www.hiergeblieben.de

Die Glocke , 01.06.2005 :

(Harsewinkel) Frage, um die sich Wibke Bruhns' Familienroman dreht: "Was hat honorige Bürger ins 'Dritte Reich' geführt?"

Harsewinkel (men). "Die Klamroths in Halberstadt hätten auch die Klamroths in Harsewinkel sein können", betonte die Berliner Journalistin Wibke Bruhns am Montag in der Aula des Gymnasiums vor knapp 180 Zuhörern. Büchereileiterin Barbara Petschik und Stadtarchivar Eckhard Möller hatten die Autorin eingeladen, zum Abschluss der Harsewinkeler Reihe "60 Jahre nach Kriegsende" aus ihrem 2004 erschienenen Bestseller "Meines Vaters Land" vorzulesen.

Im von Econ verlegten Buch geht es um die Geschichte einer deutschen Familie im Kaiserreich, in der Weimarer Republik und im "Dritten Reich". Im Mittelpunkt steht Vater Hans-Georg Klamroth, im Buch immer nur "HG" genannt, der vom Volksgerichtshof am 15. August 1944 zum Tod verurteilt und elf Tage später in Plötzensee hingerichtet worden ist. Seine jüngste Tochter, 1938 geboren, hat ihn nicht gekannt, ist wie viele aus ihrer Generation vaterlos aufgewachsen.

Umfangreiches Material - Geschäftspapiere, Tagebücher und private Briefwechsel - fand Wibke Bruhns, in den 70er Jahren als erste TV-Nachrichtensprecherin bekannt geworden, nach dem Mauerfall in Halberstadt. "Ich hatte zwei Riesen-Überseekoffer voll mit Material und wusste, dass ich nach meiner berufliche Karriere darüber schreiben werde." Den Wunsch hatte sie seit 1979, als sie in Filmausschnitten vom Volksgerichtshof, die in den USA wiedergefunden worden waren, ihren Vater und ihren Schwager entdeckte. Wibke Bruhns geht der privaten und der öffentlichen Geschichte nach, sucht die Prägungen ihres Vaters durch das Kaiserreich und die Weimarer Republik und verfolgt seine Rolle als Abwehroffizier in Dänemark, der UdSSR und in Berlin. Sie versucht zu ergründen, was den als Leutnant der Reserve aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrten Getreidehändler schließlich in das Umfeld des militärischen Widerstands gegen Adolf Hitler gebracht hat.

"Der Mann, den ich beschreibe, ist mir sehr nahe gekommen. Mein Vater ist mir neu erwachsen, und ich kann ihn ziemlich gut leiden", bekannte Wibke Bruhns. "Im Buch steht alles drin, was ich weiß. Ich habe konsequent nichts geschönt und auch nichts weggelassen. Ich konnte meinen Vater nicht frisieren", beschreibt sie ihre Haltung zum Dargestellten. Diese Haltung wäre vor 25 Jahren sicher noch anders gewesen, gab sie offen zu. Vollkommen überrascht sei sie von der Resonanz auf ihr Buch gewesen, das zu den meistgelesenen der vergangenen Monate gehört und immer noch aktuell ist. "Ich habe mit vielleicht 10.000 Exemplaren gerechnet, inzwischen sind wir bei über 200.000 abgekommen", so die Journalistin. Erst in zweiter Linie gehe es im Buch um ihren Vater, in erster Linie versucht Wibke Bruhns zuverstehen, was honorige Bürger ins "Dritte Reich" geführt und dafür gesorgt hat, dass sie sich sogar eine Zeit lang wohl fühlten. "Das 'Dritte Reich' ist nicht vom Himmel gefallen, es hat weit vor dem Ersten Weltkrieg begonnen", sagt die Frau, die sich als erste Autorin überhaupt ins Ehrenbuch der Stadt eintrug.


glocke-online@die-glocke.de

zurück