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9 Artikel , 25.11.2024 :

Pressespiegel überregional

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Übersicht:


Endstation Rechts., 25.11.2024.
Geplante Entführung von Karl Lauterbach / Reichsbürger aus dem Odenwald muss ins Gefängnis

die tageszeitung Online, 25.11.2024:
Geplante Entführung von Karl Lauterbach / Reichsbürger muss in Haft

Frankfurter Rundschau Online, 25.11.2024:
Haftstrafe für Reichsbürger

die tageszeitung Online, 25.11.2024:
Rechte Gewalt gegen Geflüchtete / Angriffe auf Unterkünfte nehmen zu

Norddeutscher Rundfunk, 25.11.2024:
"Heldengedenken" und "Deutschland zuerst" - AfD driftet weiter ins Völkische

Bayerischer Rundfunk, 25.11.2024:
"Ausländerfeindlich": Entsetzen über AfD-Papier zu "Remigration"

Deutschlandfunk, 25.11.2024:
Parteitag in Greding / Resolutionsbeschluss der AfD Bayern zur Abschiebung von Ausländern lässt bei vielen Schrecken aufkommen

die tageszeitung, 25.11.2024:
Mit radikalen Tönen gen Bundestagswahl

Der Tagesspiegel Online, 25.11.2024:
"Die AfD ist das Ende unserer Freiheit" / Demo gegen Rechts in Potsdam

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Endstation Rechts., 25.11.2024.

Geplante Entführung von Karl Lauterbach / Reichsbürger aus dem Odenwald muss ins Gefängnis

Zum vierten Mal ist ein Mitglied der als "Vereinte Patrioten" bekannten Reichsbürger-Verschwörung verurteilt worden: Wilhelm P. muss für zweieinhalb Jahre ins Gefängnis. Der 62-Jährige wollte in seiner Garage Waffen für die geplante Entführung von Gesundheitsminister Lauterbach lagern - und verbreitete in Chat-Gruppen Nazi-Symbole.

Joachim F. Tornau

Man muss als Richter genau hinhören können. Jürgen Bonk, Senatsvorsitzender am Oberlandesgericht in Frankfurt am Main, kann das ganz offensichtlich. Als er am Montag das Urteil gegen ein Mitglied jener Reichsbürger-Verschwörung verkündete, die unter anderem die Entführung von Gesundheitsminister Karl Lauterbach geplant hatten, begann er mit einem Zitat aus dem letzten Wort des Angeklagten. "Es ist besser, im System zu leben als dagegen anzukämpfen", hatte Wilhelm P. gesagt - und damit wohl Reue und Einsicht ausdrücken wollen.

Doch Richter Bonk verstand. "Da schwingt immer noch Skepsis an der Legitimität der Bundesrepublik mit", sagte er. "Es kommt zum Ausdruck, dass Sie mit dieser Gedankenwelt noch nicht ganz gebrochen haben." Gemeint war die Gedankenwelt aus Reichsbürger-Ideologie, NS-Verherrlichung und einem wilden Potpourri an Verschwörungserzählungen, die den 62-Jährigen aus Gorxheimertal im Odenwald dazu gebracht hatte, sich den "Vereinten Patrioten" anzuschließen. Wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens wurde der gelernte Kfz-Mechaniker nun zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.

Per Segelboot zu Putin

Neben der gewaltsamen Entführung des bei Corona-Leugnerinnen, -Leugnern verhassten SPD-Politikers hatten die "Vereinten Patrioten" mit Sprengstoffanschlägen für einen wochenlangen Stromausfall im ganzen Land sorgen wollen. Ihr Ziel: die angeblich illegitime Bundesregierung zu stürzen und die vermeintlich immer noch gültige Verfassung des deutschen Kaiserreichs von 1871 wieder in Kraft zu setzen. Wilhelm P. hatte unter anderem angeboten, seine Garage als Waffenlager zur Verfügung zu stellen. Außerdem war er bereit, mit einem Segelboot über die Ostsee zu schippern, um bei Russlands Präsident Wladimir Putin um Unterstützung für den Umsturz nachzusuchen.

"Sie wussten über den Tatplan in Gänze Bescheid", betonte Bonk. "Sie befanden sich auf der dritten, im Übergang zur zweiten Führungsebene." Über eine Gruppe von reichsbürgerlichen Corona-Leugnerinnen, -Leugnern namens "Kraftreich" war Wilhelm P. mit einem der Rädelsführer der "Vereinten Patrioten" in Kontakt gekommen - und in kürzester Zeit Feuer und Flamme. Er selbst hatte das als eine Art Hineinschlittern geschildert, befördert durch wirtschaftliche Probleme und exzessives Kiffen während der Pandemie. Doch es wirkt eher, als hätte er in den Mitverschwörerinnen, Mitverschwörern seine politische Heimat gefunden.

Radikalisierung auf Telegram

Wilhelm P. teilte Chats mit Nazi-Symbolen, widersprach nicht, wenn Menschen wegen ihrer Hautfarbe das Menschsein abgesprochen wurde, hielt persönlich Vorträge über die Verfassung von 1871. Und selbst dass die Erde eine Scheibe und der Mond ein Raumschiff sei, war Wilhelm P. nicht zu abstrus. Der Angeklagte habe sich "in den Wirren des Internets verfangen", formulierte Richter Bonk. Vor allem aber war er auf Telegram unterwegs: 1.332 Kontakte mit über 300.000 gesendeten und empfangenen Nachrichten seien auf seinem Handy gefunden worden.

Das Facebook-Profil des Angeklagten zeigt indes, dass der Fan von Donald Trump und Wladimir Putin auch vor Corona schon kein lupenreiner Demokrat war. Da gefielen ihm die AfD und andere rechtsextreme Hetz-Seiten. Er teilte Beiträge gegen Geflüchtete und solidarisierte sich mit dem Reichsbürger nahen Sänger Xavier Naidoo, als der 2017 seine antisemitische Verschwörungshymne "Marionetten" veröffentlicht hatte.

