Lippe aktuell ,
17.12.2003 :
Detmolder legt erste deutsche Darstellung der Sepharden vor / Auf den Spuren einer großen Kultur
Detmold. Sie waren einmal die kulturelle, wissenschaftliche und wirtschaftliche Elite der Juden. Heute sind ihre Spuren nicht mehr ganz so leicht zu finden: die Sepharden, die ehemaligen jüdischen Bewohner der iberischen Halbinsel. Ein Detmolder hat sich trotzdem auf Spurensuche gemacht. Dr. Eugen Heinen legte jetzt die erste zusammenhängende deutschsprachige Darstellung der sephardischen Geschichte vor. In zwei Bänden porträtiert der Hispanist Zeugnisse der sephardischen Kultur in Spanien und Portugal. Vor allem aber zeigt er, dass die Wurzeln europäischer Kultur nicht zuletzt auch sephardischen Ursprungs sind.
Knapp zehn Jahre Arbeit investierte Heinen in seine "Sephardischen Spuren". Anstoß war letztlich eine Studienreise, die er für die Christlich-Jüdische Gesellschaft Detmold 1993 nach Andalusien organisiert hatte. Für die Teilnehmer stellte der damalige Leiter des Detmolder Studienseminars einen Reiseführer zusammen. Der fand so viel Anklang, dass Heinen sich entschloss, ihn als 'echtes' Buch herauszugeben. Band 1 führt nun durch die Judenviertel Spaniens und Portugals. Mehr als 1.000 Orte, in denen die Sepharden Spuren hinterließen, nennt und erläutert der 66-Jährige - ein Buch irgendwo zwischen Reiseführer und Nachschlagwerk mit einer kurzen Überblicksdarstellung der sephardischen Geschichte.
Band 2, mit knapp 500 Seiten noch etwas voluminöser, ist eine detaillierte sephardische Kulturgeschichte: Bild- und Baukunst, Literatur und Wissenschaft stehen im Mittelpunkt. Breiten Raum nehmen außerdem die Legenden über die sephardischen Juden, ihre Vertreibung und schließlich exemplarische Lebensläufe aus mehreren Jahrhunderten ein. Der Philosoph Spinoza zählt fraglos zu den berühmtesten Sepharden. Aber nur die wenigsten wissen, dass auch Rosa Luxemburg oder Elias Canetti ihre Wurzeln im iberischen Judentum hatten.
Eugen Heinen studierte 1965 in Granada. Damals gelangte er über die Beschäftigung mit der maurischen Kultur auch zu den Sepharden, deren Spuren weit in die Antike zurück reichen. Zusammen mit Christen und Muslimen lebten sie mehrere Jahrhunderte auf der iberischen Halbinsel friedlich miteinander. Die Juden dort waren erfolgreich, für den Kulturaustausch der damaligen Zeit waren sie sogar unersetzlich. Zwischen 1150 und 1300 waren Sepharden die tragenden Säulen der berühmten Übersetzerschule von Toledo. Von dort gelangten arabische Medizin, Naturwissenschaft und Philosophie nach Europa. Der Sepharde Maimonides war es, der über den arabischen Kulturraum die aristotelische Philosophie ins Abendland brachte.
Die christliche Scholastik des Mittelalters wäre ohne ihn nicht denkbar.
Doch dann kam das sephardische Schicksalsjahr 1492, Kolumbus entdeckte Amerika, die christlichen Herrscher Spaniens vernichteten das letzte Maurenreich auf der iberischen Halbinsel und sie erließen am 31. März das Vertreibungsdelikt gegen die Juden. Isabella von Kastilien und ihre Gatte Ferdinand von Aragonien erhielten dafür vom Papst den Titel "Katholische Könige". Alle Juden sollten entweder konvertieren oder das Land verlassen. Etwa die Hälfte der Sepharden trat daraufhin zum Christentum über, zumeist nur nominell, wie Heinen meint. Die andere Hälfte verstreute sich in alle Herren Länder. Große sephardische Kolonien entstanden in Istanbul, Kairo, Marakkesch, Saloniki, aber auch in London, Antwerpen oder Hamburg. Auch dort hinterließen sie Spuren - Spuren, die jedoch auch für Eugen Heinen immer flüchtiger wurden.
Der Detmolder beschreibt die sephardische Geschichte von der Antike bis heute, setzt aber den Schwerpunkt auf die Zeit vom 4. bis zum 17. Jahrhundert. Er schreibt auf der Höhe der wissenschaftlichen Forschung, hat sich aber gegen eine trocken-akademische Darstellung entschieden. Die lebhafte Erzählung sephardischer Geschichte kommt Heinen ohnehin mehr entgegen, hält er doch in Ostwestfalen-Lippe und darüber hinaus viele Vorträge zu 'seinem' Thema. In Detmold, Bielefeld und Paderborn referierte er ebenso wie in Recklinghausen, Kassel, Bern und Basel.
Spannend bleibt die Materie ohnehin. Heinen: "Gegenwärtig wird sehr ernsthaft diskutiert, ob nicht auch Christoph Kolumbus und der Don Quichote-Dichter Cervantes Sepharden waren." Vielleicht ist diese Frage in gut zwei Jahren entschieden. Dann will Heinen nämlich noch einen dritten Band seiner "Sephardischen Spuren" veröffentlichen. Dieses Mal über Legenden zum Zusammenleben der drei großen Buchreligionen im mittelalterlichen Spanien. Und noch ein Projekt ist geplant: Ein Werk über das Verhältnis der Sepharden zu den mittel- und osteuropäischen Juden, den Aschkenasen. Heinen hat nämlich bei seinen Forschungen auch über die eigene Familiengeschichte Neues erfahren: Sein Urgroßvater war ein aschkenasischer Jude aus dem heute ukrainischen Lemberg.
Heinen, Eugen: Sephardische Spuren, 2 Bde., Verlag Winfried Jenior
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