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6 Artikel ,
22.11.2024 :
Pressespiegel überregional
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Übersicht:
hessenschau.de, 22.11.2024:
Reichsbürger-Prozess gegen Gruppe Reuß: Der lange Weg zur Wahrheit
Südwestrundfunk, 22.11.2024:
Nach Schüssen bei SEK-Einsatz / "Reichsbürger"-Prozess: Beamter des BKA sagt zu Durchsuchung in Reutlingen aus
die tageszeitung, 22.11.2024:
Rassistisch, lebensbedrohlich - aber kein Mordversuch
Der Tagesspiegel Online, 22.11.2024:
Entscheidung bis Ende November / AfD-Politiker Krah will in den Bundestag
Münchner Merkur Online, 22.11.2024:
AfD-Mann Höcke schielt eventuell nach Berlin - Was es mit einer möglichen Kandidatur für den Bundestag auf sich hat
Westdeutscher Rundfunk Köln, 22.11.2021:
Proteste gegen AfD-Bürgerdialog in Aachen
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hessenschau.de, 22.11.2024:
Reichsbürger-Prozess gegen Gruppe Reuß: Der lange Weg zur Wahrheit
22.11.2024 - 10.41 Uhr
Seit einem halben Jahr läuft der Reichsbürger-Prozess um Prinz Reuß und seine Mitangeklagten - ein Ende ist nicht in Sicht. Zwischen akribischer Beweisaufnahme und langwierigen Aussagen zieht sich das Verfahren, während zentrale Fragen weiter offen bleiben.
Von Danijel Majić
Einer der größten Prozesse der deutschen Justizgeschichte findet am Stadtrand von Frankfurt statt. Der für die Hauptverhandlung errichtete provisorische Gerichtsbau erinnert an eine Lagerhalle, hochgezogen auf einer Brachfläche zwischen einer Druckerei und einem fensterlosen Rechenzentrum im Sossenheimer Gewerbegebiet. Vom einen Ende der Straße dröhnt die Autobahn herüber, am anderen Ende beginnt die Nachbarstadt Eschborn (Main-Taunus).
Hinter der provisorischen Gerichtshalle befinden sich spezielle Container. Hier kommen die Angeklagten an, warten auf den Beginn der Verhandlung. Wenn es soweit ist, wird jeder von ihnen von zwei Polizisten in den Sitzungssaal geführt. Erst wenn sie sitzen, weichen die Beamten von ihrer Seite.
Seit gut einem halben Jahr geht das so, mal einmal, meistens zweimal die Woche. Es dauert eine Weile, bis alle neun Angeklagten und alle ihre Verteidigerinnen und Verteidiger Platz genommen haben. Dass es nur langsam vorangeht, ist Standard im Frankfurter Reichsbürger-Prozess.
Drei Prozesse, 26 Angeklagte
Am 21. Mai begann die Hauptverhandlung gegen neun Mitglieder der so genannten Patriotischen Union, die in den meisten Medienberichten und selbst in den Verlautbarungen der Anklage meist nur als Gruppe Reuß firmiert. Zwei weitere Prozesse laufen parallel in München und Stuttgart. Insgesamt sind nicht weniger als 26 Personen der Mitgliedschaft oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung sowie der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens angeklagt.
Im Sossenheimer Gerichtsprovisorium sitzt jener Teil der mutmaßlichen Verschwörer, die nach Ansicht des Generalbundesanwalts die Spitze des geplanten hochverräterischen Unternehmens bildeten. Der Prominenteste unter ihnen: Heinrich XIII. Prinz Reuß. Den Angeklagten wird vorgeworfen, ab Mitte 2021 den Sturz der bestehenden staatlichen Ordnung in Deutschland geplant zu haben.
Ziel sei es gewesen, an einem nicht näher definierten Tag X mit einer bewaffneten Truppe den Bundestag zu stürmen und Parlamentarier zumindest festzunehmen. Dass dabei Menschen getötet werden könnten, sei von der Gruppe bewusst in Kauf genommen worden, so die Anklage.
Parallel zu den militärischen Planungen habe die Führungsspitze um Prinz Reuß - der so genannte Rat - Grundzüge einer neuen politischen Ordnung für die Zeit nach dem Umsturz erarbeitet. Prinz Reuß wäre dabei die Rolle eines provisorischen Staatsoberhaupts zugekommen.