Urteil bereits rechtskräftig

Wilhelm P. ist das vierte verurteilte Mitglied der "Vereinten Patrioten". Die Strafen, die von verschiedenen Gerichten verhängt wurden, haben trotz der stets sehr ähnlich gelagerten Vorwürfe eine bemerkenswerte Bandbreite. Die Oberlandesgerichte in München und Hamburg ließen Mitverschwörer mit Bewährungsstrafen davonkommen, obwohl es in beiden Fällen auch um Waffen ging. Der bayerische Möchtegern-Umstürzler, der Neonazi Julian V., genannt "Landser", aus Wolfratshausen, hatte sogar angeboten, tonnenweise Waffen und Munition aus einem angeblich vergessenen NATO-Depot auf dem Balkan zu besorgen - allerdings ohne dem Taten folgen zu lassen.

Dagegen schickte das Oberlandesgericht Düsseldorf einen ehemaligen Bundestagskandidaten der Corona-Leugnerinnen, -Leugner-Partei "Die Basis" für zwei Jahre und zehn Monate ins Gefängnis: Marc G. hatte sich an Sprengstoffanschlägen auf Stromleitungen beteiligen wollen. Wobei auch diese Pläne bloß Theorie geblieben waren. Auf dasselbe Strafmaß hatte im Frankfurter Prozess gegen Wilhelm P. die Generalstaatsanwaltschaft plädiert, das Gericht blieb jedoch darunter - und unterbot damit sogar noch die Forderungen der Verteidigung. Der Staatsschutzsenat rechnete es Wilhelm P. hoch an, dass er schon im Ermittlungsverfahren alle Vorwürfe eingeräumt hatte. Weil sowohl Angeklagter als auch Anklagebehörde auf Rechtsmittel verzichteten, wurde das Urteil noch im Gerichtssaal rechtskräftig.

Mutmaßlicher Haupttäter spricht von "wahnsinnigen Ziele"

Gegen sieben weitere Mitglieder der "Vereinten Patrioten", darunter die mutmaßlichen Köpfe der Verschwörung, wird noch in zwei parallelen Prozessen in Koblenz verhandelt, zum Teil bereits seit anderthalb Jahren. Nach langem Schweigen hat hier mittlerweile auch der als Haupttäter geltende Thomas O. ein Geständnis abgelegt. Anders als die meisten seiner ehemaligen Mitstreiterinnen, Mitarbeiter verzichtete der 57-Jährige aus Neustadt an der Weinstraße dabei auf Beschönigungen oder ideologische Rechtfertigungen. Er bestätigte, dass die Reichsbürger-Vereinigung zum Erreichen ihrer, wie er sagte, "wahnsinnigen Ziele" Tote und Verletzte in Kauf genommen hätten. Er schäme sich dafür und wolle die "volle Verantwortung" übernehmen.

Bildunterschrift: Die Gruppe hätte laut Bundesanwaltschaft auch die Entführung von Karl Lauterbach geplant.

Bildunterschrift: Auf seinem Facebook-Profil teilte der Reichsbürger einen Aufruf über Xavier Naidoo.

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die tageszeitung Online, 25.11.2024:

Geplante Entführung von Karl Lauterbach / Reichsbürger muss in Haft

25.11.2024 - 17.38 Uhr

Ein Mitglied der terroristischen "Kaiserreichgruppe" ist zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Er wurde der Umsturzpläne für schuldig befunden.

Frankfurt am Main (epd). Ein mutmaßlicher Reichsbürger ist wegen der geplanten Entführung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am Montag zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Der 62-jährige Wilhelm P. sei schuldig befunden worden, sich als Mitglied an der terroristischen "Kaiserreichsgruppe" sowie an der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens gegen den Bund beteiligt zu haben, teilte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit.

Der Angeklagte aus dem südhessischen Landkreis Bergstraße habe sich ab Mitte März 2022 bis zur Zerschlagung der Vereinigung einen Monat später als Mitglied an einer Vereinigung beteiligt, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland habe beseitigen wollen, befand das Gericht. Diese sollte durch ein autoritär geprägtes Regierungssystem nach dem Vorbild des Deutschen Reiches von 1871 ersetzt werden. P. habe seine Bereitschaft erklärt, daran mitzuwirken und Waffen in seiner Garage zu lagern.

Bundesweiter Stromausfall

Die Verschwörer hatten laut Urteil vor, durch Sprengstoffanschläge auf die Energieversorgung einen wochenlangen bundesweiten Stromausfall herbeizuführen. Die Bevölkerung hätte von der Medienberichterstattung abgeschnitten werden sollen. Die Vereinigung habe geplant, Lauterbach unter Anwendung von Waffengewalt zu entführen. Schließlich habe die Gruppe eine Verfassung nach dem Vorbild der deutschen Reichsverfassung aus dem Jahr 1871 in Kraft setzen wollen.

Zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigte das Gericht dessen Geständnis. P. hatte eingeräumt, einen großen Fehler gemacht zu haben. Der Verurteilte kam im Oktober 2023 in Untersuchungshaft und bleibt in Haft. Das Urteil ist rechtskräftig.

Bildunterschrift: Sollte entführt werden: Gesundheitsminister Karl Lauterbach.

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Frankfurter Rundschau Online, 25.11.2024:

Haftstrafe für Reichsbürger

25.11.2024 - 17.13 Uhr

Von: Stefan Behr

Urteil im Prozess um geplante Lauterbach-Entführung

Das Frankfurter Landgericht hat am Montag einen 62 Jahre alten "Reichsbürger" zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt. Der Senat sprach den Mann aus dem südhessischen Gorxheimertal wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sowie Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens gegen den Bund schuldig.

