Die Glocke ,
14.05.2005 :
Peter Niehus / Kriegsende als fünfjähriger Flüchtling in Greffen erlebt
Von Henning Bolte
Harsewinkel-Greffen (gl). Das Kriegsende vor 60 Jahren und die Nachkriegszeit sind derzeit in aller Munde und auf sämtlichen Rundfunk- und Fernsehkanälen nachzuerleben. Da darf ruhig noch einmal an ein Büchlein erinnert werden, das - mit Autobiographien von acht Autor(inn)en - zwar schon 2001 erschienen ist, aber genau diese Zeit beschreibt. Einer der Autoren, Peter Niehus aus Gütersloh, Mitglied der Arbeitsgemeinschaft "Studieren ab 50", schildert darin seine Erlebnisse als Junge in Greffen.
Er war bereits im Jahr 1941 dorthin gekommen, nachdem sein Elternhaus in Münster durch Bomben zerstört worden war.Peter Niehus war gerade mal eineinhalb Jahre alt, als er nach Greffen kam. An einige Dinge, die drei bis vier Jahre später passierten, kann er sich aber noch genau erinnern. So daran, wie ein älterer Nachbarsjunge Schießpulver, das er aus der Munition eines abgeschossenen Flugzeugs herausgeholt hatte, auf einem Betonsockel "hochgehen" ließ ("die fünf bis sechs Meter hohe Feuersäule blieb immer in meiner Erinnerung"), und auch an den Einmarsch der Amerikaner am Ostersonntag 1945.
Der damals Fünfjährige war besonders beeindruckt von den schwarzen Soldaten, auch "weil sie so gut klettern konnten". Durch die Amerikaner und Engländer machten Niehus und seine Spielgefährten auch erste Bekanntschaft mit Kaugummi, Erdnüssen und Apfelsinen (von denen sie zunächst die Schale aßen). Sie erlebten aber auch, wie die "Hamsterer" aus den Städten in Scharen aufs Land pilgerten, um etwas Essbares zu ergattern und Bucheckern zu sammeln - aus denen wurde damals Öl gepresst. Bevor er zur Schule kam - die er dann übrigens mit dem heutigen Greffener Ortsheimatpfleger Günter Pohlschmidt besuchte -, verlebte Peter Niehus viel Zeit auf einem benachbarten kleinen Bauernhof, auf dem eine ganze Schar Kinder zu Hause war.
In Erinnerung geblieben sind ihm vor allem die Mahlzeiten im großen Kreis und eine dabei gemachte Beobachtung: "Die Tür zum Vorraum konnte quasi gar nicht geschlossen werden, denn hier wurden Holzschuhe abgestellt von allen, die sich gerade am Küchentisch befanden. Da alle Holzschuhe trugen, waren es je nach Jahreszeit zwischen 10 und 15 Paar. Meine waren die kleinsten, und daher hatte ich keine Probleme, diese wiederzufinden. Für die anderen war die Suche nicht so einfach, und manchmal gab es darum kleine Streitereien. Nach dem Essen musste alles sehr schnell gehen, jeder wollte seine Mittagsruhe genießen", schreibt Niehus in seinem Essay.
Der heute 65-Jährige hat noch viele weitere Erinnerungen an die Nachkriegszeit: die Freundschaft seines Vaters mit einem britischen Soldaten, den Schulbesuch mit 72 Kindern in einer Klasse, die Schulspeisungen, den Zuzug von Evakuierten und Flüchtlingen, durch den sich die Einwohnerzahl in Greffen auf rund 2.000 verdoppelte, und die damalige Struktur des Dorfes: "Außer Bauernhöfen gab es praktisch alle wichtigen Handwerksbetriebe, die ein Dorf benötigte. Meister, Gesellen und Lehrlinge erklärten mit Stolz ihre Werkstücke ... Im Dorf gab es außerdem eine Schuh- und Füllhalterfabrik. Diese waren aber für uns nicht so zugänglich." Heizen mit Holzbrettern, Paddelübungen mit einem Boot, das aus einem Flugzeug-Zusatztank gebaut war, das abendliche Radiohören und die Beobachtung der lärmenden Jets auf dem Gütersloher Flughafen sind weitere Jugenderlebnisse, die sich Peter Niehus für immer ins Gedächtnis eingegraben haben.
14./15.05.2005
glocke-online@die-glocke.de
|