Vermeintlich harmlose "Rollator-Terroristen"
Unmittelbar nachdem am 7. Dezember 2022 fast alle Angeklagten - teils im Beisein der Presse - festgenommen worden waren, machte in Teilen der rechts-konservativen Publizistik ein Verharmlosungsnarrativ die Runde. Darin werden die mutmaßlichen Umstürzler zur "Rentner-Gang" und zu "Rollator-Terroristen" degradiert. Der Staat reagiere "hysterisch" und wolle in einem "Schauprozess" Systemkritiker einschüchtern.
Gleichzeitig sickerten bereits vor Prozessbeginn immer wieder neue Details aus den Ermittlungsakten durch, die den Investigativ-Teams verschiedener Medien vorliegen. Darin ist von Schießtrainings, Waffenfunden und der Anwerbung weiterer Bundeswehr-Angehöriger durch die Angeklagten die Rede. Die Verteidiger in Frankfurt skandalisieren inzwischen fast täglich eine "mediale Vorverurteilung" ihrer Mandanten.
Der Vorwurf gegen "die Medien" gehört inzwischen zum Standardrepertoire von Verteidigern in jedem größeren Strafprozesses. Tatsächlich lässt sich nach einem halben Jahr festhalten: Über die konkreten Umsturzpläne ließ in der Presse mehr erfahren als in den bisher mehr als 30 Prozesstagen vor dem Frankfurter Oberlandesgericht.
Zeitraubende Aussagen
Denn einer der größten Terror-Prozesse der bundesdeutschen Geschichte geht schleppend voran. Das ist zum einen auf die große Zahl der Angeklagten zurückzuführen, was es an sich schon schwierig macht, zügig voranzukommen. Zum anderen liegt es daran, dass der Staatsschutzsenat bei der Einführung von Beweismitteln äußerst penibel vorgeht. Dokumente werden in Gänze verlesen - inklusive aller Aktenzeichen und Anmerkungen. Dem Vorwurf, etwas absichtlich oder unabsichtlich unter den Tisch fallen zu lassen, will sich das Gericht offenkundig nicht aussetzen.
Nicht zuletzt sind es einige Angeklagte, die mit ihrem Aussageverhalten den Prozess in die Länge ziehen. Maximilian E. nahm sich zwei Prozesstage lang Zeit, um über seinen Lebensweg und seine privaten Verhältnisse zu sprechen - mit wenig Bezug zum Prozess. Auch die Aussage von Prinz Reuß zog sich über zwei Tage, was allerdings vor allem seiner emotionalen Aufgewühltheit geschuldet war.
Als bislang einzige Angeklagte äußerte sich die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete und Richterin Birgit Malsack-Winkemann direkt zu den Tatvorwürfen - allerdings ganze sechs Prozesstage lang. Die Nachfragen des Gerichts nahmen drei weitere Prozesstage in Anspruch.
Wenig Handfestes, viel Wirres
Das Zwischenergebnis nach sechs Monaten Prozess fällt daher einerseits ernüchternd aus. Der angeblich geplante Sturm auf den Bundestag etwa konnte in der öffentlichen Verhandlung noch nicht konkret nachgewiesen werden. Zwar gab Ex-Parlamentarierin Malsack-Winkemann zu, mehrere Mitangeklagte durch den Reichstag und dazugehörige Nebengebäude geführt zu haben. Sie betonte jedoch, dass es sich dabei ausschließlich um "touristische Aktionen" gehandelt habe.
Welchen touristischen Mehrwert die Begehung und das Abfotografieren von Tiefgaragen und unterirdischen Zugängen haben sollte, bleibt dabei unklar. Als glasklarer Beweis für die Planung eines bewaffneten Überfalls taugen sie indes ebenso wenig. Ähnliches gilt für die Funde in den Geschäfts- und Privaträumen von Prinz Reuß: verschwörungstheoretische Literatur, Lebensmittelvorräte, ein teures Satellitentelefon, um zu den Mitgliedern des Rates auch am Tag X Kontakt halten zu können.
Andererseits hat die Hauptverhandlung inzwischen belegt, wie tief die Angeklagten in ihre eigenen, von paranoiden Verschwörungserzählungen geprägten Fantasiewelten abgeglitten sind.
Panoptikum an Verschwörungserzählungen
Da ist Maximilian E., der sich während der Corona-Pandemie nicht nur dazu verstieg, die Impfpolitik der Bundesregierung als Genozid zu bezeichnen, sondern auch sehr viel Energie und anderer Leute Geld investierte, um den rituellen Missbrauch von Kindern in geheimen unterirdischen Militäranlagen in der Schweiz nachzuweisen.
