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Tageblatt für Enger und Spenge / Neue Westfälische , 13.05.2005 :

Aktion Stolpersteine braucht gegenseitiges Vertrauen / Unterschiedliche Verfahren in Bielefeld, Bünde, Gütersloh und Höxter / Nach wie vor verhärtete Fronten in Enger

Von Horst Chudzicki

Enger. Rund 5.000 Stolpersteine in 93 Städten hat der Kölner Künstler Gunter Demnig inzwischen seit dem Beginn seiner Aktion 1996 im Straßenpflaster versenkt. Zuletzt in Bielefeld, Gütersloh und Höxter. Vor Jahren auch schon in Bünde. Für Demnig sollen die Namen von NS-Opfern an den Ort zurück kehren, an dem sie einmal ihre Heimat hatten. Es geht darum, dass Menschen heute sinnbildlich über menschliche Schicksale stolpern, denen der Nazi-Terror ein gewaltsames Ende gesetzt hat.

Diese Aktion hat inzwischen eine gewaltige Resonanz im In- und Ausland gefunden. Auch in Enger. Doch hier haben sich diese Steine zu Stolpersteinen im eigentlichen Sinn des Wortes entwickelt, noch bevor das Projekt überhaupt in Gang gekommen ist. In Enger steht im Vordergrund nicht "das ehrende Gedenken an die Opfer", sondern ein erbitterter Streit um Verfahrensfragen zwischen der Projektträgerin Angelika Tiemann und der Stadt.

Im Detail geht es in Enger letztlich um zwei Fragen:

1. Ist auf der Verwaltungsebene ein formaler so genannter Gestattungsvertrag erforderlich, in dem Einzelheiten nach dem Straßen- und Wegegesetz geregelt werden? Hier könnten vor allem Fragen der Verkehrssicherungspflicht und Haftung betroffen sein.

2. In welcher Weise wird die Datenbasis für Dritte nachvollziehbar dokumentiert, die zur Auswahl der Standorte für die Pflastersteine geführt hat?

Zur Beurteilung dieser Fragen lohnt sich ein Blick in die ostwestfälischen Städte, in denen bereits Stolpersteine liegen.

Zwei Steine wurden am vergangenen Dienstag in Höxter verlegt. Auf Anfrage der NW erklärte Höxters Bürgermeister Hermann Hecker, dass er "verkehrstechnisch keine Notwendigkeit" gesehen habe, eine Regelung zu treffen. Er habe sich auch selbst davon überzeugt, dass die flachen Messingplatten auf den ganz normalen, kleinen Pflastersteinen "keinerlei Beeinträchtigung im Straßenverkehr darstellen können".

Vielmehr habe die Verwaltung den Antrag eines Tierarztehepaares auf Verlegung dieser ersten beiden Steine "ganz unkompliziert in den Stadtrat eingebracht, wo dieser zunächst umfassend diskutiert worden" sei. Der Bürgermeister bestätigte den Eindruck von örtlichen Beobachtern, dass sich die Politik in Höxter zunächst "unsicher" und "recht zögerlich" verhalten habe. Nun habe man jedoch sehr positive Erfahrungen mit dem Start der Aktion gemacht, so dass "weitere avisierte Anträge sicher auch völlig unkompliziert im Rat behandelt werden" könnten.

Nach der Sicherheit der zugrunde liegenden Datenbasis befragt, erklärte der Bürgermeister, dass die Stadt Höxter in ihrem Stadtarchiv über entsprechende Publikationen verfüge, aus denen das Schicksal der Nazi-Opfer nachvollziehbar sei. Ob dieses Material "in jedem Einzelfall hundertprozentig wasserdicht" sei, bleibe letztlich fraglich. Doch darum gehe es nicht, da in Höxter noch genügend Zeitzeugen ihre Erinnerungen zur Verfügung stellen könnten. Hecker: "Die Stadt muss allerdings schon erwarten können, dass ihr die entsprechenden Unterlagen zugänglich gemacht werden."

Auch in Höxter hatte sich vor allem in der Folge des 50. Jahrestages der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 viel bewegt. In der Mitgliedschaft einer Friedensinitiative und an einigen Schulen war nach jüdischen Schicksalen geforscht worden.

