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Westdeutscher Rundfunk , 02.02.2002 :

Demonstration gegen die Wehrmachtsausstellung / Polizei bestimmte die Kleiderordnung

Erst mit stundenlanger Verspätung konnte sich dann am späten Mittag der Zug in Bewegung setzen. Grund dafür: Jeder der Demonstrationsteilnehmer musste eine intensive Leibesvisitation über sich ergehen lassen: Trommeln, Waffen, alkoholische Getränke und uniformähnliche Kleidung waren von der Polizei strikt verboten worden. So war es kein seltenes Bild, dass sich grimmig dreinblickende Skinheads widerwillig ihre Bomberjacken auf links umdrehen mussten.

"Nazis raus! Denken rein"

"Hier marschiert die deutsche Jugend" - unter diesem anmaßenden Schlachtruf zogen die Teilnehmer dann durch den hermetisch abgeriegelten und anfangs gespenstisch verlassen wirkenden Stadtteil. Selbst vielen der eingesetzten Polizeibeamten ist anzusehen, wie widerwillig sie an diesem Tag ihren Job ausüben. "Ich krieg das Kotzen" sagt eine junge Beamtin hinter vorgehaltener Hand, als es aus hunderten von Kehlen "Deutsche Soldaten - Heldentaten" durch die Straße schallt. Was die Bewohner der "Freien Scholle", einer Baugenossenschaft mit knapp Tausend Wohnungen im Viertel, von dem Auftritt der Neonazis halten, ist in zahlreichen Fenstern nachzulesen: "Nazis raus! Denken rein" prangt es in schwarzer Schrift auf rotem Plakat. Und die Buchstaben sind groß genug, dass sie auch auf der Straße noch gut zu lesen sind.

Rechte Friedfertigkeit mit Kalkül

Immer wieder schreien Anwohner, die in Zweier- und Dreier-Grüppchen das rechte Treiben vom Rand aus verfolgen, ihre Abscheu lauthals heraus. Doch nur selten lässt sich jemand aus den Reihen der Rechtsextremen zu einer Überreaktion verleiten. Diese Zurückhaltung resultierte wohl nicht nur aus der mehr als präsenten Polizeimacht, die bei einem rechten Übergriff nicht lange gefackelt hätte. Vielmehr sind sämtliche Demonstrationsteilnehmer von rechten Ordnern genauestens vor Beginn des Marsches instruiert worden, dass man sich doch bitteschön gesittet zu verhalten hätte. Die Kreidefresserei hat Kalkül: Schließlich will man in Zeiten eines drohenden Parteiverbots den Eindruck einer rechten Schlägerbande tunlichst vermeiden.

Flaschenwürfe durch Gegendemonstranten

So bleibt es während der drei Stunden, in denen die Rechtsextremen Parolen brüllend im Kreis marschieren, fast durchgehend friedlich. Nur einmal gelingt es einer Gruppe von linken Gegendemonstranten, gefährlich nah an den Demonstrationszug heranzukommen. Bei Flaschen- und Steinwürfen werden zwei Polizeiwagen beschädigt und ein Pressefotograf verletzt. Doch ihr eigentliches Ziel, den rechten Aufmarsch spürbar zu stören, erreichen die Linksextremen nicht. Zu umfangreich sind die Abriegelungsmaßnahmen der Polizei.

Rechtsextreme marschierten für deutsche Großväter

Bei der Abschlusskundgebung ist dann noch einmal viel von Ruhm, Ehre, Helden und Vaterland die Rede. Schließlich ist man ja wegen der Wehrmachtsausstellung in Bielefeld, und marschiert, damit "deutsche Großväter" nicht länger verunglimpft werden. Unter den wachsamen Augen der Einsatzkräfte löste sich die Versammlung dann am späten Nachmittag auf: Ob sie wollten oder nicht, ein Großteil der NPD-Anhänger musste - vom Bundesgrenzschutz eskortiert - einen bereitstehenden Sonderzug besteigen und wurde zur Gefahrenabwehr aus der Stadt hinausgefahren.

Breites Bündnis demonstriert gegen NPD-Aufmarsch

Bemerkenswert: Nicht nur die Bewohner des betroffenen Viertels zeigten durch ihren passiven Widerstand, dass sie sich gegen diesen rechten Aufmarsch zur Wehr setzen. In der Bielefelder Innenstadt demonstrierten zeitgleich fast 10.000 Menschen gegen die NPD-Kundgebung. Unter der Federführung des DGB hatten Parteien, Kirchen und andere Organisationen dazu aufgerufen, die Straße nicht den NPD-Anhängern zu überlassen. Redner der Veranstaltung, darunter auch Oberbürgermeister Eberhard David (CDU), sprachen sich gegen das Auftreten der Rechtsextremen in ihrer Stadt aus und lobten die privaten Inititoren, die die Wehrmachtsausstellung nach Bielefeld geholt hatten.
Gerade mal vier Wochen bleiben den Bielefeldern, um sich von diesem Samstag zu erholen: Für den 2. März hat der bundesweit bekannte Neonazi Christian Worch die nächste Demonstration gegen die Wehrmachtsausstellung angemeldet.


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