Da ist Prinz Reuß, der auf offener Bühne davon schwadronierte, dass Freimaurer und Hochfinanz seit Jahrhunderten Kriege und Revolutionen finanzierten, um den ihnen lästigen Adel loszuwerden und "so genannte Demokratien" einzusetzen - festgehalten in einem bis heute bei YouTube abrufbaren Video. In anderen - nicht öffentlich abrufbaren - Videos verkündete er die "Wiedererrichtung der Fürstentümer Reuß". Im Anschluss setzte er ein Schreiben an einen prominenten Reichsbürger auf, um zu erfahren, ob damit auch das Deutsche Reich als wieder begründet angesehen werden kann.
Und da ist Birgit Malsack-Winkemann. Eine Richterin, die über Jahrzehnte im Dienst der Bundesrepublik stand, aber offenkundig keinen Anstoß daran fand, dass im so genannten Rat um Prinz Reuß darauf spekuliert wurde, dass ein technisch überlegener Geheimbund genau diese Bundesrepublik beseitigen würde.
Der Rat und die Allianz
So viel deutet sich nach sechs Monaten an: Der gemeinsame Nenner im Panoptikum der Verschwörungsfantasien war stets jene übermächtige angebliche Allianz, welche die staatliche Ordnung der Bundesrepublik mit einem Schlag beseitigen sollte. Auf diesen Tag X scheinen sich die Angeklagten vorbereitet zu haben. Die entscheidende Frage für den weiteren Prozess ist: Wer sollte diesen Tag X einleiten? Die Allianz oder die Patriotische Union?
Die Anklage ist deutlich: Sie geht davon aus, dass die Gruppe Reuß plante, mit dem Bundestagssturm ein Zeichen für das Eingreifen der Allianz zu setzen. Malsack-Winkemann hingegen betonte in ihrer von Redundanzen und Wiederholungen geprägten Aussage immer wieder, dass alle im so genannten Rat auf das Eingreifen der Allianz gewartet hätten. Diese habe "alle notwendigen Gewaltmaßnahmen" durchführen sollen.
Das Bezeichnende bei all diesen Phantasmen: Unabhängig davon, ob sie tatsächlich zum gewaltsamen Umsturz entschlossen waren, wähnten sich alle Angeklagten im Widerstand gegen eine finstere Elite. Dass sie größtenteils selbst zu den Privilegierten eben jenes Systems gehören, das sie gerne beseitigt sehen wollten, scheint ihnen nicht aufgefallen zu sein.
Beschlossene Sachen oder loses Gedankenspiel
So abwegig der Glaube an unterirdische Pädophilen-Bunker und die Hoffnung auf einen übermächtigen Geheimbund erscheinen, so wenig sind sie strafbar. Wie in jedem Staatsschutz-Verfahren stimmen die Verteidiger regelmäßig das Lamento von der "Gesinnungsjustiz" an und ernten dafür Zustimmung von Anhängern der Angeklagten auf den Zuschauerplätzen. Mit der Realität des Verfahrens hat das indes wenig zu tun.
Dass Gerichte versuchen, in die Gedankenwelt von Angeklagten einzutauchen, ist schlicht Teil der Beweiserhebung. Letztlich muss der Staatsschutzsenat klären, ob der gewaltsame Umsturz bereits beschlossene Sache oder nur ein loses Gedankenspiel war - und zwar für jeden einzelnen Angeklagten.
Das wird dauern. Bis Juli kommenden Jahres sind 50 weitere Verhandlungstage angesetzt. Dass sie für die Wahrheitsfindung ausreichen, ist alles andere als sicher.
Bildunterschrift: Wegen des Verdachts auf Terrorismus und Hochverrats vor Gericht: Birgit Malsack-Winkemann, Heinrich XIII. Prinz Reuß, Maximilian E. (von links).
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Südwestrundfunk, 22.11.2024:
Nach Schüssen bei SEK-Einsatz / "Reichsbürger"-Prozess: Beamter des BKA sagt zu Durchsuchung in Reutlingen aus
22.11.2024 - 10.09 Uhr
Von Lisamarie Haas
Ein BKA-Beamter hat am Oberlandesgericht Stuttgart den Ablauf der Durchsuchung bei dem Angeklagten geschildert. Bei einem Schusswechsel war damals ein Polizist schwer verletzt worden.