Der von Prozessbeginn an geständige Mann war Teil der so genannten Kaiserreichsgruppe, die einen Umsturz herbeiführen und die Reichsverfassung von 1871 restaurieren wollte. Als Etappen auf dem Weg zu ihrem Ziel plante die Gruppe etwa die Herbeiführung eines landesweiten Blackouts durch die Sprengung diverser Strommasten und - nicht weniger spektakulär - die Entführung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach aus einer Talkshow.

Im April 2022 flog die Gruppe, die schon länger von der Polizei beobachtet worden war, endgültig auf, als sie Waffen von einem verdeckten Ermittler kaufte. Gegen die mutmaßlichen Rädelsführer wird derzeit vor dem Oberlandesgericht Koblenz verhandelt. Innerhalb dieser Gruppe war der nun verurteilte Odenwälder bloß ein vergleichsweise kleines Licht: Er hatte seine Garage als Waffenlager angeboten, als solches war diese dann aber nie genutzt worden.

Der Vorsitzende Richter Jürgen Bonk, der derzeit auch den Prozess in Sossenheim gegen die "Reichsbürger"-Truppe um Prinz Reuß leitet, zitierte zu Beginn seiner Urteilsbegründung einen Satz, den der Angeklagte am jüngsten Verhandlungstag von sich gegeben hatte: "Es ist besser, mit dem System zu leben, als dagegen anzukämpfen."

Das mache deutlich, so Bonk, dass der Weg des Angeklagten aus dem verschwörungstheoretischen Morast "noch keineswegs vollständig abgeschlossen" sei. Und in dem steckte der Mann tief, der durch die Pandemie an eine "Corona-Selbsthilfegruppe" namens "Kraftreich" geraten und durch diese immer tiefer ins Milieu gerutscht war. Kein esoterischer Wutbürger-Bullshit, dem der 62-Jährige irgendwie aus dem Weg gegangen wäre: Von schlimmsten rassistischen Ausfällen über die gängigen Chemtrails- und Q-Anon-Mythen bis hin zu solch absonderlichen Vorstellungen, dass die Erde eine Scheibe und der Mond ein Raumschiff sei, war in den Chats, an denen er sich beteiligte, alles dabei.

Viele Ansichten des Angeklagten seien "abstoßend und menschenverachtend" gewesen, so Bonk, andere einfach nur plemplem, aber keine dieser Ansichten sei per se strafbar. Im Gegensatz zu der geplanten Entführung, bei der der Tod von Lauterbachs Personenschützern zumindest in Kauf genommen worden sei - auch wenn sie noch so dilettantisch geplant gewesen sein möge.

Auslöser für die Radikalisierung des Mannes waren erhebliche finanzielle Schwierigkeiten gewesen, in die er nicht zuletzt durch die Pandemie geraten war. Seine ohnehin "regierungskritische" Einstellung sei dadurch nicht milder geworden, auch habe er zusehends mehr Marihuana geraucht, was auch keine geistige Klarheit brachte. Mit dem Gesetz war er zuvor noch nie in Konflikt geraten. Vor Gericht hatte er seine Taten bereut - nicht zuletzt auch, weil sie ihn für so lange Zeit von seiner Frau, seiner Tochter und den zwei Enkelkindern getrennt hätten.

Die Reue hatte ihm auch die Generalstaatsanwaltschaft abgenommen, die zuvor in ihrem Plädoyer eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten gefordert hatte. Ausdrücklich hatten die Ankläger das kooperative und respektvolle Prozessverhalten des Angeklagten gelobt - in Prozessen dieser Art ist beides keine Selbstverständlichkeit.

Der 62-Jährige, der seit mehr als einem Jahr in Untersuchungshaft sitzt, bleibt vorerst im Gefängnis, der Senat ordnete die Haftfortdauer an. Da sowohl die Generalstaatsanwaltschaft als auch die Verteidigung unmittelbar nach dem Urteil noch im Gerichtssaal Verzicht auf Rechtsmittel ankündigten, ist das Urteil rechtskräftig.

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die tageszeitung Online, 25.11.2024:

Rechte Gewalt gegen Geflüchtete / Angriffe auf Unterkünfte nehmen zu

25.11.2024 - 14.03 Uhr

Bis zum Oktober gab es im Jahr 2024 schon fast so viele Attacken auf Unterkünfte wie 2023. Angriffe auf Geflüchtete selbst gehen vorerst zurück.

Von Frederik Eikmanns

Berlin (taz). Schon jetzt ist absehbar, dass die Zahl von Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte dieses Jahr deutlich höher liegen wird als im Vorjahr. Das zeigen Hochrechnungen auf der Basis von Zahlen, die die Linken-Abgeordnete Clara Bünger bei der Bundesregierung erfragt hat. Bünger sagte der taz: "Die Bewohner und Bewohnerinnen dieser Orte sind auf Grund ihrer Fluchterfahrung besonders vulnerabel und brauchen Schutz und Sicherheit statt ständiger Übergriffe." Gleichzeitig sinkt die Zahl der Angriffe auf Geflüchtete außerhalb der Unterkünfte offenbar.

Aus der Antwort der Bundesregierung geht zunächst hervor, dass es zwischen Juni und September insgesamt 19 Angriffe auf Geflüchteten-Unterkünfte gab, wobei 8 Personen verletzt wurden. Das sind deutlich weniger Angriffe als im ersten (72) und zweiten Quartal (64). Allerdings fehlen für das dritte Quartal bisher noch die Nachmeldungen, die die Zahlen oft mehr als verdoppeln.

