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1 Artikel , 27.07.2024 :

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Frankfurter Rundschau Online, 27.07.2024:
"Verhältnisse wie in den 90ern" - Neonazis in Berlin und Brandenburg zunehmend selbstbewusst

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Frankfurter Rundschau Online, 27.07.2024:

"Verhältnisse wie in den 90ern" - Neonazis in Berlin und Brandenburg zunehmend selbstbewusst

27.07.2024 - 09.13 Uhr

Von: Kilian Beck

Übergriffe auf politische Gegner gehören zur Strategie der Neonazi-Partei "Der Dritte Weg". In Berlin und Brandenburg setzt sie sich zunehmend fest. Ein Überblick.

Berlin. Die Festnahme von neun mutmaßlich gewalttätigen Neonazis machte Mitte Juli Schlagzeilen. Ermittler werfen den Jugendlichen zwei gezielte Angriffe auf Linke vor und rechnen sie der neonazistischen Kleinstpartei "Der Dritte Weg" zu. Die Partei trete in Berlin und Brandenburg zunehmend selbstbewusst auf und werde immer gefährlicher. Darin bestand Einigkeit zwischen Rechtsextremismus-Beratungen aus Berlin und Brandenburg, sowie dem Berliner Verfassungsschutz auf Anfrage von FR.de. Ein Überblick über die Aktivitäten der Neonazis in und um die Hauptstadt vor der Landtagswahl in Brandenburg.

Neonazi-Partei "Der Dritte Weg" vor der Landtagswahl: Schwerster Übergriff auf Linke seit fast zehn Jahren

Den festgenommenen Neonazis wirft die Berliner Staatsanwaltschaft unter anderem vor, am helllichten Tag am Berliner S-Bahnhof Ostkreuz gezielt Linke angegriffen zu haben. Der bisher letzte vergleichbare Vorfall liege beinahe zehn Jahre zurück, sagte eine Sprecherin der Berliner Register, die rechtsextremistische Vorfälle in der Hauptstadt sammeln, dem "Tagesspiegel". Der Angriff ist der vorläufige Höhepunkt einer andauernden Eskalation rechtsextremer Gewalt in Berlin. Auch im brandenburgischen Umland versucht die Kleinstpartei seit längerem Fuß zu fassen.

Die Neonazi-Partei "Der Dritte Weg"

Die Kleinstpartei "Der Dritte Weg" wurde 2013 in Heidelberg von ehemaligen Funktionären der NPD (heute: "Die Heimat") und Neonazi-Kameradschaften gegründet. Aus Süddeutschland kamen Neonazis aus den verbotenen Kameradschaften "Freies Netz Süd" und der "Fränkischen Aktionsfront" hinzu. Mehrere Landesverfassungsschutzbehörden nehmen an, dass die Neonazis, im Wesentlichen ihre Aktivitäten "unter dem Schutzmantel des Parteienprivilegs" fortsetzen wollten und deshalb eine Partei gründeten. Bei Wahlen ist die Kleinstpartei seit ihrer Gründung irrelevant.

Programmatik erinnert an "Linken Flügel" der NSDAP

Die Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) hält fest: Die Partei vertrete ein neonazistisches, völkisches und nationalrevolutionäres Programm. Dieses erinnere teilweise an die Programmatik des sogenannten "Linken Flügels" der NSDAP.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz schätzte die Partei 2023 auf etwa 800 Mitglieder. Sie sei, so der Nachrichtendienst, ein Auffangbecken für "aktionsorientierte Rechtsextremisten". 2021 gründete die Partei mit der "Nationalrevolutionären Jugend" (NRJ) eine Jugendorganisation, die der Nachwuchsrekrutierung diene. Der Berliner Verfassungsschutz beobachtete zudem ein "Unterstützungsumfeld" um die NRJ. In Berlin gilt die Partei als aktivste rechtsextreme Gruppe.

"Alte Kader" und "sehr junge" - Unterstützerumfeld Neonazi-Partei "Der Dritte Weg" in Berlin

In Berlin beobachtet die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) seit Längerem gestiegene Aktivitäten des Dritten Wegs und seiner Jugendorganisation NRJ. Betroffen seien hauptsächlich die Bezirke Pankow, Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick, darüber hinaus gebe es immer wieder Vorfälle in ganz Berlin, wie Judith Heinmüller von der MBR gegenüber FR.de erklärte. Der Berliner Verfassungsschutz rechnet dem Berliner Landesverband etwa 80 Personen zu, schrieb die Behörde auf Anfrage. Hinzu kämen NRJ-Mitglieder im "unteren zweistelligen Bereich", sowie ein ebenso großes, "zum Teil sehr junges" Unterstützungsumfeld. Heinmüller schätzte den harten Kern der NRJ auf zehn bis zwanzig Jugendliche.