Im Prozess um ein mutmaßliches Netzwerk von "Reichsbürgern" am Oberlandesgericht Stuttgart hat am Mittwoch ein Beamter des Bundeskriminalamts (BKA) als Zeuge ausgesagt. Er leitete im März 2023 eine Durchsuchung der Wohnung von Markus L. in Reutlingen. Dabei war es zu einem Schusswechsel zwischen dem Angeklagten und Beamten des Sondereinsatzkommandos (SEK) gekommen. Ein Polizist wurde schwer verletzt, ein weiterer erlitt eine leichte Verletzung. Die Bundesanwaltschaft wirft dem Reutlinger deshalb versuchten Mord vor und geht davon aus, dass er Mitglied in einer terroristischen Vereinigung war. Die Verteidigung von Markus L. kritisierte den SEK-Einsatz.
Details zum Tag der Durchsuchung in Reutlingen
Vor Gericht schilderte der Zeuge vom BKA, wie er den Einsatz in Reutlingen erlebt hat: Er habe in einem Auto etwa einen Kilometer entfernt auf die Freigabe des SEK, das Haus zu betreten, gewartet. Dann habe er am Telefon erfahren, dass es einen Schusswechsel in der Wohnung des Angeklagten gegeben habe. Als er am Tatort ankam, habe das SEK Markus L. komplett entkleidet abgeführt, so der BKA-Beamte. Fotos, die bei Gericht gezeigt wurden, zeigen den Angeklagten nach seiner Festnahme mit blauen Flecken und Schürfwunden am Kopf und dem Oberarm.
Der BKA-Beamte sagte weiter aus, Markus L. habe auf ihn entspannt und abgeklärt gewirkt. Im Gerichtssaal verfolgte der Angeklagte die Aussage des Zeugen regungslos. Nach der Festnahme, so der Zeuge, seien die übrigen Hausbewohner in Reutlingen-Ringelbach von der Polizei wach geklingelt und mit einem Reisebus weggebracht worden.
Polizei findet Militär-Nahrung, Waffen und Munition
Nach der Spurensicherung durch die Kriminaltechnik habe die Durchsuchung der Wohnung begonnen. Auch ein Kellerabteil und eine Garage sowie das Auto des Angeklagten seien durchsucht worden. Dabei hätten die Beamten mehrere Schränke voller Schusswaffen und Munition gefunden. Im Auto habe der Angeklagte zudem eine geladene Waffe hinter dem Sitz transportiert.
Auch einen Karton mit Militär-Verpflegung, einer abgepackten Fertignahrung, habe das BKA entdeckt. Er habe die Kiste beschlagnahmen lassen, so der Zeuge. Sie sei ihm vor dem Hintergrund des Terrorismus-Vorwurfs verdächtig erschienen.
Verteidiger kritisieren SEK-Einsatz
Am Nachmittag des Sitzungstages stellten die Verteidiger des Angeklagten Markus L. einen Antrag auf Unterbrechung der Hauptverhandlung. Ihrer Meinung nach können große Teile der Beweisaufnahme nicht gewertet werden.
Immer wieder haben die Rechtsanwälte das Vorgehen des SEK bei der Wohnungsdurchsuchung kritisiert. Ihr Mandant sei zum Zeitpunkt der Durchsuchung nur Zeuge und kein Tatverdächtiger gewesen. Das SEK hatte die Tür zur Wohnung von Markus L. aufgesprengt. Außerdem kritisieren die Anwälte, ihrem Mandanten sei nicht direkt mitgeteilt worden, dass er die Durchsuchung verhindern könnte, indem er gesuchte Dokumente oder Gegenstände herausgibt. Das Gericht habe eine Unterbrechung der Verhandlung aber zurückgewiesen.
Rechtsmedizinerin: Polizist kann Beruf nicht mehr nachgehen
Eine rechtsmedizinische Sachverständige aus Tübingen hat ebenfalls ausgesagt. Sie hat den Polizisten nochmal untersucht, der bei dem SEK-Einsatz angeschossen wurde. Ihr Gutachten bekräftigt, dass der Polizist einen deutlichen Kraftverlust und eine erhöhte Instabilität in seinem Arm hat. Beides sei eindeutig auf die Schussverletzung zurückzuführen.
Sportliche Hobbys, wie Klettern oder Kampfsport, könne er nicht mehr ausüben, so die Rechtsmedizinerin. Auch beruflichen Aufgaben beim SEK, wie zum Beispiel Schießen oder ein Schild halten, werde er nicht mehr nachgehen können.