Aber auch so lässt sich schon absehen, dass die Gesamtzahl für 2024 deutlich höher liegen dürfte als für 2023. Damals wurden für das gesamte Jahr mit Nachmeldungen insgesamt 167 Angriffe auf Unterkünfte registriert, für das laufende Jahr sind es von Januar bis Oktober schon 155, wobei es sich eben noch um vorläufige Zahlen handelt, die noch steigen dürften.

Bünger sagte dazu: "Diese Übergriffe sind das direkte Ergebnis einer politischen Rhetorik, die von rechten Parteien und ihren Unterstützern und Unterstützerinnen geschürt wird." Sie macht dafür aber auch SPD, Grüne und FDP verantwortlich: "Die Migrationspolitik der Ampel-Koalition hat in den letzten Jahren Angst und Ausgrenzung gefördert und damit das Klima für solche Angriffe geschaffen."

20 Prozent aller Attacken in Brandenburg

Aus der Antwort der Bundesregierung geht aber auch hervor, dass es zuletzt weniger Angriffe auf Geflüchtete außerhalb ihrer Unterkünfte gab. Wurden im Vorjahr noch fast 2.500 solcher Attacken registriert, sind es 2024 bis einschließlich Oktober "nur" etwa 1.200. Aber auch hier fehlen für das dritte Quartal noch die Nachmeldungen.

Zu den sinkenden Zahlen sagt Bünger: "Wir müssen uns schon fast darüber freuen." Und weiter: "Das ist katastrophal und traurig, denn jeder Angriff ist einer zu viel." Sie verweist auch auf die geografische Verteilung der Vorfälle: Während in Sachsen nur 5 Prozent aller Geflüchteten leben, entfallen über 12 Prozent aller Angriffe auf dieses Bundesland. Das Bild in Brandenburg ist noch dramatischer. Hier leben lediglich rund 3 Prozent aller Asylbewerberinnen, Asylbewerber, gleichzeitig finden fast 20 Prozent aller Attacken hier statt.

Bildunterschrift: Mögliche Einschusslöcher in einer Jalousie einer Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Marienfelde haben zu einem Polizeieinsatz geführt.

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Norddeutscher Rundfunk, 25.11.2024:

"Heldengedenken" und "Deutschland zuerst" - AfD driftet weiter ins Völkische

25.11.2024 - 16.11 Uhr

Die Landes-AfD übernimmt immer stärker Handeln und Sprache der ehemaligen NPD. Das hat sich am Wochenende nicht nur beim Parteitag in Neubrandenburg gezeigt, sondern auch bei den Aktionen rund um den zurückliegenden Volkstrauertag.

Von Stefan Ludmann, eine Analyse

Der AfD-Kreisverband Rostock hat jüngst ein Foto veröffentlicht, das den Landtagsabgeordneten Michael Meister zeigt. Zu sehen ist, wie Meister beim Volkstrauertag einen Kranz mit Trauerschleifen in blauer Parteifarbe und in Schwarz-Rot-Gold trägt. In Frakturschrift ist zu lesen: "Ewig lebt der Totentatenruhm!" Der Spruch stammt aus der Neonazi-Szene und dient dazu, Verbrechen von Hitlers Wehrmacht zu verherrlichen. Die Neonazi-Kleinpartei "III. Weg" nutzt ihn ebenso wie NS-Szene-Shops, die T-Shirts mit dem Spruch und Bildern von Männern der Waffen-SS verkaufen. Vor Jahren fiel auch die rechtsextreme NPD mit solchen Aussagen auf - die AfD hat sie übernommen.

Begrüßung für Rechtsextreme

Der Rostocker Abgeordnete Meister war am Wochenende beim AfD-Parteitag in Neubrandenburg dabei. Die Versammlung bestimmte die Kandidaten für die bevorstehende Bundestagswahl. Wie viele andere begrüßte Meister dort Parteifreunde, die in der rechtsextremen Szene gut bekannt sind. Den ehemaligen Chef der Identitären Bewegung, Daniel Fiß, zum Beispiel oder das Ex-Nordkreuz-Mitglied Haik Jäger, der wegen Verstößen gegen das Waffengesetz verurteilt wurde und den das Innenministerium aus dem Polizeidienst entfernen will. Beide gehörten mit zu den gut 450 Mitgliedern, die immer wieder völkisch-nationalistischen Aussagen applaudierten.

AfD-Politiker sieht Partei im "politischen Krieg"

Ein Beispiel lieferte Dietmar Friedhoff, AfD-Fraktionschef im Kreistag Ludwigslust-Parchim. Friedhoff ist über die Landesliste Niedersachsen 2021 in den Bundestag eingezogen, Mecklenburg-Vorpommern ist seine neue Heimat. Den Parteitag versuchte er mit martialischen Tönen einzuschwören: "Wir befinden uns in einem politischen Krieg. Es ist ein Krieg gegen unsere Werte, gegen unsere Heimat, gegen unser Deutsch-Sein", behauptete Friedhoff im Stil eines Gotteskriegers. In diesem Krieg seien "politische Kämpfer, politische Krieger" nötig. Friedhoff meinte die AfD-Abgeordneten im Bundestag. Die müssten "Mut, Disziplin und Ausdauer" haben.

Aussagen wie bei der NPD

Friedhoff ging mit seiner Kriegsrhetorik noch weiter. Die AfD müsse nach der Bundestagswahl "im Angriffsmodus" bleiben. Der 58-jährige gebürtige Westfale nannte die Migration "eine Waffe" der anderen. Der Wahlkampf werde deshalb zu "einem Kampf um das Überleben unserer deutschen Nation". Unter dem Beifall des Parteitags forderte er "Remigration, klar und unmissverständlich, jetzt und sofort" - also die willkürliche Abschiebung von Menschen, ohne Rücksicht auf Einzelschicksale, müsse das Ziel bleiben. Das "Sozialamt Deutschland" sei zu schließen. Auch diese Passage ist der NPD entlehnt.

