig Medien-Bildung besitzen und die zugleich um ihre Lebenssituation oder ihre Zukunft besorgt seien - "was leider gerade bei vielen jungen Menschen der Fall ist".
Bildunterschrift: Christopher Street Day in Leipzig: Aktivisten mit einer Regenbogenflagge vor einer rechtsextremen Versammlung und der Polizei.
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die tageszeitung, 28.11.2024:
Der rechte Rand / Wie rechte Gewalt in Meck-Pomm wächst
Andreas Speit
Vor dem Amtsgericht Schwerin muss sich seit heute ein Mann wegen gefährlicher Körperverletzung verantworten. In der Innenstadt der Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern soll der Deutsche einen 33-jährigen Algerier mit einem Messer angegriffen haben. Der Geflüchtete erlitt unterhalb des Mundes eine tiefe Schnittwunde.
Für die Landesweite Opferberatung Beistand und Information für Betroffene rechter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern (Lobbi) steht der Fall exemplarisch für eine besorgniserregende Entwicklung im Land. Bereits in der ersten Jahreshälfte 2024 zählte Lobbi so viele rechte Angriffe wie sonst nur im zehnjährigen Durchschnitt für das ganze Jahr. Häufigstes Tatmotiv war dabei Rassismus.
Die Opferberatung rechnet mit einem traurigen Allzeit-Rekord
In dem aktuellen Fall begleitet die Opferberatung den Betroffenen, der erst wenige Tage zuvor in einer Geflüchteten-Unterkunft angekommen war. Am 14. Juni dieses Jahres sei er mit drei Bekannten auf dem Marien-Platz unterwegs gewesen. Der Angreifer habe den Algerier angesprochen. Da dieser ihn nicht verstand, habe er einen seiner Begleiter gebeten, für ihn zu übersetzen. In dem Moment habe der Täter das Messer gezogen und versucht, den Algerier an der Kehle zu treffen. Weil dieser etwas zurückgewichen sei, habe die Klinge nicht den Hals getroffen.
Die Opferberatung wundert, dass der Angriff nicht vor dem Landgericht verhandelt wird. "Auf Grund des zu erwartenden Strafmaßes hätten wir eher einen Prozess am Landgericht erwartet", sagt eine Beraterin von Lobbi, die den Betroffenen seit dem Angriff unterstützt.
"Den Angriff hat der Täter gegenüber einer Bekannten vorher angekündigt", sagt Robert Schiedewitz von Lobbi. Zudem habe er ein Messer mitgenommen. Der Vorsatz einer Tötung dürfte somit gegeben sein, vermutet Schiedewitz. Das die Tötungsabsicht verfehlt wurde, sei allein dem Zufall zu verdanken. Bisher ist nicht bekannt, ob der Täter versucht hat nachzusetzen. Für die Verhandlung ist ein weiterer Prozesstag angesetzt.
Sollte sich die Zahl solcher Gewalttaten weiter so entwickeln wie im ersten Halbjahr, rechnet Lobbi mit "einem trauriger Allzeit-Rekord rechter Angriffe" seit der Gründung der Opferberatung im Jahr 2001. In den ersten sechs Monaten registrierte Lobbi insgesamt 89 rechte Angriffe, bei denen insgesamt 126 Menschen betroffen waren.
"Rassismus" war nach Zählung von Lobbi in dem Zeitraum von Januar bis Juni mit 52 Angriffen das häufigste Tatmotiv. Aufgefallen sei zudem, dass auch die Attacken gegen mutmaßliche politische Gegnerinnen, Gegner der Rechten anstiegen. Mit 22 Angriffen war diese Gruppe deutlich häufiger Ziel rechter Gewalt als 2023.
Besonders viele Übergriffe habe es in den Großstädten Schwerin und Rostock gegeben, die bezogen auf die Einwohnerinnenzahlen, Einwohnerzahlen die größte Zahl an Taten aufweisen. Dazu kommen die Landkreise Vorpommern-Rügen und Vorpommern-Greifswald. In der Hansestadt Stralsund registrierte Lobbi allerdings allein zehn Angriffe.
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Mitteldeutscher Rundfunk, 28.11.2024:
Reichsbürger / Aufrufe zu Schein-Wahlen von "Wahlkommission Reuß" - Wer steckt dahinter?
28.11.2024 - 05.00 Uhr
Prinz Reuß steht derzeit wegen Terror-Verdachts in Frankfurt am Main vor Gericht. Gleichzeitig tauchen in Thüringen Aufrufe zu Schein-Wahlen einer selbst ernannten "Wahlkommission Reuß" auf. Wer steckt dahinter?
Von Bastian Wierzioch, MDR Investigativ
Noch bis Ende November könnten sich die "Stimmberechtigten" für die "Staatliche Gemeinderatswahl" oder die "Wahl des Verwesers" eintragen lassen. So ist es zu lesen auf öffentlichen Aushängen, die im Saale-Orla-Kreis sowie im Landkreis Greiz aufgetaucht sind. An den angeblichen Abstimmungen teilnehmen könne, wer eine "Staatsangehörigkeit nach Reuß jüngere oder ältere Linie" nachweisen könne.