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die tageszeitung, 22.11.2024:
Rassistisch, lebensbedrohlich - aber kein Mordversuch
Ein AfD-Sympathisant sticht in einem Regionalzug mit einem Schraubenzieher auf einen Senegalesen ein, zielt auf Kopf, Hals und Herzgegend / Angeklagt wird er wegen versuchten Mordes, verurteilt wegen Körperverletzung / Von seiner Tötungsabsicht, meint das Gericht, sei er zurückgetreten
Aus Osnabrück Harff-Peter Schönherr
Den 16. April 2024 wird Moussa L.* nicht vergessen. Es ist Abend, als der junge Senegalese im Regionalexpress 18 der Nordwestbahn unterwegs ist. Zwischen Bersenbrück und Bramsche kommt es zu einer rassistischen Attacke.
Kasim S., ein in Osnabrück lebender schwedischer Staatsbürger kosovo-albanischer Herkunft, zeigt mehrfach den Hitlergruß, ritzt Hakenkreuze und SS-Runen in Rückenlehnen. Er provoziert Moussa L. massiv, sagt, Deutschland sei sein Land, er könne hier machen, was er wolle. L. versucht zu deeskalieren, physischen Abstand herzustellen. Da sticht S. mit einem Schraubenzieher auf ihn ein, immer wieder.
Kasim S. zielt auf Kopf, Hals und Herzgegend, auf den Oberschenkel, die Schulter. Er beißt. Moussa L. hilft seine Körpergröße, seine Kraft, seine Erfahrung in Selbstverteidigung. Er wehrt die Angriffe ab, wird dabei mehrfach verletzt, bringt S. schließlich zu Boden. Zeugen helfen ihm.
Die Anklage lautet auf versuchten Mord, Sachbeschädigung, Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Und auf Diebstahl, denn S. hat an diesem Abend auch das Handy eines Zeugen entwendet.
Am Mittwoch, sieben Monate später, hat die 6. Große Strafkammer des Landgerichts Osnabrück das Urteil gesprochen: Kasim S., voll schuldfähig, muss für vier Jahre und drei Monate ins Gefängnis, wegen gefährlicher Körperverletzung. Hinzu kommen drei kleinere Geldstrafen.
Kasim S. wird in Hand- und Fußfesseln in den Sitzungssaal 272 geführt. Den Vorsitzenden Richter, der ihn oft persönlich anspricht, ignoriert er demonstrativ. Bohrend fixiert er dagegen Moussa L., der ihm als Nebenkläger gegenübersitzt, zuweilen auch das Publikum. Seine Körpersprache signalisiert Anspannung, Ablehnung, Abwehr.
Dass der Richter sagt, er habe mit "bedingtem Tötungsvorsatz" gehandelt, seine Verletzungsabsicht sei "potenziell lebensbedrohlich" gewesen und geprägt von "rassistischer Gesinnung", er habe eine "fremdenfeindliche Anschauung", scheint ihn nicht zu berühren.
Kasim S. sieht sich als Nachfahren eines Generals der 21. Gebirgsjäger-Division "Skanderbeg" der Waffen-SS. Dabei hatten nur die unteren Dienstränge des Großverbandes aus muslimischen Albanern bestanden. Das Hintergrundbild seines Mobiltelefons zeigt das Truppenkennzeichen der Division, flankiert von SS-Doppelrunen. Die Division war am Terror gegen die Zivilbevölkerung beteiligt, an Deportationen in Konzentrationslager.
Der rassistische Hintergrund der Tat sei ein "niederer Beweggrund", und das sei ein Mordmerkmal, sagt Rechtsanwalt Jan Sürig der taz, der Moussa L. vertritt. Doch die 6. Große Strafkammer lässt den Vorwurf des versuchten Mordes fallen. S. habe von L. abgelassen, "hinreichend freiwillig", so das Gericht, obwohl er ihn weiter habe attackieren können. S. sei in Deutschland nicht einschlägig vorbestraft. Zudem sei L. nur oberflächlich verletzt worden, seine Wunden seien schnell und folgenlos verheilt. Die rassistische Motivation der Tat betont das Gericht allerdings stark. Es berücksichtigt ihn deutlich als strafverschärfend.
An Moussa L., den er vorher im Großraumabteil von mehreren Sitzplätzen aus beobachtet und auch heimlich fotografiert hatte, hat Kasim S. sich abreagiert, weil L. Schwarz ist. S. ist nicht in der organisierten Nazi-Szene vernetzt, er hat keinen Szene-Anwalt, im Publikum sitzen keine Nazis. Aber er habe die rechte Ideologie verinnerlicht, sagt der Richter, habe L. als "unwert" gesehen. Auch auf dem Handy von Kasim S.: ein halb ausgefüllter AfD-Mitgliedsantrag.