Komning will "Deutschland zuerst"

Beifall für Nationalistisches und Deutschtümelei gab es auch für den Neubrandenburger Bundestagsabgeordneten Enrico Komning, der einer extrem rechten Burschenschaft angehört. Komning sagte, die AfD wolle das Beste "für unser Land, für unser Volk, für unsere Traditionen und für unsere Nation". Und er legte im Stil eines lupenreinen Nationalisten noch nach: "Das Eigene gehört uns, das Eigene sind wir selbst. Wir werden das Eigene verteidigen, komme, was da wolle." Und er schloss mit dem Spruch: "Deutschland zuerst."

"Angriff auf das, was Deutschland auszeichnet"

Für den Berliner Politikwissenschaftler Professor Hajo Funke sind diese Aussagen keine Überraschung. "Das ist ein massiver Angriff auf das, was Deutschland auszeichnet", sagte er mit Hinweis auf die Forderung der "Remigration". Die AfD habe seit einiger Zeit eine eindeutig rassistisch-völkische Ausrichtung, sagte Funke. Deshalb stütze die Partei die besonders Radikalen um den Thüringer Parteichef Björn Höcke. Wegen ihrer Gefährlichkeit sei die Brandmauer der anderen Parteien besonders wichtig.

Rechtsextremist mit bestem Ergebnis

Der AfD-Abgeordnete Komning wurde in Neubrandenburg auf Listenplatz 2 gewählt - er hatte keinen Gegenkandidaten. Das galt auch für Dario Seifert auf Listenplatz 3. Der AfD-Fraktionschef in der Stralsunder Bürgschaft gab sich auf dem Parteitag gewohnt völkisch. Er wolle keine westdeutschen Verhältnisse in Mecklenburg-Vorpommern, sagte er unter dem Beifall der Mitglieder: "Ich möchte, dass Deutschland auch in Zukunft das Land der Deutschen bleibt." Seiferts Rechtsextremismus hat sich beispielsweise erst beim vergangenen Volkstrauertag, an dem aller Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft gedacht wird, gezeigt. Seifert tat das im Stil des "Heldengedenktags" der Nationalsozialisten und griff auf die Sprache der Nazis zurück, indem er ausschließlich "in tiefer Ehrfurcht an die tapferen Helden unseres Volkes" erinnerte - gemeint ist Hitlers Wehrmacht. Beim Parteitag in Neubrandenburg bekam Seifert mit 429 Stimmen das beste Ergebnis überhaupt.

Verfassungsschutz stuft JA als rechtsextrem ein

Seifert gehört dem mitgliederstärksten Kreisverband Vorpommern-Rügen an. Der hat von rund 1.500 AfD-Anhängern gut 430 in seinen Reihen. Der Stralsunder hat außerdem den Rückhalt der Jungen Alternativen (JA), dessen Gründungsvorsitzender er in Mecklenburg-Vorpommern war. Das Bundesamt für Verfassungsschutz stuft die JA als gesichert rechtsextremistisch ein. Das Verwaltungsgericht Köln hat diese Einschätzung bestätigt: Die JA vertrete "einen völkisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff. Der Erhalt des deutschen Volkes in seinem ethnischen Bestand und nach Möglichkeit der Ausschluss "ethnisch Fremder" ist eine zentrale politische Vorstellung der JA. Dies stellt einen Verstoß gegen die Menschenwürde dar", entschieden die Richter im Februar.

AfD hat kein Problem mit der JA

Die Landes-AfD stört das nicht. Im Gegenteil: Vor allem Landtagsabgeordnete suchten in Neubrandenburg den Schulterschluss mit der JA. Ein blaues T-Shirt mit dem JA-Flammen-Symbol, das faschistischer Bildersprache entlehnt ist, war heiß begehrt. Wegen großer Leibesfülle musste ein Abgeordneter allerdings den Versuch, das rechtsextreme Bekenntnis überzustreifen, erfolglos abbrechen. Andere stellten sich dagegen blau gekleidet und gut gelaunt zum Gruppenfoto. Öffentliche Kritik an der JA war unerwünscht. Der ehemalige JA-Chef Robert Schnell, der in Neubrandenburg auf Listenplatz 6 gewählt wurde, diffamierte vom Rednerpult aus beispielsweise namentlich einen Journalisten für kritische Berichterstattung zur JA. Die "Jungs von der JA" seien nicht rechtsextrem, sondern sie hätten "nur extrem viel recht", rief er unter dem Beifall des Parteitags. Die JA sei "ein wichtiger Motor für die Partei", meinte Schnell. Er werde "immer zur JA stehen".

"Rechtsextremismus-Stempel zieht nicht mehr"

Die Politikwissenschaftlerin an der Universität Trier, Dr. Anna-Sophie Heinze, machte klar, dass die JA vor allem bei Jungwählern längst nicht mehr abstoßend wirke. Die Organisation sei bei jungen Menschen "relativ erfolgreich", das hätten auch die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg gezeigt. Für die Spitze der AfD sei es mittlerweile "zu spät, um sich glaubhaft abzugrenzen" vom Rechtsextremismus der JA. Allerdings würden ohnehin rund 80 Prozent der eigenen Anhänger erklären, es sei ihnen egal, dass die AfD in Teilen als rechtsextrem gilt. "Der Stempel des Rechtsextremismus zieht nicht mehr", sagte Heinze.

Holm sucht Pakt mit JA-Frontmann

Wie eng die Landes-AfD mit der rechtsextremen JA verbunden ist, zeigt auch der Beschluss, die Jugendorganisation mit ihrem Vorsitzenden Alexander Tschich stärker zu fördern. Die Partei stockt ihre finanzielle Hilfen von 1.500 auf 5.000 Euro auf. Auch personell rückt man zusammen. Der AfD-Landeschef Leif-Erik Holm hat offenkundig ein Bündnis mit dem Frontmann Seifert geschlossen. Seifert schlug Holm für Listenplatz 1 vor, Holm warb nach erfolgreicher Wahl für Seifert auf Listenplatz 3. Beide umarmten sich demonstrativ.