Dazu aufgerufen hat eine Gruppierung, die sich "Wahlkommission Reuß" nennt. Bei solchen Aktivitäten geht es um eine in der Reichsbürger-Szene zentrale Verschwörungserzählung, wonach ehemalige Gebiete des Deutschen Kaiserreichs durch Schein-Wahlen reaktiviert werden könnten. Solche angeblichen Abstimmungen werden von selbst ernannten "Wahlkommissionen" organisiert, die es in ganz Deutschland gibt.
Nicht strafbar, aber gefährlich
Das Abhalten von Schein-Wahlen ist nicht verboten. Dennoch warnen Sicherheitsbehörden vor der Ideologie, die Reichsbürger-"Wahlkommissionen" verbreiten. Laut Bundesamt für Verfassungsschutz lehnen die Szene-Angehörigen die "Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem" ab und sprächen den "demokratisch gewählten Repräsentantinnen und Repräsentanten die Legitimation" ab.
Deshalb bestehe die Besorgnis vor Rechts-Verstößen. 25.000 Menschen rechne die Behörde der Szene in Deutschland zu. Rund zehn Prozent seien "gewaltorientiert".
Der Thüringer Innenminister Georg Maier (SPD) spricht von "einer verworrenen Ideologie, die "nicht selten zu Aggression, Gefahrensituationen oder gar schwersten Straftaten" führe. Felix Steiner, Extremismus-Experte beim Verein Mobit, sagt: "Die Szene verbreitet ihre Verschwörungserzählungen und pseudo-juristischen Annahmen an Tausende Menschen, die sich dadurch weiter von der Demokratie abwenden und sich aus der Gesellschaft zurückziehen."
Oft würden mit dem Eintauchen in die Szene ganze Leben zerstört. Zudem habe sich immer wieder gezeigt, dass diese Ideologie auch den Weg zu Gewalt - vor allem gegen Mitarbeiter staatlicher Institutionen - in sich berge.
"Wahlkommission Reuß" mit "Gruppe Reuß" nicht identisch
Zu den Schein-Wahlen in Thüringen ruft eine Gruppierung auf, die sich "Wahlkommission Reuß" nennt. Nach Informationen von MDR Investigativ wurde sie unter anderem von Heinrich XIII Prinz Reuß gegründet, der sich derzeit in Frankfurt am Main wegen Terror-Verdachts vor Gericht verantworten muss.
Reuß gilt als Prominenter im Reichsbürger-Milieu. Erstmals waren im Jahr 2020 Videos von ihm aufgetaucht, in denen er die Bundesrepublik als "Firma" bezeichnete. Im selben Jahr rief er im Saale-Orla-Kreis, wo er ein kleines Jagdschloss besitzt, den Fantasiestaat "Fürstentum Reuß" aus. Bald darauf tauchten auch dort an Bäumen im Umfeld des Anwesens ähnliche Schein-Wahl-Aufrufe einer "Wahlkommission Reuß" auf - so wie heute.
Derzeit wirft der Generalbundesanwalt Heinrich Prinz Reuß und einer weiteren Reichsbürger-Gruppe, die mit der "Wahlkommission Reuß" nicht identisch ist, die Bildung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung sowie die Vorbereitung eines gewaltsamen Umsturzversuches vor.
Deswegen sind derzeit insgesamt 26 Frauen und Männer in Stuttgart, Frankfurt am Main und München angeklagt. Reuß steht in Frankfurt als einer von zwei mutmaßlichen Rädelsführern vor Gericht. Für alle Angeklagten gilt die Unschuldsvermutung. Die "Gruppe Reuß" gilt heute als zerschlagen.
Wahl-Aufrufe in Thüringen: Wer steckt dahinter?
Auf MDR-Anfrage zu den Aushängen der "Wahlkommission Reuß" teilt Hans Sieg, einer der Anwälte des Prinzen, mit: "Prinz Reuß befindet sich seit 2022 in U-Haft und diese Haft wird in der schärfsten Form vollzogen, die unsere Strafprozessordnung zulässt." Reuß unterliege "geradezu uneingeschränkter Kontrolle und selbst die Verteidiger-Post wird von einem Richter gelesen".
Derselbe Strafverteidiger hatte dem MDR vor einigen Monaten mitgeteilt, sein Mandant distanziere sich inzwischen von jeglichen Reichsbürger-Aktivitäten. Zusammengenommen legen beide Stellungnahmen den Schluss nahe, dass Prinz Reuß mit den Schein-Wahl-Aufrufen offenbar nichts zu tun hat.
Verantwortlich für die Aushänge und die Weiter-Existenz der "Wahlkommission Reuß" könnte hingegen unter anderem Ingo R. sein. Der 63-Jährige stammt aus Sachsen und lebt im Erzgebirgskreis. Für ein geplantes bundesweites Reichsbürger-Treffen Mitte November in Heilgenstadt war er im Programm als Redner und Vertreter der "Wahlkommission Reuß" angekündigt worden.
In einem Werbe-Video für die Veranstaltung war er vor einer Flagge des Thüringer Adelsgeschlechts "Reuß jüngere Linie" aufgetreten. Nach MDR-Recherchen gilt er bei den Terror-Verdachts-Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gegen die inzwischen zerschlagene Gruppe Reuß als "verfahrensrelevante Person".