Während des Prozesses hat S. weitgehend geschwiegen. Geständig war er nicht. Mehr noch: "Er hat nicht zu erkennen gegeben, dass er die Tat in irgendeiner Art bereut", sagt Sürig.
Kasim S. hat nun das Recht auf Revision. In Haft bleibt er jedoch, wegen Fluchtgefahr. In der Justizvollzugsanstalt Lingen hatte er einen Ausbruchsversuch unternommen. Auch dort ist er mit Nazi-Schmierereien aufgefallen.
"Wir sind enttäuscht über die Verurteilung des Täters zu gefährlicher Körperverletzung", schreibt eine Vertreterin des Osnabrücker Regionalbüros Nordwest der Betroffenenberatung Niedersachsen der taz. In Anbetracht der Brutalität des Angriffs und der Tatsache, dass der Täter die einzige für ihn wahrnehmbare Schwarze Person im Abteil gezielt ausgewählt habe, in Anbetracht seiner "geschlossenen rassistischen, rechten Einstellung" falle das Urteil gering aus. "Rechte Gewalt sendet eine Botschaft an alle Menschen, die potenziell von ihr betroffen sein können", betont die Betroffenenberatung. "In diesem Zusammenhang sendet das Urteil falsche Signale an Betroffene rechter Gewalt."
*Name geändert
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Der Tagesspiegel Online, 22.11.2024:
Entscheidung bis Ende November / AfD-Politiker Krah will in den Bundestag
22.11.2024 - 17.59 Uhr
Im Frühjahr hatte er der AfD-Spitze den Europa-Wahlkampf mit Negativschlagzeilen vermasselt / Jetzt will Maximilian Krah nach Berlin
Der AfD-Europa-Abgeordnete Maximilian Krah strebt einen Wechsel in den Bundestag an. Entsprechende Medienberichte wurden der Deutschen Presse-Agentur aus Parteikreisen bestätigt. Krah selbst sagte "Welt am Sonntag" und "taz", die Kandidatur sei noch nicht entschieden. Er bestätigte aber Gesprächstermine in Sachsen mit verschiedenen AfD-Kreisvorsitzenden. Er habe großen Zuspruch bekommen für eine Kandidatur für den Bundestag, sagte Krah der "Süddeutschen Zeitung". Die Stimmung an der Basis in Sachsen sei eindeutig. Bis Ende November werde es eine Entscheidung geben.
Krah: "Gefechtslage hat sich geändert"
Die "Welt am Sonntag" zitiert ihn mit den Worten: "Die AfD hat bei der Europa-Wahl das bundesweit beste Ergebnis ihrer Parteigeschichte eingefahren. Insbesondere den Wahlerfolg bei den jungen Wählern hefte ich mir selbst ans Revers. Die Gefechtslage hat sich geändert, dadurch dass ich nicht in die Delegation und Fraktion aufgenommen wurde."
Wochenlange Negativ-Schlagzeilen im Europa-Wahlkampf
Krah war im Juni erneut ins EU-Parlament gewählt worden. Zuvor hatte er wochenlang in den Schlagzeilen gestanden und die AfD-Chefs in Erklärungsnöte gebracht. Hintergrund waren teils schrille öffentliche Auftritte und Berichte über mutmaßliche Russland- und China-Verbindungen sowie Ermittlungen gegen einen Ex-Mitarbeiter wegen mutmaßlicher Spionage für China.
In einer italienischen Zeitung hatte Krah zudem als relativierend wahrgenommene Äußerungen zur nationalsozialistischen SS gemacht. Die neue AfD-Delegation nahm den Sachsen nach der Wahl nicht in ihre Reihen auf, er gehört auch nicht der gemeinsamen Fraktion von Rechtsaußen-Parteien im Parlament an, die die AfD gebildet hatte. (dpa)
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Münchner Merkur Online, 22.11.2024:
AfD-Mann Höcke schielt eventuell nach Berlin - Was es mit einer möglichen Kandidatur für den Bundestag auf sich hat
22.11.2024 - 06.21 Uhr
Von: Kilian Beck
Der rechtsextreme Thüringer AfD-Chef Björn Höcke soll erwägen, für den Bundestag zu kandidieren. In der AfD würde er sich damit nicht nur Freunde machen.