Aus Widersachern werden Bündnispartner

Dabei waren Holm und Seifert vor einiger Zeit noch erbitterte Gegner. Holm wollte Seifert wegen angeblich zu großer Nähe zu Rechtsextremen aus der Partei werfen lassen. Das Ausschlussverfahren verlief allerdings im Sande. Das Landesschiedsgericht verhängte dennoch eine Ämtersperre gegen Seifert. Er darf keine parteiinternen Funktionen annehmen - wohl aber für politische Mandate kandidieren. Seifert ist beispielsweise Direktkandidat für den Wahlkreis Rügen-Stralsund. Das war bisher Holms Wahlkreis, er tritt jetzt in Westmecklenburg an.

Holm vor Scheitern?

Für Holm könnte der Wechsel zum Verhängnis werden, denn Westmecklenburg gilt anders als Vorpommern nicht als AfD-Hochburg. Wenn seine AfD bei der Wahl mehrere Direktmandate gewinnt, könnte am Ende die Liste "nicht ziehen". Trotz Spitzenkandidatur würde Holm dann leer ausgehen und möglicherweise aus dem Bundestag fliegen. Sein Paktieren mit den Rechtsextremen in der AfD wäre damit gescheitert.

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Bayerischer Rundfunk, 25.11.2024:

"Ausländerfeindlich": Entsetzen über AfD-Papier zu "Remigration"

25.11.2024 - 20.20 Uhr

"Remigration" als Staatsziel, millionenfache Ausweisungen - auch bei mangelnder "Integrationsfähigkeit": Ein Papier der bayerischen AfD stößt auf viel Kritik. Innenminister Herrmann beklagt eine "ausländerfeindliche Politik", die Grünen warnen.

Von Petr Jerabek

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) zeigt sich entsetzt über einen Beschluss der bayerischen AfD zur "Remigration". Das gesamte Papier mache deutlich, "dass die AfD unter Remigration eine extrem ausländerfeindliche und zum Teil auch rassistische Politik versteht", sagt Herrmann im BR-Interview. "Das ist indiskutabel." Der AfD-Beschluss sei "überhaupt nicht mit unseren Grundsätzen von Humanität und Ordnung zu vereinbaren".

Die AfD hatte am Wochenende auf einem Landesparteitag in Greding mit großer Mehrheit eine "Bayerische Resolution für Remigration" beschlossen. Kurzfristig eingebracht wurde sie von Landesvize Rainer Rothfuß: Dieses "rechtswidrige Überfluten unseres Landes" mit Migranten müsse ein Ende haben, "illegale Migration" müsse "rückabgewickelt" werden, forderte er in seiner Rede.

AfD: Millionenfache Ausweisung als Staatsziel

In dem Papier verlangt die AfD eine "Remigrationsagenda", "um dem Staatsziel einer umfassenden Remigration im Millionenbereich für die kommenden zehn Jahre gerecht zu werden". Asylsuchende sollen demnach "umgehend in ein außereuropäisches Schutzzentrum" gebracht werden. Auch wenn Flüchtlinge aus außereuropäischen Staaten Anspruch auf Schutz vor Verfolgung haben, sollen sie laut AfD nicht auf europäischem Territorium leben, sondern "ausschließlich außerhalb Europas in heimatnahen Schutzzentren oder in sicheren Teilgebieten des Herkunftslandes".

Außerdem verlangt die AfD die "Rückführung" von "Personengruppen mit schwach ausgeprägter Integrationsfähigkeit und -willigkeit" in ihre Heimat. Wann eine fehlende Integrationsfähigkeit vorliegt, lässt das Papier offen. Auch will es die AfD ermöglichen, die deutsche Staatsbürgerschaft "bei schweren Verstößen gegen das geltende Recht" wieder zu entziehen.

Der Ex-AfD-Landtagsabgeordnete Uli Henkel rief in der Debatte: "Der Begriff Remigration ist ein Markenzeichen - wie Tempotaschentücher." Als "enorm wichtiges Signal" bezeichnete in Sozialen Medien der AfD-Abgeordnete Richard Graupner die Resolution: "Wir lassen uns die Deutungshoheit über den Begriff - als Markenkern der AfD - nicht nehmen!"

Herrmann: So können wir die Zukunft nicht gestalten

Die bayerische Staatsregierung fordert laut Herrmann zwar, dass Menschen mit doppelter Staatsangehörigkeit im Fall einer schweren Straftat die deutsche entzogen werden sollte. International unzulässig sei aber, "Staatenlose zu produzieren". Einem originär Deutschen könne die Staatsbürgerschaft grundsätzlich nicht aberkannt werden.

Zudem blende das AfD-Papier aus, "dass wir auch für unseren Arbeitsmarkt Menschen brauchen, dass wir qualifizierte Zuwanderung brauchen", betont der CSU-Politiker. "Es wird nur davon gesprochen, Ausländer rauszuschmeißen. Und so können wir die Zukunft unseres Landes nicht gestalten."

Grüne: AfD-Verbot vorantreiben

Für die bayerische Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Schulze zeigt die AfD erneut ihr wahres Gesicht: "Sie ist rassistisch, sie ist rechtsextrem." Auf Bundesebene müsse das Prüfverfahren für ein AfD-Verbot vorangetrieben werden.

Während sich AfD-Landesvize Rothfuß in Greding dagegen verwahrte, dass von AfD-Deportationsplänen die Rede sei, erneuert Schulze den Vorwurf: Mit der Verwendung des Begriffs der "Remigration" wolle die AfD ihr eigentliches Vorhaben verschleiern. Deswegen müsse man klar benennen, was die AfD-Pläne bedeuten: "nämlich die millionenfache Ausweisung, Deportation von Menschen, die hier leben."