Dazu hatten die Organisatoren des Mitte November geplanten und von der Stadt Heiligenstadt schließlich untersagten Reichsbürger-Treffens mitgeteilt: "Wir bitten Sie niemanden vor einer Rechtsprechung eines Richters vorab zu verurteilen. Nur weil jemand Teil einer Ermittlung ist, kann es sich dabei schließlich auch um Zeugen oder Opfer handeln."
Auf aktuelle MDR-Anfrage behauptet darüber hinaus ein Sprecher der "Wahlkommission Reuß": Prinz Reuß gehöre nicht zu den Gründern der gleichnamigen Wahlkommission. Mit den aktuellen Aufrufen habe Reuß nichts zu tun. Eine aktuelle Verbindung zu ihm gäbe es nicht. Zudem distanziere man sich von dem Begriff "Reichsbürger". Wörtlich heißt es in der Mitteilung: "Wir streben nach Frieden, Freiheit und Souveränität und lehnen jegliche Form von Gewalt ab."
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MiGAZIN, 28.11.2024:
RIAS-Jahresbericht / Höchste Zahl antisemitischer Vorfälle in Berlin
28.11.2024 - 12.44 Uhr
Jedes Jahr registriert, dokumentiert und zählt eine Initiative in Berlin antisemitische Taten. 2024 liegen die Zahlen so hoch wie nie zuvor in dieser Statistik. Recherchestelle warnt vor einer Gefahr der zunehmenden Normalisierung von Antisemitismus.
Die Zahl der antisemitischen und antiisraelischen Beleidigungen, Drohungen und Angriffe ist in Berlin auch im Jahr nach dem islamistischen Terrorangriff auf Israel weiter stark gestiegen. Eine Dokumentationsstelle zählte im ersten Halbjahr 2024 1.383 antisemitische Vorfälle - mehr als je zuvor in einem halben Jahr. "Es waren auch mehr als in jedem anderen Jahr seit Beginn der Dokumentation 2015", teilte die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (RIAS Berlin) am Donnerstag mit. Im gesamten Vorjahr 2023 lag die Zahl bei 1.270.
Vor allem ging es demnach um Beleidigungen, antiisraelische Anfeindungen im Internet, antisemitische Schmierereien im öffentlichen Raum, aber auch antisemitische Gewalt gegen Juden. Der monatliche Durchschnitt von 230 Vorfällen zeige, dass sich der starke Anstieg antisemitischer Vorfälle seit dem 7. Oktober 2023 auf einem hohen Niveau verstetigt habe. Eine rückläufige Tendenz sei bis jetzt nicht abzusehen.
Die Recherchestelle sprach in ihrem knapp 80 Seiten umfassenden Bericht von einer Gefahr der zunehmenden Normalisierung von Antisemitismus. Viele Vorfälle stünden im Zusammenhang mit dem Massaker an Israelis und dem Krieg in Gaza. Es gebe aber zahlreiche antisemitische Taten ohne inhaltlichen Bezug. Die Grenzen des Sagbaren würden insgesamt verschoben und antisemitische Äußerungen bis in die Mitte der Gesellschaft hinein akzeptabel scheinen. Dazu zählten die "Dämonisierung und Delegitimierung Israels", antisemitische Verschwörungsmythen und Täter-Opfer-Umkehrungen.
Anfeindungen sind allgegenwärtig
Juden erlebten Antisemitismus auf der Straße, in Bussen und Bahnen, in Universitäten, in Bars, beim Fußball, im Theater, beim Konzert oder beim Einkaufen. Das wirke auf viele "zermürbend". So würden etwa jüdische Studenten berichten, dass sie sich auf dem Hochschulgelände nicht länger sicher fühlen.
Im Kunst- und Kulturbereich würden jüdische oder israelische Künstler oder Kulturprodukte "teilweise offen, teilweise stumm boykottiert". Lehrer und Schulleitungen würden angesichts antisemitischer Anfeindungen gegen jüdische oder israelische Schüler mitunter überfordert scheinen.
Die meisten Fälle (70 Prozent) wurden in der Dokumentation keinem eindeutig politisch oder ideologisch definiertem Täter-Spektrum zugeordnet. Knapp 15 Prozent gehörten demnach zum antiisraelischen Aktivismus, knapp 5 Prozent seien von Verschwörungsideologien geprägt und knapp 4 Prozent rechtsextremistisch.
Körperliche Angriffe
Zu den 1.383 Vorfällen gehörten 25 Gewalttaten, 2 davon mit schweren Verletzungen der Opfer. Am 3. Februar wurde ein jüdischer Student auf der Straße von einem Kommilitonen zusammengeschlagen. Er kam mit mehreren Knochenbrüchen im Gesicht ins Krankenhaus und musste operiert werden. Am 3. Mai wurde ein jüdischer Ukrainer auf dem Weg zur Synagoge von einem Unbekannten antisemitisch beleidigt und körperlich angegriffen. Der Mann musste mit einem Knochenbruch in der Hand im Krankenhaus behandelt werden.
Nach der RIAS-Statistik kamen dazu 37 gezielte Sachbeschädigungen, 28 Bedrohungen und 1.240 Fälle von Beleidigungen oder Beschimpfungen, außerdem 53 "Massen-Zuschriften" etwa per Mail.