Erfurt. Bereits vor der Landtagswahl in Thüringen kursierten Gerüchte, dass der rechtsextreme AfD-Landesvorsitzende Björn Höcke mit einem Wechsel in die Bundespolitik liebäugele. Nun, da CDU, SPD und BSW offenbar auf dem Weg zu einer so genannten Brombeer-Koalition sind, und eine Regierungsbeteiligung der AfD unwahrscheinlich scheint, berichtete das Magazin Stern erneut, dass Höcke sich "sehr bald entscheiden" wolle, ob er bei den Neuwahlen im Februar für den Bundestag kandidiere. Ein Faktor könnte die Perspektive der AfD in der Landespolitik sein.
Neuwahlen im Bund: Kandiert AfD-Rechtsaußen Höcke für den Bundestag?
Höcke hatte bereits bei den vergangenen beiden Bundestagswahlen 2017 und 2021 erwogen, für den Bundestag zu kandidieren, sich aber - wohl aus machttaktischen Erwägungen - dagegen entschieden. Dieses Mal ringe er besonders mit sich, schrieb das Magazin. Einerseits gebe es in Thüringen nichts mehr zu gewinnen und 2025 spräche mehr für eine Kandidatur Höckes als zuvor, andererseits würde er Widerstand aus der eigenen Partei, in der er als Gefahr für die Regierungsfähigkeit gilt, riskieren. In der rechtsextremen Jugendorganisation "Junge Alternative" hat Höcke hingegen viele Fans.
Höcke: "Plane im Augenblick sehr vieles durch" - Sicherer Wahlkreis in Thüringen bei Neuwahl frei
Er "plane im Augenblick sehr vieles durch", sagte Höcke kurz nach dem Bruch der Ampel-Koalition der Regionalzeitung Thüringer Allgemeine. "Es gibt aber noch keine Tendenz", so Höcke. AfD-Kreisen zufolge erwäge er eine Bundestagskandidatur. Dafür spreche auch, dass der thüringische AfD-Bundestagsabgeordnete Stephan Brandner bisher ankündigte "auf einem der vorderen Listenplätze" zur Neuwahl antreten zu wollen. Dem Stern zufolge werde ein aussichtsreicher Wahlkreis in Westthüringen frei, in dem die AfD ein Direktmandat erreichen könnte.
Teile der AfD von Höckes Provokation genervt - Steht er Strategiewechsel im Weg?
Andererseits, so berichtete es etwa die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), bereits vor der Thüringen-Wahl, seien einige in der AfD genervt davon, dass Höckes Provokationen auf die Partei zurückfallen würden. Dem Stern zufolge blicke man an der Parteispitze der AfD trotz des Wahlsieges und des Gewinns der Sperrminorität in Thüringen kritisch auf Höcke, da er einem Strategiewechsel von der Opposition hin zur Regierung im Weg stehe. Das Wähler-Potential von etwa einem Drittel, das rechtsradikale Parteien in Deutschland etwa haben, dürfte in Thüringen zudem bereits ausgeschöpft sein.
Auf dem letzten Bundesparteitag konnte Höcke nicht alle seiner Wunsch-Kandidaten durchsetzen. Zwar wäre Höcke in der nächsten AfD-Bundestagsfraktion wohl unter Gleichgesinnten, sagte ein ungenannter Bundestagsabgeordneter der FAZ. Und doch werde er dort wohl nur einer unter vielen.
Höcke soll "Schwermut" über Verurteilung wegen Nazi-Parole empfinden
Die Aufmerksamkeit, die Höcke durch seine radikalen ideologischen Standpunkte und Aussagen zuteil werde, nage allerdings auch an ihm, heiße es seinem Umfeld. Von "Schwermut" Höckes über seine Verurteilung wegen der Verwendung einer Nazi-Parole, der Kritik an seinen - nationalistischen und rassistischen - Standpunkten und des notwendigen Polizeischutzes, berichtete die Zeitung.
"Wohltemperierte Grausamkeit" und andere Anhaltspunkte für Höckes Rechtsextremismus
Der thüringische Landeschef wurde kürzlich wegen Verwendung einer Parole der Nazi-Verbrecher-Organisation SA verurteilt. Er pflegt einen Austausch mit dem neurechten Ideologen Götz Kubitschek. Dessen offiziell aufgelöster Verein "Institut für Staatspolitik" galt den Verfassungsschutzbehörden, wie Höckes AfD-Landesverband, als gesichert rechtsextrem.
In seinem Buch schrieb Höcke, dass es "wohltemperierte Grausamkeit" zur Umsetzung der AfD-Politik brauchen werde und dass die Deutschen in der "Wendezeit" keine "halben Sachen" machen würden, und damit "die Schutthalden der Moderne beseitigt" werden würden. Politikwissenschaftler und Verfassungsschutzbehörden deuten diese Zeilen als Kampfansage an die liberalen Grundfesten der Bundesrepublik.