Personell bestehe der Dritte Weg in Berlin hauptsächlich aus "alten Kadern" rechtsextremer Zusammenschlüsse, sagte Heinmüller. Dazu zählten das ehemalige Netzwerk "Nationaler Widerstand Berlin" und die NPD, die sich inzwischen "Die Heimat" nennt.

Gewaltorientierte Parteimitglieder - Kontakte zum Umfeld des NSU

Die Mitglieder der Partei und der Jugendorganisation seien als gewaltorientiert einzuschätzen. Aktuell beobachte der Berliner Verfassungsschutz, dass die Einschüchterung von "Menschen, die nicht in ihr Weltbild passen", zur "Strategie der Partei" gehören.

Mitglieder und Anhänger der Partei fielen in den vergangenen Jahren durch Verstrickungen zum Rechtsterrorismus auf: So stand der heutige Parteichef laut einem Bericht der taz auf einer Kontaktliste der Terroristen vom "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU). Eine strafrechtlich relevante Verbindung zu den Terroristen wurde nie gerichtsfest belegt. Ein ehemaliges Parteimitglied wurde 2021 wegen der Planung von Anschlägen aus "nationalsozialistischer Gesinnung" vom Oberlandesgericht München zu sechs Jahren Haft verurteilt. Auch sie soll Kontakte zum Unterstützerumfeld des NSU gepflegt haben.

Der Berliner Verfassungsschutz listete internationale Kontakte zu Rechtsextremisten aus Spanien, Frankreich und den USA auf. Darunter auch so genannte "Active Clubs", die, laut einer aktuellen Analyse der Denkfabrik CeMAS, häufig Zufluchtsorte für Mitglieder verbotener rechtsterroristischer Vereinigungen sind.

Neonazi-Partei "Der Dritte Weg": "Drohgebärden" und Übergriffe durch Neonazis in Berlin

Die Qualität der Aktionen der Neonazis verändere sich, schilderte Heinmüller: Seit dem Sommer 2023 sei eine Verschiebung von "Propagandaaktivitäten" hin zur offenen Rekrutierung von Nachwuchs über "Drohgebärden" bis hin zu offenen Übergriffen festzustellen. In diese Reihe sei auch der, noch nicht vollständig aufgeklärte, Angriff auf Antifaschistinnen und Antifaschisten am Ostkreuz einzuordnen. Betroffene Jugendeinrichtungen fühlten sich teilweise an "Verhältnisse, wie in den 1990er-Jahren" erinnert, in denen Neonazis ganze Kieze in Berlin drangsalierten.

Beim Berliner Verfassungsschutz beobachtet man ebenfalls diese Strategie. Am Rande von Demonstrationen gegen Rechtsextremismus sei es wiederholt zu Provokationen und Gewaltstraftaten gekommen. "Grundsätzlich gehören Anfeindungen, Bedrohungen, Einschüchterungen und Übergriffe zum Aktionsrepertoire des Dritten Weges", betonte die Behörde. Ziel sei, eine "Vormachtstellung" in bestimmten Kiezen zu suggerieren.

Polizei beschlagnahmt Waffen bei Neonazi-Kampfsport-Training in Berlin-Lichtenberg

Das neue Selbstbewusstsein der Neonazis und die Gewaltbereitschaft verdichten sich zu Kampfsport-Trainings in Berliner Parks. Ebenfalls im Juli kontrollierte die Polizei eine Gruppe, die der Partei zuzuordnen sei, in Lichtenberg. Gefunden wurden nach Polizeiangaben Quarzsand-Handschuhe, Pfefferspray und Aufkleber mit verfassungsfeindlichen Symbolen. Nun werde wegen Verdachts auf Waffengesetz-Verstöße und des Verdachts des Verwendens von verfassungswidrigen Symbolen ermittelt. Nach Recherchen des "Tagesspiegels" trainierten die Neonazis auch immer wieder in kommunalen Sportanlagen.

Der Berliner Verfassungsschutz hielt fest, dass nicht zum ersten Mal Waffen bei Mitgliedern und Unterstützern des Dritten Wegs gefunden wurden: Bereits 2021 seien in Brandenburg Schlagstöcke, Macheten und Pfefferspray bei Neonazis aus der Partei gefunden wurden.

Berliner Polizei irritiert mit Statement zu Neonazi-Kampfsport-Trainings

Die Berliner Polizei macht sich angesichts der Kampfsport-Trainings besonders Sorgen um "eine Verschärfung einer links-rechts-Auseinandersetzung", zwischen Neonazis und Linken. Bei der MBR sieht man dies anders: Es gebe zahlreiche Menschen oder Gruppen, die Opfer rechtsextremer Gewalt werden könnten, weil sie nicht in das rechtsextreme Weltbild passten. "In Kampfsport ausgebildete Neonazis sind eine Gefahr für viele Personengruppen. Den Blick auf eine so genannte rechts-links-Auseinandersetzung zu verengen, führt hier gefährlich in die Irre", schrieb die Beratungsstelle auf Nachfrage.