715 Vorfälle spielten sich im Internet ab, 427 auf der Straße oder in Bussen und Bahnen. An Bildungseinrichtungen wurden 74 antisemitische Vorfälle dokumentiert, darunter 27 an Schulen. Jüdische oder israelische Kinder seien von Mitschülern geschlagen, bespuckt, bedroht und angefeindet worden. Auf 96 Demonstrationen gab es demnach antisemitische Parolen, Transparente und Äußerungen, etwa Parolen wie "Kindermörder Israel" oder Terror-Verherrlichung. (dpa/mig)
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Jüdische Allgemeine Online, 28.11.2024:
Krefeld / Sieben Stolpersteine gestohlen / Der Staatsschutz der örtlichen Polizei ermittelt
28.11.2024 - 15.10 Uhr
Auch in Krefeld sind Stolpersteine verschwunden. Wie die "Rheinische Post" berichtet, ermittelt der Staatsschutz der örtlichen Polizei. Zeugen des Vorfalls werden gesucht.
Das Blatt schreibt, sieben Stolpersteine seien zwischen Dienstagabend und dem frühen Mittwochmorgen gestohlen worden. Anwohner stellten fest, dass die Gedenktafeln fehlten und kontaktieren die Polizei.
Die fehlenden Stolpersteine vor einem Wohnhaus in der Grenzstraße 59 sind den Krefelder Juden Charlotte Steinberg, Werner Pappenheimer, Helmuth Pappenheimer, Hilde Pappenheimer, Eugen Hirtz, Simon Hirtz und Selma Hirtz gewidmet, deren Geschichte laut "Rheinische Post" von der NS-Dokumentationsstätte Villa Merländer rekonstruiert und dokumentiert wurde.
Simon Hirtz wurde 1869 geboren und heiratete 1899 Selma Waldbaum. Mit ihr bekam er die Kinder Hilde (1900), Eugen (1905) und Charlotte (1906). Hilde heiratete später den Kaufmann Sally Pappenheimer. Ihre Kinder hießen Helmuth und Werner.
Eugen Hirtz wurde im Mai 1942 von den Nazis ermordet. Kurz zuvor starben Hilde, Helmuth und Werner Pappenheimer in KZs in Sobibor
und Belzec. Im September 1942 töteten die Nazis auch Simon
und Selma Hirtz - in diesem Fall in Treblinka. Charlotte Steinberg kam in Auschwitz um. Die Stolpersteine für diese Holocaust-Opfer wurden im Jahr 2020 verlegt.
Bürgermeister wütend
Die "Rheinische Post" zitierte Samuel Naydych, den Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Krefeld. Er erklärte demnach, er sei schockiert.
"Ich glaube nicht, dass das einfach ein Streich ist", sagte er, denn "dafür braucht man Kraft und Willen". Der Diebstahl reihe sich in die Situation ein, in der der Juden-Hass weltweit erstarke.
"Die Erinnerung an die Schoa wird dermaßen entwertet, dass man keinen Respekt mehr hat vor den Opfern, die in unserer Stadt gelebt haben", sagte Naydych dem Blatt.
Krefelds Oberbürgermeister Frank Meyer (SPD) wurde mit den Worten zitiert, er sei wütend. Die Diebe rief er auf, die Gedenksteine zurückzugeben. "Wir als Stadtgesellschaft stellen uns gemeinsam gegen jede Form von Antisemitismus, Hass und Hetze", so Meyer.
Im sachsen-anhaltinischen Zeitz waren Anfang Oktober alle in dem Ort verlegten Stolpersteine von unbekannten Dieben entfernt worden. (im)
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Zeit Online, 28.11.2024:
Parteitag / AfD stellt Landesliste für Bundestagswahl auf
28.11.2024 - 06.30 Uhr
Bei einem Parteitag stellt die sächsische AfD am Wochenende ihre Landesliste für die Bundestagswahl auf. Unter den Kandidaten ist neben dem Bundesparteivorsitzenden Tino Chrupalla auch der Mitgründer und Ehrenvorsitzende der Partei, Alexander Gauland . entgegen früherer Pläne zum Ende seiner parlamentarischen Karriere, wie der Sprecher der AfD Sachsen auf Anfrage bestätigte.
Gauland war bei den letzten beiden Bundestagswahlen als Spitzenkandidat der AfD in Brandenburg angetreten, dort löst ihn der Landesparteichef René Springer ab. Die Kandidatur in Sachsen sei ein Angebot aus seiner Heimatstadt Chemnitz gewesen, sagte Gauland am vergangenen Wochenende.
Chrupalla will Listenplatz eins
Für den ersten Listenplatz wird der Bundesvorsitzende Chrupalla antreten. Das hatte er nach seiner Wahl zum Direktkandidaten für den Wahlkreis Görlitz angekündigt. Er wolle als Spitzenkandidat den Landesverband Sachsen zum Spitzenreiter machen.
Kandidieren könnte auch der Europa-Abgeordnete Maximilian Krah, der zuletzt laut Medienberichten bei mehreren Veranstaltungen im Wahlkreis Chemnitzer Umland - Erzgebirgskreis II auftrat. Er selbst sagte zuletzt "Welt am Sonntag" und "taz", die Kandidatur sei noch nicht entschieden.