Zuletzt musste Höcke sich Anfang November erklären, als die mutmaßliche Rechtsterror-Gruppe "Sächsische Separatisten" festgenommen wurde. Mehrere ihrer Mitglieder sind aktive AfD-Mitglieder und ließen sich mit Höcke fotografieren. Der thüringische Landeschef stritt ab, die mutmaßlichen Rechtsterroristen zu kennen.
Thüringen-AfD entscheidet Mitte Dezember über Kandidaturen für Neuwahlen
Mitte Dezember will die Thüringer AfD entscheiden, wen sie in die vorgezogene Bundestagswahl schickt. In Umfragen schnitt die Partei mit zwischen 18 und 19 Prozent zuletzt deutlich besser ab, als bei der Bundestagswahl 2021, bei der sie auf 10,4 Prozent kam. Mehrere Spitzenpolitiker des Landesverbandes sollen auf Posten in Berlin schielen, Höcke äußerte sich am Mittwoch nicht gegenüber dem Stern. Bereits am Freitag möchte die Brombeer-Koalition, die keine Landtagsmehrheit hat, einen Koalitionsvertrag präsentieren. Dann wird klarer sein, ob die AfD noch eine Chance hat, einen Keil in die Koalition, die auf Stimmen der oppositionellen Linken angewiesen ist, zu treiben. (kb)
Bildunterschrift: Björn Höcke im Erfurter Landtag.
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Westdeutscher Rundfunk Köln, 22.11.2021:
Proteste gegen AfD-Bürgerdialog in Aachen
22.11.2024 - 06.00 Uhr
Die AfD veranstaltet am Abend in Aachen einen Bürgerdialog. Zwei Bündnisse rufen zu Kundgebungen und Protesten dagegen auf.
Von Michaela Haase
AfD-Politiker haben am Freitagabend zu einem so genannten Bürgerdialog eingeladen. Organisiert wird dieser von der nordrhein-westfälischen Landesgruppe der AfD-Fraktion im Bundestag und findet im Brüssel-Saal des Aachener Eurogress statt, der insgesamt 430 Plätze bietet. Auf der Veranstaltung sollen sich interessierte Bürgerinnen und Bürger mit AfD-Abgeordneten austauschen können.
Die Veranstaltung der Partei, die der Verfassungsschutz auf Bundesebene als rechtsextremistischen Verdachtsfall einstuft, stößt jedoch auch in Aachen auf Widerstand. Wie schon bei vorherigen Bürgerdialogen der AfD beispielsweise in Essen wird auch hier mit größeren Protest-Aktionen gerechnet.
Zwei Bündnisse demonstrieren gemeinsam
Gleich zwei Bündnisse haben ab dem Nachmittag zu Kundgebungen und einer gemeinsamen Demonstration aufgerufen. Das Bündnis "Gegenhalten" startet am Hauptbahnhof. Das Bündnis "Wir sind Aachen" versammelt sich in der Innenstadt zu einer Kundgebung, die von der Aachener Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen eröffnet wird.
Anschließend treffen sich beide Gruppen und ziehen dann gemeinsam durch die Stadt bis zum Eurogress.
Mit den Protest-Aktionen wolle man ein klares Zeichen gegen Hass und Hetze setzen, hieß es von den Organisatoren. "Wir möchten in einer solidarischen und demokratischen Gesellschaft leben, ungeachtet unserer unterschiedlichen politischen Ansichten. Die AfD dagegen instrumentalisiert Sorgen und Ängste, was zur gesellschaftlichen Spaltung beiträgt", so Fabian Fahl vom Bündnis "Gegenhalten".
Hinter den beiden Bündnissen steht ein bunter Mix aus verschiedenen gesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren, zum Beispiel Parteien, Gewerkschaften, kirchlichen Initiativen, die Antifa-Jugend oder auch Umweltaktivisten.
Mehr Teilnehmer erwartet als angemeldet
Von der AfD hieß es auf WDR-Anfrage zu den Gegenkundgebungen, man respektiere das Recht auf freie Meinungsäußerung. Eine enge Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden solle sicherstellen, dass es nicht zu Zwischenfällen komme.
Insgesamt sind für die Proteste rund 900 Teilnehmende angemeldet. Die Polizei rechnet aber damit, dass sich beim Zug durch die Innenstadt noch deutlich mehr Menschen anschließen werden.
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