Auch die Chefin der Grünen-Bundestagsfraktion, Britta Haßelmann, rief dazu auf, die Demokratie zu verteidigen. Im Kurznachrichtendienst X schrieb sie: "Die AfD schmiedet ihre Deportationspläne nicht mehr in Geheimtreffen wie in Potsdam, sie beschließt das auf Parteitagen wie jetzt in Bayern."

Politologe: "Remigration" soll salonfähig werden

Philipp Adorf, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn, erläutert, der Begriff "Remigration" sei in der Vergangenheit eher in rechten und rechtsradikalen Kreisen populär gewesen. Die bayerische Resolution sei ein Versuch, Begriff und Konzepte dazu in den "Mainstream" zu bringen und salonfähig zu machen. Dabei müsse man berücksichtigen, dass die Basis für das Konzept der Remigration "Verschwörungserzählungen zu einem Bevölkerungsaustausch" seien.

Mit dem Beschluss wolle der Landesverband auch die Bundes-AfD dazu bewegen, "Remigration" im Wahlkampf zu thematisieren. Während Teile der AfD den Begriff lediglich als Ausdruck für eine Abschiebe-Offensive verwendeten, greife die bayerische Resolution eine Interpretation auf, die von rechten Aktivisten und der Identitären Bewegung propagiert werde, sagt der Politologe. In diesen Schriften gehe es um ein Konzept, das eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft wolle, "in der einzelne Personen ausgegrenzt werden sollen, in der deutsche Staatsbürger zu Staatsbürgern zweiter Klasse gemacht werden sollen – einfach nur aufgrund ihres ethnischen Hintergrundes".

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Deutschlandfunk, 25.11.2024:

Parteitag in Greding / Resolutionsbeschluss der AfD Bayern zur Abschiebung von Ausländern lässt bei vielen Schrecken aufkommen

Der Beschluss der bayerischen AfD zur massenhaften Abschiebung von Ausländern hat in Teilen der Bevölkerung für Erschrecken gesorgt.

Grünen-Bundestagsfraktionschefin Hasselmann teilte mit, die Partei schmiede ihre "Deportationspläne nicht mehr in Geheimtreffen" wie vor einem Jahr in Potsdam, sondern auf Parteitagen. Der Linken-Politiker Riexinger warnte, unter die Formulierung "schwach ausgeprägte Integrationsfähigkeit und -willigkeit" könnten alle fallen - auch Deutsche mit Migrationshintergrund. Wer als Migrant denke, er selbst sei nicht gemeint, "könnte ein böses Erwachen erleben", führte Riexinger mit Blick auf Wählerstimmen für die AfD von Zuwanderern aus.

Örtliche Medien wie die Nürnberger Nachrichten sprachen von einem Besorgnis erregenden Grad der Radikalisierung der AfD. Die "Frankfurter Allgemeine" sprach von "populistisch-völkischer Schäbigkeit", die bayerische AfD halte "stramm Kurs" nach Rechtsaußen.

AfD: "Deutschland darf nicht zur Hängematte für die ganze Welt werden"

Die bayerische AfD hatte am Wochenende auf ihrem Landesparteitag in Greding eine Resolution zur massenhaften Abschiebung von Ausländern beschlossen. In dem Papier setzt sich der Landesverband sowohl dafür ein, straffällig gewordene Migranten abzuschieben als auch Menschen, die mangelnde Integrationsbereitschaft zeigen. Für sie fordert die AfD Bayern - so wörtlich - "obligatorische Rückkehrprogramme" in die Heimatländer. Nach ihrer Ausreise sollen sie Unterstützungsleistungen erhalten.

Der stellvertretende Landesvorsitzende Rothfuß sagte auf dem Parteitag in Greding, Deutschland dürfe nicht zu "einer Hängematte für die ganze Welt" werden.

Beschluss kurz vor Jahrestag des Potsdamer Treffens

Heute am 25. November jährt sich der Jahrestag des so genannten Potsdamer Treffens zum ersten Mal. AfD-Politiker sowie einzelne Mitglieder der CDU und der Werteunion hatten sich damals mit dem Rechtsextremisten Martin Sellner getroffen. Das Medienhaus Correctiv machte im Januar dieses Jahres auf das Treffen aufmerksam. Monatelange Massenproteste in ganz Deutschland folgten. Sellner sprach damals nach eigenen Angaben über die so genannte Remigration. Wenn Rechtsextremisten den Begriff verwenden, meinen sie in der Regel, dass eine große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen soll - auch unter Zwang.

Die Gredinger Resolution der AfD bezeichnete Sellner als "Fanal"; er äußerte sich auf Englisch und sprach von "beacon".

Bildunterschrift: Rainer Rothfuß, MdB der AfD und stellvertretender Landeschef der AfD Bayern.

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die tageszeitung, 25.11.2024:

Mit radikalen Tönen gen Bundestagswahl

Die AfD Bayern verabschiedet eine "Resolution für Remigration", auch anderenorts punkten Partei-Radikale

Von Gareth Joswig

Die AfD lässt wiedermal die Maske fallen: Ihr bayerischer Landesverband beschloss am Samstag auf einem Parteitag in Greding eine "Bayerische Resolution für Remigration". Damit sollen massenhaft Migranten aus Deutschland "rückgeführt" werden, darunter auch "Personengruppen mit schwach ausgeprägter Integrationsfähigkeit". Asylsuchende sollen ihre Verfahren nicht mehr auf deutschem Boden, sondern in "Schutz- und Entwicklungszonen außerhalb Europas" durchlaufen.