Krah hatte vor der Europa-Wahl im Juni wochenlang in den Schlagzeilen gestanden wegen teils schriller öffentlicher Auftritte und Berichte über mutmaßliche Russland- und China-Verbindungen sowie Ermittlungen gegen einen Ex-Mitarbeiter wegen mutmaßlicher Spionage für China.
Aktuell 10 AfD-Direktmandaten aus Sachsen im Bundestag
Ob für die AfD Kandidaten von der sächsischen Landesliste in den Bundestag einziehen, ist ungewiss. Aktuell werden alle zehn sächsischen AfD-Mandate von Direktkandidaten belegt. Kandidaten von der Liste rücken nach, wenn einer Partei auf Grund ihres Stimmenanteils bei den Zweitstimmen mehr Sitze zustehen, als sie durch Direktkandidaten gewonnen hat.
Die nächste Bundestagswahl findet nach dem Ampel-Aus voraussichtlich am 23. Februar statt. Bei der vorigen Wahl hatte die AfD mit 24,6 Prozent der Zweitstimmen in Sachsen die CDU mit 17,2 Prozent weit hinter sich gelassen.
Bildunterschrift: Alexander Gauland hat von Chemnitzer AfD-Kreisverband das Angebot für eine Kandidatur bekommen (Archivbild).
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tagesschau.de, 28.11.2024:
Papier von Verfassungsrechtlern / Unterstützung für AfD-Verbotsverfahren
28.11.2024 - 13.34 Uhr
Eine Gruppe von Bundestagsabgeordneten will ein Verbot der AfD auf den Weg bringen. Ein solcher Antrag beim Verfassungsgericht habe Aussicht auf Erfolg - sagen jetzt mehrere Rechtsexperten.
Schon seit längerer Zeit wird über ein Verbotsverfahren gegen die AfD diskutiert. Dazu gekommen ist es bislang nicht. Mehr als 100 Abgeordnete unterschiedlicher Parteien wollen das ändern und trommeln im Moment für eine Mehrheit im Bundestag. Unterstützung bekommen sie von Verfassungsrechtlern.
In einem Schreiben an den Innen- und den Rechtsausschuss äußern sich insgesamt 17 Professorinnen und Professoren verschiedener Hochschulen. Darin schreiben sie, dass ein Verbotsverfahren, wie es von 113 Bundestagsabgeordneten zuletzt beantragt wurde, "Aussicht auf Erfolg habt". Die Stellungnahme liegt dem ARD-Hauptstadtstudio vor.
Juristen beklagen "völkisch-nationalistische Ideologie"
Eine "völkisch-nationalistische Ideologie" werde von der Breite der AfD getragen, heißt es in dem Papier. Die Unterzeichner sprechen von einer Abwertung bestimmter Personengruppen. Eine "identitäre Volks- bzw. Gesellschaftskonstruktion, zu Lasten individueller Menschenrechte" stehe in klarem Widerspruch zur Menschenwürde-Garantie des Grundgesetzes. Der AfD-Bundesvorstand grenze sich von dieser Ideologie und den Akteuren nicht ab.
Ein wichtiger Teil der AfD-Strategie sei außerdem eine "Delegitimierung politischer Akteure sowie demokratischer Prozesse", die über eine "legitime Staatskritik" weit hinausgehe. Eine solche strategische Delegitimierung gefährde die Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Einrichtungen, heißt es in der Stellungnahme.
Materialsammlung mit Belegen
Die Autoren verweisen auf Artikel 21 des Grundgesetzes, in dem es heißt: "Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig." Dies sehen die Rechtsexperten bei der AfD als erfüllt an.
Angehängt an das Schreiben ist eine Materialsammlung mit Social-Media-Beiträgen, Rede-Ausschnitten und anderen öffentlichen Aussagen von AfD-Politikern, die die "verfassungsfeindlichen Umtriebe der AfD" belegen sollen.
Mehrheit im Bundestag nötig
Ein Parteiverbot kann beim Bundesverfassungsgericht beantragt werden. Dieser Antrag kann vom Bundestag, dem Bundesrat oder der Bundesregierung kommen. Das Ziel der parteiübergreifenden Gruppe ist es, dass das Parlament einen entsprechenden Beschluss fasst. Mitte November wurde im Bundestag ein entsprechender Antrag dafür gestellt. Ob er Chancen auf eine Mehrheit hat, ist offen.
Das Bundesverfassungsgericht soll den Antragstellenden zufolge feststellen, dass die AfD verfassungswidrig ist und deshalb verboten werden kann. Hilfsweise soll vom Gericht festgestellt werden, dass die AfD von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen wird.
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MiGAZIN, 28.11.2024:
Völkisch-nationalistisch / Rechtsexperten unterstützen Initiative für AfD-Verbot
28.11.2024 - 13.10 Uhr
Mehr als 100 Abgeordnete unterschiedlicher Parteien trommeln im Bundestag für eine Mehrheit für ein AfD-Verbotsverfahren. Eine Gruppe Verfassungsrechtler verschiedener Hochschulen unterstützt das.
Die Befürworter eines AfD-Verbotsverfahrens im Bundestag bekommen Unterstützung von mehr als einem Dutzend Verfassungsrechtlern. In einem Schreiben an den Innen- und den Rechtsausschuss des Bundestages äußern 17 Professorinnen und Professoren verschiedener deutscher Hochschulen die Auffassung, dass ein Verbotsverfahren, wie es von 113 Bundestagsabgeordneten zuletzt beantragt wurde, Aussicht auf Erfolg habe. Über die Stellungnahme der Experten hatten zuvor mehrere Medien berichtet.
