Gütersloher Zeitung / Neue Westfälische ,
12.05.2005 :
Denkmäler von unten / Verlegung der ersten neun "Stolpersteine" in der Innenstadt hat begonnen
Von Jeanette Wedeking
Gütersloh. Er sieht aus wie immer: brauner Hut, rotes Halstuch, Weste und Ledermanschette am rechten Handgelenk. Der Künstler Gunter Demnig ist in seiner Erscheinung unverkennbar, ein Unikat, wie jedes seiner Werke, die er auf deutschen Straßen und Gehwegen versenkt. Nun rutscht er auf Knien durch die Gütersloher Innenstadt. Die Verlegung der ersten "Stolpersteine" hat begonnen.
Sorgfältig wird der erste Stein mit Messingkappe in den Bürgersteig der Kirchstraße Nummer 2 geklopft. "Hier wohnte Leonhard Beifuss. Jg. 1904. Deportiert 1943 Auschwitz" ist zu lesen. Das Haus existiert nicht mehr, es ist ein eher stilles Gedenken. "Stolpersteine sind Denkmäler von unten" sagt der 58-jährige Kölner Künstler über seine Arbeit. Kein Staat, keine Kommune verordne diese Gedenkstätten, sondern der Wunsch des Erinnerns werde allein aus der Bevölkerung getragen - und finanziert.
95 Euro kostet ein Stolperstein inklusive Verlegung. "Wer glaubt", so Demnig, "dass ich mir als Künstler damit eine goldene Nase verdiene, der irrt." Gut beschäftigt ist Demnig dennoch. 5.000 Steine in 93 Städten hat der Kölner seit Beginn der Aktion 1996 angebracht. "Der Verlegeplan ist bis 2006 ausgefüllt. Anwärter für 2007 gibt es auch schon", sagt Demnig.
26 Steine sollen es in Gütersloh werden, die ersten neun sind jetzt in der Kirchstraße, König-und Feldstraße verlegt. Die eingravierten Daten sind historisch belegt und wurden aus den im Stadtarchiv vorhandenen Unterlagen ermittelt.
Noemi Zell hatte bei der Bürgermeisterin Maria Unger die Aktion angeregt. Zell ist die Tochter Jeduda Barlevs, der - selbst hier geboren und mit der Familie vor dem Naziterror geflüchtet - die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Gütersloh erforscht und dokumentiert hat.
Während Demnig die ersten Stolpersteine ins Gütersloher Straßenpflaster versenkt, bleiben Passanten neugierig stehen, wartende Autofahrer kurbeln die Fensterscheibe herunter, um die Situation besser verfolgen zu können. Einige Meter entfernt stehen zwei Schutzbeamte und beobachten die Aktion. "Nicht zufällig", wie die Stadt bestätigt. Doch von feindlichen Angriffen während der Verlegung ist Demnig bis heute verschont geblieben.
Nicht so die Objekte des Anstoßes. "25 Steine sind bislang attackiert worden", von dieser Sorge lässt sich Demnig in seiner Arbeit wenig erschrecken. "Sollen sie doch mit ihren Springerstiefeln drauf herum trampeln, davon bleiben die Steine schön blank." Ganz so einfach machen sich viele Städte die Diskussion um die Stolpersteine nicht. In München und Leipzig etwa regt sich heftiger Widerstand gegen das Projekt.
"Wegen all der bekannten Hindernisse habe ich nie daran geglaubt, das Konzept verwirklichen zu können", erklärt der Künstler. Der Hintergrund der Aktion sei kein Grund zur Freude, dennoch komme er immer wieder gerne in die Städte. "Es macht mir Spaß, Menschen kennenzulernen." Leute kämen zu ihm an die "Baustellen", um über die wahren Begebenheiten zu berichten, um Mitbürger nach 60 Jahren erstmals wiederzusehen, oder ihren Enkeln vom (eigenen) Schicksal des Krieges zu erzählen. "Das sind die Momente, die mich weitermachen lassen."
Jüdisches Leben in Gütersloh
Seit dem Beginn der Herrschaft Rheda im Jahr 1565 waren auch in Gütersloh Juden sesshaft. Vom Landesherrn, dem Grafen von Rheda, erhielten sie das Recht der Niederlassung. Namentlich nachweisbar sind jüdische Bewohner des Dorfes seit 1671. 1720 ist erstmals eine Synagoge belegt, der Friedhof befand sich noch in Rheda. 1779 waren von 289 Gütersloher Familien elf jüdischen Glaubens. Nach dem Ersten Weltkrieg verstärkte sich die antisemitische Grundstimmung auch in Gütersloh; in der Reichspogromnacht 1938 brannte die Synagoge an der Göbenstraße (heute Daltropstraße). Die Rechtsfähigkeit der jüdischen Gemeinde wurde 1938 aufgehoben. Man bestimmte die Häuser Bismarckstraße 16 und Kahlertstraße 24 als "Judenhäuser", wo alle 62 noch in der Stadt lebenden Juden wohnen mussten. Ab 1941 begann die Deportation. Nach 1945 ist keine jüdische Gemeinde in Gütersloh mehr entstanden.
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