In Bielefeld, wo ebenfalls am Dienstag die ersten Steine verlegt wurden (die NW berichtete), sind die erforderlichen Unterlagen allesamt im Stadtarchiv vorhanden. Im benachbarten Oberzentrum kam die Anregung von Eva Hartog und dem Frauen-Netzwerk "Zonta-Club". Die Nachforschungen nach den Lebensläufen von Juden, von politisch und religiös Verfolgten, von Sinti, Roma und Homosexuellen geschahen stets in Zusammenarbeit mit Dr. Monika Minninger vom Stadtarchiv, einer ausgewiesenen und renommierten Expertin weit über die Bielefelder Stadtgeschichte hinaus. Für Andreas Döding, der auf der Verwaltungsseite für die Aktion zuständig war, und Eva Hartog habe es zu keiner Zeit Zweifel an der Qualität des Materials gegeben. Hartog: "Die Daten stimmen oft nicht hundertprozentig. Doch ob ein Opfer drei oder fünf Tage länger zum Beispiel der Hölle von Auschwitz ausgeliefert war, spielt in diesem Zusammenhang nicht die entscheidende Rolle."

Auch für einen Gestattungsvertrag habe man keine Veranlassung gesehen, erklärte Stadtsprecherin Margit Schulte-Döinghaus auf Anfrage. Das städtische Amt für Verkehr sei von vornherein beteiligt gewesen und habe auch bei der Aktion selbst auf die entsprechenden Bestimmungen geachtet.

Etwas anders sieht es in Gütersloh aus, wo die ersten neun Stolpersteine am Mittwoch verlegt worden sind. Hier ist die Stadt selbst Projektträger. Joachim Martensmeier, Leiter des Büros des Stadtrates und von Bürgermeisterin Maria Unger, hat sich persönlich gemeinsam mit Kollegen des Tiefbauamtes eingeschaltet.

Die Anregung kam dort von Noemi Zell aus den USA, der Tochter von Jehuda Barlev, der die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Gütersloh umfassend erforscht hat. Gemeinsam mit dem pensionierten Historiker Dr. Helmut Gatzen und Schülern verschiedener Schulen hat Stefan Grimm vom Stadtarchiv die erforderlichen Recherchen durchgeführt. In Gütersloh handele es sich nach Angaben von Martensmeier um eine "Partnerschaft von privater Initiative und öffentlicher Hand". Die historischen Daten seien so gut wie möglich gesichert und im städtischen Archiv vorhanden.

Da es sich um Installationen im öffentlichen Straßenraum handele, sei ein Gestattungsvertrag rechtlich zwingend vorgeschrieben. In Gütersloh sei dieser auch abgeschlossen worden.

Wiederum keine Notwendigkeit für einen Vertrag hat die Stadt Bünde gesehen. Bürgermeisterin Anett Kleine-Döpke-Güse erklärte gestern auf Anfrage, dass das Tiefbauamt keinerlei Bedenken gehabt habe und die betroffenen Grundstückseigentümer selbstverständlich vorher um Zustimmung gebeten worden seien.

Die gesamte Angelegenheit sei "relativ unbürokratisch" behandelt worden. Im Stadtrat habe es keinen Widerstand gegeben. Die Anregungen und die historischen Recherchen seien von einer sehr aktiven "Netzwerk-Gruppe" des Gymnasiums am Markt gekommen, die durch Aussagen von Augenzeugen und städtisches Archivmaterial erhärtet worden seien.

Festzuhalten bleibt also, dass sich in allen vier Städten die Antragsteller nicht explizit um die rechtlichen Belange von Gestattungsverträgen gekümmert haben, sofern diese überhaupt für erforderlich gehalten wurden.

Die Quellen des Datenmaterials zur Begründung für die Standorte der Steine sind sehr unterschiedlich. In allen Fällen liegen sie jedoch für Dritte nachvollziehbar vor und städtische Fachkräfte sind beteiligt.

Das ist in Enger anders. Hier zeigt sich die Antragstellerin Angelika Tiemann nach den Angaben aus der gemeinsamen Erklärung von Rat und Verwaltung mit einzelnen Regelungen des Gestattungsvertrages nicht einverstanden. Zum anderen ist sie nicht bereit, vor der Veröffentlichung ihrer Arbeiten zu diesem Thema die für die Aktion des Künstlers relevanten Inhalte gegenüber der Stadt zu dokumentieren (die NW berichtete).

In Enger scheint sich vielmehr die Atmosphäre eines tiefen wechselseitigen Misstrauens zum augenblicklichen Stillstand für das gesamte Projekt verdichtet zu haben. Eva Hartog aus Bielefeld hat dafür kein Verständnis: "Hier entsteht ein voraussichtlich Europa weites Denkmal von außergewöhnlicher Aussagekraft. Da kann es doch nicht sein, dass das an einem Ort wie Enger wegen solcher Streitereien nicht funktioniert."


lok-red.enger@neue-westfaelische.de

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