Eine "völkisch-nationalistische Ideologie" werde von der Breite der AfD getragen, heißt es in dem Papier. Die Unterzeichner sprechen von einer Abwertung bestimmter Personengruppen. Eine "identitäre Volks- bzw. Gesellschaftskonstruktion, zu Lasten individueller Menschenrechte" stehe in klarem Widerspruch zur Menschenwürde-Garantie des Grundgesetzes. Der AfD-Bundesvorstand grenze sich von dieser Ideologie und den Akteuren nicht ab. "Die AfD duldet vielmehr verfassungsfeindliche Positionen in der Partei, lässt sie gewähren und macht sie sich so zu eigen."
Ein wichtiger Teil der Strategie der AfD sei außerdem "die - über eine legitime Staatskritik weit hinausgehende - (medienwirksame) Delegitimierung politischer Akteure sowie demokratischer Prozesse", heißt es in der Stellungnahme. Eine solche strategische Delegitimierung gefährde die Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Einrichtungen.
Stellungnahme: AfD verfassungswidrig
Die Autoren verweisen auf Artikel 21 des Grundgesetzes, in dem es heißt: "Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche-demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig." Dies sehen die Rechtsexperten bei der AfD als erfüllt an. Angehängt an das Schreiben ist eine Materialsammlung mit Social-Media-Beiträgen, Rede-Ausschnitten und anderen öffentlichen Aussagen von AfD-Politikern, die die "verfassungsfeindlichen Umtriebe der AfD" belegen sollen.
Ein Parteien-Verbot kann von Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht beantragt werden. Das Ziel der parteiübergreifenden Gruppe, die Mitte November im Bundestag einen Antrag dafür gestellt hatte, ist es, dass das Parlament einen entsprechenden Beschluss fasst. Ob der Antrag Chancen auf eine Mehrheit hat, ist offen. (dpa/mig)
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die tageszeitung, 28.11.2024:
Experten stützen AfD-Verbot / Juristischer Rückenwind vor der Debatte im Bundestag
Von Konrad Litschko
Vor zwei Wochen reichten 113 Abgeordnete des Bundestags ihren Antrag ein, ein AfD-Verbot durch das Bundesverfassungsgericht prüfen zu lassen. Das Ziel: zumindest noch eine Debatte über das Gesetz im Parlament in der Rest-Legislaturperiode vor der Neuwahl, bestenfalls sogar eine Abstimmung. Nun bekommen die Abgeordneten Unterstützung von 17 Verfassungsrechtlerinnen, Verfassungsrechtler.
Die Juristinnen, Juristen legten dem Innen- und dem Rechtsausschuss des Bundestags eine Stellungnahme vor, in der sie dem Verbotsantrag attestieren, vor dem Bundesverfassungsgericht durchaus "Aussicht auf Erfolg" zu haben. Die Partei sei "nachgerade der prototypische Fall einer Partei, durch die die spezifischen Mechanismen der grundgesetzlichen wehrhaften Demokratie aktiviert werden" sollten. Zu den Verfasserinnen, Verfassern gehören der Kasseler Professor Andreas Fischer-Lescano, der Kieler Völkerrechtler Andreas von Arnauld oder die Münchner Rechtsprofessorin Kathrin Groh. Das Papier liegt der taz vor.
Für die Verfassungsrechtlerinnen, Verfassungsrechtler ist erwiesen, dass die AfD verfassungswidrig ist. Die Partei offenbare in Äußerungen ihrer Funktionäre immer offener "ihre wahren verfassungsfeindlichen Absichten". Auch zeige sich ein "völkisch-nationalistisches Programm", verfolgt werde ein kulturell homogener Volksbegriff. Dieser werde "von der Breite der Partei getragen". Auch der Bundesvorstand grenze sich davon nicht ab, sondern dulde verfassungsfeindliche Positionen, wie sich am Umgang mit dem Thüringer Rechtsextremen Björn Höcke zeige.
Die AfD-Kritik an der Regierung gehe "weit über eine legitime Staatskritik hinaus", wenn die Partei pauschal politische Akteure delegitimiere und Medien als "Lügenpresse" diffamiere, befindet die Stellungnahme zudem. Als Beispiel wird das jüngste Gebaren des AfD-Manns Jürgen Treutler als Alterspräsident bei der Konstituierung des Thüringer Landtags benannt. All dies gefährde die Funktionsfähigkeit des Staats, so das Papier. Umso mehr, da die Partei inzwischen so etabliert ist, dass sie im Falle eines Machtgewinns auch Ämter in Justiz und Verwaltung besetzen könnte.