Bei den Kampfsport-Trainings geben erfahrene Neonazi-Kader ihr Wissen an die Jugendlichen weiter, erklärte Heinmüller. Die Kader stammen aus einem Umfeld, aus dem heraus mutmaßlich eine Brandanschlags-Serie in Neukölln begangen wurde. Zusammen mit den Waffenfunden ergebe sich eine "gefährliche Mischung". Heinmüller vermutet: "Der Höhepunkt der Eskalation ist möglicherweise noch nicht erreicht."

Verfassungsschutz beobachtet "enge Beziehungen" zwischen Neonazis in Berlin und Brandenburg

Der Verfassungsschutz in Berlin beobachtete "enge Beziehungen" zwischen Aktivisten des Dritten Wegs in Berlin und Brandenburg und bezeichnete das Berliner Umland und die Hauptstadt als "gemeinsamen Aktionsraum" der Rechtsextremen.

Der Schwerpunkt der Aktivitäten des "Dritten Wegs" liegt in der Uckermark, nördlich von Berlin. In der Uckermark ließ sich Parteichef Matthias Fischer vor einigen Jahren nieder, nachdem er zuvor jahrelang im fränkischen Fürth gelebt hatte. Dort versuchte er einen Fuß in die Kommunal- und Landespolitik zu bekommen und scheiterte auch an breiten antifaschistischen Bündnissen in der Fürther Stadtgesellschaft.

In der Uckermark bestehe der "Dritte Weg", wie in Berlin, aus Neonazi-Kadern, die schon lange in der Szene, etwa in der NPD, aktiv sind, wie Markus Klein vom Brandenburgischen Institut für Gemeinwesensberatung in Potsdam in den vergangenen Jahren beobachtete. Der Verein betreibt die Mobile Beratung zu Rechtsextremismus in Brandenburg.

"Der Dritte Weg" macht Wahlkampf in Brandenburg - "Schlüsselwerkzeug" Soziale Medien

Aktuell liege der Schwerpunkt der Aktivitäten des "Dritten Wegs" dort auf Wahlkampf-Veranstaltungen. So habe es in "jeder größeren Stadt" der Region bereits Kommunal-Wahlkampf gegeben, berichtete Klein. Inwieweit Neonazis aus Berlin zu solchen Aktionen anreisten, ist schwer einzuschätzen - allerdings möglich. In der Prignitz, nordwestlich von Berlin, erreichte die Partei ein Kreistagsmandat.

Gleichzeitig versuchten die Neonazis, ähnlich wie in Berlin, vor Schulen Nachwuchs zu rekrutieren. Dabei sei, so die Beratungsstelle, zu beobachten, dass Soziale Medien zum "Schlüsselwerkzeug" der Jugendorganisation NRJ in der Rekrutierung werden. So sprangen die jungen Neonazis etwa auf die Debatte über die rechtsextreme Vereinnahmung von Gigi D`Agostinos Party-Klassikers "L`amour tojours" auf, mit dem sie ihre Propaganda-Videos unterlegten.

Neonazis in Brandenburg "besorgniserregend selbstbewusst" - Angriff auf CDU-Politikerin in Cottbus

Mit Blick auf den Wahlkampf zur Landtagswahl im Herbst trete die Partei "besorgniserregend selbstbewusst" auf, so die Einschätzung Kleins. Drohgebärden hielten sich noch in Grenzen. Diese relative Ruhe sei wohl auch dem laufenden Wahlkampf zuzuschreiben. Aussichtsreich ist dieser Wahlkampf nicht unbedingt, zumal die AfD alle anderen Parteien am rechten Rand in Brandenburg verdrängt hat.

Aus dieser relativen Ruhe in Brandenburg sticht ein Vorfall heraus: Wie das Portal queer.de berichtete, störten mutmaßliche Angehörige der Partei den CSD in Bernau bei Berlin mit Hitlergrüßen und Nazi-Parolen. Der Staatsschutz ermittele.

Ganz allgemein spitzt sich die politische Lage in Brandenburg vor der Landtagswahl zu: So wurde am 25. Juli die CDU-Politikerin Adeline Abimnwi Awemo in Cottbus beim plakatieren angegriffen, verletzt und rassistisch beleidigt. Der Angriff steht in einer Reihe mit Angriffen auf Wahlkampf-Stände vor der Europa-Wahl. An manchen dieser Angriffe waren teils sehr junge rechtsextreme Jugendliche beteiligt. Mit einer Entspannung der Lage dürfte bis zu den Landtagswahlen im Herbst kaum zu rechnen sein. (kb)

Bildunterschrift: Uniformiert, beflaggt, trommelnd - die Aufmärsche des "Dritten Wegs" sind klar faschistoid (Archivfoto).

Bildunterschrift: Üblicherweise werden Demonstrationen der Neonazis vom "Dritten Weg" von Gegenprotest empfangen (Archivbild).

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