Die bayerische Parteispitze steht schon länger dem extremen Höcke-Lager in der AfD nahe. Der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke hatte bereits 2018 über ein "großangelegtes Remigrationsprojekt" geschrieben. Ende 2023 hatten Rechtsextreme dann auf einem Geheimtreffen in Potsdam über einen "Masterplan zur Remigration" diskutiert.

Bundesweit bringt sich die Partei derzeit für die Bundestagswahl in Stellung. In Brandenburg wurde am Samstag Landeschef René Springer an die Spitze der Landesliste gewählt, gefolgt vom Ex-Soldaten Hannes Gnauck und dem AfD-Fraktionsvize im Bundestag, Norbert Kleinwächter. Auch die dortigen Bewerbungsreden waren von apokalyptischen Szenarien und offener System-Opposition geprägt.

Der AfD-Europa-Abgeordnete Maximilian Krah bringt sich derweil für eine Kandidatur im Chemnitzer Land in Stellung. Es ist der Wahlkreis des CDU-Manns Marco Wanderwitz, der wegen Anfeindungen gerade seinen Rückzug aus der Politik bekannt gab. Bereits zuletzt gewann dort die AfD. In der Parteiführung freut man sich nicht über Krahs Kandidatur, der zuletzt mit SS-Verharmlosung und einem Spionage- und Korruptionsverdacht aufwartete. Alice Weidel und Tino Chrupalla hatten sich erfolgreich gegen Krahs Aufnahme in die AfD-Delegation im EU-Parlament gestellt. Danach gab es offenen Streit quer durch alle Fronten.

Auch Höcke hält sich bisher eine Kandidatur für den Bundestag offen. Sein Co-Landeschef Stefan Möller sagte der taz, dass dies zumindest eine Option sei, über die Höcke seit Wochen intensiv nachdenke. In den nächsten Tage falle eine Entscheidung. Zudem will offenbar auch der 83-jährige AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland laut Medienberichten nochmal in einem Direktwahlkreis antreten. Dies nicht mehr in Brandenburg, sondern als Direktkandidat in Sachsen - und zwar im
Nachbarwahlkreis von Krah: in Chemnitz. Vor einigen Wochen hatte Gauland noch dementiert, erneut für den Bundestag kandidieren zu wollen. (mit dpa)

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Der Tagesspiegel Online, 25.11.2024:

"Die AfD ist das Ende unserer Freiheit" / Demo gegen Rechts in Potsdam

25.11.2024 - 20.53 Uhr

Ein Jahr nach dem Geheimtreffen von Rechtsextremen in der Villa Adlon wurde auf dem Alten Markt gegen die AfD und eine Spaltung der Gesellschaft demonstriert.

Von Klaus D. Grote

Genau ein Jahr nach dem Treffen von Rechtsextremen sowie Politikern von AfD und CDU in der Villa Adlon, bei der über eine massenhafte Abschiebung von Menschen aus Deutschland gesprochen wurde, hat mehrere hundert Menschen am Montagabend auf dem Alten Markt in Potsdam gegen Rechtsextremismus demonstriert. "Wir sind gekommen, um die Demokratie zu verteidigen", hieß es. Die Moderatorinnen sprachen von 700 Teilnehmenden. Den Rednerinnen und Redner ging es vor allem um eine klare Abgrenzung und Bekämpfung der in Teilen rechtsextremen AfD.

Valerie Reichardt von der Grünen Jugend sprach sich klar und unter lautem Applaus für ein AfD-Verbotsverfahren aus. Eine der "Omas gegen Rechts" sagte, „die AfD ist keine Protest-Partei. Sie ist das Ende unserer Freiheit." Eli Wersich von Fridays for Future Potsdam appellierte an die demokratischen Parteien, nicht mehr "den Narrativen der AfD hinterher zu rennen". Dem schloss sich Ilias Zander von den Potsdamer Jusos an: "Es wird höchste Zeit, mit dem Scheiß aufzuhören. Das sage ich auch meiner SPD." Andro Heinz, Kreisvorsitzender der Jungen Union, sprach sich für die Brandmauer zur AfD aus: "Wir werden sie verteidigen."

Marie Jakob von den Jusos sagte mit Blick auf den hohen Anteil junger AfD-Wähler in Brandenburg, die Politik habe jahrzehntelang die Bedürfnisse junger Menschen ignoriert. "Es ist die Pflicht demokratischer Parteien, das zu ändern", rief sie. Ilias Zander räumte ein, angesichts der starken AfD-Wahlergebnisse auch Angst zu haben. "Ich habe Angst, dass queeres Leben bald nur noch im Verborgene stattfindet und dass meine marokkanische Mutter abgeschoben wird." Ein Geflüchteter erklärte anschließend, dass zum Kampf für Demokratie auch der Kampf für das Recht auf Asyl gehöre.

Dem Bündnis, das zur Demo aufrief, gehören der Nachwuchs von SPD, Grünen und Linken, Fridays for Future, die Naturschutzjugend, "Omas gegen Rechts" und "Potsdam bekennt Farbe" an.

Nachdem das Recherche-Netzwerk Correctiv Anfang Januar über die rechtsextremen Deportationspläne berichtet hatte, gab es bundesweit Großdemonstrationen mit insgesamt mehr als drei Millionen Teilnehmern. In Potsdam protestierten am 14. Januar auf dem Alten Markt etwa 10.000 Menschen, darunter Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne).

Im aktuellen Landesverfassungsschutzbericht Brandenburgs heißt es zu dem geheimen Treffen in der Villa Adlon: "Gekennzeichnet war diese Veranstaltung von einem Zusammenwirken verschiedener Akteure des entgrenzten Rechtsextremismus." Der dort anwesende österreichische Rechtsextremist Martin Sellner betreibe als "ideologischer Stichwortgeber" seit Jahren die Verschiebung des migrationspolitischen Diskurses in Richtung einer Normalisierung rechtsextremer Positionen.

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