Auch dass die AfD mehrdeutige Aussagen verwende, helfe ihr nicht, finden die Expertinnen, Experten. Durch die Fülle solcher Aussagen verdichteten sich diese zu "verfassungsfeindlicher Eindeutigkeit". Die Option eines Partei-Verbotsverfahrens sei zudem eine "bewusste Entscheidung" im Grundgesetz, um sich gegen Demokratie-Feinde zu wehren. Sie erfolge auch nicht in politischer Beliebigkeit, sondern sei "politische Aufgabe und Verantwortung", wenn eine Partei verfassungsfeindlich agiere. Auch sei die Absicht, die AfD rein politisch anzugehen, nicht zielführend, wenn diese sich außerhalb demokratischer Spielregeln bewege. Und die Entscheidung über ein Verbot träfen am Ende ja nicht Parteien, die einen Konkurrenten beseitigen wollten, sondern unabhängige Richterinnen, Richter.
Ob und wann der AfD-Verbotsantrag im Bundestag diskutiert wird, ist noch unklar. Geht es nach den Initiatorinnen, Initiatoren um Marco Wanderwitz (CDU), soll dies noch vor Weihnachten geschehen. Eine Mehrheit für den Antrag ist indes ungewiss. So unterstützen aus der Union bisher nur sieben Abgeordnete den Antrag. Auch die SPD-Fraktionsspitze um Rolf Mützenich ist reserviert und hält den Antrag für verfrüht.
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Zeit Online, 28.11.2024:
Jens Maier / Sieg für den rechten Richter
28.11.2024 - 19.08 Uhr
In einer Rede verteidigte der ehemalige Richter und AfD-Politiker Jens Maier den Rechtsterroristen Breivik. Ein Gericht bestätigte nun dennoch seine Pensionsansprüche.
Von Tilman Steffen
Der Richter und frühere AfD-Bundestagsabgeordnete Jens Maier behält seine Pensionsansprüche und wird nicht komplett aus dem Dienst entfernt. Das entschied das Dienstgericht für Richterinnen und Richter in Leipzig - und wies damit einen entsprechenden Antrag des sächsischen Justizministeriums zurück. Maier war vor zwei Jahren wegen Verletzungen von Dienstpflichten vorzeitig in den Ruhestand versetzt worden. "Die Disziplinarklage ist unbegründet", sagte nun die Vorsitzende Richterin Yvonne Wagner in Leipzig. Die Vorwürfe hätten nur teilweise bestätigt werden können. Zudem rechtfertigten sie keine zusätzlichen Maßnahmen. Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig.
Gegenstand des Disziplinarverfahrens war unter anderem eine Äußerung Maiers über den norwegischen Terroristen Anders Breivik, der 2011 in Oslo und auf der Insel Utøya 77 Menschen getötet hatte. Noch vor seiner ersten Bundestagskandidatur 2017 hatte Maier auf einer Veranstaltung mit dem Motto "Wir trauern um die Opfer der Multikulti-Politik" am 19. April 2017 im Heidekrug Cotta bei Dresden über Breivik gesagt, er sei "Massenmörder geworden, aber aus Verzweiflung" über Kulturfremde. Mit dieser Relativierung von Breiviks Schuld löste er große öffentliche Empörung aus.
Ebenso zur Last gelegt wurde ihm in dem Verfahren nach Auskunft eines Gerichtssprechers ein Facebook-Posting vom Herbst 2017. Darin forderte er im Hinblick auf das ZDF und seine Moderatorin Marietta Slomka, die Rundfunkgebühr abzuschaffen, ergänzt um die Forderung "Slomka entsorgen".
"Der kleine Höcke"
Auch wenn sich das sächsische Justizministerium nur in Teilen gegen den aus Bremen stammenden Maier durchsetzen konnte, zeigt das Verfahren: Eine Karriere in der AfD bleibt für Staatsdiener nicht ohne Risiko. Auch dem baden-württembergischen Staatsanwalt und Bundestagsabgeordneten Thomas Seitz legte das Landesjustizministerium zur Last, mit politischen Äußerungen das Mäßigungsgebot verletzt zu haben. 2021 entzog ihm ein Gericht den Beamtenstatus, Seitz kann damit nicht wieder als Staatsanwalt in die Justiz zurück.
Doch solche Urteile, in denen als AfD-Politiker tätige Beamte dienstrechtliche Konsequenzen hinnehmen müssen, sind bisher selten. Ein Versuch etwa, die Berliner Richterin und frühere Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann zu entlassen, scheiterte 2022. Obwohl das zuständige Dienstgericht sie als fremdenfeindlich einstufte, entschied es zu ihren Gunsten. Ende 2022 wurde Malsack-Winkemann sogar als Teil eines Reichsbürger-Komplotts wegen Terror-Verdachts verhaftet.
Wo der Jurist Maier politisch steht, ist deutlich erkennbar: Der Landesverfassungsschutz Sachsen führt Maier als Rechtsextremisten. Innerhalb und außerhalb der AfD wird er als "der kleine Höcke" bezeichnet. Maier sah in dem Thüringer Landeschef und Nationalisten Björn Höcke eine Art Vorbild. Zudem war er sächsischer Obmann des nationalistisch-völkischen Flügels um Höcke, bis der sich 2020 formell auflöste. Zu seinen Facebook-Freunden zählte unter anderem der NPD-Vorsitzende Frank Franz.
Der in der Bremer SPD politisch sozialisierte Politiker ging seit seinem Eintritt in die AfD stets an Grenzen, er zeigte sich offen radikal und fremdenfeindlich. So paktierte er mit der Pegida-Bewegung, auch zu Zeiten, in denen sich die AfD per Beschluss gezielt von der islamfeindlichen Bewegung abgrenzte. Eine muslimische Frau beschimpfte er auf Facebook als "Schleiereule". Seine Website bezeichnete er in NPD-Manier als "Netzseite".
