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Bünder Tageblatt / Neue Westfälische , 13.05.2005 :

Zeitzeugen sind beeindruckende Lehrer / Autorenlesung mit "Hitlerjunge Salomon" alias Sally Perel

Rödinghausen (NW). "Zeitzeugen sind beeindruckende Lehrer." Zu dieser Überzeugung kamen am Donnerstag 250 Schülerinnen und Schüler der Gesamtschule Rödinghausen.

"Lehrer", so erzählt Sally Perel, "beneiden mich immer". Das kommt nicht von ungefähr: Mucksmäuschenstill ist es, wenn der 80-Jährige seine Lebensgeschichte erzählt.

Ein einzigartiges Schicksal, als er sich als Jude, 16-jährig in der Uniform eines Nationalsozialisten rettete, um in "der Haut" des Todfeindes seiner jüdischen Familie zu überleben.

Tiefgreifend und ehrlich, bewegend und erschütternd

Aus Salomon Perel wurde so "Hitlerjunge Jupp", besser bekannt unter dem Namen "Hitlerjunge Salomon". Tiefgreifender und ehrlicher, bewegender und erschütternder vermag kein Unterricht der Welt zu wirken, im Vergleich mit Perels Berichten, der vor einer still lauschenden Zuhörerschaft das Unfassbare vortrug.

1925 wurde Perel nahe Braunschweig in Peine geboren. Nach den niederträchtigen Nürnberger Rassengesetzen von1935 übersiedelte seine streng religiöse jüdische Familie mit der Hoffnung auf Sicherheit ins polnische Lodz.

Nach Beginn des Weltkrieges wurden seine Eltern ins Ghetto getrieben. Die Gefahr ahnend, schickten sie den damals 14-jährigen Sohn Salomon gemeinsam mit seinem älteren Bruder Isaak auf die Flucht nach Osten. Der Abschied war geprägt von der Gewissheit, sich nie wieder zu sehen. Sein Vater appellierte mit den Abschiedsworten an Sallys Glauben: "Vergiss nie, wer du bist!" Seine Mutter hingegen befahl ihm: "Du sollst leben."

Perel: "Die Vitalität dieser drei Worte gaben mir Mut und begleiteten mich durch die schrecklichste Zeit meines Lebens". Zwei Jahre verbrachte er dann in einem sowjetischen Waisenhaus, bis ihn die Wehrmacht eingeholt hatte. Auf die Frage, ob er ein Jude sei, leugnete Perel und antwortete:" Ich bin kein Jude, ich bin ein Volksdeutscher!" und lebte. Eine Entscheidung gegen den Vater und für den Befehl seiner Mutter. Die nächsten vier Jahre verbrachte er bis zum Kriegsende in einer Hitlerjugendschule. Diese Jahre wurden für ihn zu "Vier Ewigkeiten".

Heute lebt Sally Perel in Israel, wo er sich in der Friedensbewegung engagiert und sich für die Aussöhnung mit den Palästinensern einsetzt. Er will nicht andren antun, was er selbst nicht erleben möchte.

An die Gesamtschüler richtet Perel die Botschaft: "Die Jugend von heute ist nicht verantwortlich für die Gräueltaten der Nazis, aber sie wird verantwortlich sein, wenn es wieder zu solchen kommt ... " Er appelliert an den gesunden Menschenverstand, an Toleranz und will die jungen Leute zu mündigen Bürgern heranreifen sehen, die ein derartiges Gesellschaftssystem nie mehr zulassen.

Bereits zum zweiten Mal in den letzten Jahren konnte die Gesamtschule Rödinghausen, mit Unterstützung des Jugendamtes des Kreises Herford Sally Perel als Gast begrüßen. "Erlebnisse, die sich nicht in Geschichtsbüchern finden lassen, erzählt von den Betroffenen, ziehen die Schülerinnen und Schüler immer wieder in den Bann", so erklärt Schulleiter Andreas Stork die Idee, Geschichtsunterricht auf diese Weise stattfinden zu lassen.

Auch Bürgermeister Vortmeyer ist beeindruckt

Auch Rödinghausens Bürgermeister Ernst-Wilhelm Vortmeyer, der dem Vortrag ebenfalls aufmerksam verfolgte, war beeindruckt: "Sally Perel hat auf eindrucksvolle Weise die oberflächliche Behauptung widerlegt, dass Schüler heute angeblich kein Interesse an Geschichte, schon gar nicht an eigener und noch viel weniger an diesem besonderen Teil deutscher Geschichte haben. Das ist eine gute und hoffnungsfrohe Erfahrung. Eigentlich eine, die Bildungspolitiker und Verantwortliche für Schulen aufhorchen lassen sollte, denn es scheint wie so oft nur eine Frage des WIE zu sein."


lok-red.buende@neue-westfaelische.de

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