AfD wollte Maier aus der Partei werfen
Die Beweislage in dem Leipziger Verfahren war schwierig. Denn was Maier über Breivik sagte, ist nicht mehr an Hand der Original-Quelle nachvollziehbar. Das rechtsextreme Compact Magazin, das die Veranstaltung online übertragen hatte, löschte das Video kurze Zeit später. Der Kontext seiner Äußerung fehlt daher. In einem Nachbericht auf seiner Website schrieb das Magazin, Maier habe "die Niedergeschlagenheit und Verzweiflung im Land" beschrieben, da "nicht nur in der Asylfrage, ein Abrutschen in die Gesetzlosigkeit drohe". Diese Zustände seien es, "die Massenmörder wie den norwegischen Nazi Anders Breivik ausbrüteten".
Das Leipziger Gericht versuchte mangels Original-Quelle den Vorwurf gegen Maier mittels Zeugen zu erhärten, wie der Gerichtssprecher sagte. Denn was Maier genau gesagt oder gemeint haben soll, sei strittig. Den Facebook-Post zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk habe Maier dagegen nicht bestritten. Einer der Zeugen ist Journalist und hatte über Maiers Rede im Internetauftritt des Vorwärts berichtet. Er soll die Rede damals im Livestream verfolgt und wortwörtlich mitgeschrieben haben. Über die Notizen aber, die er sich damals gemacht habe, verfüge er nicht mehr. Er habe seinen Computer und damit auch sämtliche darauf befindliche Dateien bei einem Arbeitgeberwechsel zurückgeben müssen. Maier warf dem Journalisten vor, er habe mit seinem Beitrag einen Skandal herbei schreiben wollen.
Wegen Maiers Äußerungen war auch die eigene Partei auf Distanz gegangen. So versuchte die AfD Sachsen noch 2017, ihn auf Grund dieser und anderer Äußerungen aus der Partei zu werfen. Unter anderem hatte Maier auf einer Rede vor Mitgliedern der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative im Januar 2017 im Dresdner Ballhaus die NPD gelobt; sie sei die einzige Partei, "die immer entschlossen zu Deutschland gestanden" habe. Damit habe er der Partei Schaden zugefügt, beklagten die Verfasser des Ausschlussantrages. Doch mit dem Austritt der damaligen Landeschefin Frauke Petry aus der AfD versandete das Verfahren.
Sächsische Justiz verhinderte Maiers Rückkehr ans Landgericht
2017 war Maier mit der AfD in den Bundestag eingezogen, als Direktkandidat im Stadtgebiet von Dresden. 2021 verlor er sein Mandat gegen den CDU-Kandidaten Markus Reichel. Die sächsische Justiz verhinderte im Anschluss Maiers Rückkehr ans Landgericht Dresden. Man hielt ihn wegen seiner Äußerungen vor seiner Zeit als Abgeordneter nicht mehr für tragbar und versetzte in zunächst an ein Amtsgericht südlich von Dresden, später in den Ruhestand. Maier klagte gegen seine Versetzung - ohne Erfolg, er zog bis vor den Bundesgerichtshof.
Maiers radikale Äußerungen als Abgeordneter kann ihm die Justiz nicht vorwerfen. Denn durch die Freiheit des Mandats sind Beamte in deutschen Parlamenten nicht ans Mäßigungsgebot gebunden. Gleichwohl tat die AfD in den vergangenen Jahren einiges, um die Staatsdiener in ihren Reihen auf die Beobachtung durch den Verfassungsschutz vorzubereiten - im Bewusstsein, dass auch hochrangige Funktionäre die Partei gezielt radikalisieren. So ließ sie unter anderem von dem Staatsrechtsprofessor Dietrich Murswiek Ende 2018 ein Gutachten erarbeiten, das die Folgen einer Beobachtung aufzeigt. In dem 36-seitigen Papier riet der Jurist Beamten in der Partei, "sich von verfassungsfeindlichen Kräften innerhalb der Partei entschieden abzugrenzen". Die entsprechenden Aktivitäten und Redebeiträge sollten dokumentiert werden, um im Falle eines Disziplinarverfahrens als Beweise zu dienen. Bewirkt hat das offenkundig wenig - der Verfassungsschutz stellte die AfD 2021 unter Beobachtung.
Vorübergehend sah es danach aus, dass Maier wieder im Bundestag auftauchen könnte und damit den Schutz des Mandats genießen. Da das sächsische Bundestagsfraktionsmitglied Mike Moncsek erfolgreich für den sächsischen Landtag kandidierte und entsprechend dem Willen der Parteispitze sein Bundestagsmandat aufgeben muss, rückte nach Auskunft der sächsischen Landeswahlleitung Maier nach. Doch die langwierige Regierungsbildung in Sachsen und die anberaumte Neuwahl im Bund verhindern nun eine langfristige Rückkehr. Und zur Neuwahl werde er aus gesundheitlichen Gründen nicht erneut antreten, sagte Maier Zeit Online.
Bildunterschrift: Der frühere AfD-Bundestagsabgeordnete und Richter Jens Maier behält seine Pensionsansprüche.
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